JudikaturBVwG

W226 2275979-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
22. Februar 2024

Spruch

W226 2275979-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die BBU GmbH – Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.06.2023, Zl. 1329228607-223257950, nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 28.09.2023 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. wird insofern stattgegeben und ausgesprochen, dass die Rückkehrentscheidung vorübergehend unzulässig ist.

III. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte V. und VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

I.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: „BF“), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 14.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der am 15.10.2022 erfolgten niederschriftlichen Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF zu seinem Fluchtgrund befragt an, dass er zu Beginn der Mobilisierung den Entschluss gefasst habe zu flüchten, da er ansonsten in den Krieg ziehen hätte müssen. Er habe ein Formular bezüglich des freiwilligen Einzugs in den Krieg von seinem Arbeitgeber erhalten, welches er ausfüllen sollte. Bei einer Rückkehr würde ihn aufgrund der Verweigerung lebenslanges Gefängnis erwarten.

I.2. Am 24.03.2023 erfolgte eine Einvernahme des BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: „BFA“). Dabei gab der BF im Wesentlichen an, Nierensteine zu haben. Ferner sei ein Bein etwas länger als das andere. Dies sei bereits in der Russischen Föderation behandelt worden. Im Herkunftsland verfüge der BF über ein Eigentumshaus, in welchem seine Mutter sowie sein Bruder und dessen Frau leben würden. Der BF habe am XXXX standesamtlich geheiratet, seine Gattin lebe in Österreich. Der BF habe keine Kinder aber seine Gattin sei schwanger. Aus der ersten Ehe der Gattin würden bereits zwei Kinder entstammen, welche in der Russischen Föderation bei ihrem Vater aufhältig seien. Im Herkunftsland verfüge der BF noch über zahlreiche Angehörige, darunter seine Mutter, seine Schwester und seinen Bruder, zu welchen er ein gutes Verhältnis habe. Einmal pro Woche habe der BF Kontakt zu seiner Mutter.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass der BF vor Beginn der Mobilisierung von seinen Arbeitsstellen gezwungen worden sei, eine Erklärung abzugeben, dass er freiwillig, falls es notwendig sei, in den Krieg in der Ukraine ziehen würde. Der BF sei aufgrund dessen verpflichtet gewesen, in den Krieg zu ziehen. Er habe bereits zwei Kriege erlebt und wolle nicht in den Krieg. Eine Ladung habe der BF nicht bekommen, er habe aber ein Wehrdienstbuch. Laut dem Wehrdienstbuch gehöre der BF der Reserve an. Gegen den BF sei ein Strafverfahren anhängig, weil er den Wehrdienst verweigere.

I.3. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 13.06.2023 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 14.10.2022 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgesellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise in der Dauer von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die Behörde aus, dass die Angaben des BF hinsichtlich seines Fluchtvorbringens nicht glaubhaft seien und Militärdienstverweigerung ferner keinen Fluchtgrund iSd Genfer Flüchtlingskonvention darstellen würde. Die Behörde könne nicht davon ausgehen, dass die russische Armee systematische Menschenrechts- bzw. Völkerrechtsverletzungen begehe. Die Teilmobilmachung sei abgeschlossen und bestehe im Herkunftsland das verfassungsrechtlich garantierte Recht des zivilen Ersatzdienstes. Es sei in Anbetracht dessen nicht davon auszugehen, dass der BF bei einer Rückkehr in das Herkunftsland eingezogen werden würde. Hätte man den BF tatsächlich zum Militärdienst einziehen wollen, so hätte man ihn nicht aus der Russischen Föderation ausreisen lassen. Der BF habe aber ohne Probleme ausreisen können. Ein weiteres Indiz dafür, dass das Fluchtvorbringen des BF nicht der Wahrheit entspricht, sei die Tatsache, dass sein Bruder problemlos in der Russischen Föderation aufhältig sei. Hinsichtlich der Beweiskraft seines vorgelegten Strafverfahrens sei auszuführen, dass es im Herkunftsland möglich sei, Urkunden zu kaufen, wie beispielsweise auch Vorladungen und Haftbefehle. Der Umstand, dass sich der BF vor seiner Ausreise einen Reisepass ausstellen ließ und legal sowie komplikationslos die Russische Föderation verließ sowie seine oberflächlichen Schilderungen in seinen Aussagen bezüglich seiner Fluchtgründe würden starke Zweifel an der Glaubwürdigkeit seines Fluchtvorbringens aufkommen lassen. Der BF habe somit keine Verfolgungsgefahr glaubhaft machen können. Es würden auch keine sonstigen Gründe einer Rückkehr entgegenstehen. Der BF halte sich erst kurze Zeit im Bundesgebiet auf und bestehe auch seine Ehe erst seit kurzer Zeit, weshalb diese auch die Intensität vermissen ließe. Aufgrund des kurzfristigen Aufenthalts des BF in Österreich sei trotz Fehlens von Verurteilungen oder schwerwiegenden Verwaltungsübertretungen das öffentliche Interesse am Vollzug eines geordneten Asylwesens jedenfalls höher zu bewerten gewesen als seine privaten bzw. familiären Interessen.

I.4. Am 17.07.2023 erhob der BF im Wege seiner Rechtsvertretung gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde und führte darin aus, dass seine Frau in Österreich über den Status der subsidiär Schutzberechtigten und den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ verfüge. Der BF habe im Herkunftsland seinen Militärdienst nicht abgeleistet und fürchte bei einer Rückkehr nach Russland eine Einberufung zum Dienst in die russischen Streitkräfte. Der BF lehne den russischen Krieg gegen die Ukraine aus politischen Gründen ab, wolle nicht an Kriegshandlungen teilnehmen oder diese unterstützen und würde eine Einberufung jedenfalls verweigern, weshalb ihm in Russland asylrelevante Verfolgung aus politischen Gründen aufgrund seiner evidenten oppositionellen Gesinnung drohen würde. Die Ausreise sei dem BF nur gestattet worden, da er angegeben habe, seine Frau zu einem geplanten XXXX in XXXX begleiten zu wollen. Nachdem der BF aus XXXX nicht zurückkehrte, sei ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet und ein Haftbefehl an die Mutter zugestellt worden. Sein Bruder sei von tschetschenischen Behörden im Anschluss verhört und bedroht worden. Dieser Bruder habe die Russische Föderation mittlerweile ebenfalls verlassen.

Zudem gab der BF an, dass mittlerweile seine Tochter geboren sei, welche sich ebenso in Österreich aufhalte.

I.5. Am 28.09.2023 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, im Rahmen welcher auch die Gattin des BF als Zeugin befragt wurde.

Darin gab der BF im Wesentlichen an, seine Gattin bereits Ende 2020/Anfang 2021 traditionell geheiratet zu haben. Seit dem Jahr 2016 halte sich seine Gattin im österreichischen Bundesgebiet auf. Die Familie des BF habe einen Beschluss erhalten, dass gegen den BF ein Strafverfahren im Herkunftsland anhängig sei. Die darin beschriebenen Taten habe der BF aber nicht begangen, sondern seien nur ausgedacht, um ein Strafverfahren gegen den BF einzuleiten. Der Bruder des BF sei mittlerweile in der Türkei aufhältig. Der BF habe keinen Kontakt zu ihm. Im Bundesgebiet kümmere sich der BF aktuell um seine Tochter und arbeite nebenbei in der Zustellung.

I.6. Am 04.10.2023 legte der BF im Rahmen einer Urkundenvorlage einen Nachweis über seine Arbeit als Zusteller sowie den Mutter-Kind-Pass seiner Frau und seinen Lohnzettel von August 2023 vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers:

Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, bekennt sich zum muslimischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Tschetschenen an. Seine Identität steht fest.

Die Muttersprache des BF ist Tschetschenisch, zudem beherrscht er die russische Sprache.

Der BF wurde in XXXX , Tschetschenien, geboren. Vor seiner Ausreise war der BF zuletzt in XXXX aufhältig.

Im Herkunftsland besuchte der BF elf Jahre lang die Grundschule und studierte anschließend auf der Universität. Vor seiner Ausreise arbeitete der BF zuletzt XXXX , sowie als XXXX bei den XXXX . Für seine Tätigkeit in der XXXX hat der BF XXXX im Jahr XXXX und im Jahr XXXX je eine Auszeichnung erhalten.

Der BF verfügt über ein Eigentumshaus in XXXX , in welchem aktuell seine Mutter aufhältig ist. Neben der Mutter sind noch die Schwester sowie weitere Angehörige des BF im Herkunftsland aufhältig. Mit seiner Mutter steht er einmal wöchentlich in Kontakt. Der Bruder des BF befindet sich aktuell angeblich in der Türkei.

Der BF ist seit Ende 2020 / Anfang 2021 traditionell mit XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörige der Russischen Föderation, verheiratet. Am XXXX folgte im österreichischen Bundesgebiet die standesamtliche Hochzeit. Am XXXX wurde die Tochter des BF und seiner Gattin, XXXX , in Österreich geboren. Sie verfügt über eine Rot-Weiß-Rot-Karte plus, gültig bis XXXX . Es handelte sich um eine Frühgeburt; sie ist etwa 2,5 Monate vor dem errechneten Geburtstermin auf die Welt gekommen. Der BF hat keine weiteren Kinder, seine Gattin hat noch einen Sohn und eine Tochter, welche bei deren Ex-Mann im Herkunftsland leben.

Die Gattin des BF ist seit dem Jahr 2015 in Österreich aufhältig. Ihr wurde aufgrund ihrer fehlenden Berufserfahrung sowie aufgrund ihrer psychischen Beeinträchtigung der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Die Gattin des BF ist nach wie vor in Behandlung aufgrund ihrer psychischen Probleme.

Abgesehen von seiner Gattin und seiner Tochter verfügt der BF über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich.

Im XXXX hat der BF einen neuen Auslandsreisepass und im Frühjahr XXXX ein italienisches Touristenvisum beantragt. Seit spätestens 14.10.2022 befindet sich der BF in Österreich. Er wohnt mit seiner Gattin und seiner Tochter im gemeinsamen Haushalt.

Der BF besuchte bereits Deutschkurse im Bundesgebiet und weist das Deutschzertifikat auf dem Niveau A1 auf. Aktuell kümmert er sich zusammen mit seiner Gattin um seine Tochter und arbeitet nebenbei zwei Stunden pro Tag als Zusteller. Er bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.

Aktuell ist der BF kein Mitglied in einem Verein oder einer Organisation.

Der BF litt bereits vor seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet an Nierensteinen. Zudem ist ein Bein des BF etwas länger als das andere. Der BF wurde bereits in der Russischen Föderation behandelt. Er leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen und ist arbeitsfähig.

1.2. Zu den Fluchtgründen:

Der BF verfügt über ein Militärbuch, seinen Grundwehrdienst hat er nicht abgeleistet. Für den BF besteht keine realistische Gefahr, dass er bei einer Rückkehr in das Herkunftsland in den Krieg in der Ukraine eingezogen wird.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in seinem Herkunftsstaat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einer staatlichen oder staatlich geduldeten asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr in die Russische Föderation:

Vom Nichtbestehen einer Verfolgungsgefahr abgesehen, können im gegenständlichen Verfahren auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der BF im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe, der Todesstrafe oder sonst einer konkreten individuellen Gefahr ausgesetzt wäre oder dass er im Falle einer Rückkehr als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts zu befürchten hätte, dies selbst im Hinblick auf den aktuell von Russland geführten Krieg gegen die Ukraine.

Der BF wäre im Falle seiner Rückkehr auch in keine existenzbedrohende Notlage gedrängt. Seine Existenz ist durch eine mögliche Erwerbstätigkeit gesichert; er leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensgefährlichen Erkrankungen, ist im erwerbsfähigem Alter und spricht zudem die Landessprache. Zudem weist der BF familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsland auf.

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:

1.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über die Russische Föderation vom 04.07.2023:

Politische Lage

Letzte Änderung 2023-06-29 09:32

Russland ist eine Präsidialrepublik mit föderativem Staatsaufbau (AA 22.2.2023a). Das Regierungssystem Russlands wird als undemokratisch (autokratisch) bzw. autoritär eingestuft (BS 2022; vgl. EIU 2.2.2023, UG 3.2023, FH 24.5.2023, Russland-Analysen 20.6.2022). Die im Verfassungsartikel 10 vorgesehene Gewaltenteilung (Duma 6.10.2022; vgl. AA 22.2.2023b) ist de facto stark eingeschränkt (AA 22.2.2023b). Das politische System ist zentral auf den Präsidenten ausgerichtet (AA 28.9.2022; vgl. FH 2023, Russland-Analysen 20.6.2022), was durch den Begriff der Machtvertikale ausgedrückt wird (SWP 19.4.2022). Gemäß Artikel 83 der Verfassung der Russischen Föderation ernennt der Staatspräsident (nach Bestätigung durch die Staatsduma) den Regierungsvorsitzenden und entlässt ihn. Der Präsident leitet den Sicherheitsrat der Russischen Föderation und schlägt dem Föderationsrat die neuen Mitglieder der Höchstgerichte vor. Laut Verfassungsartikel 129 werden der Generalstaatsanwalt sowie die Staatsanwälte der Subjekte der Russischen Föderation nach Beratungen mit dem Föderationsrat vom russischen Präsidenten ernannt und von diesem entlassen. Darüber hinaus ernennt und entlässt der Präsident die Vertreter im Föderationsrat, bringt Gesetzesentwürfe ein, löst die Staatsduma auf und ruft den Kriegszustand aus (Artikel 83-84, 87). Der Präsident bestimmt die grundlegende Ausrichtung der Innen- und Außenpolitik (Verfassungsartikel 80) (Duma 6.10.2022). Seit dem Jahr 2000 wird das Präsidentenamt (mit einer Unterbrechung von 2008 bis 2012) von Wladimir Putin bekleidet (BS 2022). Der Präsident der Russischen Föderation wird laut Verfassungsartikel 81 für eine Amtszeit von sechs Jahren von den Bürgern direkt gewählt (Duma 6.10.2022). Die letzte Präsidentschaftswahl fand am 18.3.2018 statt. Ein echter Wettbewerb fehlte. Auf kritische Stimmen wurde Druck ausgeübt (OSCE 6.6.2018). Putins einflussreicher Rivale Alexej Nawalnyj durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Nawalnyj war zuvor in einem als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden (FH 2023). Es wurden Transparenzmängel bei der Präsidentenwahl 2018 festgestellt (OSCE 6.6.2018). Die Geldquellen für Putins Wahlkampagne waren undurchsichtig (FH 2023). Auch kam es zu Unregelmäßigkeiten hinsichtlich der Einhaltung des Wahlgeheimnisses. Die Wahlbeteiligung lag laut der Zentralen Wahlkommission bei 67,47 %. Als Sieger der Präsidentenwahl 2018 ging Putin mit 76,69 % der abgegebenen Stimmen hervor (OSCE 6.6.2018). Regierungsvorsitzender ist Michail Mischustin (PM o.D.).

Die Verfassung der Russischen Föderation wurde per Referendum am 12.12.1993 angenommen. Am 1.7.2020 fand eine Volksabstimmung über eine Verfassungsreform statt (RI 4.7.2020). Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65 % der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78 % für und mehr als 21 % gegen die Verfassungsänderungen (KAS 7.2020; vgl. BPB 2.7.2020). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Putin, für zwei weitere Amtsperioden als Präsident zu kandidieren. Diese Regelung gilt nur für Putin und nicht für andere zukünftige Präsidenten (FH 2023). Unter anderem erhält durch die Verfassungsreform (2020) das russische Recht Vorrang vor internationalem Recht. Weitere Verfassungsänderungen betreffen beispielsweise die Betonung traditioneller Familienwerte sowie die Definition Russlands als Sozialstaat. Dies verleiht der Verfassung einen sozial-konservativen Anstrich. Die Verfassungsreform und der Verlauf der Volksabstimmung sorgten für Kritik (KAS 7.2020; vgl. BPB 2.7.2020, RI 4.7.2020).

Das Parlament (Föderalversammlung) besteht gemäß Verfassungsartikel 94 und 95 aus zwei Kammern, dem Föderationsrat und der Staatsduma (Duma 6.10.2022). Dem Parlament fehlt es an Unabhängigkeit von der Exekutive (USDOS 20.3.2023). Gemäß Verfassungsartikel 95 werden die Mitglieder des Föderationsrates für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt (mit Ausnahme der auf Lebenszeit ernannten Mitglieder). Zu den Kompetenzen des Föderationsrats gehören laut Verfassungsartikel 102: Bestätigung des präsidentiellen Erlasses über die Verhängung des Ausnahme- und Kriegszustands; sowie Amtsenthebung des Präsidenten. Gemäß Verfassungsartikel 95 und 96 werden die 450 Duma-Abgeordneten für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt (Duma 6.10.2022). Es gibt eine Fünfprozenthürde (OSCE 25.6.2021; vgl. RN 6.10.2021). Die Hälfte der Duma-Mitglieder wird durch Verhältniswahlsystem (Parteilisten), die andere Hälfte durch Einerwahlkreise (Direktmandat) gewählt (FH 2023; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021, KAS 21.9.2021). Die letzten Dumawahlen fanden im September 2021 statt und waren laut Wahlbeobachtern und unabhängigen Medien von beträchtlichen Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet, darunter Stimmenkauf, Fälschung von Wahlprotokollen und Druck auf Wähler (FH 28.2.2022; vgl. SWP 14.10.2021, Russland-Analysen 1.10.2021, KAS 21.9.2021). Im Allgemeinen ist Wahlbetrug weitverbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BS 2022). Die Wahlbeteiligung bei der letzten Dumawahl betrug 52 % (FH 2023; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021, RN 6.10.2021). Mit großem Vorsprung gewann die Regierungspartei Einiges Russland die Wahl, so das offizielle Wahlergebnis (FH 28.2.2022). Die Partei Einiges Russland verfügt über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, welche erforderlich ist, um Verfassungsänderungen durchzusetzen. Vier weiteren Parteien gelang der Einzug ins Parlament, welche allesamt als kremltreue 'System-Opposition' bezeichnet werden (SWP 14.10.2021). Viele regimekritische Kandidaten waren von der Wahl ausgeschlossen worden (SWP 14.10.2021; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021). Anti-System-Oppositionsbewegungen wurden verboten bzw. zur Selbstauflösung gezwungen (KAS 21.9.2021). Neue politische Parteien können in der Regel nur dann registriert werden, wenn sie die Unterstützung der Machthaber im Kreml genießen (AA 28.9.2022). Aktuell sieht die Sitzverteilung der Parteien in der Staatsduma folgendermaßen aus (Duma o.D.):

Einiges Russland (Edinaja Rossija): 322 Sitze (Parteivorsitzender Wladimir Wasilew)

Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF): 57 Sitze (Parteivorsitzender Gennadij Sjuganow)

sozialistische Partei 'Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit' (Sprawedliwaja Rossija - Patrioty - Sa Prawdu): 28 Sitze (Parteivorsitzender Sergej Mironow)

Liberal-Demokratische Partei Russlands (LDPR): 23 Sitze (Parteivorsitzender Leonid Sluzkij)

Neue Leute (Nowye Ljudi): 15 Sitze (Parteivorsitzender Aleksej Netschaew)

Zwei Duma-Abgeordnete gehören keiner Fraktion an.

Drei Abgeordnetenmandate sind derzeit unbesetzt (Duma o.D.).

Die LDPR ist antiliberal-nationalistisch-rechtspopulistisch ausgerichtet (SWP 14.10.2021; vgl. KAS 21.9.2021). Die Partei Neue Leute wurde im Jahr 2020 gegründet und ist eine liberale Mitte-Rechts-Partei. Die Partei 'Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit' vertritt sozialpatriotische Inhalte (KAS 21.9.2021).

Die föderale Struktur der Russischen Föderation ist in der Verfassung festgeschrieben. Laut Verfassungsartikel 66 kann der Status von Föderationssubjekten in beiderseitigem Einvernehmen zwischen der Russischen Föderation und dem betreffenden Föderationssubjekt im Einklang mit dem föderalen Verfassungsgesetz geändert werden (Duma 6.10.2022). Russland besteht aus 83 Föderationssubjekten. Föderationssubjekte verfügen über eine eigene Legislative und Exekutive, sind aber weitgehend vom föderalen Zentrum abhängig (AA 22.2.2023b). Es besteht ein Trend der zunehmenden Zentralisierung des russischen Staates (ZOIS 3.11.2021; vgl. FH 24.5.2023). Moskau sichert sich die Unterstützung der regionalen Eliten durch gezielte Zugeständnisse (ZOIS 3.11.2021).

Die 2014 von Russland vorgenommene Annexion der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol ist international nicht anerkannt (AA 22.2.2023b). Am 21.2.2022 wurden die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete der ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk von Putin als unabhängig anerkannt. Am 24.2.2022 startete Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine (Eur-Rat 16.8.2022). Im September 2022 fanden in den beiden ukrainischen 'Volksrepubliken' Donezk und Luhansk sowie in den ukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja 'Referenden' über den Beitritt zur Russischen Föderation statt. Laut den offiziellen Wahlergebnissen stimmten in der 'Volksrepublik' Donezk 99,23 % der Wähler für einen Beitritt, in der 'Volksrepublik' Luhansk 98,42 %, in Cherson 87,05 % und in Saporischschja 93,11 % (Lenta 27.9.2022). Die 'Referenden' in den vier von Russland besetzten ukrainischen Gebieten werden von den Vereinten Nationen als völkerrechtswidrig bezeichnet und international nicht anerkannt (UN 27.9.2022; vgl. Standard 30.9.2022). Die Abstimmung fand nicht nur in Wahllokalen statt, sondern prorussische De-facto-Behörden gingen außerdem mit den Wahlurnen und in Begleitung von Soldaten von Tür zu Tür (UN 27.9.2022). Die 'Stimmabgaben' erfolgten unter Zwang und Zeitdruck (Rat der EU 28.9.2022). Demokratische Mindeststandards wurden nicht eingehalten (Standard 30.9.2022). Die 'Referenden' missachteten die ukrainische Verfassung sowie Gesetze und spiegeln nicht den Willen der Bevölkerung wider (UN 27.9.2022). Nach dem Ende der Scheinreferenden baten die Anführer der prorussischen Separatisten in den ukrainischen Regionen Luhansk und Cherson den russischen Präsidenten Putin um Annexion dieser Regionen (NDR/T 28.9.2022). Am 29.9.2022 wurde die 'staatliche Souveränität' und 'Unabhängigkeit' der Regionen Cherson und Saporischschja von Putin per Erlass anerkannt (RI 30.9.2022a; vgl. RI 30.9.2022b). Im Kreml in Moskau fand am 30.9.2022 die Unterzeichnung der Verträge zum Russland-Beitritt der 'Volksrepubliken' Donezk und Luhansk sowie der Regionen Saporischschja und Cherson statt (Kreml 30.9.2022). Am 3. und 4.10.2022 stimmten die beiden russischen Parlamentskammern der Annexion zu (Tass 4.10.2022). International wird die Annexion dieser vier ukrainischen Gebiete nicht anerkannt (Standard 30.9.2022).

Russland begeht im Krieg gegen die Ukraine schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung (UN-OHCHR 16.3.2023; vgl. HRW 21.4.2022). Als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die rechtswidrige Annexion einiger ukrainischer Regionen hat die EU mehrere Sanktionspakete angenommen, nämlich: Wirtschaftssanktionen; individuelle Sanktionen gegen unter anderem Wladimir Putin, den Außenminister Sergej Lawrow und Mitglieder der Staatsduma sowie des Nationalen Sicherheitsrats. Außerdem wurde das Visaerleichterungsabkommen zwischen der EU und Russland vollständig ausgesetzt (Eur-Rat 12.5.2023). Auch die USA, das Vereinigte Königreich, Kanada, Japan, die Schweiz und die restliche westliche Welt haben umfassende Sanktionen gegen Russland eingeführt (WKO 3.2023).

