JudikaturJustiz10ObS255/95

10ObS255/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Dezember 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber Mag.Eva-Maria Sand und Ernst Viehberger in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dorothea B*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr.Harry Fretska, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, wegen Alterspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12.September 1995, GZ 12 Rs 57/95-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 17.Februar 1995, GZ 11 Cgs 84/94x-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die nunmehrige Klägerin ist die fortsetzungsberechtigte Witwe des am 28.9.1994 verstorbenen Versicherten und früheren Klägers Dr.Anton B*****; sie hat mit ihm zur Zeit seines Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt (§ 76 Abs 2 ASGG).

Dem am 20.1.1929 geborenen Versicherten war mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 7.2.1990 ab 1.6.1988 eine Berufsunfähigkeitspension gemäß § 271 ASVG zuerkannt worden. Da er von Oktober 1985 bis März 1994 ua in der Pensionsversicherung nach dem GSVG pflichtversichert war, ergab sich zum Stichtag 1.4.1994 die Zuständigkeit der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft.

Diese stellte mit Bescheid vom 15.8.1994 die dem Versicherten gebührende Alterspension (§ 130 GSVG) ab 1.4.1994 mit monatlich 5.001,40 S fest. In diesem Betrag ist ein besonderer Steigerungsbetrag von 6,30 S für die Beiträge zur Höherversicherung enthalten.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Alterspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.4.1994 unter Anwendung des ab 1.7.1993 geltenden Bemessungsrechtes. Der Versicherte sei von 1962 bis 1965 Dienstnehmer auf der Höchstbeitragsgrundlage gewesen und habe von 1965 bis 1972 bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten freiwillige Pensionsversicherungsbeiträge auf der Höchstbeitragsgrundlage entrichtet. Von 1972 bis 1988 sei er als Dienstnehmer nur knapp über der Geringfügigkeitsgrenze gemeldet gewesen. Vom 3.4.1985 bis 31.3.1994 sei er noch nach dem GSVG pflichtversichert gewesen. Die Klägerin vertritt die Rechtsansicht, daß der Alterspension die Bemessungsvorschriften nach der Rechtslage ab dem 1.7.1993 zugrundezulegen wären.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie steht auf dem Standpunkt, bei der Pensionsberechnung sei gemäß § 259 Abs 9 GSVG das bis zum 30.6.1993 geltende Recht weiter anzuwenden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Vergleiche man die in den einzelnen Sozialversicherungsgesetzen enthaltenen Regelungen (§ 259 Abs 9 GSVG, § 551 Abs 10 ASVG), so zeige sich die klare Absicht des Gesetzgebers, die neuen (günstigeren) Berechnungsmethoden zur Ermittlung der Pensionsbemessungsgrundlage nur den Pensionisten zukommen zu lassen, die zum 30.6.1993 noch keinen Pensionsanspruch aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit hatten. Daher liege für den Fall des Zuständigkeitswechsels des Pensionsversicherungsträgers zwischen dem Anfall der Berufsunfähigkeitspension (PVAng) und der Alterspension (SVdgW) eine nicht gewollte Gesetzeslücke vor. Daß der Gesetzgeber in den jeweiligen Sozialversicherungsgesetzen lediglich auf jenen Begriff der Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit abgestellt habe, der im jeweiligen Gesetz verwendet werde, rechtfertige nicht den von der Klägerin gezogenen Schluß, er hätte den Fall des Zuständigkeitswechsels ausdrücklich von den zit Übergangsregelungen ausnehmen wollen. Deshalb sei die Übergangsbestimmung des § 259 Abs 9 GSVG auch im vorliegenden Fall anzuwenden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge.

In den Übergangsbestimmungen des § 259 Abs 9 GSVG und des § 551 Abs 10 ASVG werde zwar klargestellt, welche Rechtslage bei einer Antragstellung auf Alterspension gemäß § 130 GSVG anzuwenden sei, wenn vorher eine Pension aus dem Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit nach dem GSVG bezogen wurde, bzw welche Rechtslage bei einer Antragstellung auf eine Alterspension gemäß § 253 oder § 276 ASVG zur Anwendung komme, wenn vorher eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbetisfähigkeit nach dem ASVG bezogen wurde. Es fehle jedoch eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für den vorliegenden Fall, welche Rechtslage bei einer infolge Wechsels der Leistungszuständigkeit vorgenommenen Antragstellung auf Alterspension gemäß § 130 GSVG anzuwenden sei, wenn vorher eine Berufsunfähigkeitspension nach dem ASVG bezogen wurde.

