JudikaturBVwG

L516 2285692-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
13. Februar 2025

Spruch

L516 2285692-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Libanon, vertreten durch den MigrantInnenverein St Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.10.2023, 1318754002/222461796, nach mündlicher Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II wird stattgegeben. XXXX wird gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 und 5 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III bis VI des angefochtenen Bescheides werden gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist libanesischer Staatsangehöriger und stellte am 08.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit Bescheid vom 30.10.2023 den Antrag (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ (IV.) gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte (V.) gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (VI.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 14.05.2024 eine mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer mit seiner Rechtsvertretung teilnahm; die belangte Behörde erschien nicht.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich]

1.1 Zu den Personen der Beschwerdeführenden im Libanon

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angegebenen Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer wurde im Libanon geboren und ist libanesischer Staatsangehöriger. Er gehört der arabischen Volksgruppe und der schiitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht fest (NS EV 26.06.2023 S 3; Bescheid 30.10.2023 S 10)

Der Beschwerdeführer wurde in der Stadt XXXX im Gouvernement Süd-Libanon geboren, lebte jedoch mehrheitlich in den umliegenden Orten XXXX und XXXX . Er hat im Südlibanon in XXXX bis zur 7. Klasse die Schule besucht, eine zweijährige Ausbildung zum Elektriker absolviert und (von Ende 2014 bis Ende 2021) als Elektriker gearbeitet. Danach nahm er an einer weiteren zweimonatigen Ausbildung im Elektrobereich teil. (NS EV 26.06.2023 S 4, 8)

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er verfügt im Libanon noch über seine Mutter und einen Bruder, welche zusammen in XXXX leben. Die Mutter des Beschwerdeführers arbeitet in einem Kindergarten, sein Bruder ist Friseur. Der Aufenthaltsort des Vaters des Beschwerdeführers ist dem Beschwerdeführer nicht bekannt; er weiß auch nicht, ob dieser noch lebt. Der Beschwerdeführer hat auch zwei Schwestern, welche beide verheiratet sind und außerhalb des Libanons wohnen. Eine Schwester lebt in Katar, die andere in Afrika. Der Beschwerdeführer hat täglich Kontakt mit seiner Mutter und manchmal auch mit seinem Bruder; ihnen geht es gut. (NS EV 26.06.2023 S 5f.; VS 14.05.2024 S 5f.)

Der Beschwerdeführer reiste am 24.07.2022 mit einem Bus über Syrien nach Jordanien und flog von dort mit einem Flugzeug über die Türkei nach Bosnien und Herzegowina, von wo aus er über Serbien und Ungarn unrechtmäßig in Österreich einreiste. (NS EB 08.08.2022 S 4f; NS EV 26.06.2023 S 4)

1.2 Zu den Lebensverhältnissen in Österreich

Der Beschwerdeführer reiste Anfang August 2022 in Österreich ein, wo er sich gestützt auf das vorläufige Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz seit nunmehr rund zwei Jahren ununterbrochen rechtmäßig aufhält. (IZR; ZMR)

Der Beschwerdeführer bezog von 08.08.2022 bis 23.11.2022 und erneut von 01.02.2023 bis 01.05.2023 Leistungen aus der Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich. Seit 30.03.2023 ist der Beschwerdeführer bei der XXXX beschäftigt, die für den Beschwerdeführer über eine Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als Buffetkraft für die Zeit vom 27.03.2023 bis 26.03.2024 im Ausmaß von 40 Stunden pro Woche verfügt(e). Der Beschwerdeführer zeigt sich damit arbeitswillig und arbeitsfähig. (GVS; Hauptverbandsabfrage [AJ-Web]; AMS Beschäftigungsbewilligung vom 27.03.2023, Abrechnungsbelege/Lohnzettel Februar bis April 2024 [Beilagen VS])

Der Beschwerdeführer hat einen Deutsch-Integrationskurs Niveau A2 besucht und verfügt inzwischen über grundlegende Deutschkenntnisse. (VS 14.05.2024 S 3, 5; Bestätigung Volkshochschule Vöcklabruck vom 07.05.2024 [Beilage VS])

Er führt aktuell keine partnerschaftliche oder familienähnliche Beziehung in Österreich, verfügt über Freunde und Bekannte und ist in einem Fitness- Studio angemeldet. (VS 14.05.2024 S 5)