Quellen:

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AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2023b): Russische Föderation: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 9.6.2023

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

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Kreml [Russland] (30.9.2022): Подписание договоров о принятии ДНР, ЛНР, Запорожской и Херсонской областей в состав России [Unterzeichnung der Verträge zum Russland-Beitritt der DVR, LVR, der Regionen Saporischschja und Cherson], http://kremlin.ru/events/president/news/69465, Zugriff 9.6.2023

Lenta (27.9.2022): Объявлены окончательные результаты референдума в ДНР [Verkündet wurden die Endresultate des Referendums in der DVR], https://lenta.ru/news/2022/09/27/dnrr/, Zugriff 9.6.2023

NDR/T – Norddeutscher Rundfunk/Tagesschau (28.9.2022): Nach Ende der Scheinreferenden: Separatisten-Chefs bitten um Annexion, https://www.tagesschau.de/ausland/europa/scheinreferenden-annexion-101.html, Zugriff 9.6.2023

OSCE – Organization for Security and Co-operation in Europe (25.6.2021): RUSSIAN FEDERATION: STATE DUMA ELECTIONS 19 September 2021 - ODIHR NEEDS ASSESSMENT MISSION REPORT 31 May-4 June 2021, https://www.osce.org/files/f/documents/0/f/491066_0.pdf, Zugriff 9.6.2023

OSCE – Organization for Security and Co-operation in Europe (6.6.2018): Russian Federation: Presidential Election 18 March 2018 - ODIHR Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/files/f/documents/2/4/383577_0.pdf, Zugriff 9.6.2023

PM – Premierminister [Russland] (o.D.): Михаил Владимирович Мишустин [Michail Wladimirowitsch Mischustin], http://premier.gov.ru/events/, Zugriff 9.6.2023

Rat der EU (28.9.2022): Pressemitteilung: Ukraine: Erklärung des Hohen Vertreters im Namen der Europäischen Union zu den illegalen Scheinreferenden Russlands in den Regionen Donezk, Cherson, Luhansk und Saporischschja, https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2022/09/28/ukraine-declaration-by-the-high-representative-on-behalf-of-the-european-union-on-the-illegal-sham-referenda-by-russia-in-the-donetsk-kherson-luhansk-and-zaporizhzhia-regions/, Zugriff 9.6.2023

RI – Rechtsinformationen [Russland] (30.9.2022a): Указ Президента Российской Федерации от 29.09.2022 № 686 'О признании Херсонской области' [Erlass (Ukas) des Präsidenten der Russischen Föderation vom 29.09.2022, № 686, 'Über die Anerkennung der Region Cherson’], http://publication.pravo.gov.ru/document/0001202209300002, Zugriff 9.6.2023

RI – Rechtsinformationen [Russland] (30.9.2022b): Указ Президента Российской Федерации от 29.09.2022 № 685 'О признании Запорожской области' [Erlass (Ukas) des Präsidenten der Russischen Föderation vom 29.09.2022, № 685, 'Über die Anerkennung der Region Saporischschja’], http://publication.pravo.gov.ru/document/0001202209300001, Zugriff 9.6.2023

RI – Rechtsinformationen [Russland] (4.7.2020): Конституция Российской Федерации [Verfassung der Russischen Föderation], http://publication.pravo.gov.ru/File/GetFile/0001202007040001?type=pdf, Zugriff 16.9.2022 [Webseite nicht mehr abrufbar, aber im Archiv der Staatendokumentation vorhanden]

RN – RIA Nowosti [Russland] (6.10.2021): Итоги выборов в Госдуму — 2021 [Staatsduma-Wahlergebnisse 2021], https://ria.ru/20210919/vybory_gosduma-1749875690.html, Zugriff 9.6.2023

Russland-Analysen (Nr. 421) / Benno Ennker (20.6.2022): Wladimir Putin – Führer, Diktator, Kriegsherr, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/421/RusslandAnalysen421.pdf, Zugriff 9.6.2023

Russland-Analysen (Nr. 407) / Tatiana Tkacheva (1.10.2021): Der gleiche Eintopf, nur aufgewärmt: Die Dumawahlen 2021 und das zunehmend hegemonial-autoritäre Regime in Russland, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/407/RusslandAnalysen407.pdf, Zugriff 26.5.2023

Standard, Der (30.9.2022): Annexion: Putins Propaganda-Rede im Kreml, https://www.derstandard.at/story/2000139593596/putin-zu-annektierten-ukrainischen-gebietenfuer-immer-unsere-buerger, Zugriff 9.6.2023

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik / Sabine Fischer (19.4.2022): Russland auf dem Weg in die Diktatur (SWP-Aktuell, Nr. 31), https://www.swp-berlin.org/publications/products/aktuell/2022A31_Russland_Diktatur.pdf, Zugriff 22.5.2023

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik / Janis Kluge, Leslie Schübel (14.10.2021): Russlands Dumawahl 2021 (SWP-Aktuell, Nr. 67), https://www.swp-berlin.org/publications/products/aktuell/2021A67_dumawahl_2021.pdf, Zugriff 26.5.2023

Tass [Russland] (4.10.2022): Совфед единогласно одобрил законы о принятии новых субъектов в Россию [Föderationsrat billigte einstimmig Gesetze über Aufnahme neuer Subjekte], https://tass.ru/politika/15947447, Zugriff 9.6.2023

UG – Universität Göteborg / V-Dem Institute (Varieties of Democracy) (3.2023): Democracy Report 2023: Defiance in the Face of Autocratization, https://v-dem.net/documents/29/V-dem_democracyreport2023_lowres.pdf, Zugriff 9.6.2023

UN – United Nations (27.9.2022): So-called referenda in Russian-controlled Ukraine ‘cannot be regarded as legal’: UN political affairs chief, https://news.un.org/en/story/2022/09/1128161, Zugriff 9.6.2023

UN-OHCHR – United Nations Office of the High Commissioner for Human Rights (16.3.2023): War crimes, indiscriminate attacks on infrastructure, systematic and widespread torture show disregard for civilians, says UN Commission of Inquiry on Ukraine, https://www.ohchr.org/en/press-releases/2023/03/war-crimes-indiscriminate-attacks-infrastructure-systematic-and-widespread, Zugriff 9.6.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

WKO – Wirtschaftskammer Österreich (3.2023): Wirtschaftsbericht Russische Föderation, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/russische-foederation-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 30.5.2023

ZOIS – Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien / Stanislav Klimovich (3.11.2021): Russland auf dem Weg zum Zentralstaat? (ZOIS Spotlight 39/2021), https://www.zois-berlin.de/publikationen/zois-spotlight/russland-auf-dem-weg-zum-zentralstaat, Zugriff 9.6.2023

Dagestan

Letzte Änderung 2023-06-29 09:37

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 13.1.2020; vgl. FR o.D.a) und zählt zu den ärmeren Regionen Russlands (Standard 21.5.2022). Es herrscht Unsicherheit bei der Lebensmittelversorgung. Dagestan wird in beträchtlichem Ausmaß subventioniert (FPRI 15.6.2022). Die Menschenrechtslage in Dagestan ist grundsätzlich besser als im benachbarten Tschetschenien, die Kontrolle der Zivilgesellschaft ist weniger ausgeprägt. Doch auch in Dagestan gehen mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einher, darunter Entführungen und Verschwindenlassen (AA 28.9.2022).

Das Republikoberhaupt ist seit 14.10.2021 Sergej Melikow (KU 17.1.2023a). Das Oberhaupt Dagestans wird von den Abgeordneten der Volksversammlung für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Der Regierungsvorsitzende wird vom Republikoberhaupt mit Zustimmung der Volksversammlung ernannt (FR o.D.a). Dagestans Regierungsvorsitzender ist Abdulmuslim Abdulmuslimow (ORD o.D.). Die Gesetzgebung liegt in den Händen der Volksversammlung Dagestans. Diese besteht aus 90 Abgeordneten, welche durch Verhältniswahlrecht für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt werden (FR o.D.a). Bei der Dumawahl im September 2021 gewann die Partei Einiges Russland in Dagestan 81,18 % der Stimmen. Die Kommunistische Partei (KPRF) errang 6,2 %, die Partei Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit 5,56 %, die Liberal-Demokratische Partei (LDPR) 2,49 %, und Neue Leute gewann 0,78 %. Die Wahlbeteiligung betrug 76,11 % (Russland-Analysen 1.10.2021; vgl. RN 6.10.2021). Im Allgemeinen ist Wahlbetrug weitverbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BS 2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (13.1.2020): ecoi.net-Themendossier zur Russischen Föderation: Sicherheitslage in Dagestan Zeitachse von Angriffen, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022550.html, Zugriff 2.6.2023

BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf, Zugriff 16.5.2023

FPRI – Foreign Policy Research Institute (15.6.2022): The Shifting Political Hierarchy in the North Caucasus, https://www.fpri.org/article/2022/06/the-shifting-political-hierarchy-in-the-north-caucasus/, Zugriff 30.5.2023

FR – Föderationsrat [Russland] (o.D.a): Республика Дагестан [Republik Dagestan], http://council.gov.ru/structure/regions/DA/, Zugriff 9.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (17.1.2023a): Меликов Сергей Алимович [Melikow Sergej Alimowitsch], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/242445, Zugriff 9.6.2023

ORD – Oberhaupt der Republik Dagestan [Russland] (o.D.): Правительство РД: Председатель Правительства [Regierung der RD: Regierungsvorsitzender], https://glava.e-dag.ru/rd-government/, Zugriff 9.6.2023

RN – RIA Nowosti [Russland] (6.10.2021): Итоги выборов в Госдуму — 2021 [Staatsduma-Wahlergebnisse 2021], https://ria.ru/20210919/vybory_gosduma-1749875690.html, Zugriff 9.6.2023

Russland-Analysen (Nr. 407) (1.10.2021): Sonntagsfrage und Ergebnis der Wahl zur Staatsduma 2021, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/407/RusslandAnalysen407.pdf, Zugriff 26.5.2023

Standard, Der (21.5.2022): Wer für Putin in den Krieg zieht: Russische Soldaten stammen oft aus ärmeren Landesteilen, https://www.derstandard.at/story/2000135922562/wer-fuer-putin-in-den-krieg-zieht-russische-soldaten-stammen, Zugriff 30.5.2023

Sicherheitslage

Letzte Änderung 2023-07-04 08:37

Aufgrund der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine ist die Lage in Russland zunehmend unberechenbar. Am 23. und 24.6.2023 kam es im Südwesten Russlands zu einer bewaffneten Auseinandersetzung (EDA 27.6.2023). Am Morgen des 24.6.2023 übernahmen Angehörige der privaten paramilitärischen Organisation 'Gruppe Wagner' unter der Führung von Ewgenij Prigoschin die Kontrolle über zentrale Einrichtungen der russischen Streitkräfte in der Stadt Rostow am Don (BAMF 26.6.2023). Vorausgegangen waren ein seit Monaten andauernder Machtkampf zwischen dem Chef des Militärunternehmens und Verteidigungsminister Schojgu (BAMF 26.6.2023; vgl. FA 12.5.2023, ISW 12.3.2023). Auch erfolgten unbestätigten Angaben zufolge Angriffe der regulären Streitkräfte auf ein Feldlager der Söldnertruppe. Im Tagesverlauf besetzte die Wagner-Gruppe weitere Militäreinrichtungen in den Regionen Rostow und Woronesch und rückte weitgehend ungehindert mit mehreren Tausend Kämpfern in Richtung Moskau vor - mit dem erklärten Ziel, die Militärführung um Verteidigungsminister Schojgu und Generalstabschef Gerasimow zu stürzen. Als Reaktion wurden in der Hauptstadt Truppen zusammengezogen, Kontrollpunkte eingerichtet und das Anti-Terror-Regime ausgerufen, welches den Sicherheitskräften eine weitreichende Kommunikationsüberwachung, Personenkontrollen und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit erlaubt. Auf Vermittlung des belarussischen Präsidenten Lukaschenko erklärte sich Prigoschin am Abend des 24.6.23, mutmaßlich aufgrund des Ausbleibens erwarteter Unterstützung von Militär und Machteliten, zum Rückzug seiner Truppen bereit. Dieser ist weitgehend vollzogen. Im Gegenzug sicherte die Regierung den am Aufstand beteiligten Söldnern Straffreiheit und Prigoschin persönlich darüber hinaus einen freien Abzug nach Belarus zu (BAMF 26.6.2023). Gemäß Berichten schoss die Wagner-Gruppe am 24.6. Militärhubschrauber sowie ein Flugzeug ab (MOD 29.6.2023). Mittlerweile hat sich die Sicherheitslage vordergründig beruhigt, bleibt aber angespannt (EDA 27.6.2023). Das Anti-Terror-Regime wurde in Moskau und Woronesch mittlerweile wieder aufgehoben (NAK 26.6.2023).

Aufgrund des Angriffskriegs gegen die Ukraine kommt es vermehrt zu Sicherheitsvorfällen in russischen Grenzregionen. Vor allem die Grenzregionen Belgorod, Rostow, Brjansk und Kursk sind mit täglichem Beschuss und Drohnenangriffen konfrontiert. Im Mai 2023 sind zwei bewaffnete Verbände in die Region Belgorod eingedrungen, was zu Kämpfen und der Evakuierung der Bevölkerung führte. Angeblich bestanden die zwei Verbände aus russischen Staatsangehörigen, welche auf der Seite der Ukraine kämpfen (ACLED 8.6.2023). In mehreren russischen Regionen nahe der Ukraine wurde der Notstand ausgerufen (AA 26.6.2023). Das Kriegsrecht wurde in Russland bislang nicht ausgerufen (Interfax 31.5.2023). Stattdessen spricht Russland nur von einer 'militärischen Spezialoperation' in der Ukraine (Kreml 9.6.2023).

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern gezeigt haben, kann es in Russland (auch außerhalb der Kaukasus-Region) zu Anschlägen kommen. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf. Im Gebiet der Russischen Föderation ist es in jüngster Zeit wiederholt zu Drohnenangriffen gekommen, auch in Moskau. Mehrere russische Regionen, darunter Moskau, wurden in einem abgestuften System in erhöhte Alarmbereitschaft gesetzt. Diese Anordnungen geben den dortigen lokalen Behörden und Sicherheitskräften Befugnisse zu eingreifenden Sicherheitsmaßnahmen, Kontrollen, Durchsuchungen und Beschränkungen der Bewegungsfreiheit (AA 26.6.2023). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 27.6.2023).

Nach der Machtergreifung der Taliban in Afghanistan haben Russland und Tadschikistan ihr Militärbündnis gestärkt und gemeinsame Übungen an der tadschikisch-afghanischen Grenze abgehalten, um die Grenzsicherheit zu erhöhen (USDOS 27.2.2023). Gemäß dem aktuellen Globalen Terrorismus-Index (2023), welcher die Einwirkung von Terrorismus je nach Land misst, belegt Russland den 45. von insgesamt 93 Rängen. Dies bedeutet, Russland befindet sich auf niedrigem Niveau, was den Einfluss von Terrorismus betrifft (IEP 3.2023). (...)

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536, Zugriff 30.6.2023

ACLED – Armed Conflict Location Event Data Project (8.6.2023): Regional Overview: Europe Central Asia May 2023, https://acleddata.com/2023/06/08/regional-overview-europe-central-asia-may-2023/, Zugriff 29.6.2023

ACLED – Armed Conflict Location Event Data Project (o.D.): Dashboard: Russia - Point View, https://acleddata.com/dashboard/#/dashboard, Zugriff 29.6.2023

BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (26.6.2023): Briefing Notes, Übermittlung per E-Mail

EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (27.6.2023): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 29.6.2023

FA – Foreign Affairs / Andrei Soldatov, Irina Borogan (12.5.2023): Why Putin Needs Wagner: The Hidden Power Struggle Sustaining Russia’s Brutal Militia, https://www.foreignaffairs.com/russian-federation/why-putin-needs-wagner?utm_medium=newsletters utm_source=twofa utm_campaign=Why%20America%20Is%20Struggling%20to%20Stop%20the%20Fentanyl%20Epidemic utm_content=20230519 utm_term=FA%20This%20Week%20-%20112017, Zugriff 29.6.2023

IEP – Institute for Economics Peace (3.2023): Global Terrorism Index 2023: Measuring the Impact of Terrorism, https://www.economicsandpeace.org/wp-content/uploads/2023/03/GTI-2023-web-170423.pdf, Zugriff 29.6.2023

Interfax (31.5.2023): Песков отметил, что введение военного положения во всей России не обсуждается [Peskow stellte fest, dass Einführung des Kriegszustands in ganz Russland nicht diskutiert wird], https://www.interfax.ru/russia/904050, Zugriff 29.6.2023

ISW – Institute for the Study of War (12.3.2023): Russian Offensive Campaign Assessment, https://www.understandingwar.org/sites/default/files/Russian%20Operations%20Assessment%20March%2012%2C%202023.pdf, Zugriff 29.6.2023

Kreml [Russland] (9.6.2023): Ответ на вопрос о ситуации в зоне СВО [Beantwortung der Frage zur Situation in Zone der speziellen Militäroperation], http://kremlin.ru/events/president/news/71329, Zugriff 29.6.2023

MOD – Ministry of Defence [Vereinigtes Königreich] (29.6.2023): Defence Intelligence Update on Ukraine, https://twitter.com/DefenceHQ/status/1674296106157502464/photo/1, Zugriff 29.6.2023

NAK – Nationales Anti-Terrorismus-Komitee [Russland] (26.6.2023): Официальное сообщение НАК [Offizielle Mitteilung des Nationalen Anti-Terrorismus-Komitees], http://nac.gov.ru/hronika-sobytiy/oficialnoe-soobshchenie-nak-1.html, Zugriff 29.6.2023

USDOS – US Department of State [USA] (27.2.2023): Country Report on Terrorism 2021 - Chapter 1 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2087892.html, Zugriff 15.5.2023

Nordkaukasus

Letzte Änderung 2023-07-04 08:38

Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert. Die Zahl der Opfer gewalttätiger Zusammenstöße hat in den letzten Jahren abgenommen. Es ist nicht mehr von einer breiten islamistischen Bewegung im Nordkaukasus auszugehen, wenngleich es vereinzelt zu Anschlägen kommt, die von den Behörden auch mit dem 'Islamischen Staat' (IS) in Verbindung gebracht werden. Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat bisher keinen Einfluss auf die Sicherheitssituation im Nordkaukasus gehabt (ÖB 30.6.2022). Niederschwellige militante terroristische Aktivitäten sowie vermehrte Anti-Terror-Aktivitäten und Bemühungen um eine politische Konsolidierung sind feststellbar (OSAC 8.2.2021). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus deutlich zurückgegangen ist (ÖB 30.6.2021). Gemäß dem Online-Medienportal 'Kaukasischer Knoten' fielen zwischen Jänner 2022 und Mai 2023 insgesamt 19 Personen dem bewaffneten Konflikt im Nordkaukasus zum Opfer. Jeweils vier dieser Personen wurden in Dagestan, Tschetschenien, Inguschetien und der Region Stawropol getötet, zwei in Kabardino-Balkarien und eine Person in Nordossetien (KU 5.6.2023; vgl. KU 9.5.2023, KU 5.4.2023, KU 5.1.2023, KU 4.10.2022, KU 6.7.2022, KU 5.4.2022). Terroranschläge ziehen staatlicherseits unter anderem kollektive Bestrafungsformen nach sich. Dies bedeutet, Familienangehörige werden für die Taten ihrer Verwandten zur Verantwortung gezogen (RUSI 30.7.2021) und müssen gemäß gesetzlichen Vorgaben Schadenersatz leisten (USDOS 20.3.2023).

Tschetschenien

Die tschetschenischen Sicherheitskräfte handeln außerhalb der russischen Verfassung und Gesetzgebung (Dekoder 10.2.2022). Tschetschenische Strafverfolgungsorgane werfen vermeintlichen Salafisten und Wahhabiten unbegründet terroristische Machenschaften vor und erzwingen Geständnisse durch Folter (USCIRF 10.2021). Regelmäßig wird aus Tschetschenien über Sabotage- und Terrorakte gegen Militär und Ordnungskräfte, über Feuergefechte mit Mitgliedern bewaffneter Gruppen, Entführungen sowie Druck auf Familienangehörige von Mitgliedern illegaler bewaffneter Formationen berichtet. In verschiedenen Teilen der Republik Tschetschenien werden in regelmäßigen Abständen Antiterroroperationen durchgeführt (KU 29.3.2023b). Tschetschenische Behörden wenden regelmäßig kollektive Bestrafungsformen bei Familienangehörigen vermeintlicher Terroristen an, beispielsweise indem Familienangehörige dazu gezwungen werden, die Republik zu verlassen (USDOS 20.3.2023). In Tschetschenien gibt es eine Anti-Terrorismus-Kommission, deren Vorsitzender das Republikoberhaupt Kadyrow ist (NAK o.D.a). Im September 2018 wurde ein Grenzziehungsabkommen zwischen Tschetschenien und der Nachbarrepublik Inguschetien unterzeichnet, was in Inguschetien zu Massenprotesten der Bevölkerung führte und in der Gegenwart noch für gewisse Spannungen zwischen den beiden Republiken sorgt (KU 15.11.2021).

Dagestan

Von offizieller Seite wurde im Jänner 2019 die praktisch vollständige Liquidierung des bewaffneten Widerstands in Dagestan verkündet, vereinzelt kommt es dennoch zu bewaffneten Zwischenfällen. Im Fokus der Sicherheitsbehörden stehen mutmaßliche Terroristen bzw. Anhänger extremistischer Überzeugungen (dazu zählen auch in Dagestan die Zeugen Jehovas) (ÖB 30.6.2022). In Dagestan nimmt der Widerstand immer mehr die Form von Sabotageakten und von Partisanen-Aktivitäten an (KU 12.5.2023). Es gibt in Dagestan eine Anti-Terrorismus-Kommission, welche vom Republikoberhaupt Melikow geleitet wird (NAK o.D.b).

Quellen:

Dekoder (10.2.2022): Warum Ramsan Kadyrow (fast) alles darf, https://www.dekoder.org/de/article/ramsan-kadyrow-kritiker, Zugriff 9.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (5.6.2023): В мае 2023 года в ходе вооруженного конфликта на Северном Кавказе погибли два человека [Im Mai 2023 kamen im Zuge des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus zwei Personen um], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/389365, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (12.5.2023): Дагестан: хроника террора (1996-2023 годы) [Dagestan: Chronik des Terrors (1996-2023)], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/73122/, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (9.5.2023): В апреле 2023 года в ходе вооруженного конфликта на Северном Кавказе четыре человека погибли [Im April 2023 kamen im Zuge des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus vier Personen um], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/388512/, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (5.4.2023): В I квартале 2023 года в ходе вооруженного конфликта на Северном Кавказе погибли 7 человек [Im Quartal I 2023 kamen im Zuge des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus sieben Personen um], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/387466/, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (29.3.2023b): Чечня после КТО: диверсии, теракты, похищения [Tschetschenien nach der Anti-Terror-Operation: Sabotagen, Terroranschläge, Entführungen], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/155726/, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (5.1.2023): В IV квартале 2022 в ходе вооруженного конфликта на Северном Кавказе погибли 4 человека [Im Quartal IV 2022 kamen im Zuge des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus 4 Personen um], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/384685/, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (4.10.2022): Жертв в III квартале 2022 года в ходе вооруженного конфликта на Северном Кавказе не зафиксировано [Keine Opfer im Quartal III 2022 im Zuge des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/381760/, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (6.7.2022): В ходе вооруженного конфликта на Северном Кавказе во II квартале 2022 года убито 2 человека [Im Zuge des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus im Quartal II 2022 wurden zwei Personen getötet], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/378859/, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (5.4.2022): В I квартале 2022 года в ходе вооруженного конфликта на Северном Кавказе жертв не зафиксировано [Keine Opfer im Quartal I 2022 im Zuge des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/374864/, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (15.11.2021): Угрозы Кадырова отнять землю возмутили ингушских пользователей сети [Drohungen Kadyrows, sich Land anzueignen, riefen bei Inguscheten online Empörung hervor], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/370165/, Zugriff 28.6.2023

NAK – Nationales Anti-Terrorismus-Komitee [Russland] (o.D.a): Чеченская Республика [Republik Tschetschenien], http://nac.gov.ru/subekty-federacii/chechenskaya-respublika.html, Zugriff 28.6.2023

NAK – Nationales Anti-Terrorismus-Komitee [Russland] (o.D.b): Республика Дагестан [Republik Dagestan], http://nac.gov.ru/subekty-federacii/respublika-dagestan.html, Zugriff 28.6.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2021): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2021 (Stand 30.6.2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx, Zugriff 5.6.2023

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RUSI – Royal United Services Institute (30.7.2021): Identifying an Integration Model for the North Caucasus (RUSI Newsbrief, VOLUME 41, ISSUE 6), https://rusi.org/explore-our-research/publications/rusi-newsbrief/identifying-integration-model-north-caucasus, Zugriff 28.6.2023

USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (10.2021): Issue Update Russia: Religious Freedom Violations in the Republic of Chechnya, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069579/2021+Chechnya+Issue+Update.pdf, Zugriff 31.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung 2023-06-29 09:39

Gemäß der Verfassung ist die Russische Föderation ein Rechtsstaat, Richter sind unabhängig, und Gerichtsverhandlungen sind mit Ausnahme gesetzlich geregelter Fälle öffentlich (Verfassungsartikel 1, 120 und 123). Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes werden vom Föderationsrat auf Vorschlag des russischen Präsidenten ernannt. Mitglieder der anderen Gerichtshöfe auf föderaler Ebene werden vom russischen Präsidenten ernannt (Art. 128). Der Präsident der Russischen Föderation initiiert die Entlassung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes (Art. 83). Der Generalstaatsanwalt und sein Stellvertreter sowie die Staatsanwälte der Subjekte der Russischen Föderation werden nach Beratungen mit dem Föderationsrat vom russischen Präsidenten ernannt und von diesem entlassen (Art. 129). Föderale Gesetze gelten für das gesamte Territorium der Russischen Föderation. Gesetze und andere rechtliche Bestimmungen der Subjekte der Russischen Föderation dürfen föderalen Gesetzen nicht widersprechen. Im Falle eines Widerspruchs gilt das föderale Gesetz. Republiken haben ihre eigene Rechtsordnung, solange dadurch die Kompetenzen der Russischen Föderation unberührt bleiben (Verfassungsartikel 76) (Duma 6.10.2022). Gemäß dem Verfassungsartikel 79 werden Entscheidungen internationaler Institutionen, welche der Verfassung der Russischen Föderation widersprechen, in der Russischen Föderation nicht vollstreckt (Duma 6.10.2022; vgl. BPB 2.7.2020, KAS 7.2020).

Die Rechtsstaatlichkeit wird von Russlands politischer Führung oft untergraben, um die Stabilität des politischen Systems aufrechtzuerhalten (BS 2022). Gemäß dem Rechtsstaatlichkeitsindex des World Justice Project nimmt Russland aktuell den 107. Rang von insgesamt 140 Ländern ein und befindet sich zwischen den Ländern Libanon und Côte d'Ivoire (WJP o.D.). Das Justizwesen in Russland ist nicht unabhängig (SWP 19.4.2022; vgl. UN-HRC 1.12.2022, FH 2023). In der Praxis wird die Justiz von der Exekutive kontrolliert (BS 2022; vgl. FH 19.4.2022). Politisch wichtige Fälle werden vom Kreml überwacht, und Richter haben nicht genügend Autonomie, um den Ausgang zu bestimmen (ÖB 30.6.2022). Richter des Verfassungsgerichtshofes dürfen ihre abweichenden Meinungen nicht öffentlich machen (UN-HRC 1.12.2022).

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet grundsätzlich nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann (AA 28.9.2022). Das Justizwesen ist von Korruption befallen (BS 2022). Gemäß Berichten geraten seit Russlands Ukraine-Invasion Rechtsanwälte immer mehr ins Visier. Beispielsweise wird ihnen der Zugang zu Mandanten auf Polizeistationen und die Vertretung ihrer Mandanten bei Gerichtsverhandlungen verwehrt (EUAA 16.12.2022b). Es kommt vor, dass Rechtsanwälte ungerechtfertigten Disziplinarverfahren und strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt sind, insbesondere wenn sie Teilnehmer an Anti-Kriegsprotesten verteidigen (UN-HRC 1.12.2022). Es gibt Berichte über Anwälte, welche verhaftet wurden, weil sie Opfer politischer Repressionen unterstützt haben (EUAA 16.12.2022b).

Schutzmaßnahmen gegen willkürliche Verhaftung und andere Garantien zur Durchführung ordnungsgemäßer Verfahren werden regelmäßig verletzt (FH 2023). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben dürfen Inhaftierte die Gesetzmäßigkeit ihrer Inhaftierung gerichtlich überprüfen lassen. Wegen der mangelnden Unabhängigkeit des Justizsystems schließen sich Richter für gewöhnlich der Ansicht des Ermittlers an und weisen Beschwerden Angeklagter ab. Angeklagte und ihre Rechtsvertreter müssen bei Gerichtsverhandlungen persönlich oder über Video anwesend sein. Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung sowie das Recht auf ein faires und öffentliches Gerichtsverfahren. Diese Rechte werden nicht immer respektiert (USDOS 20.3.2023). Vertreter der Opposition und der kritischen Zivilgesellschaft können in Ermittlungsverfahren und vor Gericht nicht auf eine faire Behandlung bzw. einen fairen Prozess vertrauen (AA 28.9.2022). Gerichtsverfahren enden sehr selten mit Freisprüchen (USDOS 20.3.2023). Das öffentliche Vertrauen in die Justiz ist gering (UN-HRC 1.12.2022; vgl. LZ 20.9.2022).

