Spruch
W226 2275979-1/25E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA.: Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.06.2023, Zl. 1329228607-223257950, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.09.2023 zu Recht:
A)
Die Spruchpunkte IV. – VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
I.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: „BF“), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 14.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der am 15.10.2022 erfolgten niederschriftlichen Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF zu seinem Fluchtgrund befragt an, dass er zu Beginn der Mobilisierung den Entschluss gefasst habe zu flüchten, da er ansonsten in den Krieg ziehen hätte müssen. Er habe ein Formular bezüglich des freiwilligen Einzugs in den Krieg von seinem Arbeitgeber erhalten, welches er ausfüllen sollte. Bei einer Rückkehr würde ihn aufgrund der Verweigerung lebenslanges Gefängnis erwarten.
I.2. Am 24.03.2023 erfolgte eine Einvernahme des BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: „BFA“). Dabei gab der BF im Wesentlichen an, XXXX zu haben. Ferner sei ein Bein etwas länger als das andere. Dies sei bereits in der Russischen Föderation behandelt worden. Im Herkunftsland verfüge der BF über ein Eigentumshaus, in welchem seine Mutter sowie sein Bruder und dessen Frau leben würden. Der BF habe am XXXX standesamtlich geheiratet, seine Gattin lebe in Österreich. Der BF habe keine Kinder aber seine Gattin sei schwanger. Aus der ersten Ehe der Gattin würden bereits zwei Kinder entstammen, welche in der Russischen Föderation bei ihrem Vater aufhältig seien. Im Herkunftsland verfüge der BF noch über zahlreiche Angehörige, darunter seine Mutter, seine Schwester und seinen Bruder, zu welchen er ein gutes Verhältnis habe. Einmal pro Woche habe der BF Kontakt zu seiner Mutter.
Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass der BF vor Beginn der Mobilisierung von seinen Arbeitsstellen gezwungen worden sei, eine Erklärung abzugeben, dass er freiwillig, falls es notwendig sei, in den Krieg in der Ukraine ziehen würde. Der BF sei aufgrund dessen verpflichtet gewesen, in den Krieg zu ziehen. Er habe bereits zwei Kriege erlebt und wolle nicht in den Krieg. Eine Ladung habe der BF nicht bekommen, er habe aber ein Wehrdienstbuch. Laut dem Wehrdienstbuch gehöre der BF der Reserve an. Gegen den BF sei ein Strafverfahren anhängig, weil er den Wehrdienst verweigere.
I.3. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 13.06.2023 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 14.10.2022 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgesellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise in der Dauer von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt VI.).
Begründend führte die Behörde aus, dass die Angaben des BF hinsichtlich seines Fluchtvorbringens nicht glaubhaft seien und Militärdienstverweigerung ferner keinen Fluchtgrund iSd Genfer Flüchtlingskonvention darstellen würde. Die Behörde könne nicht davon ausgehen, dass die russische Armee systematische Menschenrechts- bzw. Völkerrechtsverletzungen begehe. Die Teilmobilmachung sei abgeschlossen und bestehe im Herkunftsland das verfassungsrechtlich garantierte Recht des zivilen Ersatzdienstes. Es sei in Anbetracht dessen nicht davon auszugehen, dass der BF bei einer Rückkehr in das Herkunftsland eingezogen werden würde. Hätte man den BF tatsächlich zum Militärdienst einziehen wollen, so hätte man ihn nicht aus der Russischen Föderation ausreisen lassen. Der BF habe aber ohne Probleme ausreisen können. Ein weiteres Indiz dafür, dass das Fluchtvorbringen des BF nicht der Wahrheit entspricht, sei die Tatsache, dass sein Bruder problemlos in der Russischen Föderation aufhältig sei. Hinsichtlich der Beweiskraft seines vorgelegten Strafverfahrens sei auszuführen, dass es im Herkunftsland möglich sei, Urkunden zu kaufen, wie beispielsweise auch Vorladungen und Haftbefehle. Der Umstand, dass sich der BF vor seiner Ausreise einen Reisepass ausstellen ließ und legal sowie komplikationslos die Russische Föderation verließ sowie seine oberflächlichen Schilderungen in seinen Aussagen bezüglich seiner Fluchtgründe würden starke Zweifel an der Glaubwürdigkeit seines Fluchtvorbringens aufkommen lassen. Der BF habe somit keine Verfolgungsgefahr glaubhaft machen können. Es würden auch keine sonstigen Gründe einer Rückkehr entgegenstehen. Der BF halte sich erst kurze Zeit im Bundesgebiet auf und bestehe auch seine Ehe erst seit kurzer Zeit, weshalb diese auch die Intensität vermissen ließe. Aufgrund des kurzfristigen Aufenthalts des BF in Österreich sei trotz Fehlens von Verurteilungen oder schwerwiegenden Verwaltungsübertretungen das öffentliche Interesse am Vollzug eines geordneten Asylwesens jedenfalls höher zu bewerten gewesen als seine privaten bzw. familiären Interessen.
