JudikaturJustiz10Ob15/15a

10Ob15/15a – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. März 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden und die Hofräte Univ. Prof. Dr. Neumayr, Dr. Schramm sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. S*****, 2. M*****, beide vertreten durch Dr. Franz Gerald Hitzenbichler und Dr. Bernhard Zettl, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei N*****, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 2 C 1447/09a des Bezirksgerichts Hallein, infolge Revisionsrekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 14. Jänner 2015, GZ 22 R 5/15m 6, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hallein vom 23. Dezember 2014, GZ 2 C 1205/14w 3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekurs- und des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Im Verfahren 2 C 1447/09a des Bezirksgerichts Hallein begehrte der Beklagte des Wiederaufnahmsverfahrens (Kläger des wiederaufzunehmenden Verfahrens; in der Folge: Beklagter), die Kläger des Wiederaufnahmsverfahrens (Beklagte des wiederaufzunehmenden Verfahrens; in der Folge: Kläger) zu verpflichten, einen auf ihrer Liegenschaft errichteten Zaun zu beseitigen und hinkünftig jede Beeinträchtigung des Geh und Fahrtrechts über ihre Liegenschaft bis zum Einfahrtstor des Beklagten, das sich auf seiner angrenzenden Liegenschaft befindet, zu unterlassen. Der Klage wurde mit (mittlerweile rechtskräftigem) Urteil des Bezirksgerichts Hallein vom 20. 6. 2013 stattgegeben.

Die Kläger begehren die Wiederaufnahme dieses Verfahrens, weil ihnen im Sinn des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO neue Beweismittel zugänglich geworden seien, die bei ihrer Verwendung im wiederaufzunehmenden Verfahren ergeben hätten, dass ein Geh und Fahrtrecht niemals ersessen habe werden können: Die Ehefrau des Beklagten habe anlässlich einer Wasserrechtsverhandlung am 9. 10. 2014 ausdrücklich angegeben, dass das Einfahrtstor auf der Liegenschaft des Beklagten niemals zum Einfahren benutzt worden sei und man nur gelegentlich mit einem Anhänger zu diesem Bereich zugefahren sei. Weiters liege ihnen seit 22. 10. 2014 eine Kopie des Negativs einer Flugbildaufnahme des Bundesamts für Eich und Vermessungswesen vor, aus der sich ergebe, dass aufgrund einer Hecke eine Zufahrt tatsächlich regelmäßig nicht möglich gewesen sei.

Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage gemäß § 538 Abs 1 ZPO als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet zurück, da die nunmehr geltend gemachten Beweismittel nicht geeignet seien, eine für die Kläger günstigere Entscheidung herbeizuführen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Im Vorprüfungsverfahren sei zwar die Eignung der neuen Tatsachen und Beweismittel nur abstrakt, nicht konkret zu prüfen. Eine Wiederaufnahmsklage sei aber nur zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außer Stande gewesen sei, diese Tatsachen und Beweismittel vor Schluss der Verhandlung geltend zu machen. Die anwaltlich vertretenen Kläger hätten jedoch bereits im wiederaufzunehmenden Verfahren die (frühere) Ehefrau des Klägers als Zeugin namhaft machen und entsprechende Erhebungen beim Bundesamt für Eich und Vermessungswesen tätigen können. Der Behauptungs und Beweislast dafür, dass sie kein Verschulden daran treffe, die nun geltend gemachten Beweise nicht schon im Vorprozess beantragt zu haben, hätten die Kläger nicht entsprochen.

Über Antrag der Kläger ließ das Rekursgericht nachträglich den ordentlichen Revisionsrekurs zu, da nicht auszuschließen sei, dass mit dieser Entscheidung die Anforderungen an die prozessuale Diligenzpflicht der Kläger überspannt und von ihnen unzumutbare Erhebungen verlangt worden seien.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt.