Es ist gesetzlich vorgesehen, dass Personen Behörden wegen Menschenrechtsverletzungen klagen können. Jedoch sind diese Mechanismen oft nicht effektiv (USDOS 20.3.2023). Am 16.3.2022 wurde Russland aus dem Europarat ausgeschlossen (Europarat 16.3.2022). Zunächst hatte der Europarat wegen des bewaffneten russischen Angriffs auf die Ukraine die Mitgliedschaftsrechte Russlands im Europarat suspendiert (Europarat 25.2.2022). Russland war dem Europarat 1996 beigetreten (Europarat 16.3.2022). Seit 16.9.2022 ist Russland keine Vertragspartei der vom Europarat geschaffenen Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) mehr (Europarat 16.9.2022; vgl. Europarat o.D.b). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellt die Einhaltung der EMRK sicher. Bürger können sich, nachdem die innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft sind, mit Beschwerden direkt an ihn wenden (Europarat o.D.). Seit 16.9.2022 haben russische Bürger kein Recht mehr, den EGMR anzurufen (SWP 19.4.2022). Der EGMR ist weiterhin für die Bearbeitung von Beschwerden gegen Russland zuständig, welche bis 16.9.2022 eingereicht wurden. Das Ministerkomitee des Europarats überwacht weiterhin die Umsetzung der Urteile (Europarat 16.9.2022). Gemäß einer von der Russischen Föderation verabschiedeten Gesetzesänderung vom Juni 2022 unterliegen Beschlüsse des EGMR, welche nach dem 15.3.2022 in Kraft traten, aber nicht mehr der Vollstreckung in der Russischen Föderation (RF 11.6.2022). Vor dem EGMR waren mit Stand 30.4.2023 15.700 Beschwerden gegen Russland anhängig (ECHR 30.4.2023).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

BPB – Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (2.7.2020): Verfassungsreferendum in Russland, https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/312075/verfassungsreferendum-in-russland/, Zugriff 5.6.2023

BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf, Zugriff 16.5.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

ECHR – European Court of Human Rights (30.4.2023): PENDING APPLICATIONS ALLOCATED TO A JUDICIAL FORMATION, https://www.echr.coe.int/Documents/Stats_pending_month_2023_BIL.PDF, Zugriff 5.6.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022b): The Russian Federation – Political opposition, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Report_Russian_Federation_Political_Opposition.pdf, Zugriff 19.5.2023

Europarat (16.9.2022): Presseraum: Russland keine Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention mehr, https://www.coe.int/de/web/portal/-/russia-ceases-to-be-party-to-the-european-convention-on-human-rights, Zugriff 5.6.2023

Europarat (16.3.2022): Presseraum: Russische Föderation wird aus dem Europarat ausgeschlossen, https://www.coe.int/de/web/portal/-/the-russian-federation-is-excluded-from-the-council-of-europe, Zugriff 16.5.2023

Europarat (25.2.2022): Presseraum: Europarat entzieht Russland Recht auf Vertretung, https://www.coe.int/de/web/portal/-/council-of-europe-suspends-russia-s-rights-of-representation, Zugriff 5.6.2023

Europarat (o.D.): Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, https://www.coe.int/en/web/portal/gerichtshof-fur-menschenrechte, Zugriff 5.6.2023

Europarat (o.D.b): The European Convention on Human Rights: A Convention to protect your rights and liberties, https://www.coe.int/en/web/human-rights-convention, Zugriff 5.6.2023

FH – Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088552.html, Zugriff 16.5.2023

FH – Freedom House (19.4.2022): Nations in Transit 2022: Russia, https://freedomhouse.org/country/russia/nations-transit/2022, Zugriff 22.5.2023

KAS – Konrad-Adenauer-Stiftung / Thomas Kunze (7.2020): Länderbericht: Russlands neue Verfassung, https://www.kas.de/documents/252038/7938566/Russlands+neue+Verfassung.pdf/98a99078-4c44-87ac-bf83-a5f18d21df10?version=1.0 t=1593680876015, Zugriff 5.6.2023

LZ – Lewada-Zentr [Lewada-Zentrum] (20.9.2022): Доверие общественным институтам [Vertrauen in öffentliche Institutionen], https://www.levada.ru/2022/09/20/doverie-obshhestvennym-institutam-2/, Zugriff 5.6.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (11.6.2022): Федеральный закон "О внесении изменений в Уголовно-процессуальный кодекс Российской Федерации" от 11.06.2022 N 180-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über Änderungen des Strafprozessgesetzbuches der Russischen Föderation' vom 11.06.2022 N 180-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_419069/, Zugriff 5.6.2023

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik / Sabine Fischer (19.4.2022): Russland auf dem Weg in die Diktatur (SWP-Aktuell, Nr. 31), https://www.swp-berlin.org/publications/products/aktuell/2022A31_Russland_Diktatur.pdf, Zugriff 22.5.2023

UN-HRC – United Nations Human Rights Committee (1.12.2022): International Covenant on Civil and Political Rights - Concluding observations on the eighth periodic report of the Russian Federation (CCPR/C/RUS/CO/8), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083107/G2258965.pdf, Zugriff 16.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

WJP – World Justice Project (o.D.): 2022 WJP Rule of Law Index® - Rankings, https://worldjusticeproject.org/rule-of-law-index/global, Zugriff 5.6.2023

Tschetschenien und Dagestan

Letzte Änderung 2023-06-29 09:45

Föderale Gesetze gelten für das gesamte Territorium der Russischen Föderation. Republiken haben ihre eigene Rechtsordnung, solange dadurch die Kompetenzen der Russischen Föderation unberührt bleiben (Verfassungsartikel 76) (Duma 6.10.2022). Die Situation in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit in Tschetschenien und Dagestan ist problematisch. Vor allem bleiben schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, begangen von Vertretern der föderalen und regionalen Behörden, straffrei. Es kommt vor, dass Rechtsanwälte, welche ihre Mandanten verteidigen, Angriffen durch Strafverfolgungsbehörden im Nordkaukasus ausgesetzt sind (COE 3.6.2022).

Tschetschenien

Tschetschenien verwaltet sich im Rechtsbereich weitgehend selbst (KAS 12.12.2022). Gemäß Artikel 96 der tschetschenischen Verfassung gibt es in Tschetschenien föderale Gerichte, den Verfassungsgerichtshof und Friedensrichter. Friedensrichter sind als Gericht erster Instanz für die Überprüfung von Zivil-, Verwaltungs- und strafrechtlichen Fällen zuständig (Artikel 101 der tschetschenischen Verfassung) (RT 23.3.2003). Behörden verletzen das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren. Das Justizsystem dient als Vergeltungsmaßnahme gegen Personen, welche Fehlverhalten des tschetschenischen Republikoberhaupts Kadyrow aufdecken (USDOS 20.3.2023). Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen. Es herrscht ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellem Gewohnheitsrecht (Adat; einschließlich der Tradition der Blutrache) und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen (AA 28.9.2022). Gemäß Aussage von Einwohnern Tschetscheniens lautet das grundlegende Gesetz in Tschetschenien 'Ramsan sagte'. Dies bedeutet, Kadyrows mündliche Aussagen sind einflussreicher als die Rechtssysteme und widersprechen diesen möglicherweise (CSIS 24.1.2020).

Das Gewohnheitsrecht (Adat) umfasst zwischenmenschliche Beziehungen wie beispielsweise Vermögensverhältnisse, persönliche und verwandtschaftliche Beziehungen. Es variiert regional und von Sippe zu Sippe und beruht auf dem Prinzip der Wiedergutmachung von Unrecht anstatt Bestrafung (Gumppenberg/Steinbach 2018). Im Gegensatz zum islamischen Recht liegt dem Gewohnheitsrecht (Adat) die kollektive Verantwortung für Rechtsverletzungen zugrunde (RAPSI 4.4.2022). Da es im Rahmen des Gewohnheitsrechts keine individuelle Verantwortung gibt, steht nicht der Täter im Mittelpunkt, sondern dessen Familienclan. Dieser trägt die Verantwortung. Um Stammeskriege und die Ausrottung ganzer Gemeinschaften zu vermeiden, sieht das Gewohnheitsrecht bestimmte Verfahren vor, um die Sippe des Opfers zu versöhnen und Verletzung sowie Verlust auszugleichen (Gumppenberg/Steinbach 2018). In Tschetschenien ist die Praxis der kollektiven Verantwortung weitverbreitet (KR 2.3.2023). Zum Adat gehört beispielsweise der alte Brauch der Blutrache (RAPSI 4.4.2022; vgl. Gumppenberg/Steinbach 2018). Die Blutrache entstand zum Schutz der Ehre und des Vermögens im Rahmen der Sippenstruktur und verpflichtet die Angehörigen eines Ermordeten, sich an dem Mörder oder dessen Angehörigen zu rächen. Blutrache hat keine Verjährungsfrist. Es gab Fälle, in welchen die Blutrache nach 50 oder 100 Jahren vollzogen wurde, als der Mörder und dessen nahe Verwandte bereits verstorben waren. Aus Gründen der Selbsterhaltung wurde eine Reihe von Methoden ausgearbeitet, um dem Morden ein Ende zu setzen und stattdessen Geldstrafen einzuführen. 2010 gründete Kadyrow die 'Kommission für nationale Versöhnung', welche darauf abzielte, Blutfehdekonflikte zu lösen. In Tschetschenien existieren Versöhnungskommissionen zur Lösung von Konflikten (KU 1.2.2023). Nach wie vor gibt es Clans, die Blutrache praktizieren (AA 28.9.2022; vgl. KU 1.2.2023). Die Einstellung der tschetschenischen Führung zur Blutrache ist oft situationsabhängig (KR 27.2.2023). Gemäß § 105 des russischen Strafgesetzbuches zieht Mord mit dem Motiv der Blutrache eine Freiheitsstrafe von 8-20 Jahren, eine lebenslange Freiheitsstrafe oder die Todesstrafe nach sich (RF 28.4.2023). Seit 1996, als Russland Mitglied des Europarats wurde, ist die Todesstrafe aufgrund eines Moratoriums ausgesetzt (AI 5.2023; vgl. CCDPW 27.3.2012, OSCE 7.10.2022).

Im islamischen Rechtssystem (Scharia) trägt nur der Einzelne die Schuld für begangene Taten. Traditionelle Hauptanwendungsgebiete für die Scharia sind Familien-, Erbrecht und teilweise Vermögensrecht (Gumppenberg/Steinbach 2018).

Bestimmte Gruppen genießen keinen effektiven Rechtsschutz. Hierzu gehören Menschenrechtsaktivisten, sexuelle Minderheiten, Oppositionelle, Regimekritiker, Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten, sowie Personen, die sich gegen Republiksoberhaupt Kadyrow bzw. dessen Clan aufgelehnt haben. Kadyrow äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppen auf Instagram veröffentlicht. Teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie angeblich Feinde des tschetschenischen Volkes sind, oder er ruft offen dazu auf, sie umzubringen (AA 28.9.2022).

Dagestan

Gemäß Artikel 92 der Verfassung Dagestans liegt das Rechtswesen der Republik Dagestan in den Händen von föderalen Gerichten sowie Gerichten der Republik Dagestan. Letztere sind der Verfassungsgerichtshof Dagestans und Friedensrichter. Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes Dagestans werden laut Verfassungsartikel 94 von der Volksversammlung der Republik Dagestan auf Vorschlag des Republikoberhaupts ernannt. Friedensrichter werden von der Volksversammlung Dagestans ernannt (RD 10.7.2003). In Dagestan hat sich der traditionelle Rechtspluralismus – das Nebeneinander von russischem Recht, Gewohnheitsrecht (Adat) und Scharia-Recht – bis heute erhalten. Mit der Ausbreitung des Salafismus im traditionell sufistisch geprägten Dagestan in den 1990er-Jahren nahm auch die Einrichtung von Scharia-Gerichten zu. Grund für die zunehmende und inzwischen weitverbreitete Akzeptanz des Scharia-Rechts ist unter anderem das unzweckmäßige und korrupte staatliche Justizwesen, welches in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt ist. Staatliche Rechtsschutzorgane und Scharia-Gerichte agieren nicht losgelöst voneinander, sondern die verschiedenen Rechtssphären nehmen aufeinander Bezug. Zu den Sitten und Gebräuchen des Adat, die im von traditionellen Clan-Strukturen geprägten Dagestan befolgt werden, gehört auch die Blutrache. Zwar geht die Regionalregierung dagegen vor, doch sind nicht alle Clans bereit, auf die Blutrache zu verzichten (AA 28.9.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

AI – Amnesty International (5.2023): Global Report: Death Sentences and Executions 2022, https://www.amnesty.org/en/wp-content/uploads/2023/05/ACT5065482023ENGLISH.pdf, Zugriff 16.5.2023

CCDPW – Cornell Center on the Death Penalty Worldwide / Cornell Law School (27.3.2012): Cornell Database Results: Russian Federation (Russia), https://deathpenaltyworldwide.org/database/#/results/country?id=60#fn-20828-N10C57M605057, Zugriff 16.5.2023

COE – Council of Europe (3.6.2022): The continuing need to restore human rights and the rule of law in the North Caucasus region, https://pace.coe.int/en/files/30064/html?__cf_chl_tk=N0MvfyHujStO1y2i5De4AjF5sOdH0kwzw1IPrh2B99Q-1660131174-0-gaNycGzNCpE, Zugriff 22.5.2023

CSIS – Center for Strategic and International Studies / Irina Kosterina (24.1.2020): Civil Society in the North Caucasus - Latest Trends and Challenges in Chechnya, Ingushetia and Dagestan, https://csis-website-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/publication/200124_North_Caucasus.pdf?jRQ1tgMAXDNlViIbws_LnEIEGLZPjfyX, Zugriff 5.6.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

Gumppenberg, Marie-Carin von/Udo Steinbach (Hg.) (2018): Der Kaukasus. Geschichte - Kultur - Politik. 3. Aufl. München: C.H.Beck

KAS – Konrad-Adenauer-Stiftung / Jeronim Perovic (12.12.2022): Die Politische Meinung (Ausgabe 577, 67. Jahrgang): Staat im Staate - Tschetschenien als inneres Ausland, https://www.kas.de/documents/258927/21591476/51_Perovic.pdf/333d5349-de7f-c3d9-9e07-7458e2ae13fd?t=1669894749831, Zugriff 5.6.2023

KR – Kawkas.Realii (2.3.2023): Кадыров призвал ввести военное положение и "привлечь к ответу семьи" после событий на Брянщине [Kadyrow rief dazu auf, das Kriegsrecht einzuführen und nach den Ereignissen in Brjansk 'die Familien zur Verantwortung zu ziehen'], https://www.kavkazr.com/a/kadyrov-prizval-vvesti-voennoe-polozhenie-posle-sobytiy-v-bryanskoy-oblasti-i-privlechj-k-otvetu-semji-/32296290.html, Zugriff 5.6.2023

KR – Kawkas.Realii (27.2.2023): "Буду преследовать кровника до конца своих дней". Вендетта в Чечне Кадырова ['Ich werde meine Blutrache-Absicht bis zum Ende meiner Tage verfolgen'. Blutrache in Kadyrows Tschetschenien], https://www.kavkazr.com/a/budu-presledovatj-krovnika-do-kontsa-svoih-dney-vendetta-v-chechne-kadyrova/32227736.html, Zugriff 5.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (1.2.2023): Кровная месть - как теперь убивают на Кавказе [Blutrache - wie jetzt im Kaukasus getötet wird], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/296137/, Zugriff 5.6.2023

OSCE – Organization for Security and Co-operation in Europe (7.10.2022): The Death Penalty in the OSCE Area - Background Paper 2022, https://www.osce.org/files/f/documents/2/6/527082_1.pdf, Zugriff 16.5.2023

RAPSI – Rossijskoe agentstwo prawowoj i sudebnoj informazii [Russische Agentur für Rechts- und Gerichtsinformationen] (4.4.2022): Шариат и адат: по каким законам живут мусульмане Кавказа [Scharia und Adat: nach welchen Gesetzen Muslime des Kaukasus leben], https://rapsinews.ru/incident_publication/20220404/307852546.html, Zugriff 5.6.2023

RD – Republik Dagestan [Russland] (10.7.2003): Конституция Республики Дагестан (принята Конституционным Собранием 10 июля 2003 г.) (с изменениями и дополнениями) [Verfassung der Republik Dagestan (verabschiedet von der Verfassungsversammlung am 10. Juli 2003) (mit Änderungen und Ergänzungen)],

https://constitution.garant.ru/region/cons_dagest/, Zugriff 5.6.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.4.2023): "Уголовный кодекс Российской Федерации" от 13.06.1996 N 63-ФЗ (ред. от 28.04.2023) ['Strafgesetzbuch der Russischen Föderation' vom 13.06.1996 N 63-ФЗ (idF vom 28.4.2023)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/, Zugriff 16.5.2023

RT – Republik Tschetschenien [Russland] (23.3.2003): Конституция Чеченской Республики (принята 23 марта 2003 г.) (с изменениями и дополнениями) [Verfassung der Republik Tschetschenien (verabschiedet am 23. März 2003) (mit Änderungen und Ergänzungen)], https://constitution.garant.ru/region/cons_chech/, Zugriff 5.6.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung 2023-06-29 09:48

Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst (FSB), das Untersuchungskomitee, die Generalstaatsanwaltschaft und die Nationalgarde sind für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Staatssicherheit, Spionageabwehr, Terrorismusbekämpfung, Korruptionsbekämpfung sowie Bekämpfung des organisierten Verbrechens befasst. Die Nationalpolizei untersteht dem Innenministerium und ist für Verbrechensbekämpfung zuständig. Die Nationalgarde unterstützt den Grenzwachdienst des FSB bei der Grenzsicherung, ist für Waffenkontrolle sowie den Schutz der öffentlichen Ordnung verantwortlich, bekämpft Terrorismus und das organisierte Verbrechen und bewacht wichtige staatliche Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes in Koordination mit dem Verteidigungsministerium teil (USDOS 20.3.2023). Maßnahmen im Bereich Terrorismusbekämpfung werden vom Nationalen Anti-Terrorismus-Komitee koordiniert (USDOS 27.2.2023). Zivilbehörden halten im Allgemeinen eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte aufrecht. Gegen Beamte, die missbräuchliche Handlungen setzen und in Korruption verwickelt sind, werden selten strafrechtliche Schritte unternommen, was zu einem Klima der Straflosigkeit führt (USDOS 20.3.2023). Ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt (AA 28.9.2022). Die Polizei wendet häufig übermäßige Gewalt an (FH 2023). Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen 'fremdländischen' Aussehens oft Opfer von Misshandlungen durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden (AA 28.9.2022).

Laut gesetzlichen Vorgaben dürfen Verdächtige für eine Dauer von maximal 48 Stunden ohne gerichtliche Genehmigung inhaftiert werden - vorausgesetzt, es gibt Beweise oder Zeugen. Anderenfalls ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete werden von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt, und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Inhaftierten muss die Möglichkeit gegeben werden, Angehörige telefonisch zu benachrichtigen, es sei denn, ein Staatsanwalt ordnet die Geheimhaltung der Inhaftierung an. Verhaftete müssen von der Polizei innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor haben sie das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu sehen. Spätestens 12 Stunden nach der Festnahme muss die Polizei den Staatsanwalt benachrichtigen. Die Polizei muss Festgenommene nach 48 Stunden gegen Kaution freilassen - es sei denn, ein Gericht beschließt in einer Anhörung, die Inhaftierungsdauer auszudehnen. Zuvor (mindestens acht Stunden vor Ablauf der 48-Stunden-Haftdauer) muss die Polizei einen diesbezüglichen Antrag eingereicht haben. Im Allgemeinen werden von den Behörden die rechtlichen Beschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus (USDOS 20.3.2023).

Tschetschenien

Die tschetschenischen Sicherheitskräfte bestehen aus (ORYX 23.11.2022):

dem 141. motorisierten Spezialregiment 'A. Ch. Kadyrow'

dem 249. motorisierten Spezialbataillon 'Süden'

der Schnellen Sondereingriffseinheit 'Achmat' (SOBR)

der Mobilen Einheit für Sonderaufgaben 'Achmat-Grosnyj' (OMON)

dem Polizeiregiment für Sonderaufgaben 'A. A. Kadyrow' (PPSN) und

uniformierten Polizeitruppen.

Im Juni 2022 verkündete das Republikoberhaupt Kadyrow die Gründung von vier zusätzlichen Bataillonen zur Unterstützung der russischen Kämpfer in der Ukraine (ORYX 23.11.2022). Die Zivilbehörden auf nationaler Ebene üben bestenfalls eine begrenzte Kontrolle über die Sicherheitskräfte in der Republik Tschetschenien aus. Diese sind nur Kadyrow gegenüber rechenschaftspflichtig (USDOS 20.3.2023; vgl. ÖB 30.6.2022). Mit den sogenannten Kadyrowzy verfügt Kadyrow über eine persönliche Armee (FPRI 15.6.2022). Bei den Kadyrowzy handelt es sich formal um Einheiten der tschetschenischen Nationalgarde, deren zahlenmäßige Stärke geheim ist. Russische Quellen nennen Zahlen zwischen 10.000 und 18.000 Soldaten (TELEPOLIS 9.7.2022). Theoretisch übt die russische Nationalgarde die Kontrolle über die Kadyrowzy aus, welche allerdings faktisch von Kadyrow kontrolliert werden (ORYX 23.11.2022). Die Kadyrowzy werden für zahlreiche Missbrauchshandlungen verantwortlich gemacht, darunter willkürliche Festnahmen, Folter und außergerichtliche Tötungen. Strafrechtliche Konsequenzen haben die Handlungen der Kadyrowzy nicht (EUAA 16.12.2022a). Die Kadyrowzy kommen im Ukraine-Krieg zum Einsatz (KU 7.4.2023).

Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem langen Arm des Regimes von Republikoberhaupt Kadyrow nicht sicher. Sicherheitskräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind nach Aussagen von NGOs auch in Moskau präsent. Es wird von Einzelfällen berichtet, in denen entweder die Familien der Betroffenen oder tschetschenische Behörden (welche Zugriff auf russlandweite Informationssysteme haben) Flüchtende in andere Landesteile verfolgen, sowie von Angehörigen sexueller Minderheiten, die gegen ihren Willen von anderen russischen Regionen nach Tschetschenien zurückgeholt wurden (AA 28.9.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022a): The Russian Federation - Military service, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Russia_Military_Service.pdf, Zugriff 16.5.2023

FH – Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088552.html, Zugriff 16.5.2023

FPRI – Foreign Policy Research Institute (15.6.2022): The Shifting Political Hierarchy in the North Caucasus, https://www.fpri.org/article/2022/06/the-shifting-political-hierarchy-in-the-north-caucasus/, Zugriff 16.5.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (7.4.2023): Главное о кадыровцах на Украине [Das Wichtigste über die Kadyrowzy in der Ukraine], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/373751/, Zugriff 15.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

ORYX / Stijn Mitzer, Joost Oliemans (23.11.2022): The Army Within: Chechnya’s Security Forces, https://www.oryxspioenkop.com/2022/11/the-army-within-chechnyas-security.html, Zugriff 15.5.2023

TELEPOLIS (9.7.2022): Ukraine-Krieg: Wer will 'nach Berlin durchmarschieren'?, https://www.telepolis.de/features/Ukraine-Krieg-Wer-will-nach-Berlin-durchmarschieren-7167389.html, Zugriff 16.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (27.2.2023): Country Report on Terrorism 2021 - Chapter 1 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2087892.html, Zugriff 15.5.2023

Korruption

Letzte Änderung 2023-06-29 09:52

Im Jahr 2006 ratifizierte Russland das UN-Übereinkommen gegen Korruption (UNTC 19.5.2023). 2012 trat Russland der OECD-Konvention gegen Bestechung bei (OECD o.D.). Es existiert ein Nationaler Plan zur Korruptionsbekämpfung für die Jahre 2021-2024 (Präsident 16.8.2021). Eine gesetzliche Grundlage stellt das Föderale Gesetz 'Über die Korruptionsbekämpfung' dar (RF 6.2.2023). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben wird Behördenkorruption strafrechtlich verfolgt, jedoch werden die gesetzlichen Vorschriften von der Regierung im Allgemeinen nicht wirksam umgesetzt (USDOS 20.3.2023). Ein Mangel an Rechenschaftspflicht ermöglicht es öffentlich Bediensteten, ungestraft Straftaten zu begehen (FH 2023). Korruption ist in Russland weitverbreitet (TI 4.3.2022; vgl. FH 2023). Von Korruption sind die Exekutive, die Legislative und das Justizwesen auf allen Ebenen betroffen. Behördenkorruption grassiert in zahlreichen Bereichen, darunter im Bildungs-, Gesundheits- und Wohnungswesen, Militärbereich, im Handel und im Bereich der sozialen Fürsorge. Zu den Formen von Korruption zählen Bestechung öffentlich Bediensteter, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl öffentlichen Eigentums, Bestechungsgelder im Beschaffungswesen, Erpressung sowie die missbräuchliche Verwendung der beruflichen Position, um sich persönlich zu bereichern (USDOS 20.3.2023). Experten bezeichnen das politische System als Kleptokratie (FH 2023; vgl. TI 4.3.2022), was bedeutet, dass das öffentliche Vermögen von den regierenden Eliten geplündert wird (FH 2023). Korruptionsanschuldigungen innerhalb der politischen Elite gelten als Instrumente in Machtkämpfen (BS 2022).

Medien und NGOs werden systematisch daran gehindert, Korruptionsfälle öffentlich zu machen (BS 2022). Alexej Nawalnyj gründete im Jahr 2011 eine Antikorruptionsstiftung (FBK), welche sich der Untersuchung und Aufdeckung von Behördenkorruption auf höheren Ebenen widmete (FBK o.D.). Die Antikorruptionsstiftung des Oppositionspolitikers Nawalnyj wurde 2021 als extremistische Organisation eingestuft und von russischen Behörden aufgelöst (EUAA 16.12.2022b; vgl. DW 9.6.2021).

Gemäß dem Korruptionswahrnehmungsindex 2022 von Transparency International wird die Russische Föderation mit 28 von 100 Punkten bewertet (0=sehr korrupt, 100=sehr wenig korrupt). Im Vorjahr lag Russland bei 29 Punkten. Die Russische Föderation nimmt aktuell den Rang 137 von 180 untersuchten Staaten/Regionen ein und liegt gleichauf mit Mali und Paraguay (TI 2023; vgl. TI o.D.).

Tschetschenien

Die Achmat-Kadyrow-Stiftung wurde im Jahr 2004 gegründet und wird von der Mutter des tschetschenischen Republiksoberhaupts Kadyrow geleitet. Die Stiftung verfolgt wohltätige Zwecke wie beispielsweise Instandsetzung zerstörter Häuser, materielle Unterstützung behinderter Personen, Förderung von Kultureinrichtungen usw. Jedoch kommt aufgrund von Korruption ein Teil der Hilfe bei den Bedürftigen nicht an. Die Stiftung dient dem tschetschenischen Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow zur persönlichen Bereicherung. Aus welchen Geldquellen sich die Stiftung speist, liegt im Dunkeln. Öffentlich Bedienstete müssen monatlich ca. 10 % ihres Einkommens für wohltätige Zwecke spenden (KU 15.5.2023).