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten. (Strafregister der Republik Österreich)

1.3 Zum Gesundheitszustand

Der Beschwerdeführer ist gesund, nimmt keine Medikamente ein und steht nicht in regelmäßiger ärztlicher Behandlung. Er hat in Österreich im Frühjar 2024 wegen Herzschmerzen einmalig ein Krankenhaus aufgesucht und wurde ambulant behandelt. Ihm wurde im Krankenhaus mitgeteilt, dass alles in Ordnung sei. Seither war der Beschwerdeführer weder bei einem Arzt noch im Krankenhaus. (NS EV 26.06.2023 S 2.; VS 14.05.2024 S 3f.)

Der Beschwerdeführer leidet somit an keinen lebensbedrohlichen und auch an keiner akut behandlungsbedürftigen Krankheiten. Es besteht im Falle des Beschwerdeführers keine reale Gefahr, dass ihm im Libanon eine schwere, rapide und irreversible Gesundheitsverschlechterung droht, die mit intensivem Leiden oder mit einer signifikanten Verkürzung der Lebenserwartung verbunden ist.

1.4 Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz

Bei der Erstbefragung am 08.08.2022 begründete der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz damit, dass die Hizbollah seinen Vater getötet habe und auch ihn töten werden. Bei einer Rückkehr in die Heimat befürchte er den Tod. Hinweise, dass ihm bei einer Rückkehr unmenschliche Behandlung/Strafe oder die Todesstrafe drohe oder er mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen habe, gebe es keine. (NS EB 08.08.2022 S 6)

Bei der Einvernahme vor dem BFA am 26.06.2023 führte der Beschwerdeführer zu seinen Antragsgründen aus, er selbst sei nicht politisch tätig gewesen. Die Milizen der Hizbollah hätten aber seinen Vater angeworben, um in Syrien zu kämpfen und dieser sei freiwillig mitgegangen. Sie seien dann noch einmal wegen dem Bruder des Beschwerdeführers gekommen. Dieser habe ein Nierenproblem und müsse zur Dialyse, aber sei auch freiwillig mitgegangen. Sie hätten auch gewollt, dass der Beschwerdeführer mitkomme. Er habe aber nicht mitgehen wollen. Sie hätten mehrmals versucht, ihn davon zu überzeugen und sei der Beschwerdeführer dadurch psychisch sehr belastet gewesen. Er habe immer abgelehnt. Sein Bruder sei immer hin und her. Diese Leute seien immer zu ihm ins Wohnviertel gekommen. Es seien viele junge Leute bei ihnen im Wohnviertel, die mit ihnen gehen würden. Sie hätten versucht, auch den Beschwerdeführer zu überzeugen. Sie würden auch sagen, dass man Ausbildungen abschließen könne. Sie würden sagen, der Beschwerdeführer müsse mitkämpfen, weil er Schiit sei. Der Beschwerdeführer sei auch wegen der psychischen Probleme im Krankenhaus gewesen. Nachdem er aus dem Krankenhaus gekommen sei, sei er ausgereist. Dies sei alles, er habe immer gearbeitet und es sei ihm gut gegangen. Die Hizbollah sei vielleicht 60- oder 70-mal seit 2019 bei ihm zuhause gewesen, bis er den Libanon verlassen habe. Sie komme jetzt immer noch zu ihm nach Hause. Der Beschwerdeführer habe immer abgelehnt und dies habe keine Konsequenzen gehabt. Sie seien einfach immer wieder gegangen. Bei einer Rückkehr in den Libanon würde er getötet werden. (NS EV 26.06.2023 S 7-9)