1. Im Vorprüfungsverfahren nach § 538 Abs 1 ZPO ist zu prüfen, ob die Wiederaufnahmsklage schlüssig ist. Der Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO ist schlüssig behauptet, wenn sich aus dem Vorbringen ergibt, dass die Berücksichtigung der vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel im Hauptverfahren eine der Partei günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte. Die Prüfung, ob dies zutrifft, ist nur abstrakt vorzunehmen. Die Wiederaufnahmsklage ist zurückzuweisen, wenn sich aus dem Klagevorbringen selbst ergibt, dass die vorgebrachten Tatsachen oder die aus den neuen Beweismitteln abzuleitenden Tatsachen sogar dann, wenn man sie als richtig unterstellt, zu keiner Änderung der (früheren) Entscheidung führen. Insoweit ist das Rekursgericht zu Recht davon ausgegangen, dass das Erstgericht, das bereits eine inhaltliche Würdigung der nunmehr behaupteten neuen Beweise vorgenommen hat, diesen Prüfungsumfang überschritten hat.

2. Die Wiederaufnahme ist nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außer Stande war, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluss der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen (§ 530 Abs 2 ZPO). Die Behauptungs und Beweislast für den Mangel des Verschuldens trägt der Wiederaufnahmskläger (RIS Justiz RS0044558 [T9]; RS0044633). Dazu sind konkrete Tatsachenbehauptungen aufzustellen.

Ob den Kläger ein Verschulden an der nicht rechtzeitigen Kenntnis der neuen Beweismittel trifft, ist grundsätzlich ebenfalls nicht im Vorprüfungsverfahren zu klären. Dies ist nur ausnahmsweise dann möglich, wenn sich das Verschulden bereits aus den als richtig angenommenen Tatsachenbehauptungen der Klage ergibt oder diese jedwede Behauptung vermissen lassen, dass die Verwendung der als Wiederaufnahmsgrund angeführten neuen Beweismittel im Vorverfahren ohne Verschulden unmöglich war (RIS Justiz RS0044558).

Ein Verschulden kann dabei nur dann verneint werden, wenn trotz sorgsamer Prozessvorbereitung und Beweismaterialbeschaffung von der neuen Tatsache erst nach Schluss der Verhandlung des Vorprozesses Kenntnis erlangt werden kann. Eine Wiederaufnahme ist ausgeschlossen, wenn eine Partei die Beweismittel bei Anwendung ordnungsgemäßer Aufmerksamkeit hätte auffinden können.

3. Die Beurteilung, ob die Klagsangaben geeignet sind, ein mangelndes Verschulden iSd § 530 Abs 2 ZPO darzulegen, ist stets von Umständen des Einzelfalls abhängig und vermag daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage zu begründen (RIS Justiz RS0044633 [T7]).

Allerdings ist im konkreten Fall dem Rekursgericht offenbar insoweit ein Fehler unterlaufen, als es die nunmehr als Zeugin namhaft gemachte Ehefrau des Beklagten mit der im wiederaufzunehmenden Verfahren wiederholt erwähnten geschiedenen Ehefrau des Beklagten verwechselte und aus diesem Grund von einem Verstoß der Kläger gegen die prozessuale Diligenzpflicht ausgegangen ist.

Die Kläger haben vorgebracht, dass die (offenbar nunmehrige) Ehefrau des Beklagten am 9. 10. 2014, sohin nach Schluss der mündlichen Streitverhandlung im wiederaufzunehmenden Verfahren, eine Äußerung über die Nutzung des Einfahrtstors auf der Liegenschaft des Beklagten bzw des Weges der Kläger getätigt habe, woraus sich hinlänglich ergibt, dass sie davon ausgehen, erst in diesem Zusammenhang erfahren zu haben, dass von dieser Zeugin verfahrensrelevante Angaben zu erwarten sind.

Die nähere Prüfung, ob die Kläger ein Verschulden an der nicht rechtzeitigen Kenntnis dieses Beweismittels trifft, ist, wie ausgeführt, nicht im Vorprüfungsverfahren vorzunehmen. Die Zurückweisung erfolgte daher jedenfalls zu diesem Wiederaufnahmegrund zu Unrecht.

Bereits wenn einer von mehreren geltend gemachten Wiederaufnahmsgründen zutrifft, ist aber das Wiederaufnahmsverfahren ohne Zurückweisung im Vorprüfungsverfahren nach § 538 ZPO fortzusetzen; ein „Splitting“ in einzelne (stattzugebende beziehungsweise abzuweisende) Beweismittel und damit hinsichtlich einerseits zurückzuweisender beziehungsweise andererseits stattzugebender Wiederaufnahmsgründe hat nicht zu erfolgen (RIS-Justiz RS0115972).

Die Beschlüsse der Vorinstanzen sind daher aufzuheben und ist dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Wiederaufnahmsklage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.