Quellen:

BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf, Zugriff 16.5.2023

DW – Deutsche Welle (9.6.2021): Nawalnys Netzwerk ist zerschlagen, https://www.dw.com/de/nawalnys-netzwerk-ist-zerschlagen/a-57536221, Zugriff 19.5.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022b): The Russian Federation – Political opposition, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Report_Russian_Federation_Political_Opposition.pdf, Zugriff 19.5.2023

FBK – Fond borby s korrupziej [Antikorruptionsstiftung] (o.D.): О фонде: Фонд борьбы с коррупцией [Über die Stiftung: Antikorruptionsstiftung], https://fbk.info/, Zugriff 19.5.2023

FH – Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088552.html, Zugriff 16.5.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (15.5.2023): Фонд Кадырова: как тратят "деньги от Аллаха" [Kadyrow-Stiftung: Wie das 'Geld Allahs’ ausgegeben wird], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/310518/, Zugriff 19.5.2023

OECD – Organisation for Economic Co-operation and Development (o.D.): Russia - OECD Anti-Bribery Convention, https://www.oecd.org/corruption/russia-oecdanti-briberyconvention.htm, Zugriff 19.5.2023

Präsident [Russland] (16.8.2021): Указ Президента РФ от 16.08.2021 N 478 "О Национальном плане противодействия коррупции на 2021 - 2024 годы" [Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation vom 16.08.2021 N 478 'Über den Nationalen Plan zur Korruptionsbekämpfung für die Jahre 2021-2024‘], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_392999/, Zugriff 19.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (6.2.2023): Федеральный закон "О противодействии коррупции" от 25.12.2008 N 273-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Korruptionsbekämpfung' vom 25.12.2008 N 273-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_82959/, Zugriff 19.5.2023

TI – Transparency International (2023): Corruption Perceptions Index 2022, https://images.transparencycdn.org/images/Report_CPI2022_English.pdf, Zugriff 19.5.2023

TI – Transparency International (4.3.2022): Countering Russia's kleptocrats: What the West’s response to the assault on Ukraine should look like, https://www.transparency.org/en/news/countering-russian-kleptocrats-wests-response-to-assault-on-ukraine, Zugriff 19.5.2023

TI – Transparency International (o.D.): Corruption Perceptions Index 2022: Russia, https://www.transparency.org/en/cpi/2022/index/rus, Zugriff 19.5.2023

UNTC – United Nations Treaty Collection (19.5.2023): 14. United Nations Convention against Corruption - New York, 31 October 2003, https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=IND mtdsg_no=XVIII-14 chapter=18 clang=_en, Zugriff 19.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

Wehrdienst und Rekrutierungen

Letzte Änderung 2023-06-29 10:00

Gemäß § 22 des föderalen Gesetzes 'Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst' unterliegen männliche russische Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 27 Jahren der Einberufung zum Wehrdienst (RF 13.6.2023). Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr. Der Staatspräsident legt jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden. In der Regel liegt die Quote bei etwa einem Drittel der jährlich ins wehrdienstpflichtige Alter kommenden jungen Männer. Über die regionale Aufteilung der Wehrpflichtigen entscheidet das Verteidigungsministerium (ÖB 30.6.2022). Es gibt in Russland zweimal jährlich eine Stellung (Spiegel 31.3.2022). Für Herbst 2022 wurden 120.000 Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen (Kreml 30.9.2022) und für das Frühjahr 2023 147.000 (Präsident 30.3.2023). Die Anzahl der aus Tschetschenien Einberufenen ist relativ gering, im Durchschnitt 500 Einberufene pro Einberufungsperiode (ÖB 25.1.2023). Einberufungsbefehle werden Einzuberufenden in schriftlicher Form und zusätzlich elektronisch übermittelt. Die Einberufungsbefehle werden vom Militärkommissariat per eingeschriebenem Brief verschickt. Möglich ist unter anderem auch die persönliche Aushändigung des Einberufungsbefehls durch Mitarbeiter des Militärkommissariats (§ 31 des Gesetzes 'Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst') (RF 13.6.2023). Wer zum Wehrdienst einberufen wurde, darf das Land bis zur Beendigung des Wehrdiensts nicht verlassen (§ 15 des Gesetzes ’Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation') (RF 14.4.2023).

Staatsangehörige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Wehrdienst geeignet sind, werden als 'untauglich' von der Dienstpflicht befreit. Darüber hinaus kann ein Antrag auf Aufschub des Wehrdienstes gestellt werden, etwa durch Personen, welche ein Studium absolvieren oder einen nahen Verwandten pflegen müssen, oder durch Väter mehrerer Kinder. Auch Angehörige bestimmter Berufsgruppen können einen Aufschub des Wehrdienstes beantragen. Die Ableistung des Grundwehrdienstes ist Voraussetzung für bestimmte (vor allem staatliche) berufliche Laufbahnen (ÖB 30.6.2022). Ab einem Alter von 16 Jahren ist der freiwillige Besuch einer Militärschule möglich (EBCO 12.5.2023). Frauen dürfen freiwillig Militärdienst leisten (CIA 15.6.2023). Nach dem Grundwehrdienst gibt es die Möglichkeit, freiwillig auf Basis eines Vertrags in der Armee zu dienen (ÖB 30.6.2022). Bislang kamen als Vertragssoldaten russische Staatsbürger im Alter von 18-40 Jahren sowie Ausländer zwischen 18 und 30 Jahren infrage. Im Mai 2022 wurden diese Altersgrenzen bis zum Pensionsalter angehoben (Duma 25.5.2022; vgl. NZZ 25.5.2022). Seit mehreren Jahren sind Bemühungen im Gang, die Armee in Richtung eines Berufsheeres umzugestalten (ISW 5.3.2022; vgl. SWP 7.12.2022, GS o.D.).

Im Militärbereich ist Korruption weitverbreitet (USDOS 20.3.2023; vgl. SWP 7.12.2022). 2015 wurden die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweitert. Seitdem zählt hierzu ausdrücklich die Bekämpfung der Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte. Auch die sogenannte Dedowschtschina ('Herrschaft der Großväter') – ein System der Erniedrigung bis hin zur Vergewaltigung von sich ausgeliefert fühlenden Rekruten durch dienstältere Mannschaften in Verbindung mit abgelegenen Standorten und kein Ausgang bzw. kaum Urlaub - dürfte eine maßgebliche Ursache sein. Es ist zu vermuten, dass es nach wie vor zu Delikten kommt, jedoch nicht mehr in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit (AA 28.9.2022). NGOs gehen von Hunderten Gewaltverbrechen pro Jahr im Heer aus. Laut Menschenrechtsvertretern existiert Gewalt in den Kasernen zumindest in bestimmten Militäreinheiten als System und wird von den Befehlshabenden unterstützt bzw. geduldet (ÖB 30.6.2022). Die Diskreditierung der Armee ist gemäß § 280.3 des Strafgesetzbuches strafbar (RF 28.4.2023). Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, welche in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie übliche Freiheitsstrafen in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch bis zu zwei Jahre in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 28.9.2022).

Gemäß einem präsidentiellen Erlass vom 25.8.2022 ist mit 1.1.2023 die russische Armee auf einen Personalstand von 2.039.758 Bediensteten aufgestockt worden, davon 1.150.628 Militärbedienstete und der Rest Zivilpersonal wie Verwaltungsangestellte usw. (RI 25.8.2022; vgl. ORF 25.8.2022). Für den Zeitraum 2023-2026 ist eine Erhöhung der Anzahl der Militärbediensteten auf 1,5 Millionen geplant (Iswestija 17.1.2023). Im Jahr 2022 betrugen die Militärausgaben 4,1 % des Bruttoinlandsprodukts (SIPRI o.D.). Gemäß Verfassungsartikel 87 ist der Präsident der Russischen Föderation Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Duma 6.10.2022).

Mobilmachung / Ukraine-Krieg

Gemäß rechtlicher Vorgaben müssen Wehrpflichtige eine mindestens viermonatige Ausbildung absolviert haben, um zu Kampfeinsätzen im Ausland entsandt werden zu können. Jedoch zu Kriegszeiten oder im Falle der Ausrufung des Kriegsrechts ist es möglich, Wehrpflichtige früher heranzuziehen. Innerhalb Russlands dürfen Wehrpflichtige sofort (auch unausgebildet) herangezogen werden (ISW 30.10.2022). Aktuell gibt es keine Hinweise auf eine Teilnahme Wehrpflichtiger an Kampfhandlungen in der Ukraine (EUAA 16.12.2022a; vgl. ÖB 8.11.2022, ÖB 25.1.2023). Wehrpflichtige werden allerdings in Grenzregionen stationiert (EUAA 16.12.2022a; vgl. ISW 13.6.2023) (beispielsweise in Belgorod, Kursk, Brjansk, Rostow und Krasnodar) sowie auf der von Russland besetzten Krim (EUAA 16.12.2022a). Es gab Berichte über Wehrpflichtige, welche unter Druck gesetzt wurden, ihre Dienstzeit durch Freiwilligenverträge zu verlängern (RFE/RL 14.7.2022). Alle russischen Regionen wurden angewiesen, Freiwilligenbataillone für den Einsatz in der Ukraine zusammenzustellen (ÖB 30.6.2022). Mit der Rekrutierung Freiwilliger wurde im Juli/August 2022 begonnen (EUAA 16.12.2022a). Bis spätestens 1.7.2023 haben die Freiwilligenformationen einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium abzuschließen (VM 10.6.2023). Das Verteidigungsministerium rekrutiert seit September 2022 Strafgefangene, welchen als Gegenleistung für einen Kampfeinsatz Geld und frühzeitige Entlassung aus dem Gefängnis angeboten wird (EUAA 16.12.2022a). Eine gesetzliche Neuregelung vom November 2022 ermöglicht die Mobilisierung von Schwerverbrechern. Davon ausgenommen sind unter anderem Terroristen, Spione sowie Personen, die Minderjährige sexuell missbrauchten (RN 4.11.2022; vgl. RF 4.11.2022).

Gemäß dem präsidentiellen Erlass (Ukas) vom 21.9.2022 werden mobilisierte Staatsbürger Vertragssoldaten gleichgestellt, auch hinsichtlich der Besoldung. Die Verträge der Vertragssoldaten laufen erst mit dem Ende der Teilmobilmachung aus. Der Erlass enthält keine Angaben zur Anzahl der einzuberufenden Staatsbürger. [Anzumerken ist auch, dass der Punkt 7 des Erlasses nicht veröffentlicht wurde und dem 'Dienstgebrauch' dient. Sein Inhalt ist unbekannt. - Anm. der Staatendokumentation] Die Umsetzung der Mobilmachung obliegt den Regionen. Ausgenommen von der Mobilmachung sind gemäß dem Erlass ältere Personen, Personen, die wegen ihres Gesundheitszustands als untauglich eingestuft werden (RI 21.9.2022), außerdem Mitarbeiter im Banken- und Mobilfunksektor, IT-Bereich sowie Mitarbeiter von Massenmedien (Kommersant 23.9.2022). Ein Einberufungsaufschub gilt für Staatsbürger, welche im Verteidigungsindustriesektor arbeiten (RI 21.9.2022). Folgende Personengruppen sind ebenfalls von der Mobilmachung ausgenommen: pflegende Angehörige; Betreuer von Personen mit Behinderungen; kinderreiche Familien; Personen, deren Mütter alleinerziehend sind und mindestens vier Kinder unter acht Jahren haben; Veteranen im Ruhestand, welche nicht mehr im Militärregister aufscheinen; sowie Personen, welche nicht in Russland leben und nicht im Militärregister aufscheinen (Meduza 22.9.2022). Der Kreml räumte Fehler bei der Umsetzung der Teilmobilmachung ein. So wurden Personen einberufen, welche eigentlich von der Mobilmachung ausgenommen sind, beispielsweise Krebskranke (Kommersant 26.9.2022). Die Teilmobilmachung führte in Russland zu Protesten, Festnahmen (OWD-Info o.D.a; vgl. Standard 22.9.2022) sowie zu einer Ausreisebewegung (WP 28.9.2022). Es wird berichtet, dass seit Verkündung der Teilmobilmachung Hunderttausende Männer Russland verließen (DW 6.10.2022). Manche Personen, welche während der Mobilisierung die Flucht versuchten, trafen an der Grenze auf Sicherheitspersonal, welches ihnen Einberufungsbefehle ausgehändigt hat (FH 2023). Bürger, welche im Militärregister aufscheinen, dürfen ab Verkündung einer Mobilmachung ihren Wohnort nur mit behördlicher Erlaubnis verlassen (§ 21 des Gesetzes 'Über die Mobilisierungsvorbereitung und die Mobilisierung') (RF 4.11.2022). Seit Kriegsbeginn bieten NGOs juristische Beratung für Grundwehrdiener und Soldaten an (ÖB 30.6.2022).

Am 28.10.2022 vermeldete der Verteidigungsminister an Präsident Putin den Abschluss der oben beschriebenen Teilmobilmachung (Tass 28.10.2022). Am 31.10.2022 bestätigte Putin mündlich das Ende der Teilmobilmachung (Kreml 31.10.2022). Gemäß einer schriftlichen Mitteilung der russischen Präsidialverwaltung vom Jänner 2023 ist der präsidentielle Erlass zur Einleitung der Teilmobilmachung (21.9.2022) nach wie vor in Kraft (ISW 20.1.2023; vgl. ÖB 25.1.2023). Im Rahmen der Teilmobilmachung wurden nach offiziellen Angaben 300.000 Reservisten einberufen (RG 21.9.2022). Als Reservist gilt jede männliche und weibliche Person, die ein Militärbuch besitzt (ÖB 19.10.2022). Prinzipiell erhalten alle Personen, welche den Wehrdienst abgeleistet haben, ein Militärbuch. Es häufen sich aber Aussagen, dass immer mehr Männer, die nie gedient haben, mit Vollendung des 25. Lebensjahres ein Militärbuch erhalten. Dieses besagt dann jedoch, dass sie nie dienten und daher auch nicht zur Reserve zählen (ÖB 25.1.2023). Ethnische Minderheiten aus ärmeren Regionen waren überproportional von der Mobilisierungswelle betroffen (Standard 28.9.2022; vgl. ISW 17.10.2022). Derzeit wird vom Kreml eine verdeckte Mobilisierung durchgeführt. Dies bedeutet, es werden beispielsweise finanzielle Anreize geschaffen und auch Zwangsmaßnahmen gesetzt, um Menschen für den Militärdienst zu gewinnen (ISW 8.6.2023).

Zu den Kämpfern in der Ukraine zählt die russische Wagner-Gruppe (RBK 13.6.2023; vgl. DW 26.6.2023). Private Militärfirmen wie 'Wagner' sind formal illegal (SWP 7.12.2022) [Informationen zum Wagner-Aufstand vom 24.6.2023 finden sich im Kapitel Sicherheitslage.]. Zur Unterstützung Russlands wurden auch syrische Söldner für den Kampf in der Ukraine rekrutiert (Rat der EU 22.7.2022). Russland begeht im Krieg gegen die Ukraine schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung (UN-OHCHR 16.3.2023; vgl. HRW 21.4.2022) [siehe dazu auch das Kapitel Politische Lage].

Tschetschenien

Tschetschenische Gruppierungen kämpfen in der Ukraine seit Beginn des Kriegs im Februar 2022 (EUAA 16.12.2022a). Die von Präsident Putin am 21.9.2022 verkündete Teilmobilmachung (RI 21.9.2022) wurde in Tschetschenien nicht durchgeführt. Das tschetschenische Republiksoberhaupt, Ramsan Kadyrow, begründete dies damit, dass Tschetschenien bereits überproportional viele Kämpfer in die Ukraine entsandt hatte und somit die Quote übererfüllt war (KU 23.9.2022). In Tschetschenien wurden Freiwilligenbataillone gebildet (EUAA 16.12.2022a). Nach wie vor entsendet Tschetschenien Gruppen Freiwilliger als Kämpfer in den Ukraine-Krieg (KU 20.6.2023). Der rechtliche Status der Freiwilligen ist unklar. Ab Juni 2022 wurden Freiwillige mittels kurzfristiger Verträge an Militäreinheiten angegliedert, an private Militärunternehmen wie Wagner oder an die Nationalgarde. Am 26.6.2022 verkündete Kadyrow die Gründung von vier tschetschenischen (an das Verteidigungsministerium angegliederten) Freiwilligenbataillonen mit den Bezeichnungen Süd-Achmat, Nord-Achmat, West-Achmat sowie Ost-Achmat. Wegen des Personalmangels stammen Mitglieder dieser Einheiten hauptsächlich aus tschetschenischen Polizeieinheiten und der Nationalgarde. Zur selben Zeit begann Kadyrow mit Rekrutierungen im Kreis der tschetschenischen Sicherheitskräfte (EUAA 16.12.2022a). Am 11.6.2023 verkündete Kadyrow die Gründung von zwei tschetschenischen Regimentern des Verteidigungsministeriums: 'Achmat-Russland' und 'Achmat-Tschetschenien' (KU 20.6.2023). Zu den Kämpfern in der Ukraine zählen auch die sogenannten Kadyrowzy. Diese stellen eine Art Privatarmee des tschetschenischen Machthabers Kadyrow dar. Formal sind die Kadyrowzy der Nationalgarde unterstellt (SWP 7.12.2022). [zu den Kadyrowzy siehe auch das Kapitel Sicherheitsbehörden]

Nach Aussage von Republikoberhaupt Kadyrow sind alle in der Ukraine kämpfenden Tschetschenen, darunter auch die Sicherheitskräfte, Freiwillige (KU 1.1.2023). Tatsächlich finden in Tschetschenien Rekrutierungen von Kämpfern in einer allgemeinen Atmosphäre des Zwanges und unter Verletzung von Menschenrechtsstandards statt. In vielen Fällen erfolgen Zwangsrekrutierungen (EUAA 16.12.2022a; vgl. KR 8.6.2023, ISW 10.6.2023), wobei Methoden wie Drohungen und Entführungen angewandt werden (EUAA 16.12.2022a). Behörden in Tschetschenien betreiben eine aggressive Anwerbungskampagne, um Einheimische als 'freiwillige' Kämpfer für die Ukraine zu gewinnen (RFE/RL 10.11.2022; vgl. ÖB 25.1.2023). Kadyrow drohte Kampfunwilligen mit der 'Hölle' (KU 17.7.2022) und ordnete die Streichung von Sozialleistungen für Familien von Kriegsdienstverweigerern an (KU 25.8.2022). In Tschetschenien gibt es keine NGOs, welche eingezogene Personen unterstützen (EUAA 16.12.2022a).

Quellen:

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Wehrersatzdienst

Letzte Änderung 2023-06-29 10:01

Das Recht auf einen zivilen Ersatzdienst (Zivildienst) aus Gewissens-, religiösen oder anderen Gründen wird durch Artikel 59 der Verfassung garantiert (Duma 6.10.2022). Eine gesetzliche Grundlage stellt das föderale Gesetz 'Über den alternativen Zivildienst' dar (RF 13.6.2023a). Ein alternativer Zivildienst kann abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die persönliche (politische, pazifistische) Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person spricht, oder falls diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditionelle Lebensweise dem Wehrdienst widerspricht (ÖB 30.6.2022). Die Zivildienstzeit beträgt 18 Monate als ziviles Personal bei den russischen Streitkräften bzw. 21 Monate in anderen staatlichen Einrichtungen, wie beispielsweise Kliniken oder Feuerwehr (ÖB 30.6.2022; vgl. AA 28.9.2022, RF 13.6.2023a). Jährlich wird eine Liste an Tätigkeiten, Berufen und Organisationen erstellt, in welchen die Ableistung eines alternativen Zivildiensts möglich ist (FAAB o.D.).

Anträge auf Ableistung des alternativen Zivildiensts sind beim Militärkommissariat spätestens sechs Monate vor den jährlichen Einberufungsterminen zu stellen und müssen eine Begründung enthalten (§ 11 des Gesetzes 'Über den alternativen Zivildienst'). Die Anträge werden laut § 10 von der Einberufungskommission geprüft (RF 13.6.2023a). Wer bereits den Wehrdienst ableistet, darf keinen Antrag mehr auf Ableistung eines Wehrersatzdienstes stellen. Jährlich werden in etwa 2.000 Anträge auf Wehrersatzdienst gestellt, wovon geschätzt die Hälfte positiv beschieden wird (EUAA 16.12.2022a). Zeugen Jehovas sind von Verletzungen des Rechts auf Wehrdienstverweigerung betroffen (EBCO 12.5.2023; vgl. WHJW 21.3.2022). Lehnt die Einberufungskommission den Antrag einer Person auf Ableistung des Zivildiensts ab, kann diese Entscheidung gerichtlich angefochten werden (§ 15 des Gesetzes 'Über den alternativen Zivildienst') (RF 13.6.2023a). Mit Stand Februar 2023 absolvierten laut Angaben des Föderalen Amts für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) 1.140 russische Staatsbürger einen alternativen Zivildienst. In Tschetschenien und Dagestan absolvierte gemäß dieser Statistik niemand den alternativen Zivildienst (FAAB 1.2.2023). Die Verweigerung der Ableistung des Zivildiensts zieht gemäß § 328 des Strafgesetzbuches folgende Strafen nach sich: Geldstrafen von bis zu RUB 80.000 [ca. EUR 868] oder in der Höhe von bis zu sechs Monatseinkommen, bis zu 480 Stunden Pflichtarbeiten oder Arrest von bis zu sechs Monaten (RF 28.4.2023).

Bei Verkündung einer Mobilmachung ist die Fortsetzung des zivilen Ersatzdienstes in Einrichtungen der russischen Streitkräfte sowie in anderen militärischen Einrichtungen gestattet. Staatsbürger, welche zu Zeiten einer Mobilmachung den zivilen Ersatzdienst in nichtmilitärischen Einrichtungen absolvieren, können als ziviles Personal in Einrichtungen der russischen Streitkräfte sowie in anderen militärischen Einrichtungen zum Einsatz kommen (§ 17.1 des Gesetzes 'Über die Mobilisierungsvorbereitung und die Mobilisierung') (RF 4.11.2022). Die Militärkommissariate und Gerichte lehnen Anträge von Personen, die für einen Einsatz in der Ukraine eingezogen worden waren und stattdessen Zivildienst leisten wollten, routinemäßig ab (AI 28.3.2023; vgl. EUAA 16.12.2022a). Zur Begründung heißt es, dass es keine spezifischen gesetzlichen Regelungen bezüglich des Zivildiensts in Zeiten einer Teilmobilmachung gibt (AI 28.3.2023).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

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EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022a): The Russian Federation - Military service, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Russia_Military_Service.pdf, Zugriff 16.5.2023

FAAB – Föderales Amt für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) [Russland] (1.2.2023): Численность граждан, проходящих альтернативную гражданскую службу (по состоянию на 01.02.2023г.) [Anzahl von Bürgern, die alternativen Zivildienst leisten], https://rostrud.gov.ru/upload/iblock/c5f/chislennost-na-01.02.2023-g.doc, Zugriff 26.6.2023

FAAB – Föderales Amt für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) [Russland] (o.D.): Альтернативная гражданская служба [Alternativer Zivildienst], https://rostrud.gov.ru/rostrud/deyatelnost/?CAT_ID=4580, Zugriff 26.6.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (13.6.2023a): Федеральный закон "Об альтернативной гражданской службе" от 25.07.2002 N 113-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über den alternativen Zivildienst' vom 25.07.2002 N 113-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_37866/, Zugriff 26.6.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.4.2023): "Уголовный кодекс Российской Федерации" от 13.06.1996 N 63-ФЗ (ред. от 28.04.2023) ['Strafgesetzbuch der Russischen Föderation' vom 13.06.1996 N 63-ФЗ (idF vom 28.4.2023)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/, Zugriff 16.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (4.11.2022): Федеральный закон "О мобилизационной подготовке и мобилизации в Российской Федерации" от 26.02.1997 N 31-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Mobilisierungsvorbereitung und die Mobilisierung in der Russischen Föderation' vom 26.02.1997 N 31-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_13454/, Zugriff 5.6.2023

WHJW – World Headquarters of Jehovah’s Witnesses / Office of Public Information (21.3.2022): INFORMATION ON CONSCIENTIOUS OBJECTION TO MILITARY SERVICE INVOLVING JEHOVAH’S WITNESSES - CONTRIBUTION FOR THE OHCHR QUADRENNIAL ANALYTICAL REPORT ON CONSCIENTIOUS OBJECTION TO MILITARY SERVICE, https://www.ohchr.org/sites/default/files/2022-05/OPIJW-HRC50.pdf, Zugriff 26.6.2023

Desertion, Wehrdienstverweigerung

Letzte Änderung 2023-06-29 10:04

Desertion

Gemäß § 338 StGB (Strafgesetzbuch) bedeutet Desertion das eigenmächtige Verlassen der Militäreinheit oder des Dienstorts mit dem Ziel, dem Wehrdienst zu entgehen. Desertion wird laut § 338 mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren geahndet. Ersttäter können sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn die Desertion Folge schwieriger Umstände war. Desertion mit einer Waffe sowie Desertion in einer Personengruppe werden mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren geahndet. Desertion während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen zieht eine Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahren nach sich (RF 28.4.2023). In Bezug auf den Ukraine-Krieg vermeidet Russland den Begriff Krieg und spricht stattdessen von einer 'militärischen Spezialoperation' (RFE/RL 22.8.2022; vgl. Tass 21.6.2023). Je länger eine Desertion zurückliegt, desto unwahrscheinlicher scheint eine Bestrafung. Deserteure während des Zweiten Weltkriegs, welche sich zwischen 1962 und 1995 stellten, gingen in bestimmten Fällen straffrei aus. Hingegen wurden beispielsweise Soldaten, die 1995 bzw. 2008 desertierten, später von Gerichten gemäß § 338 StGB zu Haftstrafen von zwei bzw. drei Jahren verurteilt. Um als Desertion im Sinne des Strafgesetzbuches gelten zu können, ist Vorsatz erforderlich. Begangen werden kann das Delikt der Desertion von Wehrdienstleistenden, Zeitsoldaten sowie von Reservisten. Reservisten können von Militärkommissariaten zu militärischen Übungen einberufen werden. Die bloße Ausreise eines Reservisten ohne Einberufungsbefehl stellt keine Desertion im Sinne des § 338 StGB dar (ÖB 17.3.2022). dass Laut dem föderalen Gesetz 'Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation' (§ 15) kann das Ausreiserecht russischer Staatsbürger vorübergehend eingeschränkt werden, falls sie zum Wehr- oder Zivildienst einberufen wurden (bis zur Beendigung des Wehr- oder Zivildienstes) (RF 14.4.2023).

Bei einberufenen Reservisten ist Folgendes zu unterscheiden: Haben einberufene Reservisten an einer militärischen Übung noch nicht teilgenommen und erscheinen sie (ohne gerechtfertigten Grund) nicht zur Übung, so liegt keine Desertion vor, sondern eine Verwaltungsübertretung. Haben hingegen einberufene Reservisten an der militärischen Übung bereits teilgenommen und erscheinen sie nicht zum weiteren Dienst mit dem Vorsatz, sich auf Dauer dem Militär zu entziehen, liegt Desertion gemäß § 338 StGB vor (ÖB 17.3.2022).

