Spruch
G310 2303616-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerde der rumänischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch den Rechtsanwalt Dr. Benno Wageneder, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 11.09.2024, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:
A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Verfahrensgang:
Am 06.06.2024 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) davon unterrichtet, dass die Beschwerdeführerin (BF) laut Abschlussbericht der Polizeiinspektion XXXX vom 21.05.2024, GZ. XXXX , in Verdacht steht, einen Ladendiebstahl begangen zu haben. Dazu wurde die BF am 09.05.2024 von der Polizeiinspektion XXXX niederschriftlich befragt.
Mit Schreiben des BFA vom 17.05.2024 [sic!] wurde die BF aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu äußern und Fragen zu ihrem Privat- und Familienleben und ihrem Aufenthalt in Österreich zu beantworten. Die BF erstattete keine Stellungnahme.
Am 18.07.2024 wurde das BFA von der Staatsanwaltschaft XXXX zur GZ. XXXX , davon verständigt, dass das Ermittlungsverfahren gegen die BF zum Teil eingestellt wurde, weil die dem Ermittlungsverfahren zugrundeliegende Taten teilweise nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht sind oder sonst die weitere Verfolgung aus rechtlichen Gründen unzulässig wäre.
Am 23.08.2024 langte beim BFA ein neuerlicher Abschlussbericht betreffend die BF ein, diesmal von der Polizeiinspektion XXXX zur GZ. XXXX . Demnach wird die BF abermals beschuldigt, einen Diebstahl begangen zu haben.
Diesbezüglich wurde vom Bezirksgericht XXXX zu XXXX , Anklage wegen des Verdachts des Vergehens des Diebstahls erhoben. Eine diesbezügliche Verständigung des BFA erfolgte am 10.09.2024.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen die BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein dreijähriges Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte ihr gemäß § 70 Abs 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit seinen strafgerichtlichen Verurteilungen und dem Fehlen familiärer, sozialer und beruflicher Bindungen in Österreich begründet.
Dagegen richtet sich die erhobene Beschwerde mit den Anträgen, eine Beschwerdeverhandlung anzuberaumen und das Aufenthaltsverbot ersatzlos zu beheben. Die Beschwerde wird zusammengefasst damit begründet, dass die bislang strafgerichtlich unbescholtene BF nicht wusste, dass die an den Straftaten Mitbeteiligten vorhatten Diebstähle zu begehen. Sie habe sich von diesen Menschen distanziert und möchte ein anständiges Leben führen.
Das BFA legte dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens mit dem Antrag vor, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, und erstattete eine Gegenäußerung.
Mit Teilerkenntnis des BVwG vom 12.12.2024, GZ: G310 2303616-1/3Z, wurden die Spruchpunkte II. und III. ersatzlos behoben, da die BF bereits vor der Vorlage der Beschwerde nach Rumänien ausgereist ist.
Seitens des BVwG wurden der Strafantrag der Staatsanwaltschaft XXXX an das Bezirksgericht XXXX zur GZ. XXXX und die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft XXXX zur GZ. XXXX eingeholt.
Feststellungen:
Die BF ist eine am XXXX in der rumänischen Ortschaft XXXX geborene rumänische Staatsangehörige. Sie ist geschieden, gesund und arbeitsfähig. Sorgepflichten bestehen für ein minderjähriges Kind. Ihre Muttersprache ist Rumänisch, sie verfügt aber auch über Kenntnisse der deutschen Sprache. Nach acht Jahren Grundschule besuchte die BF vier Jahre das Gymnasium, welches sie mit Matura abschloss. Sie ist ausgebildete Buchhalterin. Die BF besitzt einen am XXXX ausgestellten rumänischen Personalausweis.
Seit 2016 sind Wohnsitzmeldungen der BF im Bundesgebiet dokumentiert, wobei immer wieder Unterbrechungen von mehreren Monaten bzw. Jahre vorliegen. Durchgehend gemeldet war sie zuletzt von XXXX bis XXXX . Grund für die Abmeldung war ihr Wegzug nach Rumänien.
Beschäftigungszeiten der BF in Österreich liegen seit XXXX vor, wobei auch hier mehrmonatige bzw. mehrjährige Unterbrechungen vorliegen. Aktuell ist sie seit XXXX geringfügig als Arbeiterin beschäftigt. Eine Anmeldebescheinigung wurde von ihr nie beantragt.
