JudikaturJustiz11Ns92/23b

11Ns92/23b – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. November 2023 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in der Strafsache gegen * M* sowie der Verbandsverantwortlichkeitssache der A* GmbH wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, § 148 zweiter Fall StGB, AZ 13 Hv 7/22m des Landesgerichts Linz, über Vorlage durch das Oberlandesgericht Linz, AZ 8 Bs 100/22w, gemäß § 213 Abs 6 zweiter und dritter Satz, § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Sache wird dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über den Einspruch gegen die Anklageschrift und gegen den Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße übermittelt.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

[1] Mit im Verfahren AZ 13 Hv 7/22m des Landesgerichts Linz als Schöffengericht eingebrachter Anklageschrift vom 4. Februar 2022 (ON 398) legt die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (im Folgenden: WKStA), AZ 18 St 1/22b, * M* ein als Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, § 148 zweiter Fall StGB beurteiltes Verhalten zur Last. Damit verbunden (§ 21 Abs 2 VbVG) ist ein Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße gegen die A* GmbH (im Folgenden: A* GmbH) wegen Verantwortlichkeit (§ 3 Abs 1 Z 1 und 2, Abs 2 VbVG) für die von der Anklage umfassten Taten des Genannten.

[2] Nach dem Anklagevorwurf habe * M* „in L* und anderen Orten“ mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, nachgenannte Personen gewerbsmäßig durch Täuschung über Tatsachen, teils unter Benützung falscher Urkunden, zu nachstehend beschriebenen Handlungen verleitet, die diese in einem insgesamt 300.000 Euro übersteigenden Wert am Vermögen geschädigt haben, und zwar

a/ durch wahrheitswidrige Behauptungen zur Wirtschafts und Ertragslage der J* Inc, nämlich den Beteuerungen, deren Aktien seien werthaltig und der J** Konzern habe millionenschwere Umsätze (2011 rd 10 Millionen USD, 2012 rd 60,8 Millionen USD und 2013 rd 100 Millionen USD) vor allem aus Geschäften mit dem C* reg, der JM* BV, der B* GmbH oder der BE* AG zu verzeichnen, was hohe Renditen erwartbar mache,

i/ zwischen 14. März 2011 und 23. August 2013 in fünf Angriffen [siehe hiezu ON 398 S 6 f] * S* zum Erwerb von insgesamt 17.400.315 Stück Aktien zum Preis von insgesamt 23.287.511,81 USD (entspricht rd 17,4 Millionen Euro zum 23. August 2013);

ii/ zwischen 21. Juli 2011 und 20. Jänner 2012 in drei Angriffen [siehe hiezu ON 398 S 6 f] die BL* Ltd zum Erwerb von Aktien zum Preis von 4.467.643 USD (entspricht rd 3,8 Millionen Euro zum 20. Jänner 2012);

iii/ am 30. August 2013 [siehe hiezu ON 398 S 7] die P*, LLC zum Erwerb von 4.600.000 Stück Aktien zum Preis von insgesamt 9.400.422 USD (entspricht rd 7,1 Millionen Euro zum 30. August 2013);

b/ durch wahrheitswidrige Behauptungen zur Wirtschafts und Ertragslage der J* Inc wie unter a/ sowie die unrichtige Vorgabe, er sei ein rückzahlungsfähiger und rückzahlungswilliger Kreditnehmer, am 23. Juni 2014 die 137 V*, LP zum Abschluss eines Kreditvertrags mit der * M* zuzurechnenden A* GmbH als Kreditnehmer[in] und * M* als Garanten sowie zur Auszahlung der Kreditsumme von 8,5 Millionen USD (entspricht rd 6,25 Millionen Euro zum 23. Juni 2014);

c/ zwischen Juli 2018 und November 2019 unter Benützung falscher Urkunden, nämlich durch Vorlage eines selbst angefertigten Kaufvertrags über Inhaberschuldverschreibungen, vermeintlich abgeschlossen zwischen der A* GmbH und * Sp* sowie der T* als Treuhänder am 18. Februar 2019, sowie durch Vorlage eines selbst erstellten Quartalsberichts vom 31. März 2019 über ein Sonderportfolio bei K* zugunsten von * M* im Wert von rd 50,1 Millionen Euro, verbunden mit den wahrheitswidrigen Behauptungen, er sei ein rückzahlungsfähiger und rückzahlungswilliger Schuldner, würde über ein 50 Millionen-Euro-EFT-Depot verfügen, auf seinen Konten seien Zahlungseingänge aus Wertpapiererlösen iZm * E* in der Höhe von 845.000 Euro, mit * S p * in Höhe von 1,8 Millionen Euro sowie im Oktober 2018 300.000 Euro zu erwarten und zwei Wertpapierdepots bei der SC* AG (Depot * lautend auf A* GmbH, Depot * lautend auf * M*) seien zumindest rd 29 Millionen Euro wert, zur Einräumung von mehrfach erhöhten Überziehungsrahmen durch die SC* AG bei zwei Konten (Konto * der A* GmbH mit zuletzt 1,3 Millionen Euro Überziehungsrahmen, Konto * des * M* mit zuletzt 1,2 Millionen Euro Überziehungsrahmen [vgl hiezu jeweils ON 398 S 16]), die * M* im Ausmaß von 2.576.215,80 Euro durch Behebungen und Überweisungen zu Lasten der Bank ausnutzte.