Wehrdienstverweigerung

Die Verweigerung der Einberufung zum Wehrdienst zieht folgende Strafen nach sich (§ 328 StGB): Geldstrafen von bis zu RUB 200.000 [ca. EUR 2.171] oder in der Höhe von bis zu 18 Monatseinkommen, Zwangsarbeit von bis zu zwei Jahren, Arrest von bis zu sechs Monaten oder Freiheitsentzug von bis zu zwei Jahren. § 337 StGB sieht unter anderem Folgendes vor: Wehrpflichtige oder Vertragssoldaten, welche während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen die militärische Einheit oder den Dienstort eigenmächtig verlassen und für eine Dauer von mehr als zwei Tagen bis max. zehn Tagen ungerechtfertigt nicht zum Dienst erscheinen, werden mit Freiheitsentzug von bis zu fünf Jahren bestraft. Wehrpflichtige oder Vertragssoldaten, welche während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen die militärische Einheit oder den Dienstort eigenmächtig verlassen und für eine Dauer von mehr als einem Monat ungerechtfertigt nicht zum Dienst erscheinen, werden mit Freiheitsentzug von fünf bis zehn Jahren bestraft. Ersttäter können sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn die Tat Folge schwieriger Umstände war. Reservisten sind während Militärübungen strafrechtlich für Taten gemäß diesem Paragrafen (§ 337) verantwortlich (RF 28.4.2023).

Wer während des Kriegsrechts, zu Kriegszeiten, im Rahmen von Kampfhandlungen oder bewaffneten Konflikten den Befehl eines Vorgesetzten nicht befolgt und die Teilnahme an Kriegs- oder Kampfhandlungen verweigert, wird mit Freiheitsentzug von zwei bis drei Jahren bestraft (§ 332 StGB). Wenn diese Taten mit schwerwiegenden Folgen verbunden waren, zieht dies eine Freiheitsstrafe von drei bis zehn Jahren nach sich. Gemäß § 339 StGB wird die Verweigerung des Wehrdiensts durch Betrug (Vortäuschung einer Krankheit, Selbstverletzung, Selbstverstümmelung, Fälschung von Dokumenten usw.) folgendermaßen geahndet: Wehrdienstbeschränkung von bis zu einem Jahr, Arrest von bis zu sechs Monaten oder Disziplinarhaft (Inhaftierung in einer militärischen Disziplinareinheit) von bis zu einem Jahr. Dieselbe Tat (mit dem Ziel, sich gänzlich den militärischen Pflichten zu entziehen) zieht eine Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren nach sich. Taten gemäß § 339 StGB, die während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen begangen wurden, ziehen eine Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren nach sich. Gemäß § 51 des Strafgesetzbuches bedeutet Wehrdienstbeschränkung eine verminderte Besoldung sowie das Aussetzen dienstlicher Beförderungen (RF 28.4.2023). Neu eingeführt wurde ins Strafgesetzbuch am 24.9.2022 ein Paragraf mit dem Titel 'Sich freiwillig in Kriegsgefangenschaft begeben' (RG 24.9.2022). Gemäß diesem § 352.1 wird eine solche Tat mit Freiheitsentzug von drei bis zehn Jahren bestraft. Ersttäter können sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn sie Maßnahmen für ihre Befreiung ergriffen haben, zu ihrer Truppe oder Dienstort zurückgekehrt sind und wenn sie während der Kriegsgefangenschaft nicht andere Straftaten begangen haben (RF 28.4.2023).

Internationale und unabhängige russische Medien berichten über viele Fälle von Vertragssoldaten, welche die Entsendung in die Ukraine verweigern oder die Ukraine verlassen haben, um zu ihren Militäreinheiten in Russland zurückzukehren (EUAA 16.12.2022a). In einigen Fällen desertieren Mobilgemachte während des Kampfeinsatzes in der Ukraine (ÖB 25.1.2023). Die genaue Anzahl von Soldaten, welche den Kampf in der Ukraine verweigern, ist unklar (Connection 2.10.2022). Die Regierung veröffentlicht keine Zahlen (AA 28.9.2022). Seit Beginn der Teilmobilmachung in Russland im September 2022 gab es mehr als 1.000 Anklagen wegen Fahnenflucht, unerlaubter Entfernung von der Truppe oder Befehlsverweigerung (Länder-Analysen o.D.). Die meisten Rekruten werden zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und können so nach kurzer Zeit wieder an die Front versetzt werden (Länder-Analysen o.D.; vgl. MOD 24.5.2023).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

Connection e.V. / Rudi Friedrich (2.10.2022): Flucht vor der Beteiligung am Krieg – Zahlen zu Russland, Belarus und Ukraine, https://de.connection-ev.org/article-3608, Zugriff 26.6.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022a): The Russian Federation - Military service, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Russia_Military_Service.pdf, Zugriff 16.5.2023

Länder-Analysen (o.D.): Chronik: Russland 24.2.2022-19.06.2023 - Chronikeintrag vom 27.4.2023, https://www.laender-analysen.de/chronik/?c=russland d1=2022-02-24 d2=2023-06-19 t= l=3000 x=0, Zugriff 26.6.2023

MOD – Ministry of Defence [Vereinigtes Königreich] (24.5.2023): Defence Intelligence Update on Ukraine, https://twitter.com/DefenceHQ/status/1661249400281202688/photo/1, Zugriff 26.6.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (25.1.2023): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (17.3.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

RF – Russische Föderation [Russland] (13.6.2023): Федеральный закон "О воинской обязанности и военной службе" от 28.03.1998 N 53-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst' vom 28.03.1998 N 53-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_18260/, Zugriff 26.6.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (17.5.2023): "Кодекс Российской Федерации об административных правонарушениях" от 30.12.2001 N 195-ФЗ (ред. от 28.04.2023, с изм. от 17.05.2023) ['Kodex der Russischen Föderation über Verwaltungsübertretungen' vom 30.12.2001 N 195-ФЗ (idF vom 28.04.2023)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_34661/, Zugriff 24.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.4.2023): "Уголовный кодекс Российской Федерации" от 13.06.1996 N 63-ФЗ (ред. от 28.04.2023) ['Strafgesetzbuch der Russischen Föderation' vom 13.06.1996 N 63-ФЗ (idF vom 28.4.2023)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/, Zugriff 16.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (14.4.2023): Федеральный закон "О порядке выезда из Российской Федерации и въезда в Российскую Федерацию" от 15.08.1996 N 114-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz ’Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation' vom 15.08.1996 N 114-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_11376/, Zugriff 16.5.2023

RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (22.8.2022): Russia's Wording On Ukraine Invasion Limits Its Coercive Powers, Says British Intelligence, https://www.rferl.org/a/russia-recruiting-soldiers-ukraine-invasion/31999227.html, Zugriff 26.6.2023

RG – Rossijskaja Gaseta [Russland] (24.9.2022): Путин подписал пакет поправок в УК о военной службе [Putin unterzeichnete ein Paket an Änderungen des StGB zum Thema Militärdienst], https://rg.ru/2022/09/24/putin-podpisal-paket-popravok-v-uk-o-voennoj-sluzhbe.html, Zugriff 26.6.2023

Tass [Russland] (21.6.2023): Шойгу посоветовал выпускникам военных вузов смело внедрять в боевую подготовку опыт СВО [Schojgu riet Militärhochschulabsolventen, mutig die Erfahrung der militärischen Spezialoperation in die Kampfvorbereitung miteinzubeziehen], https://tass.ru/armiya-i-opk/18079369, Zugriff 26.6.2023

Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Letzte Änderung 2023-07-04 14:51

Gemäß Artikel 27 der Verfassung der Russischen Föderation haben alle Personen, welche sich rechtmäßig auf dem Territorium der Russischen Föderation aufhalten, das Recht auf Bewegungsfreiheit sowie Wahl des Aufenthalts- und Wohnorts. Alle Personen sind laut der Verfassung berechtigt, aus der Russischen Föderation auszureisen. Bürger der Russischen Föderation haben das Recht, ungehindert in die Russische Föderation zurückzukehren. Gemäß Artikel 61 der Verfassung dürfen Bürger der Russischen Föderation nicht aus der Russischen Föderation ausgewiesen werden (Duma 6.10.2022). Gemäß § 1 des Gesetzes 'Über das Recht der Bürger auf Bewegungsfreiheit' sind Einschränkungen des Rechts auf Bewegungsfreiheit, Wahl des Wohn- und Aufenthaltsorts nur auf gesetzlicher Grundlage möglich. Gemäß § 8 kann dieses Recht unter anderem dann eingeschränkt werden, wenn in den betreffenden Regionen der Ausnahmezustand oder das Kriegsrecht herrscht. Entscheidungen in Bezug auf Bewegungsfreiheit, Wahl des Wohn- und Aufenthaltsortes können von den Bürgern gerichtlich angefochten werden (§ 9) (RF 27.1.2023).

Gemäß § 15 des Gesetzes ’Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation' darf das Recht der Staatsbürger auf Ausreise aus der Russischen Föderation vorübergehend beschränkt werden. Von solchen Beschränkungen sind Personen betroffen, die zum Wehrdienst einberufen oder zum Wehrersatzdienst entsandt wurden (bis zur Beendigung des Wehrdiensts oder Wehrersatzdiensts); Personen, die einer Straftat verdächtigt werden oder unter Anklage stehen; Personen, die wegen Begehung einer Straftat verurteilt wurden (bis die Strafe verbüßt oder eine Strafbefreiung eingetreten ist); Personen, die gegen gerichtlich auferlegte Verpflichtungen verstoßen; Mitarbeiter des Föderalen Sicherheitsdiensts (FSB); sowie Personen, die zahlungsunfähig bzw. insolvent sind (RF 14.4.2023). Bürger, welche im Militärregister aufscheinen, dürfen ab Verkündung einer Mobilmachung ihren Wohnort nur mit behördlicher Erlaubnis verlassen (§ 21 des Gesetzes 'Über die Mobilisierungsvorbereitung und die Mobilisierung') (RF 4.11.2022). Die Regierung beschränkt Auslandsreisen ihrer Mitarbeiter, darunter Generalstaatsanwaltschaft, Innen- und Verteidigungsministerium usw. (USDOS 20.3.2023; vgl. Bell 7.4.2023). Die Grenz- und Zollkontrollen eigener Staatsangehöriger durch russische Behörden entsprechen in der Regel internationalem Standard (AA 28.9.2022). Im Zuge von Grenzkontrollen kommt es zu Befragungen Ausreisender durch Grenzkontrollorgane (ÖB 4.4.2022). Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen (AA 28.9.2022).

Auf Grundlage eines EU-Ratsbeschlusses ist seit 12.9.2022 das Visaerleichterungsabkommen zwischen der EU und Russland vollständig ausgesetzt. Dies bedeutet nun unter anderem höhere Gebühren für einen Visumsantrag, Vorlage zusätzlicher Dokumente und längere Bearbeitungszeiten für Visa (Rat 12.5.2023). Auch die USA verhängten Visabeschränkungen, diese gelten für ca. 900 russische Amtsträger, darunter Mitglieder des Föderationsrats und des russischen Militärs (USDOS 2.8.2022). Weitere Länder (die baltischen Staaten, Tschechien, Niederlande) haben die Visavergabe an russische Staatsbürger eingeschränkt (DW 22.8.2022).

Meldewesen

Die Bürger der Russischen Föderation sind verpflichtet, ihren Aufenthalts- und Wohnort innerhalb des Landes registrieren zu lassen. Die Registrierung ist kostenlos (§ 3) (RF 27.1.2023). Die örtlichen Stellen des Innenministeriums sind gemäß § 4 die Meldebehörden (RF 27.1.2023; vgl. AA 28.9.2022). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses. Wer über Immobilienbesitz verfügt, bleibt dort ständig registriert, mit Eintragung im Inlandspass. Mieter benötigen eine Bescheinigung des Vermieters und werden damit vorläufig ohne Eintragung im Inlandspass registriert (AA 28.9.2022). Das staatliche Melderegister der Russischen Föderation ist nicht öffentlich zugänglich. Informationen werden natürlichen und nicht staatlichen juristischen Personen auf deren Anfrage nur bei Vorhandensein der Zustimmung derjenigen Person, deren Daten angefragt werden, erteilt; staatlichen Organen, soweit dies zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlich ist (ÖB 1.2.2023).

Die Registrierung des Aufenthaltsortes hat binnen 90 Tagen nach Wohnungsnahme zu erfolgen. Von der Registrierung des Aufenthaltsortes bleibt die Wohnsitzregistrierung unberührt. Aufenthalte bis zu einer Dauer von 90 Tagen bedürfen keiner Registrierung (§ 5 des Gesetzes 'Über das Recht der Bürger auf Bewegungsfreiheit'). Beispiele für Aufenthaltsorte sind Hotels, Sanatorien, Campingplätze, medizinische Einrichtungen, Haftanstalten usw. (§ 2) (RF 27.1.2023). Die Aufenthaltsregistrierung (temporäre Registrierung) wird durch eine Bescheinigung in elektronischer oder in Papierform bestätigt (Gosuslugi o.D.). Temporär registrierte Personen haben Zugang zu medizinischer Notfallversorgung (ÖB 30.6.2022).

Bürger, welche ihren Wohnort wechseln, haben binnen sieben Tagen nach Wohnungsnahme die Registrierung zu veranlassen. Dabei ist ein Pass oder ein anderes Identitätsdokument vorzulegen. Anträge können auch elektronisch eingebracht werden, beispielsweise über das Portal Gosuslugi. Die Meldebehörde hat spätestens drei Tage nach Antragstellung die Registrierung vorzunehmen (§ 6) (RF 27.1.2023). Die Wohnsitzregistrierung (Propiska) wird im Pass vermerkt. Kinder bis zu einem Alter von 14 Jahren erhalten eine Registrierungsbescheinigung (Gosuslugi o.D.). Eine permanente Registrierung ist Voraussetzung für stationäre medizinische Versorgung, Sozialhilfe, Arbeitslosengeld und Pensionszahlungen (ÖB 30.6.2022).

Kaukasus

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich in andere Teile Russlands reisen (AA 28.9.2022). Einige regionale Behörden schränken die Wohnsitzregistrierung bei ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 2023).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

Bell, The (7.4.2023): Мишустин закрыл свободный выезд из страны высокопоставленным чиновникам правительства. В Кремле таких ограничений нет [Mischustin schob freier Ausreise aus dem Land den Riegel vor - davon betroffen hohe Regierungsbeamte. Im Kreml gibt es solche Einschränkungen nicht], https://thebell.global.ssl.fastly.net/mishustin-zakryl-svobodnyy-vyezd-iz-strany-vysokopostavlennym-chinovnikam-pravitelstva-v-kremle-takikh-ogranicheniy-net, Zugriff 5.6.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

DW – Deutsche Welle (22.8.2022): Folgen des Ukraine-Kriegs: Keine EU-Visa mehr für russische Touristen?, https://www.dw.com/de/keine-eu-visa-mehr-f%C3%BCr-russische-touristen/a-62890546, Zugriff 5.6.2023

FH – Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088552.html, Zugriff 16.5.2023

Gosuslugi [Staatliche Dienstleistungen] [Russland] (o.D.): Как оформить прописку и временную регистрацию [Wie eine Propiska und eine temporäre Registrierung vorgenommen wird], https://www.gosuslugi.ru/help/faq/temporary_registration/2637, Zugriff 5.6.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (1.2.2023): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (4.4.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

Rat – Europäischer Rat (12.5.2023): Russische Invasion in die Ukraine: Reaktion der EU, https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-response-ukraine-invasion/, Zugriff 30.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (14.4.2023): Федеральный закон "О порядке выезда из Российской Федерации и въезда в Российскую Федерацию" от 15.08.1996 N 114-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz ’Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation' vom 15.08.1996 N 114-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_11376/, Zugriff 16.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (27.1.2023): Закон РФ "О праве граждан Российской Федерации на свободу передвижения, выбор места пребывания и жительства в пределах Российской Федерации" от 25.06.1993 N 5242-1 (последняя редакция) [Gesetz der RF 'Über das Recht der Bürger der Russischen Föderation auf Bewegungsfreiheit, Wahl des Aufenthalts- und Wohnorts innerhalb der Russischen Föderation' vom 25.06.1993 N 5242-1 (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_2255/, Zugriff 5.6.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (4.11.2022): Федеральный закон "О мобилизационной подготовке и мобилизации в Российской Федерации" от 26.02.1997 N 31-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Mobilisierungsvorbereitung und die Mobilisierung in der Russischen Föderation' vom 26.02.1997 N 31-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_13454/, Zugriff 5.6.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (2.8.2022): Imposing Additional Costs on Russia for Its Continued War Against Ukraine, https://www.state.gov/imposing-additional-costs-on-russia-for-its-continued-war-against-ukraine/, Zugriff 5.6.2023

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung 2023-07-04 15:41

Wirtschaft

Als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die EU mehrere Sanktionspakete angenommen, um die wirtschaftliche Basis Russlands zu schwächen. Der Zugang Russlands zu den Kapital- und Finanzmärkten der EU wurde beschränkt. Für alle russischen Flugzeuge ist der Luftraum der EU geschlossen. Ebenso sind EU-Häfen für alle russischen Schiffe geschlossen. Transaktionen mit der russischen Zentralbank sind verboten. Mehrere russische Banken wurden aus dem SWIFT-System ausgeschlossen. Neue Investitionen in den russischen Energiesektor wurden verboten. Es gilt ein Einfuhrverbot für Eisen und Stahl aus Russland in die EU sowie ein Einfuhrverbot für Kohle, Holz, Zement, Gold, Rohöl, raffinierte Erdölerzeugnisse usw. (Rat 12.5.2023). Sanktionen gegen Russland verhängten außerdem die USA, Kanada, das Vereinigte Königreich, Japan, die Schweiz und die restliche westliche Welt (WKO 3.2023). Der Krieg und die Sanktionen wirken sich auf Wirtschaftssektoren in Russland unterschiedlich aus. In Mitleidenschaft gezogen wurden der Industriesektor sowie der Binnenhandel. Hingegen zählt die Militärproduktion zu den Profiteuren der Sanktionen. Die Energiesanktionen ließen die Staatseinnahmen beträchtlich schrumpfen (WIIW o.D.). Die Wirtschaftssanktionen des Westens haben zu einem Braindrain und einer Kapitalflucht geführt (HF o.D.). Die Isolation Russlands zwingt verstärkt zu einer Eigenproduktion kritischer Waren, darunter Medikamente, Anlagen und Computertechnik (WKO 3.2023). Eine Einschätzung der wirtschaftlichen Situation in Russland ist derzeit schwierig (NDR/Tagesschau 2.8.2022; vgl. Watson 3.2.2023).

Gemäß vorläufigen Daten des Föderalen Amts für Staatliche Statistik (Rosstat) ist das Bruttoinlandsprodukt im 1. Quartal 2023 gegenüber dem Vorjahr um 1,9 % gesunken (Interfax 17.5.2023). Die Inflation betrug im April 2023 nach Angaben von Rosstat 0,38 % (Interfax 12.5.2023). Um den starken Verfall des Rubels aufzuhalten, führte die Regierung strenge Devisenbeschränkungen sowie weitere einschränkende Maßnahmen zur Stabilisierung der russischen Währung und der Wirtschaft ein (WKO 3.2023). Die öffentliche Verschuldung betrug im Jahr 2022 14,9 % des Bruttoinlandsprodukts (WIIW o.D.).

Korruption ist weitverbreitet (BS 2022; vgl. HF o.D.). Eine Herausforderung für den Staat stellt die Schattenwirtschaft dar (BS 2022). Innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte ist Russland vom Importeur zum größten Weizenexporteur der Welt aufgestiegen (ZOIS 9.3.2023). Die Wirtschaft ist wenig diversifiziert (BS 2022) und stark von Öl- und Gasexporten abhängig (HF o.D.). Russland gehört historisch zu den größten Erdölproduzenten weltweit. Exporte von Öl und Gas haben traditionell mehr als zwei Drittel der russischen Ausfuhren ausgemacht. Es gelten Exportbeschränkungen für Holzwaren (WKO 3.2023). Um die sinkenden Exporte in die Europäische Union auszugleichen, handelt Russland verstärkt mit China, Indien und der Türkei (FT 19.8.2022).

Grundversorgung

Nach Angaben von Rosstat betrug im Jahr 2022 der Anteil der russischen Bevölkerung mit Einkommen unter der Armutsgrenze 10,5 %, das heißt 15,3 Millionen Personen (Rosstat 10.3.2023). Seit 2021 wird die Armutsgrenze neu berechnet. Die neue Berechnungsmethode wird als willkürliche Verschleierung der wahren Zustände kritisiert (AA 28.9.2022). Als besonders armutsgefährdet gelten Familien mit Kindern (vor allem Großfamilien), Alleinerziehende, Pensionisten und Menschen mit Beeinträchtigungen. Weiters gibt es regionale Unterschiede. In den wirtschaftlichen Zentren Moskau und St. Petersburg ist die Armutsquote halb so hoch wie im Landesdurchschnitt. Prinzipiell ist die Armutsgefährdung auf dem Land höher als in den Städten (Russland-Analysen 21.2.2020a). Die Wirkung von Regierungsprogrammen, die sich dem Kampf gegen Armut im ländlichen Raum widmen, ist begrenzt. In den größeren Städten Russlands ist eine beträchtliche Anzahl von Menschen obdachlos (BS 2022).

Gemäß der Weltbank hatten im Jahr 2020 (aktuellste verfügbare Daten) 76 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu sicher verwalteten Trinkwasserdiensten (WB o.D.a). Im Jahr 2021 wurden mehr als 450 Trinkwasserversorgungseinrichtungen und Wasseraufbereitungsanlagen errichtet und modernisiert. Dadurch erhöhte sich der Anteil derjenigen Bürger, welche mit hochwertigem Trinkwasser versorgt werden, auf 86 % (NPR o.D.a). Im Welthunger-Index 2022 belegt die Russische Föderation Platz 28 von 121 Ländern. Mit einem Wert von 6,4 fällt die Russische Föderation somit in die Schweregradkategorie niedrig. Weniger als 2,5 % der Bevölkerung sind gemäß dem Welthunger-Index unterernährt (WHI o.D.). Laut der Weltbank hatten im Jahr 2020 (aktuellste verfügbare Daten) 89 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu einer (zumindest) Basisversorgung im Bereich Hygiene (WB o.D.b). Ein Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Bezahlbare Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für Teile der Bevölkerung unerschwinglich (AA 28.9.2022). Mietkosten variieren je nach Region (IOM 12.2022).

Russische Staatsbürger haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 12.2022). Der Mindestlohn darf das Existenzminimum nicht unterschreiten (RN 16.1.2023). Das Existenzminimum wird per Verordnung bestimmt (AA 28.9.2022). Im Jahr 2023 beträgt die Höhe des monatlichen Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung RUB 15.669 [ca. EUR 184], für Kinder RUB 13.944 [ca. EUR 164] und für Pensionisten RUB 12.363 [ca. EUR 145] (Rosstat 10.1.2023). Die Höhe des monatlichen Mindestlohns beträgt für das Jahr 2023 RUB 16.242 [ca. EUR 191] (Duma 1.1.2023) und kann in jeder Region durch regionale Abkommen individuell festgelegt werden. Jedoch darf die Höhe des regionalen Mindestlohns nicht niedriger als der national festgelegte Mindestlohn sein. In der Stadt Moskau beträgt der Mindestlohn RUB 23.508 [ca. EUR 276] (RN 16.1.2023). Die primäre Versorgungsquelle der russischen Bevölkerung bleibt ihr Einkommen (AA 28.9.2022). Nach staatlichen Angaben betrug die Arbeitslosenrate im März 2023 3,5 % (Rosstat o.D.a). Die Arbeitslosenrate ist von Region zu Region verschieden (IOM 12.2022). Die versteckte Arbeitslosigkeit ist schwer einzuschätzen. Schwer am Arbeitsmarkt haben es ältere Arbeitnehmer. Besonders schwierig bis prekär ist die Lage für viele Migranten, welche überwiegend gering qualifiziert sind. Sie verdienen oft (wenn überhaupt) nur den Mindestlohn (AA 28.9.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf, Zugriff 16.5.2023

Duma [Russland] (1.1.2023): Каким будет МРОТ в 2023 году [Mindestlohn im Jahr 2023], http://duma.gov.ru/news/56138/, Zugriff 30.5.2023

FT – Financial Times (19.8.2022): Russia’s economy is staggering, but still on its feet, https://www.ft.com/content/eebc166b-0ab3-4a69-b61c-62908ee984e5, Zugriff 30.5.2023

HF – Heritage Foundation, The (o.D.): 2023 Index of Economic Freedom: Russia, https://www.heritage.org/index/country/russia, Zugriff 30.5.2023

Interfax (17.5.2023): Росстат оценил снижение ВВП РФ за I квартал в 1,9% в годовом выражении [Rosstat schätzt, dass BIP der RF im 1. Quartal um 1,9 % im Jahresvergleich sank], https://www.interfax.ru/business/901935, Zugriff 30.5.2023

Interfax (12.5.2023): Инфляция в РФ в апреле составила 0,38%, годовая замедлилась до 2,3% [Inflation in RF betrug im April 0,38 %, die jährliche Inflation verlangsamte sich auf 2,3 %], https://www.interfax.ru/business/901264, Zugriff 30.5.2023

IOM – International Organization for Migration (12.2022): Russian Federation: Country Fact Sheet 2022, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2022_Russia_EN.pdf, Zugriff 16.5.2023

NDR/Tagesschau – Norddeutscher Rundfunk/Tagesschau (2.8.2022): Westliche Sanktionen und ihre Wirkung: Was über Russlands Wirtschaft bekannt ist, https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/russlands-wirtschaft-daten-101.html, Zugriff 30.5.2023

NPR – Nazionalnye proekty Rossii [Nationale Projekte Russlands] [Russland] (o.D.a): Проекты/Жилье и городская среда/Инициативы: Чистая вода [Projekte/Unterkünfte und Städte/Initiativen: sauberes Wasser], https://национальныепроекты.рф/projects/zhile-i-gorodskaya-sreda/chistaya_voda, Zugriff 30.5.2023

Rat – Europäischer Rat (12.5.2023): Russische Invasion in die Ukraine: Reaktion der EU, https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-response-ukraine-invasion/, Zugriff 30.5.2023

RN – RIA Nowosti [Russland] (16.1.2023): МРОТ в 2023 году: на сколько вырос, как рассчитывается и на что влияет [Mindestlohn im Jahr 2023: um wie viel er anstieg, wie er berechnet wird und was er beeinflusst], https://ria.ru/20220627/mrot-1798493712.html, Zugriff 30.5.2023

Rosstat [Föderales Amt für Staatliche Statistik] [Russland] (10.3.2023): Росстат представляет информацию о границе бедности в IV квартале 2022 года [Rosstat legt Information über Armutsgrenze im 4. Quartal 2022 vor], https://rosstat.gov.ru/folder/313/document/200416, Zugriff 30.5.2023

Rosstat [Föderales Amt für Staatliche Statistik] [Russland] (10.1.2023): Величина прожиточного минимума, установленная на 2023 год, в целом по Российской Федерации и по субъектам Российской Федерации [Höhe des für 2023 festgelegten Existenzminimums, insgesamt in Russland und in den Subjekten der Russischen Föderation], https://rosstat.gov.ru/storage/mediabank/Vpm_2023.doc, Zugriff 30.5.2023

Rosstat [Föderales Amt für Staatliche Statistik] [Russland] (o.D.a): Оперативные показатели [Operative Kennziffern], https://rosstat.gov.ru/, Zugriff 30.5.2023

Russland-Analysen (Nr. 382) / Martin Brand (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf, Zugriff 30.5.2023

Watson (3.2.2023): Wirken die Sanktionen gegen Russland – oder nicht?, https://www.watson.ch/international/analyse/461783405-viele-widersprueche-wirken-die-sanktionen-gegen-russland-oder-nicht, Zugriff 30.5.2023

WB – World Bank (o.D.a): People using safely managed drinking water services (% of population) - Russian Federation, https://data.worldbank.org/indicator/SH.H2O.SMDW.ZS?locations=RU, Zugriff 30.5.2023

WB – World Bank (o.D.b): People using at least basic sanitation services (% of population) - Russian Federation, https://data.worldbank.org/indicator/SH.STA.BASS.ZS?locations=RU, Zugriff 30.5.2023

WHI – Welthunger-Index (o.D.): Welthunger-Index 2022: Russische Föderation, https://www.globalhungerindex.org/de/russia.html, Zugriff 30.5.2023

WIIW – Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (o.D.): Russia – Overview, https://wiiw.ac.at/russia-overview-ce-10.html, Zugriff 30.5.2023

WKO – Wirtschaftskammer Österreich (3.2023): Wirtschaftsbericht Russische Föderation, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/russische-foederation-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 30.5.2023

ZOIS – Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien / Linde Götz (9.3.2023): Getreidehandel im Krieg (ZOiS Spotlight 5/2023), https://www.zois-berlin.de/publikationen/zois-spotlight/getreidehandel-im-krieg, Zugriff 30.5.2023

Nordkaukasus

Letzte Änderung 2023-07-04 15:41

Die sozialwirtschaftlichen Unterschiede zwischen russischen Regionen sind beträchtlich. Die ländliche Peripherie, darunter der Nordkaukasus, ist von Entwicklungsproblemen betroffen (BS 2022). Der Nordkaukasus weist eine hohe Armutsrate (KR 19.5.2023) und eine hohe Arbeitslosigkeit auf (KR 19.5.2023; vgl. ÖB 30.6.2022). In Regionen des Nordkaukasus muss jeder Fünfte mit weniger als dem Existenzminimum auskommen (Russland-Analysen 21.2.2020a). In vielen nordkaukasischen Regionen liegen Lohnniveaus und Lebensstandard weit unter dem Landesdurchschnitt (BS 2022). Der Nordkaukasus ist von einem hohen Niveau an informeller Beschäftigung von Arbeitnehmern gekennzeichnet (KU 29.3.2023a). Tschetschenien, Dagestan und andere nordkaukasische Gebiete gehören zu denjenigen Regionen Russlands, wo der Mittelschichtanteil unter der Bevölkerung am geringsten ist (Statista 7.2022). Im Jahr 2021 zählten Dagestan, Tschetschenien sowie andere nordkaukasische Regionen zu denjenigen russischen Regionen mit dem niedrigsten Bruttoregionalprodukt (Statista 3.2023).

