JudikaturJustiz10Ob44/23b

10Ob44/23b – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der 1. L*, und des 2. mj A*, das Kind vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien MA 11, WKJH Rechtsvertretung Bezirke 12, 23, 1230 Wien, Rößlergasse 15), Vater: T*, wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 2. August 2023, GZ 42 R 110/23x, 42 R 111/23v 208, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Liesing vom 16. Februar 2023, GZ 5 Pu 211/14x 193 und 194, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Beschlüsse des Erstgerichts zu lauten haben:

I. L*, GZ 5 Pu 211/14x 193:

„1. Der dem Kind mit Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 22. 2. 2022, 5 Pu 211/14x 174, für die Zeit vom 1. 1. 2022 bis 28. 2. 2023 gewährte monatliche Unterhaltsvorschuss von 268 EUR wird für den 1. 2. 2022 (ein Tag) und vom 1. 4. 2022 bis 28. 2. 2023 auf monatlich 440 EUR erhöht. Höchstgrenze bleibt der Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen gemäß §§ 293 Abs 1 lit c, sublit bb erster Fall, 108 f ASVG.

2. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien wird um Auszahlung der Vorschüsse an L*, ersucht.

3. Dem Unterhaltsschuldner wird aufgetragen, die Pauschalgebühr von 172 EUR binnen 14 Tagen zu zahlen.

4. Das Mehrbegehren des Kindes auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in Höhe von monatlich 440 EUR wird für die Zeiträume 1. 1. 2022 bis 31. 1. 2022 sowie 2. 2. 2022 bis 31. 3. 2022 abgewiesen.

5. L* sowie der Unterhaltsschuldner haben dem Gericht unverzüglich den Eintritt jedes Grundes für die Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse mitzuteilen. Auf die Ersatzpflicht nach § 22 UVG wird hingewiesen.“

II. A*, GZ 5 Pu 211/14x 194:

„1. Der dem Kind mit Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 22. 2. 2022, 5 Pu 211/14x 175, für die Zeit vom 1. 1. 2022 bis 30. 6. 2025 gewährte monatliche Unterhaltsvorschuss von 241 EUR wird für den 1. 2. 2022 (ein Tag) und vom 1. 4. 2022 bis 30. 6. 2025 auf monatlich 425 EUR erhöht. Höchstgrenze bleibt der Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen gemäß §§ 293 Abs 1 lit c, sublit bb erster Fall, 108 f ASVG.

2. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien wird um Auszahlung der Vorschüsse an die Mutter M*, als Zahlungsempfängerin ersucht.

3. Dem Unterhaltsschuldner wird aufgetragen, die Pauschalgebühr von 184 EUR binnen 14 Tagen zu zahlen.

4. Das Mehrbegehren des Kindes auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in Höhe von monatlich 425 EUR wird für die Zeiträume 1. 1. 2022 bis 31. 1. 2022 sowie 2. 2. 2022 bis 31. 3. 2022 abgewiesen.

5. Die Mutter des Minderjährigen sowie der Unterhaltsschuldner haben dem Gericht unverzüglich den Eintritt jedes Grundes für die Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse mitzuteilen. Auf die Ersatzpflicht nach § 22 UVG wird hingewiesen.“

Text

Begründung:

[1] Der Vater ist aufgrund der Beschlüsse des Erstgerichts vom 9. 9. 2020 in Verbindung mit dem Beschluss des Rekursgerichts vom 19. 1. 2021 sowie aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom 13. 9. 2021 verpflichtet, ab 1. 2. 2021 der – mittlerweile volljährigen – Tochter einen monatlichen Unterhalt von 440 EUR und dem Sohn einen monatlichen Unterhalt von 425 EUR zu zahlen.

