JudikaturJustiz11Os108/04

11Os108/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Oktober 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Oktober 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Klenk als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Tanja S***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB sowie anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Wr. Neustadt vom 29. Juni 2004, GZ 41 Hv 66/03x-119, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen - ebenso wie der Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes sowie zu den darauf bezogenen Zusatzfragen nach dem Rechtfertigungsgrund der Notwehr und dem Schuldausschließungsgrund der Zurechnungsunfähigkeit - unberührt bleibt, im Schuldspruch A I sowie demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Strafsache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung sowie Entscheidung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht Wr. Neustadt zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Tanja S***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB (A I) und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (A II) sowie des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG (B) schuldig erkannt.

Danach hat sie - soweit hier von Relevanz - Christian St***** durch einen Schuss aus einer Schrotflinte in den Nackenbereich vorsätzlich getötet (A I).

Rechtliche Beurteilung

Die aus Z 9 des § 345 Abs 1 StPO (ausschließlich) gegen diesen Teil des Schuldspruchs erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten ist im Recht.

Wie die Rüge zutreffend aufzeigt, haben die Geschworenen (ua) die Zusatzfrage nach den Voraussetzungen der Norm des § 8 StGB (fortlaufende Zahl X des Fragenschemas) nicht beantwortet (S 239 f/V), womit die Antwort der Geschworenen auf die gestellten Fragen unvollständig geblieben ist.

Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort Folge zu geben (§ 285e StPO).

Im zweiten Rechtsgang wird der von der Aufhebung nicht betroffene Wahrspruch - also insbesonders auch die Bejahung der Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes (fortlaufende Zahl I) sowie die Verneinung der Zusatzfragen nach dem Schuldausschließungsgrund der Zurechnungsunfähigkeit (fortlaufende Zahl II) und dem Rechtfertigungsgrund der Notwehr (fortlaufende Zahl VII) - der Entscheidung mit zugrunde zu legen sein (§ 349 Abs 2 StPO). Im Übrigen ist zunächst festzuhalten, dass (auch) die Zusatzfrage nach Notwehrexzess aus asthenischem Affekt (fortlaufende Zahl VIII) noch zu beantworten ist, weil diese nach den Gesetzen der Logik nicht - wie in der Belehrung verfehlt ausgeführt (S 237/V) - die Bejahung der Frage nach dem Rechtfertigungsgrund der Notwehr, sondern deren Verneinung voraussetzt.

Die Frage nach den Voraussetzungen der Norm des § 8 StGB (fortlaufende Zahl X) wird in eine Zusatzfrage nach irrtümlicher Annahme einer Notwehrsituation (§ 8 erster Satz StGB) und eine Eventualfrage nach fahrlässiger Tötung (unter besonders gefährlichen Verhältnissen) infolge fahrlässig irrtümlicher Annahme einer Notwehrsituation (§ 8 zweiter Satz StGB) aufzuspalten sein. Die Zusatzfrage nach irrtümlicher Annahme einer Notwehrsituation (§ 8 erster Satz StGB) wird sodann mit jener nach Notwehrexzess aus asthenischem Affekt zusammenzufassen sein, um einem den wahren Willen der Geschworenen nicht entsprechenden Abstimmungsergebnis, das im Fall der Trennung der beiden Fragen dann entstehen würde, wenn die Abstimmungen zwar kumuliert, nicht jedoch isoliert eine Stimmenmehrheit für die Annahme eines Strafausschließungsgrundes iwS mit sich brächten, vorzubeugen (vgl Schindler, WK-StPO § 317 Rz 19 f).

Wird die zusammengefasste Zusatzfrage bejaht, sind die (richtig:) Eventualfragen nach dem Vergehen der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen infolge fahrlässiger Notwehrüberschreitung (fortlaufende Zahl IX), fahrlässig irrtümlicher Annahme einer Notwehrsituation (fortlaufende Zahl X) und fahrlässiger Putativnotwehrüberschreitung (fortlaufende Zahl XI) zu beantworten, wobei im Fall der Bejahung einer dieser Fragen die Beantwortung der jeweils anderen zu unterbleiben hat.

Mit ihren Berufungen waren die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf das kassatorische Erkenntnis zu verweisen.

Rechtssätze
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