Tschetschenien ist von großer Armut und Arbeitslosigkeit betroffen (BP 3.9.2021; vgl. AA 28.9.2022). Im Jahr 2021 lebten 19,9 % der Bevölkerung in Tschetschenien unter der Armutsgrenze (Rosstat 27.4.2022). Dank Zuschüssen aus dem russischen föderalen Budget haben sich die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung seit dem Ende des Tschetschenienkrieges deutlich verbessert (AA 28.9.2022). Tschetschenien ist von Moskau finanziell abhängig. Mehr als 80 % des Budgets stammen aus Zuwendungen (ORF 30.3.2022). Die Reallöhne der tschetschenischen Bevölkerung sind im Jahr 2021 um beinahe 5 % gesunken. Am besten bezahlt werden Beamte und Mitarbeiter im Finanzbereich (KR 29.8.2022). In Tschetschenien klafft die Einkommensschere weit auseinander (KU 10.5.2023). Im Jahr 2023 beträgt die Höhe des monatlichen Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung in Tschetschenien RUB 15.042 [ca. EUR 176], für Kinder RUB 13.386 [ca. EUR 157] und für Pensionisten RUB 11.868 [ca. EUR 139] (Rosstat 10.1.2023).

Dagestan zählt zu den von Armut betroffenen Regionen in Russland (Der Standard 21.5.2022). Im Jahr 2021 lebten 14,7 % der Bevölkerung in Dagestan unter der Armutsgrenze (Rosstat 27.4.2022). Es herrscht Unsicherheit bei der Lebensmittelversorgung (FPRI 15.6.2022). Die Preise für Lebensmittel steigen (KR 29.8.2022). In Dagestan ist die Trinkwasserqualität niedrig (KR 15.4.2023). Die Einkommensschere klafft weit auseinander (KU 10.5.2023). Im Jahr 2023 beträgt die Höhe des monatlichen Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung in Dagestan RUB 14.258 [ca. EUR 167], für Kinder RUB 13.066 [ca. EUR 153] und für Pensionisten RUB 11.250 [ca. EUR 132] (Rosstat 10.1.2023). Dagestan wird in beträchtlichem Ausmaß subventioniert (FPRI 15.6.2022; vgl. MT 13.7.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

BP – Borgen Project, The (3.9.2021): The Nature of Poverty in the North Caucasus, https://borgenproject.org/poverty-in-the-north-caucasus/, Zugriff 30.5.2023

BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf, Zugriff 16.5.2023

FPRI – Foreign Policy Research Institute (15.6.2022): The Shifting Political Hierarchy in the North Caucasus, https://www.fpri.org/article/2022/06/the-shifting-political-hierarchy-in-the-north-caucasus/, Zugriff 30.5.2023

KR – Kawkas.Realii (19.5.2023): Мертвые души и черные деньги: Северный Кавказ остается лидером по бедности [Tote Seelen und Schwarzgeld: Nordkaukasus bleibt Spitzenreiter in Bezug auf Armut], https://www.kavkazr.com/a/mertvye-dushi-i-chernye-denjgi-severnyy-kavkaz-ostaetsya-liderom-po-bednosti/32419049.html, Zugriff 30.5.2023

KR – Kawkas.Realii (15.4.2023): Дагестан занял последнее место в стране по качеству окружающей среды [Dagestan nahm landesweit letzten Platz bzgl. Umweltqualität ein], https://www.kavkazr.com/a/dagestan-zanyal-poslednee-mesto-v-strane-po-kachestvu-okruzhayuschey-sredy/32365202.html, Zugriff 30.5.2023

KR – Kawkas.Realii (29.8.2022): Республики Северного Кавказа – худшие в рейтинге по рынку труда [Die Republiken des Nordkaukasus - die schlechtesten im Arbeitsmarkt-Rating], https://www.kavkazr.com/a/respubliki-severnogo-kavkaza-okazalisj-autsayderami-reytinga-po-rynku-truda/32008783.html, Zugriff 30.5.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (10.5.2023): Республики СКФО оказались в хвосте рейтинга по динамике зарплаты [Republiken des nordkaukasischen föderalen Bezirks Schlusslichter bei Lohndynamik], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/388529/, Zugriff 30.5.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (29.3.2023a): Три республики СКФО отличились высоким уровнем неформальной занятости работников [Drei Republiken des nordkaukasischen föderalen Bezirks fielen durch hohes Niveau an informeller Beschäftigung von Arbeitnehmern auf], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/387254/, Zugriff 30.5.2023

MT – Moscow Times (13.7.2022): В Чечне обнаружили бурный рост экономики на фоне войны [In Tschetschenien wurde ein rasantes Wirtschaftswachstum vor dem Hintergrund des Krieges festgestellt], https://www.moscowtimes.ru/2022/07/13/v-chechne-obnaruzhili-burnii-rost-ekonomiki-na-fone-voini-a22236, Zugriff 30.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

ORF – Österreichischer Rundfunk (30.3.2022): Ramsan Kadyrow: Putins Mann fürs Grobe mit tragender Rolle, https://orf.at/stories/3256468, Zugriff 30.5.2023

Rosstat [Föderales Amt für Staatliche Statistik] [Russland] (10.1.2023): Величина прожиточного минимума, установленная на 2023 год, в целом по Российской Федерации и по субъектам Российской Федерации [Höhe des für 2023 festgelegten Existenzminimums, insgesamt in Russland und in den Subjekten der Russischen Föderation], https://rosstat.gov.ru/storage/mediabank/Vpm_2023.doc, Zugriff 30.5.2023

Rosstat [Föderales Amt für Staatliche Statistik] [Russland] (27.4.2022): Численность населения с денежными доходами ниже границы бедности в целом по России и по субъектам Российской Федерации [Anteil der Bevölkerung unter der Armutsgrenze insgesamt in Russland und in den Subjekten der Russischen Föderation], https://rosstat.gov.ru/storage/mediabank/2-4_n.doc, Zugriff 30.5.2023

Russland-Analysen (Nr. 382) / Martin Brand (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf, Zugriff 30.5.2023

Standard, Der (21.5.2022): Wer für Putin in den Krieg zieht: Russische Soldaten stammen oft aus ärmeren Landesteilen, https://www.derstandard.at/story/2000135922562/wer-fuer-putin-in-den-krieg-zieht-russische-soldaten-stammen, Zugriff 30.5.2023

Statista (3.2023): Federal subjects with the lowest gross regional product (GRP) per capita in Russia in 2021, https://www.statista.com/statistics/1039684/russia-regions-with-lowest-grp-per-capita/, Zugriff 30.5.2023

Statista (7.2022): Russian regions with the lowest share of the middle-class population from 2021 to 2022, https://www.statista.com/statistics/1039710/russia-regions-with-lowest-middle-class-share/, Zugriff 30.5.2023

Sozialbeihilfen

Letzte Änderung 2023-07-04 15:42

Artikel 7 der russischen Verfassung definiert die Russische Föderation als Sozialstaat. Gemäß dem Verfassungsartikel 75 wird Bürgern soziale Unterstützung garantiert. Die Verfassung sieht eine obligatorische Sozialversicherung vor (Duma 6.10.2022). Es ist ein System der sozialen Sicherheit und sozialen Fürsorge in Russland vorhanden, welches Pensionen auszahlt und die vulnerabelsten Bürger unterstützt. Zum Kreis vulnerabler Gruppen zählen Familien mit mindestens drei Kindern, Menschen mit Behinderungen sowie ältere Menschen (IOM 12.2022). Der Staat bietet verschiedene Sozialleistungen an, wovon unter anderem folgende Personengruppen profitieren: Veteranen, Waisenkinder, ältere Personen, Alleinerziehende, Erwerbslose, Dorfbewohner (WSP o.D.), Menschen mit Behinderungen, Familien, Pensionisten (SFR o.D.a), Bewohner des hohen Nordens sowie Familienangehörige Militärbediensteter und von infolge der Ausübung ihrer Dienstpflichten verstorbenen Bediensteten des Innenressorts (Regierung o.D.). Das föderale Gesetz 'Über die staatliche Pensionsversorgung in der Russischen Föderation' zählt im § 5 folgende staatliche Pensionsleistungen auf: Pensionen für langjährige Dienste; Alters-; Invaliditäts-; Hinterbliebenen- und Sozialpensionen (RF 28.4.2023a).

Mit 1.1.2023 wurden der Pensions- und der Sozialversicherungsfonds zum neu geschaffenen 'Fonds für Sozial- und Pensionsversicherung der Russischen Föderation' (kurz 'Sozialfonds') verschmolzen (SFR 17.1.2023). Zu den Aufgaben des neu geschaffenen Sozialfonds gehört die Auszahlung von Pensionen und staatlicher finanzieller Hilfen. In den einzelnen Subjekten der Russischen Föderation gibt es territoriale Abteilungen des Sozialfonds (SFR 30.3.2023).

Quellen:

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

IOM – International Organization for Migration (12.2022): Russian Federation: Country Fact Sheet 2022, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2022_Russia_EN.pdf, Zugriff 16.5.2023

Regierung [Russland] (o.D.): Социальная поддержка отдельных категорий граждан [Soziale Unterstützung für einzelne Bürgergruppen], http://government.ru/rugovclassifier/510/events/, Zugriff 30.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.4.2023a): Федеральный закон "О государственном пенсионном обеспечении в Российской Федерации" от 15.12.2001 N 166-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die staatliche Pensionsversorgung in der Russischen Föderation' vom 15.12.2001 N 166-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_34419/, Zugriff 30.5.2023

SFR – Sozialnyj fond Rossii [Sozialfonds Russlands] [Russland] (30.3.2023): О Фонде [Über den Fonds], https://sfr.gov.ru/about/about/, Zugriff 30.5.2023

SFR – Sozialnyj fond Rossii [Sozialfonds Russlands] [Russland] (17.1.2023): История Социального фонда России [Geschichte des Sozialfonds Russlands], https://sfr.gov.ru/about/history/, Zugriff 30.5.2023

SFR – Sozialnyj fond Rossii [Sozialfonds Russlands] [Russland] (o.D.a): Startseite, https://sfr.gov.ru/, Zugriff 30.5.2023

WSP – Wse o sozialnoj podderschke [Alles über soziale Unterstützung] (o.D.): Меры социальной поддержки граждан в 2023 году [Soziale Unterstützungsmaßnahmen für Bürger im Jahr 2023], https://socialnaya-podderzhka.ru/mery_socialnoj_podderzhki/, Zugriff 30.5.2023

Arbeitslosenunterstützung

Letzte Änderung 2023-07-04 15:53

Personen können sich bei den örtlichen Arbeitsämtern des Föderalen Amts für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Sollte es dem Arbeitsamt nicht gelingen, der arbeitssuchenden Person binnen 10 Tagen einen Arbeitsplatz zu beschaffen, wird der betreffenden Person der Arbeitslosenstatus und somit eine monatliche Arbeitslosenunterstützung zuerkannt (IOM 12.2022). Während der ersten drei Monate erhält die arbeitslose Person 75 % des Durchschnittseinkommens des letzten Beschäftigungsverhältnisses, jedoch höchstens RUB 12.792 [ca. EUR 150]. Während der folgenden drei Monate beträgt die Höhe der Arbeitslosenunterstützung 60 % des Einkommens bzw. höchstens RUB 5.000 [ca. EUR 59]. Die Mindesthöhe der Arbeitslosenunterstützung beträgt RUB 1.500 [ca. EUR 18] (RG 23.11.2022). Um den Anspruch auf monatliche Arbeitslosenunterstützung geltend machen zu können, haben sich die Arbeitslosengeldbezieher alle zwei Wochen im Arbeitsamt einzufinden. Außerdem dürfen sie beispielsweise nicht in eine andere Region umziehen und keine Pensionsbezieher sein. Arbeitsämter gibt es überall im Land. Sie stellen verschiedene Dienstleistungen zur Verfügung. Arbeitssuchende, die beim Rostrud registriert sind, dürfen an kostenlosen Fortbildungskursen teilnehmen, um so ihre Qualifikationen zu verbessern (IOM 12.2022).

Quellen:

IOM – International Organization for Migration (12.2022): Russian Federation: Country Fact Sheet 2022, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2022_Russia_EN.pdf, Zugriff 16.5.2023

RG – Rossijskaja Gaseta [Russland] (23.11.2022): Установлен размер пособия по безработице на 2023 год [Höhe der Arbeitslosenunterstützung für das Jahr 2023], https://rg.ru/2022/11/23/ustanovlen-razmer-posobiia-po-bezrabotice-na-2023-god.html, Zugriff 30.5.2023

Wohnmöglichkeiten, Sozialwohnungen

Letzte Änderung 2023-07-04 15:56

Artikel 40 der russischen Verfassung garantiert das Recht auf Wohnraum. Laut der Verfassung wird bedürftigen Personen Wohnraum kostenlos oder zu einem erschwinglichen Preis zur Verfügung gestellt (Duma 6.10.2022). Bürger ohne Unterkunft oder mit einer Substandard-Unterkunft und sehr geringem Einkommen dürfen kostenfreie Wohnungen beantragen (IOM 12.2022; vgl. RF 28.4.2023b). Jedoch kann die Wartezeit bei einigen Jahren oder Jahrzehnten liegen. Ein Anrecht auf eine kostenlose Unterkunft haben Waisenkinder und Personen mit schwerwiegenden chronischen Erkrankungen (Tuberkulose etc.). Es gibt Schutzunterkünfte für Opfer von Menschenhandel und häuslicher Gewalt, für alleinerziehende Mütter und andere vulnerable Gruppen. Für gewöhnlich werden diese Unterkünfte von örtlichen NGOs verwaltet. Es gibt keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an (mindestens 12 %) (IOM 12.2022). Die Versorgung mit angemessenem Wohnraum stellt ein Problem dar. Bezahlbare Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für Teile der Bevölkerung unerschwinglich (AA 28.9.2022). Wohnungskosten sind regional unterschiedlich (MK 17.3.2023; vgl. Rosrealt o.D.). Es mangelt an ausreichendem Wohnraum für Familien (AA 28.9.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

IOM – International Organization for Migration (12.2022): Russian Federation: Country Fact Sheet 2022, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2022_Russia_EN.pdf, Zugriff 16.5.2023

MK – Mir kwartir [Welt der Wohnungen] (17.3.2023): В каких городах выгоднее покупать новостройку для сдачи в аренду? [In welchen Städten ist es günstiger, einen Neubau für Vermietung zu kaufen?], https://www.mirkvartir.ru/journal/analytics/2023/03/17/v-kakih-gorodah/, Zugriff 30.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.4.2023b): "Жилищный кодекс Российской Федерации" от 29.12.2004 N 188-ФЗ (ред. от 28.4.2023) (с изм. и доп., вступ. в силу с 01.03.2023) ['Wohnungskodex der Russischen Föderation' vom 29.12.2004 N 188-ФЗ (Fassung vom 28.04.2023) (mit Änderungen und Ergänzungen, in Kraft seit 01.03.2023)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_51057/, Zugriff 30.5.2023

Rosrealt (o.D.): Цены на аренду квартир и домов в России [Mietpreise für Wohnungen und Häuser in Russland], https://rosrealt.ru/cena/?t=arenda, Zugriff 30.5.2023

Invaliditätspension

Letzte Änderung 2023-07-04 15:58

§ 27 des Föderalen Gesetzes 'Über den sozialen Schutz von Invaliden in der Russischen Föderation' sieht die materielle Versorgung von Personen mit Behinderungen in Form von Geldleistungen vor (RF 28.12.2022c). Um eine Invaliditätspension zu erhalten, muss ein sozialmedizinisches Sachverständigengutachten erstellt werden. Die Mitarbeiter der medizinischen Einrichtung übermitteln die Daten an das Föderale Invalidenregister, woraufhin die Pension automatisch binnen sieben Tagen zugewiesen wird. Der Auszahlungsbetrag hängt unter anderem von der Pensionsart und der Invaliditätsgruppe ab. Es gibt drei Invaliditätsgruppen (Iswestija 26.10.2022) und verschiedene Arten von Invaliditätspensionen: Sozial- und Versichertenpension sowie staatliche Pension. Die staatliche Pension steht beispielsweise Militärbediensteten zu (Kommersant 24.3.2023). Personen mit Behinderungen steht eine Versichertenpension zu, so die betreffende Person einer Beschäftigung nachging. Im Rahmen der Versichertenpension erhalten Invalide der Gruppe I RUB 15.134,67 [ca. EUR 179]. Personen der Gruppe II steht die Hälfte dieses Geldbetrages zu und Personen mit Behinderungen der Gruppe III wiederum die Hälfte. Sozialpensionen erhalten Invalide ohne Arbeitserfahrung, darunter Kinder. Im Jahr 2023 beträgt die Höhe der Sozialpension für Personen der Gruppe I RUB 13.849,69 [ca. EUR 164]. Personen mit Behinderungen der Gruppe II erhalten RUB 6.924,81 [ca. EUR 82] und Personen der Gruppe III steht ein Geldbetrag von RUB 5.886,14 [ca. EUR 69] zu (PG 7.1.2023). Invaliditätsgruppe I bedeutet Erwerbsunfähigkeit und ständiger Betreuungsbedarf, Gruppe II bedeutet eingeschränkte Arbeitsfähigkeit und kein ständiger Betreuungsbedarf. Invaliditätsgruppe III bedeutet volle oder zumindest teilweise Erwerbsfähigkeit (Iswestija 26.10.2022). Personen mit Behinderungen stehen diverse Vergünstigungen (Freifahrten usw.) zu (Kommersant 24.3.2023). Sie dürfen auf Staatskosten technische Rehabilitationsmittel erwerben, beispielsweise Rollstühle oder Hörgeräte (PG 7.1.2023). Für die Schaffung von Wohnraum für Menschen mit Behinderungen sind Regionalbehörden zuständig (Kommersant 24.3.2023).

Quellen:

Iswestija (26.10.2022): Пенсия по инвалидности: III группа, II группа, I группа — индексация в 2023 году в России [Invaliditätspension: Gruppe III, Gruppe II, Gruppe I - Indexierung im Jahr 2023 in Russland], https://iz.ru/1415170/2022-10-26/pensiia-po-invalidnosti-iii-gruppa-ii-gruppa-i-gruppa-indeksatciia-v-2023-godu-v-rossii, Zugriff 30.5.2023

Kommersant (24.3.2023): Пенсии и льготы инвалидам в России в 2023 году [Pensionen und Vergünstigungen für Invaliden in Russland im Jahr 2023], https://www.kommersant.ru/doc/5548017, Zugriff 30.5.2023

PG – Parlamentskaja gaseta [Parlamentszeitung] [Russland] (7.1.2023): Что изменится у инвалидов в 2023 году [Was sich im Jahr 2023 für Invaliden ändert], https://www.pnp.ru/social/chto-izmenitsya-u-invalidov-v-2023-godu.html, Zugriff 30.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.12.2022c): Федеральный закон "О социальной защите инвалидов в Российской Федерации" от 24.11.1995 N 181-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über den sozialen Schutz von Invaliden in der Russischen Föderation' vom 24.11.1995 N 181-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_8559/, Zugriff 30.5.2023

Alterspension

Letzte Änderung 2023-07-04 15:58

Seit 2018 wird das Pensionsalter für Männer und Frauen allmählich angehoben. Im Jahr 2018 betrug das Pensionseintrittsalter 55 Jahre für Frauen und 60 Jahre für Männer. 2028 soll das Pensionsalter auf 60 Jahre für Frauen und 65 Jahre für Männer angehoben sein. Für bestimmte Personengruppen ist keine Erhöhung des Pensionsalters vorgesehen, beispielsweise für Schwerarbeiter und Personen in gefährlichen Berufsbereichen. Ebenfalls nicht betroffen von der Erhöhung des Pensionsalters sind Sozialpensionen, Invaliditätspensionen und Hinterbliebenenpensionen. Im Jahr 2022 waren für den Anspruch auf eine Alterspension Beschäftigungsverhältnisse von mindestens 13 Jahren erforderlich (SFR 15.1.2021).

Für das Jahr 2023 beträgt die Höhe des Existenzminimums für Pensionisten in Russland RUB 12.363 [ca. EUR 144]. Die Höhe des Existenzminimums für Pensionisten in einzelnen Landesteilen stellt sich wie folgt dar (SFR o.D.b):

Moskau: RUB 16.257 [ca. EUR 189]

Moskauer Gebiet: RUB 14.858 [ca. EUR 173]

St. Petersburg: RUB 12.981 [ca. EUR 151]

Tschetschenien: RUB 11.868 [ca. EUR 138]

Dagestan: RUB 11.250 [ca. EUR 131]

Pensionisten, welche keiner Arbeit nachgehen und deren finanzielle Mittel unter dem Existenzminimum für Pensionisten liegen, erhalten einen Sozialzuschlag zur Pension. Dadurch erfolgt eine Anhebung bis zur Höhe des Existenzminimums (SFR o.D.b).

Quellen:

SFR – Sozialnyj fond Rossii [Sozialfonds Russlands] [Russland] (15.1.2021): Что нужно знать о пенсионной системе [Was man über das Pensionssystem wissen muss], https://sfr.gov.ru/grazhdanam/zakon/, Zugriff 30.5.2023

SFR – Sozialnyj fond Rossii [Sozialfonds Russlands] [Russland] (o.D.b): Социальная доплата до уровня прожиточного минимума пенсионера [Sozialzuschlag bis zur Höhe des Existenzminimums von Pensionisten], https://sfr.gov.ru/grazhdanam/pensionres/soc_doplata/, Zugriff 30.5.2023

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung 2023-07-04 16:00

Artikel 41 der Verfassung der Russischen Föderation garantiert russischen Staatsbürgern das Recht auf kostenlose medizinische Versorgung in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen (Duma 6.10.2022). Eine gesetzliche Grundlage stellt das föderale Gesetz 'Über die Grundlagen des Gesundheitsschutzes der Bürger in der Russischen Föderation' dar (RF 28.4.2023d). Es existiert eine durch präsidentiellen Erlass festgelegte Strategie der Entwicklung des Gesundheitswesens in der Russischen Föderation für den Zeitraum bis 2025 (Präsident 27.3.2023).

Das Basisprogramm der obligatorischen Krankenversicherung gewährleistet die kostenlose medizinische Versorgung für Bürger in allen Regionen Russlands. Das entsprechende Territorialprogramm umfasst Programme auf der Ebene der Subjekte der Russischen Föderation (§ 3 des föderalen Gesetzes 'Über die obligatorische Krankenversicherung') (RF 19.12.2022). Der föderale Fonds der obligatorischen Krankenversicherung ist für die Umsetzung der staatlichen Politik zuständig (Regierung o.D.). Es besteht die Möglichkeit einer freiwilligen Krankenversicherung, welche eine medizinische Versorgung auf höherem Niveau erlaubt (Sber Bank o.D.). Im Rahmen einer freiwilligen Krankenversicherung oder gegen direkte Bezahlung können entgeltliche medizinische Dienstleistungen in staatlichen und privaten Krankenhäusern in Anspruch genommen werden. Die Webseiten der einzelnen medizinischen Einrichtungen enthalten für gewöhnlich Preislisten, so zum Beispiel die Webseite der Poliklinik in Grosnyj/Tschetschenien: http://gr-polik6.ru/uslugi (IOM 12.2022). Für Leistungen privater Krankenhäuser müssen die Kosten selbst getragen werden.

Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos (ÖB 30.6.2022). Bestimmte Patientengruppen erhalten kostenlose oder preisreduzierte Medikamente. Befreit von Medikamentengebühren sind Kinder bis zu einem Alter von drei Jahren; Menschen mit Behinderungen; Veteranen; Patienten mit spezifischen Erkrankungen wie HIV/Aids, onkologischen Erkrankungen, Diabetes, psychiatrischen Erkrankungen usw. (EUAA 9.2022). Regionale Behörden dürfen kostenlose Medikamente für zusätzliche Patientengruppen zur Verfügung stellen (IOM 12.2022). Die Verfügbarkeit von Medikamenten schwankt. Die Beschaffung und Verteilung medizinischer Vorräte ist unzuverlässig, was zu Medikamentenknappheit und starken Preisschwankungen führt. Ursachen dafür sind unter anderem politische Sanktionen, welche Importe begrenzen, und der damit verbundene Umstieg auf einheimische Arzneimittel (EUAA 9.2022). Die vom Staat vorgegebenen Wartezeiten auf eine Behandlung werden um das Mehrfache überschritten und können mehrere Monate betragen. Die Notfallversorgung ist nicht mehr überall gewährleistet. Durch Sparmaßnahmen sind in vielen russischen Verwaltungseinheiten die Notfall-Krankenwagen nur mit einer Person besetzt, welche die notwendigen Behandlungen nicht alleine leisten kann. Besonders angespannt ist die medizinische Versorgung für Kinder, es fehlen Physiotherapeuten und Psychologen (AA 28.9.2022). Mitunter gibt es Probleme bei der Diagnose und Behandlung von Patienten mit besonders seltenen Krankheiten, da meist die finanziellen Mittel für die teuren Medikamente und Behandlungen in den Regionen nicht ausreichen (ÖB 30.6.2022).

In der Praxis müssen viele Leistungen von Patienten selbst bezahlt werden, obwohl die medizinische Versorgung für russische Staatsangehörige kostenfrei sein sollte (AA 28.9.2022). Patienten dürfen Beschwerden einreichen, wenn öffentliche medizinische Einrichtungen Gebühren für eigentlich kostenfreie Dienstleistungen einzuheben versuchen. Patientengebühren tragen zu steigender Ungleichheit bei. Zuzahlungen werden entweder von unversicherten Personen geleistet oder dienen dazu, die Leistungsdeckung der obligatorischen oder freiwilligen/privaten Krankenversicherung zu erhöhen. Beispiele für Zuzahlungen sind offizielle Zahlungen im öffentlichen oder Privatsektor oder informelle Zahlungen im öffentlichen Sektor, um beispielsweise eine spezielle Behandlung zu erhalten. Personen mit höherem Einkommen sowie Bewohner wohlhabenderer Städte wie Moskau und St. Petersburg leisten höhere Zuzahlungen, vor allem betreffend stationäre Behandlungen. Allerdings steigt die Höhe der Zuzahlungen gemäß einer Quelle aus dem Jahr 2018 für ambulante Leistungen für ärmere Bevölkerungsschichten rascher an (EUAA 9.2022). 27,76 % der Ausgaben im Gesundheitssektor entfielen im Jahr 2020 auf Zuzahlungen (WB o.D.c.).

Das Gesundheitssystem ist zentralisiert. Öffentliche Gesundheitsdienstleistungen gliedern sich in drei Ebenen: Die Primärversorgung umfasst allgemeine medizinische Leistungen, Notfallversorgung sowie einige spezielle Dienstleistungen. Die Sekundärversorgung beinhaltet eine größere Bandbreite spezieller medizinischer Leistungen, und die Tertiärversorgung bietet medizinische Leistungen auf Hightechniveau an. Wegen Personalmangels sind Mitarbeiter auf der Primärversorgungsebene oft überlastet. Es fehlt an Koordination zwischen den Ebenen Primär- und Sekundärversorgung. Dem öffentlichen Gesundheitssystem mangelt es an finanziellen Mitteln, Patientenorientierung sowie an Personal, vor allem in ländlichen Gebieten. Das medizinische Personal weist Ausbildungsdefizite auf. Viele Bedienstete im medizinischen Bereich sind wenig motiviert, was teilweise auf niedrige Gehälter zurückzuführen ist. Hinsichtlich verfügbarer Ressourcen und Dienstleistungen herrschen beträchtliche regionale Unterschiede (EUAA 9.2022). Der Staat hat viele Finanzierungspflichten auf die Regionen abgewälzt, die in manchen Fällen nicht ausreichend Budget haben (ÖB 30.6.2022). Die medizinische Versorgung ist außerhalb der Großstädte in vielen Regionen auf einfachem Niveau und in ländlichen Gebieten nicht überall ausreichend. Ein Drittel der Ortschaften in ländlichen Gebieten verfügt über keinen direkten Zugang zu medizinischer Versorgung. Der Weg zum nächsten Arzt kann in manchen Fällen bis zu 400 Kilometer betragen (AA 28.9.2022). Einrichtungen, die hochmoderne Diagnostik sowie Behandlungen anbieten, sind vorwiegend in den Großstädten Moskau und St. Petersburg zu finden (EUAA 9.2022).

Zurückgekehrte Staatsbürger haben ein Anrecht auf eine kostenlose medizinische Versorgung im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung. Jeder Bürger der Russischen Föderation kann dementsprechend gegen Vorlage eines gültigen russischen Reisepasses oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis zu einem Alter von 13 Jahren) eine Krankenversicherungskarte erhalten. Diese wird von der nächstgelegenen Krankenversicherungszweigstelle am Wohnsitzort ausgestellt (IOM 12.2022). Personen ohne Dokumente haben das Recht auf eine kostenlose medizinische Notfallversorgung (EUAA 9.2022).

Die folgende Webseite enthält eine Auflistung medizinischer Einrichtungen in der Russischen Föderation mitsamt Kontaktdetails: https://gogov.ru/clinics (IOM 12.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (9.2022): Russian Federation: Medical Country of Origin Information Report, https://coi.euaa.europa.eu/administration/easo/PLib/2022_09_EUAA_MedCOI_Country_Report_Russian_Federation.pdf, Zugriff 16.6.2023

IOM – International Organization for Migration (12.2022): Russian Federation: Country Fact Sheet 2022, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2022_Russia_EN.pdf, Zugriff 16.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

Präsident [Russland] (27.3.2023): Указ Президента РФ от 06.06.2019 N 254 (ред. от 27.03.2023) "О Стратегии развития здравоохранения в Российской Федерации на период до 2025 года" [Erlass des Präsidenten der RF vom 06.06.2019 N 254 (Fassung vom 27.03.2023) 'Über die Strategie der Entwicklung des Gesundheitswesens in der Russischen Föderation für den Zeitraum bis 2025'], https://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_326419/, Zugriff 19.6.2023

Regierung [Russland] (o.D.): Федеральный фонд обязательного медицинского страхования: Описание [Föderaler Fonds der obligatorischen Krankenversicherung: Beschreibung], http://government.ru/department/191/about/, Zugriff 19.6.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.4.2023d): Федеральный закон "Об основах охраны здоровья граждан в Российской Федерации" от 21.11.2011 N 323-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Grundlagen des Gesundheitsschutzes der Bürger in der Russischen Föderation' vom 21.11.2011 N 323-ФЗ (aktuelle Fassung)], https://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_121895/, Zugriff 19.6.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (19.12.2022): Федеральный закон "Об обязательном медицинском страховании в Российской Федерации" от 29.11.2010 N 326-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die obligatorische Krankenversicherung in der Russischen Föderation' vom 29.11.2010 N 326-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_107289/, Zugriff 19.6.2023

Sber Bank (o.D.): Ваш ДМС [Ihre freiwillige Krankenversicherung], http://www.sberbank.ru/ru/person/bank_inshure/insuranceprogram/dms, Zugriff 19.6.2023

WB – World Bank (o.D.c): Out-of-pocket expenditure (% of current health expenditure) - Russian Federation, https://data.worldbank.org/indicator/SH.XPD.OOPC.CH.ZS?end=2020 locations=RU start=2000 view=chart, Zugriff 21.6.2023

Rückkehr

Letzte Änderung 2023-07-04 16:04

Gemäß Art. 27 der Verfassung und im Einklang mit gesetzlichen Vorgaben haben russische Staatsbürger das Recht, ungehindert in die Russische Föderation zurückzukehren (Duma 6.10.2022; vgl. RF 14.4.2023). Jedoch kommt es de facto beispielsweise im Zuge von Grenzkontrollen zu Befragungen Einreisender durch Grenzkontrollorgane (ÖB 4.4.2022). Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen. Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments nach Russland einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen beim Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 28.9.2022). Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (ÖB 30.6.2022; vgl. EUR-Lex 17.5.2007). Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach welchem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB 30.6.2022).

Rückkehrende haben - wie alle anderen russischen Staatsbürger - Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen (IOM 7.2022). Sozialleistungen hängen vom spezifischen Fall des Rückkehrers ab. Zurückkehrende Staatsbürger haben ein Anrecht auf eine kostenlose medizinische Versorgung im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung. Jeder Bürger der Russischen Föderation kann dementsprechend gegen Vorlage eines gültigen russischen Reisepasses oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis zu einem Alter von 13 Jahren) eine Krankenversicherungskarte erhalten. Diese wird von der nächstgelegenen Krankenversicherungszweigstelle am Wohnsitzort ausgestellt (IOM 12.2022). Von Rückkehrern aus Europa wird manchmal die Zahlung von Bestechungsgeldern für grundsätzlich kostenlose Dienstleistungen (medizinische Untersuchungen, Schulanmeldungen) erwartet. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können nicht als spezifische Probleme von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, vor allem für junge Mädchen, wenn diese in einem westlichen Umfeld aufgewachsen sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf eine mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt (ÖB 30.6.2022).

Es sind keine Fälle bekannt, in welchen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten (AA 28.9.2022). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien für diejenigen Personen ergeben, welche bereits vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB 30.6.2022). Der Kontrolldruck der Sicherheitsbehörden gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. NGOs berichten von willkürlichem Vorgehen der Polizei bei Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen. Letztere finden vor allem in Tschetschenien auch ohne Durchsuchungsbefehle statt (AA 28.9.2022).

Sollte ein Einberufungsbefehl ergangen sein, ist diesem bei Rückkehr Folge zu leisten (ÖB 12.12.2022). Bei Vorliegen eines Einberufungsbefehls werden russische Staatsangehörige aus Tschetschenien - wie auch andere Bürger - nach Rückkehr in die Russische Föderation eingezogen und nach einer Ausbildung im Ukraine-Krieg eingesetzt (ÖB 25.1.2023). Differenziert wird hier zwischen Wehrdienstleistenden oder Reservisten bzw. zur Mobilisierung einberufenen Personen, denn Grundwehrdienstleistende dürfen nicht im Ukraine-Krieg eingesetzt werden (VB 26.4.2023).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

EUR-Lex (EU-Rechtsdatenbank) (17.5.2007): Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme - Gemeinsame Erklärungen (ABl. L 129 vom 17.5.2007), https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv%3AOJ.L_.2007.129.01.0040.01.DEU toc=OJ%3AL%3A2007%3A129%3ATOC, Zugriff 16.5.2023

IOM – International Organization for Migration (12.2022): Russian Federation: Country Fact Sheet 2022, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2022_Russia_EN.pdf, Zugriff 16.5.2023

IOM – Internationale Organisation für Migration (7.2022): Russische Föderation: Länderinformationsblatt 2021, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2021_Russia_DE.pdf, Zugriff 16.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (25.1.2023): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (12.12.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (4.4.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

RF – Russische Föderation [Russland] (14.4.2023): Федеральный закон "О порядке выезда из Российской Федерации и въезда в Российскую Федерацию" от 15.08.1996 N 114-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz ’Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation' vom 15.08.1996 N 114-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_11376/, Zugriff 16.5.2023

VB – Verbindungsbeamter für die Russische Föderation [Österreich] (26.4.2023): Auskunft per E-Mail

Dokumente

Letzte Änderung 2023-07-04 16:03

Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. Gründe hierfür liegen häufig in mittelbarer Falschbeurkundung und unterschiedlichen Schreibweisen von beispielsweise Namen oder Orten. In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie beispielsweise Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle und Gerichtsurteile. Es gibt Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt werden und nur mit speziellen Untersuchungen erkennbar sind. Nach Angaben des deutschen Auswärtigen Amts hat die Anzahl der im Asylverfahren vorgelegten Vorladungen, Urteile und Beschlüsse, die sich als Fälschungen herausgestellt haben, in der letzten Zeit erheblich zugenommen (AA 28.9.2022). Das niederländische Außenministerium berichtet über manche gefälschte europäische Visa in echten russischen Reisepässen. In der Vergangenheit traten einerseits Fälle gefälschter Einreisestempel in echten russischen Reisepässen auf und andererseits echte russische Reisepässe, welche im Besitz anderer Personen waren (NL-MFA 4.2021).

Weder die Staatendokumentation, noch der Verbindungsbeamte oder die Österreichische Botschaft können die Bedeutung von Reisepassnummern, welche sich auf die ausstellenden Behörden beziehen, nachvollziehen (VB 4.3.2021).

Tschetschenien

Die Verwaltungsstrukturen in Tschetschenien sind größtenteils wiederaufgebaut, sodass die Echtheit von Dokumenten aus Tschetschenien grundsätzlich überprüft werden kann. Probleme ergeben sich allerdings dadurch, dass bei den kriegerischen Auseinandersetzungen viele Archive zerstört wurden (AA 28.9.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

NL-MFA – Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (4.2021): Country of origin information report for the Russian Federation, https://www.government.nl/binaries/government/documenten/reports/2021/04/12/general-country-of-origin-information-report-for-the-russian-federation-april-2021/General+Country+of+Origin+Information+Report+for+the+Russian+Federation+%28April+2021%29.pdf, Zugriff 16.5.2023

VB – Verbindungsbeamter für die Russische Föderation [Österreich] (4.3.2021): Auskunft per E-Mail

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Person des BF (Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit) ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt. Seine Identität konnte aufgrund der Vorlage von zahlreichen Dokumenten, unter anderem seines russischen Inlandspasses im Original, zweifelsfrei festgestellt werden.

Die Sprachkenntnisse des BF ergeben sich aus seinen Angaben vor der Behörde (AS 48).

Die Feststellungen zum Leben des BF im Herkunftsland ergeben sich aus seinen gleichbleibenden Angaben im Verfahren (AS 48, 61ff). Der Erhalt von Auszeichnungen im Jahr XXXX und XXXX ergibt sich aus den Angaben des BF (AS 62) sowie aufgrund der vorgelegten Fotokopien (AS 83ff).

Der Aufenthalt der Angehörigen des BF und der bestehende Kontakt zu seiner Mutter ergibt sich aus seinen Angaben im Verfahren (AS 63f). Während der BF in der Beschwerdeverhandlung angab, dass sich sein Bruder in der Türkei aufhalte (VH S. 10), gab er im Rahmen der Einvernahme vor der Behörde am 24.03.2023 noch an, dass sein Bruder im Herkunftsland aufhältig sei (AS 63).

Die Feststellungen zum Familienstand des BF ergeben sich aus seinen Angaben (AS 63) sowie aus der vorgelegten Heiratsurkunde (AS 81). Die Feststellungen zur Tochter des BF ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt sowie aus dem zusammen mit der Beschwerde vorgelegten Geburtsurkunde und aus dem am 04.10.2023 vorgelegten Auszug aus dem Mutter-Kind-Pass. Dass die Gattin des BF noch über weitere Kinder aus erster Ehe verfügt, gab der BF vor der Behörde an (AS 63).

Der Aufenthalt der Gattin des BF in Österreich und die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie die diesbezüglichen Gründe ergeben sich aus dem diesbezüglichen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.01.2020, GZ W129 2197280-1/16E. Darin wird konkret Folgendes ausgeführt:

„II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

(...)

Weder war die Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation einer Verfolgung ausgesetzt, noch droht eine solche aktuell. Die Beschwerdeführerin ist im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.

Bei einer Prognose im Hinblick auf eine allfällige Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation kann bei Beachtung der konkreten Einzelsituation in ihrer Gesamtheit vor dem Hintergrund der allgemeineren Verhältnisse im Herkunftsstaat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin aufgrund des Umstandes, dass sie keine nennenswerte Berufserfahrung aufweist sowie aufgrund ihrer psychischen Beeinträchtigung, des fehlenden Rückhalt der Familie iVm den aktuellen belasteten Ereignissen in eine ausweglose Situation geraten würde. (...)

2. Beweiswürdigung:

(...)

Die psychischen Beeinträchtigungen ergeben aus der vorgelegten Unterlage vom 03.05.2018 (AS 240). Dazu kam es in Österreich in weiterer Folge zu erheblich belastenden Situationen, da sich die Familie von der Beschwerdeführerin abgewandt hat. Ihr Bruder XXXX wurde wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB gegenüber der Beschwerdeführerin schuldig gesprochen. Weiters wurde gegen diesen Bruder gemäß § 50 Abs. 1 StGB iVm 51 StGB für die Dauer der Probezeit die Weisung erteilt, keinen Kontakt zur Beschwerdeführerin aufzunehmen, weder direkt noch indirekt noch über dritte Personen. Es ist dadurch festgestellt, dass es zu einer Bedrohung durch Teile der Familie gekommen ist. Weiters hat sie in einem Verfahren hinsichtlich Terrorismusverdacht als Zeugin ausgesagt. Auch wird ein Strafverfahren gegen ihren zweiten Bruder verhandelt. Diesbezüglich liegt eine Zeugeneinvernahme der Beschwerdeführerin wegen fortgesetzter Gewaltausübung gegen ihren zweiten Bruder im Akt auf.

Aufgrund der Geschehnisse in Österreich im Zusammenhang mit ihrer Familie ist es der Beschwerdeführerin nach Ansicht des Gerichtes nicht zumutbar, sich an ihre Verwandten in der Russischen Föderation zu wenden und mit dem Rückhalt der Familie in der Russischen Föderation zu rechnen. Aufgrund der psychischen Erkrankung iVm den aktuellen belastenden Ereignissen in Österreich und aufgrund des nicht Vorliegens einer nennenswerten Arbeitserfahrung kann im Entscheidungszeitpunkt unter Beachtung der individuellen Situation der Beschwerdeführerin ohne familiäre Unterstützung nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin in eine ausweglose Situation geraten würde. (...)

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu dem Spruchteil A):

(...)

Aufgrund der besonderen individuellen Situation der Beschwerdeführerin und des Zusammentreffens mehrerer individueller Umstände - insbesondere unter Berücksichtigung mangelnder Unterstützung durch den Familienverband und der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Situation verstärkt auf die Unterstützung ihrer Verwandten angewiesen wäre - ist in diesem konkreten Fall eine Gefährdung der Rechte der Beschwerdeführerin nach Art. 2 und 3 EMRK nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit auszuschließen und der Beschwerdeführerin subsidiärer Schutz gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 zuzuerkennen.

Wie bereits ausgeführt, handelt es sich bei der Beschwerdeführerin um eine Frau mit psychischer Erkrankung, die in Österreich aktuell mit belastenden Ereignissen konfrontiert ist bzw. war. Mangels zumutbaren sozialer Anknüpfungspunkte aufgrund von familiären Ereignissen wäre die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in die Russische Föderation auf sich allein gestellt. Dazu kommt die mangelnde Arbeitserfahrung. Zudem benötigt die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer psychischen Situation eine entsprechende Behandlung. Dieser Umstand war ebenso zu würdigen und in die gegenständliche Entscheidung einzubeziehen.

Es kann demnach nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in die Russische Föderation dem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre bzw. dem realen Risiko in eine derart qualifizierte Existenz bedrohende Notlage zu geratet, sodass eine Abschiebung eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde. (...)“

Dass die Gattin des BF nach wie vor aufgrund ihrer psychischen Probleme in Behandlung ist, ergibt sich aus ihren Angaben im Rahmen der Beschwerdeverhandlung (VH S. 18).

Dass der BF sonst keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte in Österreich hat, ergibt sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.

Die Ausstellung eines Auslandsreisepasses für den BF und die Beantragung eines italienischen Touristenvisums ergibt sich aus dem im Akt enthaltenen Visadatenauszug (AS 17). Der gemeinsame Wohnsitz mit seiner Gattin und der Tochter ergeben sich aus dem im Akt enthaltenen Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Die Integrationsschritte des BF konnten aufgrund seiner Angaben im Verfahren (VH S. 14) sowie aufgrund des am 04.10.2023 vorgelegten Nachweises über seine Arbeit als Zusteller festgestellt werden. Dass der BF Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, ergibt sich aus dem im Akt enthaltenen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des BF konnte aufgrund des im Akt enthaltenen Strafregisterauszuges festgestellt werden.

Dass der BF aktuell kein Mitglied in einem Verein oder einer Organisation ist, ergibt sich aus dem Umstand, dass er zu keinem Zeitpunkt Gegenteiliges behauptet hat.

Der Gesundheitszustand und der Umstand, dass der BF bereits im Herkunftsland behandelt wurde, konnte aufgrund seiner Angaben im Verfahren (AS 61) festgestellt werden. Die Arbeitsfähigkeit ergibt sich aus dem Umstand, dass der BF aktuell als Zusteller tätig ist (VH S. 14).

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Zusammengefasst brachte der BF zu seinem Fluchtgrund befragt vor, dass er befürchte, bei einer Rückkehr in den Krieg gegen die Ukraine eingezogen zu werden, weil er von seinem Arbeitgeber aus dazu gedrängt worden sei, eine Erklärung auszufüllen, dass er freiwillig in den Krieg ziehen würde. Zudem drohe ihm aufgrund der Wehrdienstverweigerung ein Strafverfahren.

Dass der BF im Herkunftsland im Falle seiner Rückkehr keiner staatlichen oder staatlich geduldeten asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre, ergibt sich aus den folgenden Überlegungen:

Im Zusammenhang mit dem Vorbringen des BF, er werde bei einer Rückkehr in das Herkunftsland zum Wehrdienst einberufen und müsse im Krieg gegen die Ukraine kämpfen, ist auszuführen, dass der BF explizit vorbrachte, keinen Einberufungsbefehl erhalten (VH S. 12) und auch keine militärische Ausbildung absolviert zu haben (VH S. 11).

Im Hinblick auf den Umstand, dass der BF explizit angab, keine militärische Ausbildung absolviert zu haben (VH S. 11), ist auf die Ausführungen in den Länderberichten zu verweisen, wonach eine Mobilmachung ohne zuvor geleisteten Grundwehrdienst nicht möglich ist. Im Fall des BF, welcher keinen abgeleisteten Grundwehrdienst vorweisen kann, liegen sohin die Voraussetzungen für eine Einberufung vor. Einberufungen können laut aktueller Länderberichte jedoch im Einzelfall irrtümlich erfolgen, welche bislang bei der Stellung jedoch als Fehler erkannt und folglich widerrufen worden sind.

Selbst bei der hypothetischen Annahme, dass der BF tatsächlich in ferner Zukunft eingezogen werde würde, würde der BF angesichts der mangelnden militärischen Ausbildung wohl nicht für Kampfhandlungen herangezogen werden, zumal er keinerlei militärische Ausbildung aufweisen kann.

Ferner ist festzuhalten, dass der BF aufgrund des Umstandes, dass er zu keinem Zeitpunkt seinen Grundwehrdienst abgeleistet hat, jedenfalls nicht als Reservist anzusehen ist. Aus den Länderberichten lässt sich aber entnehmen, dass die Teilmobilmachung vorrangig Reservisten betroffen hat und im Rahmen der Teilmobilmachung nach offiziellen Angaben 300.000 Reservisten einberufen wurden. Als Reservist gilt jede männliche und weibliche Person, die ein Militärbuch besitzt, welches prinzipiell alle Personen erhalten, welche den Wehrdienst abgeleistet haben. Aus den Länderberichten ergibt sich zwar, dass sich Aussagen häufen, dass immer mehr Männer, die nie gedient haben, mit Vollendung des 25. Lebensjahres ein Militärbuch erhalten und ist dies auch im Fall des BF so. Dieses besagt dann jedoch, dass sie nie dienten und daher auch nicht zur Reserve zählen. Der BF zählt somit jedenfalls nicht zur Gruppe der Reservisten.

Den Länderberichten ist ferner zu entnehmen, dass bei Erhalt eines Einberufungsbefehlsbefehls diesem bei Rückkehr Folge zu leisten ist. Bei Vorliegen eines Einberufungsbefehls werden russische Staatsangehörige aus Tschetschenien - wie auch andere Bürger - nach Rückkehr in die Russische Föderation eingezogen und nach einer Ausbildung im Ukraine-Krieg eingesetzt. Differenziert wird hier zwischen Wehrdienstleistenden oder Reservisten bzw. zur Mobilisierung einberufenen Personen, denn Grundwehrdienstleistende dürfen nicht im Ukraine-Krieg eingesetzt werden.

Angesichts einer Bevölkerungszahl von mehr als 140 Millionen Menschen mit einer theoretisch zur Verfügung stehenden dementsprechenden Millionenzahl von einberufbaren Männern erscheint eine Einberufung gerade des konkreten BF aus den dargestellten Gründen völlig unwahrscheinlich. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der BF trotz der – unglaubwürdigen – Behauptung, dass er eine freiwillige Erklärung unterzeichnet habe, nach der er sich im Bedarfsfall für einen Kriegseinsatz in der Ukraine zur Verfügung stellen würde (ua AS 64), problemlos im September 2022 aus dem Herkunftsland ausreisen konnte – trotz damals laufender Teilmobilisierung. Wenngleich der BF angab, dass er nur ausreisen habe können, weil ihm ein Arztschreiben ausgestellt worden sei, dass seine Frau einen XXXX in XXXX habe und er sie begleiten wolle (VH S.3), ist dem dennoch zu entgegnen, dass kein besonderes Interesse an der Einberufung des BF bestehen konnte, zumal sonst nicht anzunehmen wäre, dass er das Herkunftsland während einer Teilmobilisierung verlassen könnte.

Ferner spricht gegen die Gefahr einer Einziehung bzw. gegen eine Verfolgungsgefahr für den BF, dass der Bruder des BF zumindest bis zur Einvernahme vor der Behörde am 24.03.2023 problemlos weiter im Herkunftsland lebte und nicht einberufen wurde (AS 63, 66). Zwar gab der BF an, dass sein Bruder nach seiner Ausreise verhört worden sei (AS 64), doch lebte er anschließend offenkundig noch mehrere Monate problemlos in der Russischen Föderation.

Zwar gab der BF an, dass sein Bruder mittlerweile aus dem Herkunftsland ausgereist sei, weil er einem Risiko ausgesetzt gewesen sei (VH S. 10), doch steht dieses Vorbringen nicht im Einklang mit dem Umstand, dass der Bruder des BF zumindest bis zum 24.03.2023 noch ohne Probleme im Herkunftsland lebte. Nähere Details, wann genau, warum und wohin in der Türkei der eigene Bruder gereist sei, waren dem BF nicht bekannt, was ebenfalls unnachvollziehbar ist, sind die Kontaktdaten des BF doch in der Familie bekannt und könnten solche Details gefahrlos aus der Türkei berichtet werden.