[2] Am 9. 12. 2021 (präzisiert am 27. 12. 2021) beantragte der Vater die Herabsetzung der Unterhaltsverpflichtung auf monatlich 268 EUR für die Tochter und 241 EUR für den Sohn. Diesen Herabsetzungsantrag wies das Erstgericht mit Beschluss vom 30. 5. 2022 ab. Das Rekursgericht gab dem vom Vater dagegen erhobenen Rekurs mit Beschluss vom 29. 12. 2022 teilweise Folge und änderte den Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass es die Unterhaltspflicht des Vaters für die Zeiträume vom 1. 12. 2021 bis 9. 1. 2022 und vom 2. 2. 2022 bis 9. 3. 2022 auf monatlich 268 EUR für die Tochter und 241 EUR für den Sohn herabsetzte.

[3] Am 27. 1. 2022 beantragten die Kinder die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von monatlich 440 EUR für die Tochter und 425 EUR für den Sohn. Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Beschlüssen vom 22. 2. 2022 gewährte das Erstgericht der Tochter vom 1. 1. 2022 bis 28. 2. 2023 gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG einen monatlichen Unterhaltsvorschuss in Höhe von 268 EUR, dem Sohn vom 1. 1. 2022 bis 30. 6. 2025 einen monatlichen Unterhaltsvorschuss in Höhe von 241 EUR. Die Entscheidung über das Mehrbegehren blieb jeweils vorbehalten.

[4] Mit den angefochtenen Beschlüssen vom 16. 2. 2023 erhöhte das Erstgericht unter Bezugnahme auf § 19 Abs 2 UVG

a) den der Tochter für die Zeit vom 1. 1. 2022 bis 28. 2. 2023 gewährten monatlichen Unterhaltsvorschuss von 268 EUR auf monatlich 440 EUR von 10. 1. 2022 bis 1. 2. 2022 und von 10. 3. 2022 bis 28. 2. 2023 und

b) den dem Sohn für die Zeit vom 1. 1. 2022 bis 30. 6. 2025 gewährten monatlichen Unterhaltsvorschuss von (richtig:) 241 EUR auf monatlich 425 EUR von 10. 1. 2022 bis 1. 2. 2022 und von 10. 3. 2022 bis 30. 6. 2025.

[5] Die Unterhaltsvorschüsse seien für den Zeitraum vom 10. 1. 2022 bis 1. 2. 2022 und ab 10. 3. 2022 der Titelhöhe anzupassen.

[6] Das Rekursgericht gab den Rekursen des Bundes und des Vaters gegen diese Beschlüsse nicht Folge. Zum Rekurs des Bundes führte es begründend aus, dass das Erstgericht die Entscheidung über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in den Beschlüssen vom 22. 2. 2022 über das Mehrbegehren der Kinder vorbehalten und mit den angefochtenen Beschlüssen „nachgeholt“ habe. Daher komme nicht § 19 UVG zur Anwendung, weil keine Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse entschieden worden sei, sodass die in § 19 Abs 2 UVG geregelte „Monatsbezogenheit“ nicht zur Anwendung gelange. Die Gewährung der Vorschüsse entspreche der Unterhaltsverpflichtung des Vaters. Eine Aliquotierung für Bruchteile von Monaten sei im UVG grundsätzlich nicht vorgesehen, werde aber vom Bund im Rekursantrag – betreffend den 1. 2. 2022 – selbst begehrt. D ie unübliche zeitliche Begrenzung der Herabsetzung der Unterhaltsverpflichtung habe dem Rekursantrag des Vaters entsprochen, der nicht überschritten werden durfte. Eine Aliquotierung scheine hier bei erstmaliger Gewährung von Vorschüssen ausnahmsweise zulässig zu sein. Den Revisionsrekurs ließ das Berufungsgericht nachträglich mit der Begründung zu, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Fragen, ob eine Entscheidung über einen Teilbetrag des begehrten monatlichen Unterhaltsvorschusses vorbehalten werden könne und bejahendenfalls, ob bei der Entscheidung über den vorbehaltenen Teilbetrag die §§ 8 und 19 Abs 1 und 2 UVG zu beachten seien.

