JudikaturJustiz10ObS57/97y

10ObS57/97y – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. März 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Danzl als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag.Dr.Jörg Krainhöfner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Prenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Heidemarie E*****, vertreten durch Dr.Kurt Dellisch, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Land Kärnten, 9020 Klagenfurt, Arnulfplatz 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3.Oktober 1996, GZ 8 Rs 242/96m-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 19.Juni 1996, GZ 38 Cgs 52/96i-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 24.9.1955 geborene Klägerin leidet seit Geburt an Mongolismus samt Minderbegabung und nur sehr geringer Ausprägung von Intelligenz. Sie hat sieben Jahre Sonderschule besucht. Wesentliches Problem ihrer geistigen Situation sind deutlich herabgesetzte Übersichtsfähigkeit, Wechselhaftigkeit und oft schwere Beeinflußbarkeit von Stimmungen, weiters die Unberechenbarkeit der jeweiligen Handlungssituation in dem Sinne, daß auch bei recht guten Fertigkeiten aufgrund des geminderten Intelligenzzustandes nicht darauf vertraut werden kann, daß sie selbständig Leistungen durchführt, die sie zuvor zu können bewiesen hat.

Rein vom motorischen Ablauf her kann sich die Klägerin selbständig an- und auskleiden; allerdings muß die entsprechende Kleidung vorbereitet und nach dem Einkleiden auch kontrolliert werden, ob sie tatsächlich das angezogen hat, was ihr vorgelegt wurde. Sie muß weiters motiviert werden, sich waschen zu gehen, allerdings kann sie sich selbständig waschen. Nach dem Waschen muß wiederum (und zwar nicht bloß durch entsprechende Fragestellung, sondern auch stichprobenartig) kontrolliert werden, ob sie tatsächlich die notwendige Körperpflege vorgenommen hat. Das Zubereiten der Mahlzeiten ist der Klägerin nicht selbständig möglich. Das Verrichten der Notdurft ist ihr zwar an sich selbständig möglich, auch hier ist es jedoch notwendig, nach Beendigung (ebenfalls stichprobenartig) zu kontrollieren, ob sie sich entsprechend gereinigt hat; erfolgt die Renigung nicht ausreichend, so genügt es allerdings, die Klägerin anzuleiten, sich neuerlich reinigen zu gehen, was sie dann auch tut; insoweit ist Fremdhilfe für die Reinigung nicht erforderlich. Solche benötigt sie allerdings für das selbständige Herbeischaffen von Nahrungsmitteln und Medikamenten, die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, die Pflege der Leib- und Bettwäsche sowie das Beheizen des Wohnraumes (und zwar auch bei Vorhandensein einer Zentral- oder Elektroheizung, da ihr das selbständige Regulieren nicht zumutbar ist; hiezu ist sie viel zu unverläßlich). Auch Mobilitätshilfe im weiteren Sinne ist erforderlich. Die übrigen lebensnotwendigen Verrichtungen sind ihr noch selbständig möglich; dies betrifft insbesondere auch das Einnehmen der Mahlzeiten.

Mit Bescheid vom 16.2.1994 wurde der Klägerin vom beklagten Land das Pflegegeld der Stufe 2, gekürzt um die Hälfte des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe, ab 1.7.1993 zuerkannt. Mit dem nunmehr bekämpften weiteren Bescheid vom 26.1.1996 wurde ihr Antrag auf Höherreihung des Pflegegeldes abgewiesen.

Mit ihrer Klage stellte sie das Begehren auf Gewährung eines solchen der Stufe 3.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es beurteilte den eingangs zusammengefaßt wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahingehend, daß die Klägerin die nach § 4 Abs 2 des Kärntner Pflegegeldgesetzes LGBl 1993/76 (idF der Novelle LGBl 1995/67) - im folgenden kurz: KtnPGG (teilweise abgedruckt auch in Gruber/Pallinger, PPG, Anh VI b, 151 ff) - erforderliche Stundenzahl von durchschnittlich mehr als 120 Stunden monatlich an Pflegebedarf nicht erreiche, sondern diese vielmehr bloß 88 Stunden betrage, wobei dieser Wert wie folgt errechnet wurde:

Kontroll- und Anleitungsaufwand beim

An- und Auskleiden (2 x tgl 10 Minuten

ergibt pro Monat 10 Stunden

Kontroll- bzw. Bewachungsaufwand

bei der täglichen Körperpflege

(2 x tgl. 5 Minuten)

ergibt pro Monat 5 Stunden

Zubereitung von Mahlzeiten

30 Stunden

Kontrollfunktion bei der Verrichtung der

Notdurft (1 x täglich 5 Minuten) ergibt

pro Monat 3 Stunden

Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und

Medikamenten 10 Stunden

Reinigung der Wohnung und der

persönlichen Gebrauchsgegenstände 10 Stunden

Beheizung des Wohnraumes 10 Stunden

Mobilitätshilfe im weiteren Sinn 10 Stunden

ergibt insgesamt 88 Stunden

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Es übernahm - mangels Beweisrüge - die Feststellungen des Erstgerichtes und führte rechtlich aus, daß die vom Erstgericht vorgenommenen Einschätzungen "lebensnah und nicht zu beanstanden" seien.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte, gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige und von der beklagten Partei nicht beantwortete Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer Klagssstattgebung abzuändern; hilfsweise werden auch Aufhebungsanträge gestellt.

Die Rechtsrüge läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß die nach den Feststellungen erforderlichen und täglich oder zumindest mehrmals wöchentlich regelmäßig erforderlichen Anleitungs- und Kontrolltätigkeiten von Pflegepersonen der körperlichen und geistigen Unfähigkeit der Klägerin gleichzusetzen und daher auch gleich zu behandeln seien, wobei möglicherweise sogar ein außergewöhnlicher Pflegebedarf vorliege, weil die dauernde Bereitschaft, nicht jedoch die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich wäre. § 1 Abs 4 der Kärntner Einstufungsverordnung LGBl 1993/84 (im folgenden kurz: KtnEinstV) sehe für die relevanten Betreuungshandlungen (im Rahmen der täglichen Körperpflege und der Notdurftverrichtung) Mindestsätze vor, welche - entgegen der Auffassung der Vorinstanzen - nicht vermindert, sondern nur erhöht werden dürften, sodaß sich ein Pflegebedarf von insgesamt 145 Stunden ergäbe, der die für die Pflegegeldstufe 3 erforderliche Untergrenze von 120 Stunden erheblich überschreite (dabei wird von der Revisionswerberin der in Seite 6 des Ersturteils mit "98" Stunden ausgeworfene Gesamtstundenwert zugrundegelegt; dieser macht jedoch rechnerisch richtig nur 88 Stunden aus. Er wurde in der Urschrift der Entscheidung auch auf diesen Wert handschriftlich ausgebessert, sodaß sich der in der Revision ermittelte Gesamtwert zwar auf 135 Stunden reduzieren, jedoch auch unter dieser Prämisse die maßgebliche Grenze von 120 Stunden übersteigen würde).

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof folgendes erwogen:

1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Klägerin in ihrer anwaltlich verfaßten Klage die "Kärntner Landesregierung" als beklagte Partei bezeichnete und in Anspruch nahm, während das Erst- und Berufungsgericht als beklagte Partei jeweils - ohne nähere Begründung für die Abweichung - das "Land Kärnten" (im Ersturteil überdies "Land Kärnten, Amt der Kärntner Landesregierung") nennen. Tatsächlich ist nach § 17 des KtnPGG das Land Kärnten (als Träger der Sozialhilfe) Pflegegeldträger. Da Beklagte in einem Pflegegeldverfahren vor den Arbeits- und Sozialgerichten regelmäßig der Pflegegeldträger ist (10 ObS 2021/96w), ist im vorliegenden Fall tatsächlich von der Parteistellung des Landes im Gerichtsverfahren auszugehen, wie dies schon von den Vorinstanzen, speziell vom Berufungsgericht, richtigerweise (in Anwendung des § 235 Abs 5 ZPO) getan wurde.