In der Beschwerde vom 20.12.2023 wird zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner politischen und religiösen Ansichten in Opposition zur Hizbollah geraten sei. Wegen Drohungen dieser islamistischen Terroristen habe der Beschwerdeführer mangels Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der heimatlichen Behörden nach Österreich flüchten müssen. Der Beschwerdeführer verfüge zudem im Libanon über kein Auffangnetz, das ihm eine Rückkehr ermöglichen könnte; er sei aus seiner Heimat entwurzelt und wäre im Falle einer Rückehr davon auszugehen, dass er in eine auswegslose Lage geraten und damit eine Verletzung der durch Art 2 bzw. 3 EMRK geschützten Rechte vorliegen würde. Zitiert wurd ein Artikel aus dem Standard vom 04.08.2023 mit dem Titel „Im Libanon nehmen die Katastrophen kein Ende“ sowie ein Artikel von „mena-watch“ vom 05.12.2023 mit dem Titel „Die Hizbollah macht Libanon zum Failed State“, um auf die allgemein schlechte Lage im Libanon hinzuweisen. In der Beschwerde wurde zudem die Beauftragung eines landeskundigen Sachverständigen, der sich mit der aktuellen Situation im Libanon befasst, beantragt. (Beschwerde 20.12.2023 S 2, 5-10)

In der mündlichen Verhandlung am 14.05.2024 gab der Beschwerdeführer zu seinen Ausreisegründen an, er habe den Libanon am 24.07.2022 verlassen. Er sei vor der Miliz der Hizbollah geflüchtet. Sie hätten seinen Vater mitgenommen. Sie (iSv „Wir“) würden nichts mehr über ihn wissen. Die Leute der Hizbollah hätten seinen Bruder mitgenommen und ihn freigelassen, weil er krank sei. Jene Leute hätten auch den Beschwerdeführer mitnehmen wollen, damit er für sie kämpfe. Er sei aber ein friedlicher Mann. Er möchte kein Blut an den Händen haben. Jene Leute hätten eine Waffe gegen seinen Kopf gerichtet. Er sei von ihnen geschlagen und an der linken Oberlippe und am Rücken verletzt worden. Dann sei er im Spital gewesen. Die Hizbollah hätte seinen Vater und seinen Bruder mitgenommen. Er wolle nicht für sie kämpfen. Falls er in den Libanon zurückkehre, müsste er mit denen zusammenarbeiten. Sonst würden sie ihn töten. Daher sei er nach Österreich geflüchtet. Die Ehemänner seiner Schwestern würden ebenfalls von der Hizbollah rekrutiert werden, falls sie in den Libanon zurückkehren würden. Im Süden herrsche ein Krieg. Jeden Tag gebe es dort Probleme. (VS 14.05.2024 S 8)

Erstmals brachte der Beschwerdefüher in der mündlichen Verhandlung vor, sich von 2019 bis 2021 bzw. 2022 bei seiner Tante mütterlicherseits in einem Dorf namens XXXX versteckt zu haben. (VS 14.05.2024 S 9f.)

Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers erstattete im Rahmen der Beschwerdeverhandlung eine Stellungnahme und führte aus, dass sich der Libanon spätestens seit der Bombenexplosion im Hafen in einer wirtschaftlichen und politischen Ausnahmesituation befinde, die keine Anzeichen einer Verbesserung zeige. Seit dem 07.Oktober sei auch die Sicherheitslage noch fragiler geworden. Die Hizbollah kontrolliere zentrale Bestandteile des libanesischen Verwaltungsapparats und auch des Militärs. Sowohl die österreichische als auch die deutsche Botschaft in Beirut dränge alle Staatsbürger, den Libanon so schnell wie möglich zu verlassen. Jeden Tag könnte ein offener Krieg mit Israel ausbrechen. Eine Rückkehr des Beschwerdeführers sei daher nicht zumutbar. Einerseits, weil er der Gefahr ausgesetzte wäre, in eine existenzielle Notlage zu geraten. Andererseits, weil die allgemeine Situation im Libanon eine Rückkehr nicht zulasse. (VS 14.05.2024 S 12)

1.5 Zur Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens und Gefährdung bei einer Rückkehr in den Libanon

Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Bedrohung durch die Hizbollah ist nicht glaubhaft. Er hat darüber hinaus keine anderen Gründe für die Antragstellung behauptet.

Der Beschwerdeführer hat mit seinem Vorbringen somit nicht glaubhaft gemacht, dass er im Fall seiner Rückkehr in den Libanon zum gegenwärtigen Zeitpunkt tatsächlich – mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit – individuell konkret einer unmittelbaren Bedrohung aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen oder aufgrund der Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt sein wird, oder ihm aus einem dieser Motive staatlicher Schutz verweigert werden würde.