[7] Gegen diesen Beschluss richtet sich der vom Sohn beantwortete Revisionsrekurs des Bundes, mit dem dieser beantragt, die den Kindern gewährten Unterhaltsvorschüsse in der Höhe von 268 EUR für die Tochter und 241 EUR für den Sohn „monatlich nur für den 1. 2. 2022 (ein Tag) und für die Zeit ab dem 1. 4. 2022 in der vollen Titelhöhe zu gewähren, also in Höhe von 440 EUR (Tochter) bzw 425 EUR (Sohn) monatlich“.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

[9] Der Revisionsrekurswerber macht geltend, dass Unterhaltsvorschüsse monatsbezogen zu gewähren seien und die Entscheidungen der Vorinstanzen von der klaren Gesetzeslage abweichen. Daran ändere auch der Vorbehalt der gesonderten Beschlussfassung über die Mehrbeträge durch das Erstgericht nichts. Dem kommt Berechtigung zu.

[10] 1.1 Nach § 1418 Satz 2 ABGB sind Alimente wenigstens auf einen Monat im Voraus zu bezahlen. Diese Vorausleistung soll rechtzeitig die Mittel gewähren, sodass der Unterhaltsberechtigte keinen Mangel leidet (10 Ob 41/19f; 10 Ob 30/15g). Die Rechtsprechung leitet aus § 1418 Satz 2 ABGB ab, dass einerseits der Zeitraum eines Monats – und hier gemeint eines Kalendermonats – als regelhafte Unterhaltszahlungsperiode bestimmt ist und andererseits Unterhaltsleistungen in Geld bereits am Monatsersten im Vorhinein fällig sind (10 Ob 23/14a; Stabentheiner/Kolbitsch Franz in Kletečka/Schauer , ABGB ON 1.05 § 1418 Rz 5).

[11] 1.2 Aus dieser auf Kalendermonate abstellenden Judikatur zur Vorauszahlungspflicht ergibt sich weiters, dass sich die Änderung der für die Unterhaltspflicht maßgebenden Verhältnisse erst mit dem darauf folgenden Monatsersten auswirkt, also erst mit dieser geringfügigen zeitlichen Verzögerung eine Erhöhung oder Herabsetzung der Unterhaltspflicht auslösen kann (Erhöhung: RS0076749 [zum UVG]; Herabsetzung: RS0033385 [T1]). Nach der Regelung des § 1418 Satz 2 ABGB entfalten daher geänderte Umstände, also auch Gründe, die eine Herabsetzung oder Einstellung des Unterhalts rechtfertigen, ihre Wirksamkeit immer erst mit dem darauf folgenden Monatsersten (10 Ob 23/14a mwH).

[12] 2.1 Auch im Unterhaltsvorschussverfahren werden alle für die Gewährung und Einstellung maßgeblichen Ereignisse bei allen Vorschussformen monatsbezogen erfasst (10 Ob 41/11v; 10 Ob 23/14a; 10 Ob 56/15f; RS0112995). Nach § 17 Abs 1 UVG sind die Unterhaltsvorschüsse jeweils am Ersten eines jeden Monats im Voraus zu bezahlen (vgl auch § 8 UVG). Der Gesetzgeber geht im Hinblick auf die Parallelität des Unterhaltsrechts mit dem Unterhaltsvorschussrecht davon aus, dass diese Norm der Regel des § 1418 Satz 2 ABGB entspricht (ErläutRV 5 BlgNR 14. GP 17; Reischauer in Rummel/Lukas , ABGB 4 § 1418 ABGB Rz 8; 10 Ob 30/15g).