2. Nach § 4 Abs 2 KtnPGG gebührt Pflegegeld der Stufe 3 Personen, deren Pflegebedarf nach Abs 1 dieser Gesetzesstelle durchschnittlich mehr als 120 Stunden monatlich beträgt. Der zwischen den Parteien unstrittige Pflegebedarf der Klägerin beträgt jedenfalls mehr als 75 Stunden (nämlich je 10 Stunden für An- und Auskleiden, Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten, Reinigung der Wohnung und Gebrauchsgegenstände, Beheizung und Mobilitätshilfe [zusammen sohin 50 Stunden] sowie 30 Stunden für die Zubereitung von Mahlzeiten). Strittig sind nur die Stundenwerte für die Verrichtungen Körperpflege und Notdurft.

Gemäß § 4 der EinstV zum KtnPGG ist die Anleitung sowie die Beaufsichtigung von Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung bei der Durchführung der in den §§ 1 und 2 angeführten Verrichtungen der Betreuung und Hilfe selbst gleichzusetzen. Der Oberste Gerichtshof hat (zum wortgleichen § 4 der EinstV zum Steiermärkischen Pflegegeldgesetz, sodaß die dortigen Ausführungen auch auf den gegenständlichen Fall ohne weiteres übertragbar sind; beide ländergesetzlichen Bestimmungen sind im übrigen wiederum wortgleich zum § 4 der EinstV BGBl 1993/314 zum BundespflegegeldG) in der in SSV-NF 9/75 veröffentlichten Entscheidung ausgesprochen, daß diese Bestimmung Fälle im Auge hat, in denen die Anwesenheit der Betreuungsperson während der Verrichtung erforderlich ist (arg "Anleitung und Beaufsichtigung... bei der Durchführung"). Nur in diesem Fall sei die Regelung der Verordnung verständlich, daß die Anleitung und Beaufsichtigung mit dem für die Verrichtung in den §§ 1 und 2 EinStV bestimmten Zeitwert gleichzusetzen ist.

Die Klägerin kann nun nach den für den Obersten Gerichtshof maßgeblichen Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen sowohl die tägliche Körperpflege (Waschen) als auch die Verrichtung der anfallenden Notdurften rein physisch selbst besorgen; sie bedarf auch nicht einer Anleitung und Beaufsichtigung bei den jeweiligen Verrichtungen, sondern bloß (stichprobenartig!) Kontrollen durch eine Pflegeperson nach Beendigung derselben. Solche Betreuungsmaßnahmen entsprechen damit aber nicht dem Tatbestandsmerkmal der Anleitung und Beaufsichtigung im Sinne des § 4 sämtlicher zitierten Einstufungsverordnungen, sondern stellen sich - ähnlich dem Fall der bereits zitierten Entscheidung SSV-NF 9/75 - als eine Folge der psychischen Betreuung dar, wobei es selbstverständlich ist, daß der notwendige Zeitaufwand im Verhältnis zu den für die Verrichtungen selbst erforderlichen Zeitaufwänden jedenfalls wesentlich geringer ist. § 4 der Ktn EinstV ist daher auf diesen Fall nicht anwendbar. Hiefür ist vielmehr - aus den in derselben Entscheidung sowie auch in SSV-NF 9/66 = SZ 68/137 ausdrücklich niedergelegten ausführlichen Gründen des Senates - auf den tatsächlich notwendigen Zeitaufwand im konkreten Einzelfall abzustellen und nur dieser in Anschlag zu bringen (ebenso auch 10 ObS 91/95, 10 ObS 2004/96w und 10 ObS 2410/96a).

3. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, daß der vom Erstgericht zugrundegelegte und vom Berufungsgericht übernommene Kontroll- und Anleitungsaufwand von zweimal täglich fünf Minuten (= fünf Stunden pro Monat) bei der täglichen Körperpflege sowie einmal täglich fünf Minuten (= drei Stunden pro Monat) bei der (großen) Notdurft einen zusätzlichen Pflegebedarf von nur acht Stunden pro Monat ergibt, der den oben bereits aufgeschlüsselten (und unstrittigen) Wert von 80 Stunden nicht so hoch anzuheben vermag, daß damit die Anspruchsvoraussetzungen nach dem § 4 Abs 2 KtnPGG für die höhere Pflegegeldstufe 3 (nämlich mehr als 120 Stunden pro Monat) erfüllt wären.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an die unterlegene Klägerin aus Billigkeit wurden in der Revision nicht dargetan.

Rechtssätze
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