1.6 Zur Ländersituation im Libanon

BAMF Briefing Notes Gruppe 62 – Informationszentrum Asyl und Migration

10.02.2025

Kämpfe an der syrisch-libanesischen Grenze

An der Grenze zwischen dem libanesischen Distrikt Hermel und dem syrischen Distrikt Qusair kam es seit dem 07.02.25 wiederholt zu Kämpfen zwischen mit der neuen syrischen Regierung assoziierten Kämpfern und Mitgliedern verschiedener bewaffneter schiitischer Familien der Region. Speziell große Teile der Großfamilien Jaafar, Zaiter und mehrerer anderer, mit der Hizbollah assoziierten Familien wie den Noun, Jamal und Rachini leben in mehreren Siedlungen entlang der Grenze, die teilweise zwischen den Staaten umstritten ist. Entlang der Grenze gibt es mehrheitlich von Libanesinnen und Libanesen bewohnte Dörfer auf syrischem Territorium und mehrheitlich von Syrerinnen und Syrern bewohnte Dörfer auf libanesischem Territorium. Mitglieder der benannten Familien sind Berichten zufolge seit vielen Jahren in den Drogen- und Waffenschmuggel der Region involviert und stehen dabei teilweise trotz der grundlegenden Loyalität Hizbollah gegenüber in Konkurrenz zueinander.

Am 06.02.25 kam es im Rahmen einer koordinierten Aktion der syrischen Streitkräfte zu Gefechten mit libanesischen Staatsangehörigen. Gekämpft wurde rund um die mehrheitlich von Libanesen bewohnte syrische Kleinstadt Hawik. Angeblich forderten Kämpfer der syrischen Hayat Tahrir al-Sham (HTS) die Übergabe eines Beobachtungspostens der Hizbollah, der zum Drogenschmuggel genutzt worden sei. Im Zuge der Kämpfe soll es mindestens vier Tote und zehn Verwundete gegeben haben, zwei Kämpfer der HTS sollen von bewaffneten Libanesen gefangen genommen worden sein. Bei den Auseinandersetzungen sollen auch schwere Waffen zum Einsatz gekommen sein. 16 Mädchen, die den genannten libanesischen Familien entstammen, sollen von syrischen Sicherheitskräften gefangen genommen worden sein. Anderen Berichten zufolge wurden vor allem der Dorfvorsteher (Mukhtar) und andere Honoratioren verhaftet.

Auch aus dem Grenzdorf Jirmash wurden Gefechte gemeldet. Geschosse sollen dabei auf der libanesischen Seite der Grenze in der Nähe der Ortschaft al-Qasr eingeschlagen sein. Die libanesische Armee kündigte an, Verstärkung in die Region zu schicken.

Medienberichten zufolge kam es am Morgen des 07.02.25 zu einem Gefangenenaustausch, bei dem beidseitig alle zuvor festgesetzten Personen freigelassen wurden. Der libanesische Staatspräsident Aoun telefonierte demnach mit dem syrischen Präsidenten al-Sharaa, um die Lage in der Grenzregion zu besprechen.

Am 08.02.25 soll es zu Artilleriebeschuss mehrerer libanesischer Dörfer, darunter Jarmach und Qanafez durch, durch syrische Stellungen gekommen sein, bei denen angeblich 50 Artilleriegranaten auf libanesischem Gebiet einschlugen. Einwohner gaben an, eine syrische Drohne des Typs „Shaheen“ abgeschossen zu haben. In der Nacht zum 08.02.25 soll laut Aussagen der beteiligten Großfamilien ein syrischer Panzer versucht haben, die Grenze zu überqueren, und dabei mittels einer Panzerabwehrlenkwaffe zerstört worden. Die libanesische Armee gab bekannt, dass inzwischen die Anweisung bestünde, Beschuss von syrischer Seite mit angemessenen Mitteln zu erwidern.

Am 09.02.25 soll es zum Abschuss zweier weiterer syrischer Drohnen durch die libanesische Armee gekommen sein, die inzwischen substanzielle Kräfte vor Ort hat.

03.02.2025

Entwicklungen in Südlibanon

Der israelische Abzug aus Südlibanon schreitet weiter voran. Zuletzt verließen israelische Truppen die Kleinstadt Aitaroun, nachdem die Übernahme durch die libanesische Armee gesichert war. Erneut kam es am 02.02.25 zu einem „Marsch der Rückkehr“ von Einwohnerinnen und Einwohnern bisher nicht geräumter Siedlungen, bei denen es diesmal aber keine Todesopfer gegeben haben soll. Ebenso kam es zu einzelnen Verhaftungen von libanesischen Staatsangehörigen durch die israelische Armee.