[3] Nur der belangte Verband hat Einspruch (erkennbar) sowohl gegen die Anklageschrift als auch gegen den Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße erhoben (ON 444; zu seinem Einspruchsrecht in Bezug auf die Anklageschrift siehe 13 Ns 94/20g, RIS Justiz RS0133393). Der Vorsitzende des zu AZ 13 Hv 7/22m angerufenen Landesgerichts Linz als Schöffengericht äußerte Bedenken gegen dessen örtliche Zuständigkeit und legte die Akten gemäß § 213 Abs 6 zweiter Satz StPO (iVm § 21 Abs 1 erster Satz VbVG) dem Oberlandesgericht Linz vor (ON 426).

[4] Mit Beschluss vom 27. September 2023, AZ 8 Bs 100/22w, sprach das Oberlandesgericht Linz aus, dass die vorliegende Anklage – ebenso wie der damit verbundene Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße (BS 4 f) – keine der in § 212 Z 1 bis 4 StPO (iVm § 21 Abs 1 erster Satz VbVG) angeführten Mängel aufweise und legte die Akten gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vor, weil es für möglich hielt, dass ein im S prengel des Oberlandesgerichts Wien liegendes Gericht zur Führung des Hauptverfahrens zuständig sei.

[5] Im Falle gleichzeitiger Anklage mehrerer beteiligter Personen (§ 12 StGB) oder – wie aktuell – einer Person wegen mehrerer Straftaten ist das Hauptverfahren zwingend vom selben Gericht gemeinsam zu führen (§ 37 Abs 1 erster Satz StPO; Oshidari , WK StPO § 37 Rz 1 f).

[6] Dabei kommt – mangels aktuell in Betracht kommender Gerichte verschiedener Ordnung (diesfalls Zuständigkeit des höherrangigen Gerichts [§ 37 Abs 2 erster Satz, erster Fall StPO]) oder eines solchen mit Sonderzuständigkeit bzw weiterer Tatbeteiligter (§ 12 StGB) gemäß § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO das Verfahren im Falle mehrerer Straftaten an sich dem Gericht zu, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt ( Oshidari , WK StPO § 37 Rz 5).

[7] Von dieser Anknüpfung an die zeitliche Abfolge der Taten besteht allerdings eine Ausnahme im Interesse der Verfahrensökonomie für den Fall, dass für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Landesgericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO; RIS Justiz RS0125227; Oshidari , WK StPO § 37 Rz 5).

[8] Wie bereits vom Landesgericht Linz (ON 426 S 19 f) und vom Oberlandesgericht Linz (8 Bs 100/22w S 8 f) aufgezeigt, liegt nach den bisherigen Verfahrensergebnissen mit Blick auf die vom Angeklagten im Oktober 2012 in W* zum Nachteil des * S* gesetzten Täuschungshandlungen (RIS Justiz RS0126858 [T1, T2, T3]; Kirchbacher/Sadoghi in WK 2 StGB § 146 Rz 17,  19 ff, 124 f) betreffend den nachfolgenden Aktienkauf vom 23. August 2013 mit einem Schaden von rd 14,5 Millionen USD (= ein Angriff mit 50.000 Euro übersteigendem Schaden zu I/a/i/; ON 398 S 7) zumindest ein Tatort im Sprengel des Landesgerichts für Strafsachen Wien (ON 426 S 19 f iVm ON 76 S 17, 19; ON 2 S 21; ON 29 S 111; ON 397 S 265).

[9] Der Sitz der für das gegenständliche Ermittlungsverfahren zuständigen WKStA ist in W* und liegt gleichfalls im Sprengel des Landesgerichts für Strafsachen Wien (§ 2a Abs 1 StAG; RIS Justiz RS0124935 [T7] = 14 Ns 40/20y; Schroll/Oshidari , WK StPO § 20a Rz 2; Nordmeyer , WK StPO Vor §§ 25–28a Rz 2; Oshidari , WK StPO § 36 Rz 1).

[10] Demzufolge ist das Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht zur Führung der Strafsache gegen den Angeklagten * M* (I/) und – weil sich die Zuständigkeit für das Hauptverfahren gegen den belangten Verband im Gegenstand (vgl RIS Justiz RS0133396) nach jener für das Hauptverfahren gegen den Angeklagten richtet (§ 15 Abs 1 VbVG) – gegen die A * GmbH in Ansehung der wider diese beantragten Verhängung einer Verbandsgeldbuße (II/) zuständig (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO).

[11] Somit hat – wie auch die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend ausführt –  das Oberlandesgericht Wien über den Einspruch (ON 444) zu entscheiden (RIS Justiz RS0124585; vgl 15 Ns 47/22p).

Rechtssätze
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