I.4. Am 17.07.2023 erhob der BF im Wege seiner Rechtsvertretung gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde und führte darin aus, dass seine Frau in Österreich über den Status der subsidiär Schutzberechtigten und den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ verfüge. Der BF habe im Herkunftsland seinen Militärdienst nicht abgeleistet und fürchte bei einer Rückkehr nach Russland eine Einberufung zum Dienst in die russischen Streitkräfte. Der BF lehne den russischen Krieg gegen die Ukraine aus politischen Gründen ab, wolle nicht an Kriegshandlungen teilnehmen oder diese unterstützen und würde eine Einberufung jedenfalls verweigern, weshalb ihm in Russland asylrelevante Verfolgung aus politischen Gründen aufgrund seiner evidenten oppositionellen Gesinnung drohen würde. Die Ausreise sei dem BF nur gestattet worden, da er angegeben habe, seine Frau zu einem geplanten Arzttermin in die Türkei begleiten zu wollen. Nachdem der BF aus der Türkei nicht zurückkehrte, sei ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet und ein Haftbefehl an die Mutter zugestellt worden. Sein Bruder sei von tschetschenischen Behörden im Anschluss verhört und bedroht worden. Dieser Bruder habe die Russische Föderation mittlerweile ebenfalls verlassen.
Zudem gab der BF an, dass mittlerweile seine Tochter geboren sei, welche sich ebenso in Österreich aufhalte.
I.5. Am 28.09.2023 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, im Rahmen welcher auch die Gattin des BF als Zeugin befragt wurde.
Darin gab der BF im Wesentlichen an, seine Gattin bereits Ende 2020/Anfang 2021 traditionell geheiratet zu haben. Seit dem Jahr 2016 halte sich seine Gattin im österreichischen Bundesgebiet auf. Die Familie des BF habe einen Beschluss erhalten, dass gegen den BF ein Strafverfahren im Herkunftsland anhängig sei. Die darin beschriebenen Taten habe der BF aber nicht begangen, sondern seien nur ausgedacht, um ein Strafverfahren gegen den BF einzuleiten. Der Bruder des BF sei mittlerweile in der Türkei aufhältig. Der BF habe keinen Kontakt zu ihm. Im Bundesgebiet kümmere sich der BF aktuell um seine Tochter und arbeite nebenbei in der Zustellung.
I.6. Mit Erkenntnis vom 22.02.2024, W226 2275979-1/7E wies das erkennende Gericht die Beschwerde zu den Spruchpunkten I. -III. des angefochtenen Bescheides ab und erklärte die Rückkehrentscheidung für vorübergehend unzulässig. In weiterer Konsequenz wurden die Spruchpunkte V. und VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.
I.7. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 29.01.2025, Ra 2024/14/0186-14 wurde eine eingebrachte Revision, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten sowie die Nichtgewährung des Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG wendet, zurückgewiesen, im Übrigen das Erkenntnis vom 22.02.2024 aufgehoben. Der VwGH forderte für das fortgesetzte Verfahren eine nähere fallbezogene Auseinandersetzung mit dem Familienleben des Revisionswerbers sowie dem Aufenthaltsstatus der Ehefrau und des gemeinsamen Kindes.
I.8. Am XXXX wurde für den BF ein Aufenthaltstitel Rot-Weiß-Rot-Karte plus mit Gültigkeit XXXX ausgestellt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat zur Beschwerde zu den unerledigten Spruchpunkten erwogen:
II.1. Feststellungen:
Der oben angeführte Verfahrensgang steht fest.
Die BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation.
Im Oktober 2022 reiste der BF illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 14.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Seither hält er sich durchgehend im Bundesgebiet auf.
Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.
Am XXXX heiratete der BF seine aufenthaltsberechtigte Gattin, am XXXX wurde dem BF ein Aufenthaltstitel, gültig bis XXXX , erteilt.
II.2. Beweiswürdigung:
Der festgestellte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.
Die Feststellungen zur Identität des BF und seinen Lebensumständen seit der Einreise in das österreichische Bundesgebiet ergeben sich aus den Angaben im Verfahren und den vorgelegten Unterlagen.
Die Ehe des BF ergibt sich aus der vorgelegten Heiratsurkunde. Die strafgerichtliche Unbescholtenheit konnte aus dem im Akt enthaltenen Strafregisterauszug entnommen werden.
Dass der BF nunmehr über einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet verfügt, ergibt sich aus dem aktuellen IZR-Auszug und einem Schreiben des BF vom 11.03.2025, OZ 23.
II.3. Rechtliche Beurteilung:
II.3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das BVwG, wenn es in der Sache selbst entscheidet, die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen (vgl. etwa VwGH 6.10.2020, Ra 2019/19/0332).
Zu A)
II.3.2. Angesichts des Umstandes, dass dem BF von der zuständigen Niederlassungsbehörde am XXXX ein bis zum XXXX gültiger Aufenthaltstitel für das österreichische Bundesgebiet erteilt wurde, war der von der belangten Behörde mit Bescheid vom 13.06.2023 gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassenen Rückkehrentscheidung die rechtliche Grundlage entzogen.
In Stattgebung der gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung erhobenen Beschwerde war daher Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben.
In weiterer Folge war auch der Ausspruch über die Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung der BF in den Herkunftsstaat sowie über die Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V. und VI.) ersatzlos zu beheben.
Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.