Weiterhin kommt es zu gegenseitigen Beschuldigungen des Bruchs der Waffenruhe. Am 30.01.25 flog eine der Hizbollah zugeschriebene Aufklärungsdrohne in den israelischen Luftraum ein und wurde abgefangen. Im Gegenzug kam es zu einem israelischen Militärschlag in der Bekaa-Ebene, bei dem zwei Menschen starben

27.01.2025

Entwicklungen in Südlibanon

Die ursprüngliche Frist zum Rückzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon lief am 27.01.25 ab. Am Abend desselben Tages wurde bekannt gegeben, dass eine Einigung zwischen Libanon und Israel erzielt worden sei, dass die Rückzugsfrist bis zum 18.02.25 verlängert werde. Im Gegenzug sollen Verhandlungen über die Rückführung von durch Israel gefangengenommenen Kämpfern der Hizbollah aufgenommen werden.

Beide Seiten werfen sich gegenseitig Verletzungen des Waffenstillstandsabkommens vor. Vorwürfen des zu langsamen Abzuges stehen Vorwürfe der zu langsamen Entsendung libanesischer Streitkräfte nach Südlibanon gegenüber, die das Gewaltmonopol des Staates in der Region wiederherstellen sollten. Weiterhin sei es nach israelischen Angaben zu Razzien und Luftschlägen gegen Waffendepots und andere Infrastruktur der Hizbollah gekommen, da die libanesischen Streitkräfte diese nicht vereinbarungsgemäß demilitarisiert hätten.

Am 26.01.25 kam es zu den bisher folgenschwersten Zwischenfällen seit Ende der Kampfhandlungen. Nachdem die israelische Armee zuvor für etwa 60 Dörfer und Ortschaften in Grenznähe weiterhin ein Betretungsverbot verfügt hatte, kam es zumindest in den Ortschaften Houla und Kfar Kila zu Durchbruchsversuchen sowohl der israelischen als auch der libanesischen Straßenblockaden durch Ansammlungen mehrerer zivil gekleideter Personen. Videos des Geschehens in Kfar Kila zeigen auch die Präsenz von Flaggen der Hizbollah, das von der Hizbollah betriebene Al-Manar-TV übertrug die Geschehnisse live. In beiden Ortschaften eröffnete die israelische Armee das Feuer. Laut Aussagen des libanesischen Gesundheitsministeriums ist es bis zum Abend des 26.01.25 zu mindestens zu 22 Toten und 124 Verletzten gekommen. Unter den Toten befinden sich demzufolge auch ein Soldat der libanesischen Armee und sechs Frauen. Das israelische Militär kündigte eine Untersuchung bezüglich des getöteten libanesischen Soldaten an.

Ebenfalls am 26.01.25 berichtete eine internationale Tageszeitung über umfangreiche Leaks libanesischer Offiziere an die Hizbollah. Demnach hätten selbst höchste Ränge der libanesischen Armee wiederholt Mitglieder der Hizbollah davor gewarnt, dass Israel im Falle einer ausbleibenden Durchsetzung des vereinbarten Waffenstillstandsabkommens durch die libanesischen Streitkräfte nach wie vor begrenzte Militärschläge gegen bekannte Stellungen und Lager der Hizbollah südlich des Litani durchführen könnte.

UNHCR - Libanon Emergency Flash Update Nr 22, 10.02.2025

https://reporting.unhcr.org/lebanon-emergency-flash-update-22

Situationsübersicht

In der Bekaa werden die täglichen Überfahrten am offiziellen Grenzübergang Masnaa (OCP) mit einer niedrigen, aber stetigen Rate fortgesetzt, die im Durchschnitt 1.000 Ein- und Ausstiegsbewegungen pro Tag beträgt. Aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage entlang der Grenzen von Qaa und Hermel wurden jedoch keine Grenzübertritte von Qaa OCP gemeldet. Im Nordlibanon ist der offizielle Grenzübergang Arida (OCP) seit dem 3. Februar geschlossen, da die öffentlichen Arbeiten noch nicht abgeschlossen sind. Darüber hinaus finden weiterhin grenzüberschreitende Bewegungen über inoffizielle Grenzübergangsstellen statt.