Voraussetzung einer analogen Anwendung des § 259 Abs 9 GSVG sei eine Gesetzeslücke. Eine solche liege vor, wenn die Regelung eines Sachbereiches keine Bestimmung für eine Frage enthalte, die im Zusammenhang mit dieser Regelung an sich geregelt werden müßte. Eine Lücke sei anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an seiner Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig sei und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung entspreche. Der bloße Wortlaut des § 259 Abs 9 GSVG schließe eine teleologische oder unechte Lücke ebensowenig aus wie eine taxative Aufzählung. Analogie sei möglich und geboten, wenn der nicht besonders angeführte Fall alle motivierenden Merkmale der geregelten Fälle enthalte und das Prinzip der Norm auch in einem ihrem Tatbestand ähnlichen Fall Beachtung fordere. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Obwohl das GSVG den Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit in den §§ 111 bis 113 - ähnlich wie das BSVG in den §§ 102 bis 104 - anders als in den §§ 221 bis 223 ASVG nicht ausdrücklich als Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit bezeichne, handle es sich auch bei den genannten Versicherungsfällen der Pensionsversicherungen der Selbständigen um solche der geminderten Arbeitsfähigkeit, die den Schutz der in diesen Pensionssystemen Versicherten vor den Auswirkungen körperlich oder geistig bedingter Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit bezweckten. Daran vermöge auch der Umstand nichts zu ändern, daß der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit in den einzelnen Systemen des österreichischen Pensionsversicherungsrechtes jeweils unter verschiendenen Bezeichnungen auftrete und der Begriffsinhalt jeweils ein anderer sei. Aus den zit Übergangsbestimmungen ergebe sich die eindeutige Absicht des Gesetzsgebers, die neue (günstigere) Berechnungsweise der Pension nur jenen Versicherten zukommen zu lassen, die zum 30.6.1993 noch keinen Pensionsanspruch aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit im weiteren Sinne hatten. Da der Rechtsvorgänger der Klägerin zum Stichtag 30.6.1993 bereits einen Pensionsanspruch aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit, nämlich Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension gehabt habe, habe die Beklagte zu Recht die Übergangsbestimmung des § 259 Abs 9 GSVG analog auf diesen Fall angewendet. Auch das im österreichischen Sozialversicherungsrecht geltende Prinzip der Wanderversicherung (§ 251a ASVG, richtig § 129 GSVG), nach dem auch bei einem Wechsel zwischen der ASVG- und einer Selbständigen-Pensionsversicherung die erworbenen Versicherungszeiten vom zuständigen Pensionsversicherungsträger so behandelt würden, als ob sie bei ihm erworben worden wären, stütze diese Ansicht. In einem erst jüngst versandten Entwurf zur Änderung des ASVG und des GSVG sei eine Klarstellung der erwähnten Übergangsbestimmungen im dargelegten Sinn vorgesehen.

In der Revision macht die Klägerin unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend; sie beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgegebenden Sinne abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel ist nach § 46 Abs 3 Z 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 dieser Gesetzesstelle zulässig; es ist jedoch nicht berechtigt.

Nach § 259 Abs 9 GSVG und § 247 Abs 9 BSVG bzw § 551 Abs 10 ASVG ist bei einem Antrag auf eine ... Alterspension gemäß § 130 GSVG bzw § 121 BSVG bzw § 253 oder § 276 ASVG das am 30.6.1993 geltende Recht weiter anzuwenden, wenn bereits ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine Pension aus dem Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit (§ 259 Abs 9 GSVG und § 247 Abs 9 BSVG) bzw der geminderten Arbeitsfähigkeit (§ 551 Abs 10 ASVG), deren Stichtag vor dem 1.7.1993 liegt, besteht oder bestanden hat und nicht entzogen wurde.

Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß diese Übergangsbestimmungen einer berichtigenden Auslegung bedürfen.

Diese muß nicht in einer ergänzenden Rechtsfindung (Ausfüllung einer festgestellten Gesetzeslücke) bestehen. Sie kann auch durch eine ausdehnende Interpretation der in den zit Übergangsbestimmungen verwendeten Wortfolgen "Pension aus dem Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit" (§ 259 Abs 9 GSVG und § 241 Abs 9 BSVG) und "Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit" (§ 551 Abs 10 ASVG) vorgenommen werden.

Obwohl das GSVG und das BSVG - anders als das ASVG (zB §§ 221 bis 223) nicht vom Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit sondern vom Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit sprechen (zB § 111 bis 113 und 132 GSVG, §§ 102 bis 104 und 123 BSVG), handelt es sich auch bei den letzten beiden Versicherungsfällen um solche der geminderten Arbeitsfähigkeit im weiteren Sinne. Alle diese Versicherungsfälle bezwecken den Schutz der in diesen Pensionssystemen Versicherten vor den Auswirkungen einer körperlich und/oder geistig bedingten Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit, auch wenn die daraus zustehenden Leistungen verschieden bezeichnet und die besonderen Anspruchsvoraussetzungen unterschiedlich sind (so auch die vom Berufungsgericht zit E 20.9.1988, 10 ObS 227/88 SVSlg 36.213; Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 Rz 69 und 178a; Grillberger, österreichisches Sozialrecht2, 80 f; Teschner in Tomandl, SV-System

7. ErgLfg 368).

Diese systematisch-logischen und teleologischen Überlegungen erweisen den in den zit Übergangsbestimmungen gebrauchten Wortlaut "Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit" bzw "Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit" als zu eng. Er paßt nur auf die Normalfälle, in denen der Träger der Pensionsversicherung, der den Bescheid über die Zuerkennung der Pension aus dem Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit bzw der geminderten Arbeitsfähigkeit erlassen hat, auch über den späteren Antrag auf Alterspension zu entscheiden hat. Da es aber auch Fälle wie den vorliegenden gibt, in denen sich die Leistungszugehörigkeit des Versicherten und der leistungszuständige Versicherungsträger ändern, ist es erforderlich, die in den zit Übergangsbestimmungen gebrauchten Wortfolgen "Versicheurngfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit" und "Versicherungfall der geminderten Arbeitsfähigkeit" (im engeren Sinne) ausdehnend als "Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit im weiteren Sinne" zu interpretieren, der sowohl die Versicherungsfälle der dauernden Erwerbsunfähigkeit nach dem GSVG und dem BSVG als auch die Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit nach dem ASVG umfaßt. Eine Gleichbehandlung der Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit und der Erwerbsfähigkeit ist zB auch im § 251 Abs 5 und im § 129 Abs 5 GSVG vorgesehen (vgl die dortige Wortfolge "Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit (der dauernden Erwerbsunfähigkeit" bzw umgekehrt).

Für die berichtigende Auslegung spricht auch die schon vom Berufungsgericht erwähnte Absicht einer authentischen Interpreatation des § 551 Abs 10 ASVG in einem zur Begutachtung versendeten Ministerialentwurf zu einer ASVG-Nov.

(Nach dem vorgeschlagenenen Text des 1. Satzes dieses Absatzes ist bei einem Antrag ... auf eine Alterspension gemäß § 253 oder § 276 das am 30.Juni 1993 geltende Recht weiter anzuwenden, wenn bereits ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nach diesem Bundesgesetz oder aus dem Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit nach dem GSVG oder dem BSVG, deren Stichtag vor dem 1.7.1993 liegt, besteht oder bestanden hat und nicht entzogen wurde. In den Erläuterungen wird die beabsichtigte Änderung mit einem bei der 51. ASVGNov unterlaufenen Redaktionsfehler begründet.)

Es wäre auch im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung nicht vertretbar, einen Versicherten, der einen bescheidmäßig zuerkannten Anspruch auf eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit (i.e.S) hat, bei einem Antrag auf eine Alterspension anders zu behandeln als einen, der einen bescheidmäßig zuerkannten Anspruch auf eine Pension aus dem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.