Die BF ist strafgerichtlich unbescholten und weist auch keine Verurteilungen in anderen EU-Ländern auf. Der BF wird vorgeworfen, dass sie zusammen mit einem rumänischen Staatsangehörigen am XXXX in XXXX ein Parfum und ein Aftershave aus einem Drogeriemarkt gestohlen habe, indem sie sich vor ihn gestellt habe, während dieser die genannten Artikel unter seiner Bekleidung verbogen hätte und beide sodann ohne zu bezahlen das Geschäft verlassen hätten, wobei ein Schaden von EUR 219,98 entstanden sei. Dass sie auf dem Überwachungsvideo zu sehen sei, wird von der BF nicht bestritten, allerdings behauptet sie, vom Diebstahl nichts mitbekommen zu haben.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.
Die Feststellungen basieren insbesondere auf den Angaben der BF vor der Polizei und in der Beschwerde sowie den Informationen aufgrund von Abfragen im Zentralen Melderegister (ZMR), Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), Strafregister sowie den Sozialversicherungsdaten.
Die BF wies sich der Polizei gegenüber mit ihrem rumänischen Personalausweis aus, der im Abschlussbericht dokumentiert wurde. Die Angaben zu ihrem Privat- und Familienleben resultieren ebenfalls aus dem Abschlussbericht samt der mit ihr aufgenommenen Beschuldigtenvernehmung und ihren Angaben in der Beschwerde.
Die Wohnsitzmeldungen in Österreich ergeben sich aus dem ZMR, die Beschäftigungszeiten aus dem Sozialversicherungsdatenauszug. Im Fremdenregister ist keine Ausstellung einer Anmeldebescheinigung dokumentiert.
Das Verfahren hat keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme ergeben. Seine Arbeitsfähigkeit folgt aus ihrem erwerbsfähigen Alter und der bislang ausgeübten Erwerbstätigkeit.
Die Feststellungen der der BF zur Last gelegten Straftaten gehen aus den Strafanträgen und der Anklageschrift hervor, wobei diese im Hinblick auf die BF ident sind. Daraus geht weiters hervor, dass die BF in anderen EU-Ländern ebenfalls unbescholten ist.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den BF als EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger, der den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen oder verwaltungsrechtliche Bestrafungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).
§ 67 FPG dient der Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl § 2 Abs 4 Z 18 FPG), und zwar insbesondere der Umsetzung von deren Art 27 und 28 (VwGH Fr 2016/21/0020), und ist in erster Linie in Fällen schwerer Kriminalität anzuwenden (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1).
Da sich die BF weder seit zehn Jahren im Bundesgebiet aufhält noch das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben hat (das idR einen fünfjährigen rechtmäßigen und kontinuierlichen Aufenthalt voraussetzt, siehe § 53a NAG), ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") anzuwenden. Dieser erfordert einen höheren Gefährdungsgrad als § 53 Abs 3 FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit"; siehe VwGH 02.09.2021, Ra 2021/21/0103).
Zwar kann ein Fehlverhalten auch dann zur Beurteilung der für ein Aufenthaltsverbot erforderlichen Gefährdungsprognose herangezogen werden, wenn dieses Verhalten (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat. Ein solches Vorgehen verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung, erfordert jedoch entsprechende, in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren getroffene Feststellungen zum Fehlverhalten selbst und nicht bloß zu einer allenfalls bestehenden, nicht weiter verifizierten Verdachtslage (siehe VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0349 und 25.07.2023, Ra 2023/20/0088). Solche Feststellungen, die über die gegen die BF bestehende Verdachtslage hinausgehen, können hier jedoch nicht getroffen werden, zumal das vom BFA in diesem Zusammenhang herangezogene Verhalten der BF keine Gefährdung nach § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG begründet.
Obwohl der BF vorgeworfen wird, gegen strafrechtliche Normen verstoßen zu haben, liegt angesichts der Umstände, dass sie bislang unbescholten ist, versucht hat, am inländischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und es bis dato auch noch zu keiner Verurteilung gekommen ist, kein so schwerwiegendes Fehlerhalten vor, das die Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots notwendig macht. Das Verhalten der BF erfüllt sohin diesen Gefährdungsmaßstab nicht.
Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen die BF somit nicht erfüllt sind, ist Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben. Die darauf aufbauenden Spruchpunkte II. und III. (Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs und Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) wurden bereits mit Teilerkenntnis vom 12.12.2024 behoben.
Da ein geklärter Sachverhalt vorliegt und die BF auch in der Beschwerde kein ergänzendes klärungsbedürftiges Tatsachenvorbringen erstattete, kann eine Beschwerdeverhandlung unterbleiben, zumal iSd § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0033). Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (VwGH 11.05.2017, Ra 2016/21/0022; 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.