Am 8. Februar meldete das Katastrophenrisikomanagement der Regierung rund 94.000 Ankünfte aus Syrien im Gouvernement Baalbek, darunter schätzungsweise 20.000 libanesische Rückkehrer. Als Reaktion auf grenzüberschreitende Vertreibungen stimmt sich das UNHCR eng mit den Behörden ab, um sich in erster Linie auf Maßnahmen zur Verbesserung der materiellen Hilfe zu konzentrieren.

Familien sind bei der sicheren Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete im Südlibanon weiterhin mit Hindernissen konfrontiert, die auf beschädigte Wohnungen und Infrastruktur, Beschränkungen der Rückkehr in bestimmte Gemeinden und andere Einschränkungen der Bewegungsfreiheit syrischer Flüchtlinge zurückzuführen sind.

Die israelischen Luftangriffe im Südlibanon und in der Bekaa dauerten an und verursachten Verluste und Verletzungen. Das Südgouvernement sah sich mit der Zerstörung von Häusern und Infrastruktur in Grenzgebieten durch die israelische Armee konfrontiert.

Die vom UNHCR im Januar 2025 durchgeführte Umfrage zur Wahrnehmung und Absicht von Flüchtlingen (Refugee Perceptions and Intentions Survey – RPIS) zeigt, dass ein zunehmender Anteil der Flüchtlingsbevölkerung die klare Absicht bekundet, nach Syrien zurückzukehren. Die Flüchtlinge im Libanon legen großen Wert darauf, ihren Lebensunterhalt zu sichern, Zugang zu ihren Immobilien oder alternativen Unterkünften zu erhalten und die Sicherheit zu verbessern, bevor sie eine endgültige Entscheidung über die Rückkehr treffen.

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation LIBANON Sicherheitslage für Zivilisten, 23.12.2024 (Stand 30.12.2024)

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass die israelischen Streitkräfte (IDF) ihre Angriffe insbesondere ab Mitte September 2024 deutlich intensiviert haben. Neben Luftangriffen und dem Einsatz von Sprengsätzen in Kommunikationsmitteln der Hizbollah, der Israel zugeschrieben wird, umfasste dies ab 1.10. auch eine begrenzte Bodenoperation im Süden des Libanon. Ende November wurde ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der Hizbollah und Israel vereinbart, wobei seitdem weitere Angriffe beider Seiten stattgefunden haben, bei denen ACLED bis zum 20.12. [letztverfügbare Daten] insgesamt 39 Todesopfer verzeichnete.

ACLED zählte im September, Oktober und November 2024 im Libanon so viele Luftangriffe, wie in keinem anderen Monat oder Konflikt in der Region seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2017. Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums starben seit Beginn der Eskalation [nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 8.10.2023] bis Anfang Dezember 2024 insgesamt 4.047 Personen im Libanon im Zusammenhang mit den israelischen Angriffen und 16.638 wurden verletzt, wobei mit 3.402 Toten und 14.655 Verletzten deutlich mehr Opfer nach dem 15.9.2024 zu verzeichnen waren, als davor. Das libanesische Gesundheitsministerium differenziert bei seinen Angaben nicht zwischen Zivilisten und Kombattanten, und auch die Hizbollah veröffentlicht keine Daten zu ihren getöteten Kämpfern, jedoch befanden sich unter den Opfern 316 tote und 1.456 verletzte Kinder sowie 790 tote und 2.567 verletzte Frauen [Gesamtzeitraum seit 8.10.2023].