[13] 2.2 Die Änderung der Vorschüsse ist im Fall deren Herabsetzung oder Erhöhung mit dem auf den Eintritt des Herabsetzungsgrundes folgenden bzw dem auf das Wirksamwerden der Unterhaltserhöhung folgenden Monatsersten anzuordnen (§ 19 Abs 1 und 2 UVG; RS0111944; RS0076749). Eine Aliquotierung für Bruchteile von Monaten ist dem UVG fremd ( Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 5 § 8 UVG Rz 4 mwN; 10 Ob 23/14a).

[14] 2.3 Dass Vorschüsse monatsbezogen gewährt werden, ergibt sich auch aus weiteren Bestimmungen des UVG: Von der monatlichen Gewährung von Vorschüssen sprechen die §§ 6, 13 Abs 1 Z 1 und § 24 UVG. Die Einstellung der Vorschüsse ist, gegebenenfalls rückwirkend, mit Ablauf des Monats anzuordnen, in dem der Einstellungsgrund eingetreten ist (§ 20 Abs 2 UVG).

[15] 3. Für den vorliegenden Fall folgt daraus:

[16] 3.1 Dem Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters wurde bereits ab 1. 12. 2021 stattgegeben. Der Anspruch der Kinder auf Unterhaltsvorschuss beträgt daher ab 1. 1. 2022 monatlich 268 EUR (Tochter) und 241 EUR (Sohn), und zwar bis zum 31. 1. 2022.

[17] 3.2 Da dem Herabsetzungsantrag des Vaters nur bis 9. 1. 2022 stattgegeben wurde, erhöhte sich der Unterhaltsanspruch der Kinder wieder auf die ursprünglich zuerkannten Beträge von 440 EUR (Tochter) und 425 EUR (Sohn). Diese Erhöhung (oder „Nichtherabsetzung“) wirkt aber nach der dargestellten Rechtslage für den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss erst ab dem folgenden Monatsersten, dem 1. 2. 2022. Richtig weist der Bund im Revisionsrekurs darauf hin, dass die (damals noch beiden) Kinder für den Monat Februar 2022 daher Anspruch auf Unterhaltsvorschuss in Höhe von 440 EUR (Tochter) und 425 EUR (Sohn) gehabt hätten. Da das Erstgericht jedoch nur einen Anspruch „bis 1. 2. 2022“ in dieser Höhe zuerkannt hat (also nur für diesen Tag) und dieser Ausspruch mangels Anfechtung in Rechtskraft erwuchs, ist über den Zuspruch von 268 EUR für die Tochter und 241 EUR für den Sohn für den Zeitraum 2. 2. 2022 bis 28. 2. 2022 hinaus ein weiterer Zuspruch nicht möglich.

[18] 3.3 Ab dem 2. 2. 2022 war der Vater mit seinem Unterhaltsherabsetzungsantrag wieder erfolgreich, sodass die Vorschüsse entsprechend herabzusetzen waren. Auch dieses Ereignis wirkt jedoch erst mit dem folgenden Monatsersten, dem 1. 3. 2022. Der Anspruch der Kinder auf Unterhaltsvorschuss beträgt für den Monat März 2022 daher 268 EUR (Tochter) und 241 EUR (Sohn). Der Umstand, dass der Vater mit seinem Unterhaltsherabsetzungsantrag nur bis 9. 3. 2022 erfolgreich war, ändert daran nichts, weil dieses Ereignis aus den dargestellten Gründen erst mit 1. 4. 2022 unterhaltsvorschusswirksam wird.

[19] 3.4 Ab dem 1. 4. 2022 betragen die Unterhaltsvorschüsse unangefochten monatlich 440 EUR (Tochter) und 425 EUR (Sohn).

[20] 3.5 Die Auszahlung allenfalls noch an die Tochter zu leistender Vorschüsse hat im Hinblick auf deren mittlerweile eingetretene Volljährigkeit an diese selbst als Anspruchsberechtigte (§ 2 Abs 1 UVG) zu erfolgen ( Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 5 § 17 UVG Rz 5).