Der BF gab konkret an, dass gegen ihn aufgrund des Umstandes, dass er dauerhaft aus dem Herkunftsland ausreiste, bereits ein Strafverfahren eingeleitet worden sei (VH S. 7). In diesem Zusammenhang legte der BF einen angeblichen Beschluss über die Einleitung des Strafverfahrens und Eröffnung des Prozesses vor (AS 97f, Übersetzung AS 148f). Das diesbezügliche Vorbringen scheint jedoch völlig konstruiert und ist nicht glaubhaft. So fällt beispielsweise auf, dass sich bereits in dem Beschluss einer angeblichen Polizeidienststelle selbst grobe Fehler finden, zumal der Beschluss mit XXXX datiert ist, sich aber auf eine Meldung über eine Straftat aus einem Bericht vom XXXX – sohin ein Monat nach Ausstellung des angeblichen Beschlusses – bezieht (AS 148).

Zudem fällt auf, dass der BF zwar angab, dass es sich bei dem Beschluss um eine Strafe dafür handle, dass der BF weggeflogen sei (VH S. 9), doch ergibt sich auch daraus ein Widerspruch mit dem übrigen Vorbringen des BF. Dieser gab nämlich auch an, dass er am XXXX das Herkunftsland verlassen (VH S.7) und dabei ein Schriftstück eines Arztes vorgelegt habe, dass er seine Frau in XXXX zu einer Kontrolle begleite, weshalb ihm die Ausreise gelungen sei (Beschwerde S. 3). Sollte dem BF tatsächlich lediglich aufgrund des Schreibens des Arztes die Ausreise gewährt worden sein, erschließt sich dem erkennenden Gericht nicht, weshalb bereits am XXXX , sohin einen Tag nach tatsächlicher Ausreise des BF, ein Beschluss über die Einleitung eines Strafverfahrens ergangen sei, zumal die russischen Behörden zu diesem Zeitpunkt noch annehmen hätten müssen, dass der BF seine Frau zu einem XXXX in XXXX begleitet. Die russischen Behörden hätten zum Zeitpunkt der Ausstellung des Beschlusses noch gar nicht wissen können, dass der BF aus XXXX nicht mehr zurückkommen wird.

Auch der Hinweis im Beschluss auf ein vorangehendes Urteil eines Gerichts vom XXXX scheint völlig widersinnig zu sein, würde hier doch ein Gerichtsverfahren genannt, welches gar nicht existiert und welches in einem Strafverfahren nicht bewiesen werden könnte, müsste es doch Unterlagen über Verhöre, Verhandlungen etc. geben, die aber nie stattgefunden haben. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass bereits der Aufbau des Beschlusses vom XXXX konstruiert wirkt, als damit doch eine Polizeidienststelle die Einleitung eines Strafverfahrens verfügen würde und die Staatsanwaltschaft nur von der Polizei verständigt würde.

Ferner handelte es sich bei dem vorgelegten Beschluss lediglich um eine Kopie. Trotz Aufforderung durch den Richter und Angabe des BF, er werde seine Familie darum bitten, ihm das Original zukommen zu lassen, legte er dieses nach wie vor nicht vor (VH S. 8).

Vor diesem Hintergrund, sowie im Hinblick auf die Länderberichte, aus denen sich ergibt, dass es in Russland möglich ist, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie beispielsweise Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle und Gerichtsurteile, ist an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des BF zu zweifeln. Aus den Länderberichten ergibt sich weiter, dass es Fälschungen gibt, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt werden und nur mit speziellen Untersuchungen erkennbar sind. Nach Angaben des deutschen Auswärtigen Amts hat die Anzahl der im Asylverfahren vorgelegten Vorladungen, Urteile und Beschlüsse, die sich als Fälschungen herausgestellt haben, in der letzten Zeit erheblich zugenommen (AA 28.9.2022).

Aus den Länderberichten lässt sich darüber hinaus entnehmen, dass keine Fälle bekannt, in welchen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien für diejenigen Personen ergeben, welche bereits vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten – dies war im Fall des BF jedoch zu verneinen.

In Anbetracht der obigen Ausführungen ist daher keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung des BF bei einer Rückkehr in die Russische Föderation ersichtlich.

2.3. Zu einer möglichen Rückkehr in den Herkunftsstaat:

Wie soeben dargelegt, hat der BF im Herkunftsstaat keine Verfolgung zu befürchten. Sonstige Gründe, die einer Rückkehr, entgegenstehen, wurden von ihm nicht substantiiert vorgebracht und sind auch anhand der Länderfeststellungen nicht objektivierbar.

Dem BF ist eine Rückkehr in die Russische Föderation in seinen Herkunftsort oder auch an einen anderen Ort in der Russischen Föderation möglich. Im Herkunftsland sind nach wie vor die Mutter und die Schwester des BF sowie weitere Angehörige aufhältig und hat der BF auch wöchentlich Kontakt zur Mutter. Es ist sohin jedenfalls anzunehmen, dass der BF bei einer Rückkehr von seinen im Herkunftsland aufhältigen Angehörigen Unterstützung erhalten würde.

Der BF ist im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation weder in seinem Recht auf Leben gefährdet, noch der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht. Der BF läuft dort nicht Gefahr, seine grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF hat sein gesamtes Leben vor der Einreise nach Österreich in der Russischen Föderation verbracht. Der BF spricht muttersprachlich Tschetschenisch und verfügt über ausgezeichnete Russischkenntnisse. Im Herkunftsland besuchte er elf Jahre lang die Grundschule und absolvierte im Anschluss ein Studium. Er weist zudem mehrjährige Berufserfahrung auf. Im Fall einer Rückkehr könnte der BF auch staatliche Förderungen in Anspruch nehmen. Die Gesundheitsversorgung ist sichergestellt und kostenlos.

Der BF ist mit den russischen Gepflogenheiten vertraut und wurde mit diesen sozialisiert. Er befindet sich im erwerbsfähigen Alter, spricht die Landessprache und leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen, weshalb es ihm möglich und zumutbar ist, im Herkunftsstaat eine Arbeit aufzunehmen und sich seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

2.4. Zur maßgeblichen Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln und ist ihnen der BF auch nicht substantiiert entgegengetreten. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Dem Erkenntnis wird Version 12 des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 04.07.2023 zugrunde gelegt. Wenngleich zum Entscheidungszeitpunkt bereits eine neue Version des Länderinformationsblattes veröffentlicht wurden, ergaben sich keine wesentlichen, für den gegenständlichen Sachverhalt relevanten Änderungen der Länderinformationen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz oder anhängige Verfahren, sohin auch auf das vorliegende Verfahren, anzuwenden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das BVwG, wenn es in der Sache selbst entscheidet, die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen (vgl. etwa VwGH 6.10.2020, Ra 2019/19/0332).

Zu A)

3.2. Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 hat die Behörde einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH v. 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH v. 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH v. 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH v. 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH v. 25.01.2001, Zl. 2001/20/011). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH v. 26.02.1997, Zl. 95/01/0454; VwGH v. 09.04.1997, Zl. 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH v. 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; vgl. auch VwGH v. 16.02.2000, Zl. 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH v. 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH v. 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH v. 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; VwGH v. 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; VwGH v. 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

Eine Verfolgung, d.h. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht (VwGH vom 27.01.2000, 99/20/0519, VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256, VwGH vom 04.05.2000, 99/20/0177, VwGH vom 08.06.2000, 99/20/0203, VwGH vom 21.09.2000, 2000/20/0291, VwGH vom 07.09.2000, 2000/01/0153, u.a.).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.3.1999, 98/01/0352 mwN; 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).

Eine Bürgerkriegssituation (bzw. die eines sonstigen bewaffneten Konfliktes) in der Heimat des Antragstellers schließt eine aus asylrechtlich relevanten Gründen drohende Verfolgung zwar nicht generell aus. Der Antragsteller muss in diesem Zusammenhang jedoch behaupten und glaubhaft machen, dass die Ereignisse in seiner Heimat, die zu seiner Flucht geführt haben, als eine individuell gegen seine Person aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität etc. gerichtete Verfolgung zu werten wären und nicht als mehr oder weniger zufällige Folge im Zuge der Bürgerkriegshandlungen (VwGH 8.7.2000, 99/20/0203).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH vom 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn. 19, mwN).

Wie in der Beweiswürdigung dargelegt, besteht im Fall des BF keine Gefahr der Einberufung und dem Einsatz im Krieg gegen die Ukraine. Eine individuelle Verfolgung kann aus seinen Angaben nicht abgeleitet werden. Auch eine Verknüpfung zwischen einer befürchteten Verfolgungshandlung und einem Konventionsgrund kann das erkennende Gericht beim konkreten BF nicht als plausibel annehmen (vgl. dazu VwGH vom 04.07.2023, Ra 2023/18/0108-9).

Im Verfahren haben sich auch sonst keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen.

Dem BF ist es sohin nicht gelungen, eine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannt sind, darzulegen. Für den BF war dementsprechend auch keine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannt sind, fassbar.

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

3.3. Zur Entscheidung über die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

3.3.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist gemäß Abs. 2 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Abs. 3 abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht. Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung gemäß Abs. 3a auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095).

Es obliegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 20.09.2017, Ra 2017/19/0276; EGMR 09.01.2018, Fall X, Appl. 36.417/16, Z 50).

Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. zum Ganzen zuletzt VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153; 26.6.2019, Ra 2019/20/0050, jeweils mwN). Ziel des Refoulementschutzes ist es nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen zu beschützen, sondern einzig und allein Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf EGMR 5.9.2013, 61204/09, I gegen Schweden; siehe dazu auch VwGH 18.3.2016, Ra 2015/01/0255; 19.6.2017, Ra 2017/19/0095; 5.12.2017, Ra 2017/01/0236;).

3.3.2 Im gegenständlichen Fall ist keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ersichtlich. Aus den Länderfeststellungen ergaben sich keine Umstände, wonach in der Russischen Föderation, konkret in der Herkunftsregion des BF Tschetschenien, aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, ist die Situation in der Russischen Föderation auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr des BF für ihn als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Die allgemeine Situation in der Russischen Föderation ist nicht derart gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Asylwerbers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. EGMR 09.04.2013, Nr. 70073/10 und 44539/11 H. und B./Vereinigtes Königreich, sowie zuletzt die Urteile vom 12.01.2016, jeweils gegen Niederlande: S.D.M., Nr. 8161/07; A.G.R., Nr. 13442/08; A.W.Q. und D.H., Nr. 25077/06; S.S., Nr. 39575/06; M.R.A. ua., Nr. 46856/07). Die allgemeine Situation in der Russischen Föderation steht daher als solche einer Rückführung des BF im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht entgegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, mwN).

3.3.3. Im konkreten Fall ist somit festzuhalten:

Wie bereits beweiswürdigend festgehalten wurde, ist im gegenständlichen Fall keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ersichtlich.

Aus den Länderfeststellungen ergaben sich zudem keine Umstände, wonach in der Russischen Föderation aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre.

Der BF ist im erwerbsfähigen Alter, ist arbeitsfähig und leidet an keinen lebensgefährlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die aktuell einer Behandlung bedürfen. Bis zum Alter von XXXX Jahren lebte der BF im Herkunftsland und besuchte dort elf Jahre lang die Schule sowie die Universität. Anschließend sammelte er mehrere Jahre Berufserfahrung als XXXX und XXXX .

Die Gewährung eines Status nach § 8 Abs. 1 AsylG setzt voraus, dass die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit eine Verletzung des Art. 3 EMRK aufgezeigt wird (vgl. zuletzt VwGH, 25. Mai 2016/Ra 2016/19/0036-5); die bloße Möglichkeit einer Existenzbedrohung kann diese Schwelle nicht erreichen. Eine reale Gefahr hinsichtlich existenzbedrohender Verhältnisse aufgrund einer besonderen Vulnerabilität des BF wurden von diesem in concreto nicht glaubhaft aufgezeigt.

Der BF hat den weit überwiegenden Teil seines Lebens in der Russischen Föderation gelebt und verfügt dort über soziale bzw. familiäre Anknüpfungspunkte, mit welchen er nach wie vor in Kontakt steht. Mit den Gepflogenheiten im Herkunftsland ist er bestens vertraut und ist seinem Kulturkreis jedenfalls nicht entrückt.

Dem BF ist es daher aufgrund der dargelegten Umstände möglich, sich mithilfe der Unterstützung seines familiären Netzwerks wieder im Herkunftsland einzufinden, eine Arbeit zu finden und seine Existenz wiederaufzubauen. Dafür, dass der BF in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte.

Im Hinblick auf den Gesundheitszustand des BF ist auszuführen, dass er an Nierensteinen leidet und eines seiner Beine geringfügig länger ist. Der BF weist sohin jedenfalls keine lebensbedrohlichen, unheilbaren Erkrankungen auf und ist im Hinblick auf den Umstand, dass er diese bereits vor seiner Einreise aufwies und die Erkrankungen auch in der Russischen Föderation bereits behandelt wurden, davon auszugehen, dass auch eine weitere Behandlung im Herkunftsland möglich ist.

Dem BF ist es daher aufgrund der dargelegten Umstände möglich, sich wieder im Herkunftsland einzufinden, eine Arbeit zu finden und seine Existenz wiederaufzubauen. Dafür, dass der BF in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte.

Schließlich kann auch nicht gesagt werden, dass eine Abschiebung des BF für ihn als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde. In der Russischen Föderation ist eine Zivilperson nicht allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt.

Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des BF ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass er im Fall seiner Abschiebung in die Russische Föderation in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Es liegen keine exzeptionellen Gründe vor, die einer Rückkehr in die Russische Föderation entgegenstehen würden.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war daher seitens des Bundesverwaltungsgerichtes abzuweisen.

3.4. Zur Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen,

(...)

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des BF weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch der BF Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der BF das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides war daher seitens des Bundesverwaltungsgerichtes abzuweisen.

3.5. Zur vorübergehenden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):

3.5.1. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt, außer bei diesem handelt es sich um einen begünstigten Drittstaatsangehörigen.

3.5.2. Der BF ist kein begünstigter Drittstaatsangehörigen und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet. Gegenteiliges wurde von ihm auch nicht vorgebracht.

3.5.3. Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen: die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9).

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wird, weil dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

3.5.4. Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer „Familie“ voraussetzt.

In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen neben den zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienleben bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Als Kriterien hiefür kommen in einer Gesamtbetrachtung etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Intensität und die Dauer des Zusammenlebens bzw. die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Sich bei der Prüfung allein auf das Kriterium der Abhängigkeit zu beschränken, greift jedenfalls zu kurz (vgl. VwGH vom 26.01.2006, Zl. 2002/20/0423).

Vom Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z. B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Der Begriff des Familienlebens ist sohin nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR 13.06.1979, Fall Marckx). Ehen, die nicht nationalem Recht entsprechen, sind kein Hindernis für ein Familienleben (EGMR 28.05.1985, Fall Abdulaziz, Cabales und Balkandali). Ebensowenig reicht das Eheband allein nicht aus, um die Anwendbarkeit des Art. 8 EMRK auszulösen. Reine Scheinehen sind deshalb nicht geschützt (VwGH 29.06.2010, 2006/18/0484).

Im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK sind die Auswirkungen der Entscheidung und die Konsequenzen einer Außerlandesbringung des BF auf das Familienleben und auf das Kindeswohl etwaiger Kinder des Betroffenen zu erörtern. Einer mit der Ausweisung verbundenen Trennung von Familienmitgliedern kommt eine entscheidungswesentliche Bedeutung zu (vgl. VfGH vom 24.11.2020, E3806/2019). Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entsteht ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt; diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden (vgl. VfGH vom 24.11.2020, E3806/2019). Ferner ist es nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ein grundlegender Bestandteil des Familienlebens, dass sich Eltern und Kinder der Gesellschaft des jeweiligen anderen Teiles erfreuen können (vgl. VfGH vom 24.11.2020, E3806/2019); der Verfassungsgerichtshof erachtet die Annahme als lebensfremd, dass der Kontakt zwischen einem Kleinkind und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien aufrechterhalten werden könne (vgl. VfGH vom 24.11.2020, E3806/2019; VfGH vom 25.02.2013, U2241/12).

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine Aufenthaltsbeendigung nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entsteht ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt (vgl. EGMR 21.6.1988, Fall Berrehab, Appl. 10.730/84 [Z 21]; 26.5.1994, Fall Keegan, Appl. 16.969/90 [Z 44]). Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden (EGMR 19.2.1996, Fall Gül, Appl. 23.218/94 [Z 32]).

Ferner ist es nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ein grundlegender Bestandteil des Familienlebens, dass sich Eltern und Kinder der Gesellschaft des jeweiligen anderen Teiles erfreuen können; die Familienbeziehung wird insbesondere nicht dadurch beendet, dass das Kind in staatliche Pflege genommen wird (vgl. VfSlg. 16.777/2003 mit Hinweis auf EGMR 25.2.1992, Fall Margareta und Roger Andersson, Appl. 12963/87 [Z 72] mwN; zu den Voraussetzungen für ein [potentielles] Familienleben zwischen einem Kind und dessen Vater siehe auch EGMR 15.9.2011, Fall Schneider, Appl. 17.080/07 [Z 81] mwN).

Davon ausgehend kann eine unzureichende Berücksichtigung des Kindeswohles zur Fehlerhaftigkeit der Interessenabwägung und somit zu einer Verletzung des Art. 8 EMRK führen (vgl. VfGH 28.2.2012, B 1644/10 mit Hinweis auf EGMR 31.1.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99 sowie insbesondere EGMR 28.6.2011, Fall Nunez, Appl. 55.597/09; 12.10.2016, E 1349/2016).

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind die konkreten Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung für ein Elternteil auf das Wohl eines Kindes zu ermitteln und bei der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 19.362/2011; VfGH 25.2.2013, U 2241/12; 9.6.2016, E 2617/2015; 19.6.2015, E 426/2015; 12.10.2016, E 1349/2016; 14.3.2018, E 3964/2017; 11.6.2018, E 343/2018, E 345/2018; 11.6.2018, E 435/2018). Der Verfassungsgerichtshof nimmt an, es sei lebensfremd anzunehmen, dass der Kontakt zwischen einem Kleinkind und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien aufrechterhalten werden könne (vgl. dazu VfGH 25.2.2013, U 2241/12; 19.6.2015, E 426/2015; 12.10.2016, E 1349/2016; 11.6.2018, E 343/2018, E 345/2018).

3.5.5. Im gegenständlichen Fall verfügt der BF über familiäre Bindungen im Bundesgebiet in Form seiner Gattin und seiner minderjährigen Tochter. Seine Gattin war in Österreich subsidiär schutzberechtigt und verfügt über einen Daueraufenthalt. Die Tochter verfügt über einen Aufenthaltstitel in Form einer Rot-Weiß-Rot-Karte plus.

Eine Rückkehr der Gattin des BF in ihr Herkunftsland, die Russische Föderation, gemeinsam mit dem BF ist – wie beweiswürdigend ausgeführt – aktuell weiterhin nicht möglich, da sie nach wie vor aufgrund ihrer psychischen Probleme in Behandlung ist und insbesonders die belastenden familiären Ereignisse eine Gefahr für diese im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat darstellen (W129 1297280-1/16E, S. 48).

Eine Rückkehrentscheidung und Ausweisung des BF würde sohin zu einer Trennung des BF von seinen in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen führen und wäre eine Aufrechterhaltung des Kontakts zur Gattin zwar virtuell oder telefonisch möglich, den Kontakt zur Tochter könnte der BF dadurch aber nicht aufrechterhalten. Die Tochter des BF ist zum Entscheidungszeitpunkt erst knapp neun Monate alt und befindet sie sich sohin noch nicht in einem Alter, in welchem es ihr tatsächlich möglich wäre, den Kontakt zu ihrem Vater über das Telefon oder Videoanrufe effektiv weiterzuführen. In diesem Zusammenhang ist auf die geltende Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Annahme als lebensfremd erachtet werde, dass der Kontakt zwischen einem Kleinkind und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien aufrechterhalten werden könne (vgl. dazu VfGH 3.10.2019, E3456/2019; 25.2.2013, U2241/2012; 19.6.2015, E426/2015; 12.10.2016, E1349/2016; 11.6.2018, E343/2018, E345/2018).

Der BF lebt aktuell im gemeinsamen Haushalt mit seiner Gattin und seiner Tochter und beteiligt sich intensiv an der Erziehung und der Versorgung der Tochter. Es ist jedenfalls anzunehmen, dass eine enge Bindung zwischen dem BF, seiner Gattin und seiner Tochter besteht. Die Gattin wird aktuell unverändert wegen psychischer Beschwerden behandelt. Die Tochter ist wesentlich zu früh auf die Welt gekommen, wobei auch gesundheitliche Beschwerden der Gattin verstärkt wurden. Ohne Hilfe des BF wäre eine Betreuung des gemeinsamen Kindes aktuell nicht möglich, wie die Ehegattin glaubhaft darlegen konnte.

3.5.6. Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Fall Sisojeva ua., Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Fremde in Österreich über schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0031; 23.06.2015, Ra 2015/22/0026). Ein über zehnjähriger inländischer Aufenthalt kann den persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet – unter Bedachtnahme auf die jeweils im Einzelfall zu beurteilenden Umstände – ein großes Gewicht verleihen bzw. eine auf einen unrechtmäßigen Aufenthalt gegründete aufenthaltsbeendende Maßnahme als unverhältnismäßig erscheinen lassen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, können solche aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ausnahmsweise auch nach einem mehr als zehn Jahre dauernden Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden (s. VwGH 22.01.2013, 2011/18/0036). Zuweilen wurde – ausgehend von den zugunsten eines Fremden festgestellten Umständen – diese Rechtsprechung auch auf einen knapp zehn Jahre noch nicht erreichenden Aufenthalt angewendet (vgl. zu einem Aufenthalt von mehr als neuneinhalb Jahren VwGH 09.09.2014, 2013/22/0247). Diese Rechtsprechung betraf allerdings nur Konstellationen, in denen sich aus dem Verhalten des Fremden – abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich – sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (s. VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0054). Umgekehrt kann auch ein langjähriger Aufenthalt des Fremden in Österreich durch sein massives strafrechtliches Fehlverhalten relativiert sein (VwGH 01.03.2016, Ra 2015/18/0247).

Bei der Beurteilung des Grades der Integration des Fremden ist insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen (vgl. dazu etwa VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/22/0023).

Im gegenständlichen Fall ist der BF unter Umgehung der Grenzkontrollen und somit illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Er hält sich nunmehr seit spätestens Oktober 2022, somit erst seit einem Jahr und vier Monaten im Bundesgebiet auf. Wenngleich weder das Gesetz noch die Rechtsprechung eine konkrete Aufenthaltsdauer nennen, welche auf eine Relevanz im Hinblick auf Art. 8 EMRK hindeutet, ist im gegenständlichen Fall darauf hinzuweisen, dass die im vorliegende Aufenthaltsdauer von einem Jahr und vier Monaten zu kurz ist um von einer rechtlich relevanten Integration sprechen zu können. Der BF durfte sich in Österreich bisher auch nur aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten. Der Asylantrag war zu keinem Zeitpunkt berechtigt.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist und dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0002, mwN). Im Umkehrschluss ist sohin davon auszugehen, dass einer darüber hinausgehenden Aufenthaltsdauer eine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Abwägung zukommen kann.

Liegt – wie im gegenständlichen Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. etwa VwGH 30.12.2019, Ra 2019/18/0498, mwN).

Gegenständlich weist der BF aber keine besonderen Integrationsschritte auf. Er erwarb das Deutschzertifikat auf dem Niveau A1 und verfügt somit bislang lediglich über rudimentäre Deutschkenntnisse. Wenngleich er aktuell zwar einer Beschäftigung als Zusteller nachgeht, ist diesbezüglich auszuführen, dass der BF dieser Tätigkeit nur in geringem Ausmaß nachgeht und dadurch keine Selbsterhaltungsfähigkeit erreicht. Er ist weiterhin auf Leistungen aus der Grundversorgung angewiesen. Auch ist er nicht Mitglied in einem Verein oder anderswertig ehrenamtlich tätig. Abgesehen von seiner Tochter und seiner Gattin sind keine besonderen sozialen Kontakte des BF in Österreich hervorgekommen.

Das Interesse des BF an der Aufrechterhaltung seiner privaten Interessen im Bundesgebiet ist auch dadurch geschwächt, dass er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein musste.

Dass der BF strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen.

Zu Lasten des BF ist ferner anzumerken, dass nach wie vor von einer engen Bindung des BF in sein Herkunftsland auszugehen ist, zumal er dort den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat. Er wurde in der Russischen Föderation sozialisiert und bestritt dort seinen Lebensunterhalt. Er spricht auch eine Landessprache als Muttersprache. Hinzu kommt, dass er nach wie vor familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Mutter und seiner Schwester sowie weiterer Angehöriger hat.

3.5.7. Den privaten Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Der BF konnte während der kurzen Aufenthaltsdauer zwar kleine Integrationsschritte setzen, es liegen jedoch keine außergewöhnlichen Umstände vor.

3.5.8. Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG jedenfalls begründet abzusprechen. Ergibt die Abwägung, dass die privaten und familiären Interessen des Fremden das öffentliche Interesse an der Erlassung einer Rückkehrentscheidung überwiegen, hat diese zu unterbleiben. Zugleich ist auszusprechen, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nur vorübergehend oder auf Dauer unzulässig ist. Wird Ersteres rechtskräftig festgestellt, ist der Aufenthalt des betreffenden Fremden damit gemäß § 46a Abs 1 Z 4 (iVm Abs 6) FPG geduldet. Kommt es zum Ausspruch, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, ist gemäß § 58 Abs 2 AsylG gegebenenfalls ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG von Amts wegen zu erteilen (vgl VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0224). Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist nur dann von Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger und Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Aufgrund der oben angeführten Überlegungen ist spruchgemäß festzustellen, dass gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung – zur Aufrechterhaltung des Familienlebens während des erhöhten Betreuungsbedarfs der Gattin und des gemeinsamen Kindes nach der problematischen Frühgeburt – in Bezug auf den Herkunftsstaat, Russische Föderation, vorübergehend unzulässig ist.

Der erhöhte Betreuungsbedarf ergibt sich aus dem Kleinkindalter des gemeinsamen, erst am XXXX geborenen Kindes, der Frühgeburt und den damit einhergegangenen medizinischen Komplikationen bei Mutter und Kind iVm der psychischen Verfassung der Ehegattin in Folge ihrer in W129 2197280-1/16E beschriebenen – erzwungenen – Isolation von der eigenen Kernfamilie.

Der Aufenthalt des BF ist daher geduldet iSd § 46a Abs. 1 Z 4 FPG.

Entsprechend war der angefochtene Bescheid dahingehend abzuändern, dass der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. spruchgemäß stattzugeben und die entsprechenden darauf aufbauenden Spruchpunkte V. und VI. ersatzlos zu beheben waren.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

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