Es wurden einzelne Angriffe dokumentiert, die Amnesty International als gezielte, oder zumindest wahllose Angriffe auf Zivilisten einstuft, da sich in der Nähe der Ziele keine militärischen Einrichtungen befunden hätten. Andere Quellen attestierten den IDF zumindest eine „hohe Toleranz“ beim Inkaufnehmen von zivilen Opfern. Zwar haben die IDF im Rahmen ihrer derzeitigen Operationen im Libanon keine Flächenbombardements wie in Gaza durchgeführt und Infrastruktur, wie den internationalen Flughafen, Seehäfen, Kraftwerke und Brücken nicht ins Visier genommen, allerdings fanden Angriffe auf dicht besiedelte Wohngebiete statt. Im September 2024 explodierten rund 5.000 von der Hizbollah verwendete, mutmaßlich von israelischer Seite mit Sprengstoff präparierte Pager, am darauffolgenden Tag auch Funkgeräte. Die Pager wurden vermutlich vor allem an Hizbollah-Funktionäre ausgegeben, jedoch explodierten viele an belebten, zivilen Orten. Während eine Quelle zu dem Schluss kommt, dass die Sprengladungen so klein waren, dass sie hauptsächlich zu Verletzungen führten und es keine Berichte über Schäden von unbeteiligten Dritten gäbe, befinden sich unter den Todesopfern der Explosionen auch mindestens zwei Kinder. Mindestens 2.800 Personen wurden verletzt, wobei der Anteil an Zivilisten nicht bekannt ist. Hinzu kommt, dass die IDF Angriffsziele gemäß einem Grundsatz definiert, der Personen als „an einer bewaffneten Gruppe beteiligt“ ansieht, anstelle strikt zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten zu unterscheiden. Da die Hizbollah auch Schulen, Krankenhäuser und Wohltätigkeitsorganisationen betreibt, kann dies mit Risiken für die Zivilbevölkerung einhergehen. Das libanesische Gesundheitsministerium hat bis Anfang Dezember 2024 67 Angriffe auf Krankenhäuser verzeichnet. Bei den Explosionen der präparierten Kommunikationsgeräte wurden u.a. auch zwei Gesundheitsmitarbeiter getötet und der iranische Botschafter im Libanon verletzt [Anm.: die iranische Botschaft bzw. der Botschafter spielen bei der iranischen Unterstützung der Hizbollah eine wichtige Rolle, grundsätzlich handelt es sich hierbei jedoch um eine zivile Einrichtung bzw. Zivilperson].

Der Schwerpunkt der Luftangriffe lag auf den Hochburgen der Hizbollah im Süden, dem Bekaa-Tal im Osten und den Vororten von Beirut [Anm.: d.h. auf den Orten, an denen die Gruppierung Stützpunkte betreibt], allerdings haben die IDF auch weit entfernt von den Hochburgen der Hizbollah Luftangriffe durchgeführt, beispielsweise auf eine christliche Gemeinde in der Nähe der Stadt Tripoli im Norden des Landes. Bei dem Angriff wurden mindestens 20 Menschen getötet, darunter 12 Frauen und zwei Kinder, während sich ein Hizbollah-Mitglied unter den Toten befunden haben soll. Aufgrund des Konfliktes wurden zeitweise bis zu 1,5 Mio. Menschen im Libanon vertrieben. Nachdem Schiiten aus den angegriffenen Gebieten in sunnitische, drusische und christliche Landesteile flohen, wurde befürchtet, dass sich unter den Vertriebenen auch Hizbollah-Funktionäre befinden und diese Gebiete nun ebenfalls Angriffsziele werden könnten. Der israelische Premier Benjamin Netanjahu hatte angekündigt, dass die Hizbollah im gesamten Libanon angegriffen werden würde [Anm.: den Einzelquellen können Karten zur geographischen Verteilung der Angriffsziele entnommen werden].

Es gibt im Libanon kein Luftabwehrsystem ähnlich dem israelischen „Iron Dome“ und auch keine Sirenen oder Schutzräume. Die IDF warnen die libanesische Bevölkerung mitunter vor Angriffen, indem beispielsweise via Handynetz Aufforderungen zum Verlassen bestimmter Gebiete verschickt werden, oder indem ein Sprecher der IDF auf X Angriffe ankündigt. Diese Warnungen werden allerdings nicht immer verschickt und treffen mitunter auch nachts oder zu spät ein. Der Zivilschutz, der nach Luftangriffen Verletzte birgt, ist vor allem auf zivilgesellschaftliche Zuwendungen angewiesen. Das libanesische Gesundheitsministerium verzeichnete bis Anfang Dezember 2024 238 Todesopfer unter Angehörigen der Rettungsgesellschaften, was einen Großteil aller konfliktbedingten Opfer im Gesundheitswesen ausmacht.

Einzelquellen:

[…]

Einer am 12.12.2024 veröffentlichten Analyse von ACLED ist zu entnehmen, dass das Jahr 2024 für den Nahen Osten eine der intensivsten Konfliktperioden seit Jahrzehnten war. Die Auswirkungen des Angriffs der Hamas im Oktober 2023 prägten weiterhin die Ereignisse in der Region, wobei Israel eine klare Bereitschaft zeigte, den Konflikt an mehreren Fronten zu eskalieren. In dem Bestreben, den Nahen Osten neu zu gestalten und eine neue Ordnung durchzusetzen, startete Israel eine Großoffensive gegen die Hizbollah im Libanon. Fast ein Jahr nach dem Versuch der Hizbollah, Israel unter Druck zu setzen, den Krieg in Gaza zu beenden, eskalierten Mitte September die Scharmützel zwischen der Hizbollah und der israelischen Armee. Das Kommunikationsnetzwerk der schiitischen Gruppe wurde durch eine Reihe von Angriffen auf Pager und Walkie-Talkies beschädigt, während ihre oberste Führung, darunter Generalsekretär Hassan Nasrallah, getötet wurde. Die israelische Armee bombardierte den Libanon mit einer beispiellosen Luftangriffskampagne und führte zwischen Mitte September und November 2024 über 5.700 Luftangriffe durch, wodurch sich die Gesamtzahl der israelischen Angriffe im Libanon in den ersten elf Monaten des Jahres 2024 auf über 12.650 erhöhte. Die Zahl der Luftangriffe im Libanon war in den Monaten September, Oktober und November höher als in jedem anderen Monat, der seit 2017 von ACLED in der Region verzeichnet wurde. Während sich die meisten Angriffe der israelischen Streitkräfte zuvor auf den Südlibanon konzentrierten, griff Israel ab Mitte September auch andere Hochburgen der Hizbollah im östlichen Bekaa-Tal sowie die Hauptstadt Beirut an. Trotz des großen Umfangs seiner Luftangriffe verzichtete Israel darauf, Infrastruktur wie den einzigen internationalen Flughafen des Landes, Seehäfen, Treibstofflager, Kraftwerke und Brücken anzugreifen. Am 1.10. startete die IDF eine begrenzte Bodenoffensive im Südlibanon, die in mindestens 34 Städten und Dörfern entlang der libanesischen Grenze operierte. Bis zum 27.11., als Israel und der Libanon einen Waffenstillstand geschlossen hatten, waren die IDF-Truppen bis zum Litani-Fluss im östlichen Sektor und bis zum Wadi-Saluki-Gebiet, etwa vier bzw. zehn Kilometer nördlich der Grenze, vorgedrungen.

[…]

Gemäß einer Analyse von ACLED, die am 1.11.2024 veröffentlicht wurde, haben sich die seit fast einem Jahr stattfindenden wechselseitigen Angriffe zwischen der Hizbollah und Israel seit Mitte September 2024 zu einem faktischen Krieg hochgeschraubt. Israel hat den Libanon mit einer beispiellosen Luftangriffskampagne bombardiert [Anm.: s. auch die Grafik „Monthly air/drone strikes in the Middle East“ in der Originalquelle] und eine begrenzte Bodenoffensive im Südlibanon gestartet. Zweifellos hat die Hizbollah in dieser Zeit große Verluste erlitten, aber wie so oft bei solch intensiven Militäraktionen tragen die Zivilisten die Hauptlast der Gewalt.

Bisher scheint Israel trotz der sehr intensiven Luftangriffe in einigen Teilen des Libanon keine Flächenbombardements wie im Gazastreifen durchgeführt zu haben. Der Schwerpunkt der Luftangriffe lag auf den Hochburgen der Hizbollah im Süden, dem Bekaa-Tal im Osten und den Vororten von Beirut [Anm.: siehe die Karten „IDF airstrikes in Lebanon“ in der Originalquelle]. Aber die israelische Armee hat auch weit entfernt von den Hochburgen der Hizbollah Luftangriffe durchgeführt. So wurden beispielsweise am 14.10. bei einem Angriff auf eine christliche Gemeinde in der Nähe der Stadt Tripoli im Norden des Landes über 20 Menschen getötet, darunter 12 Frauen und zwei Kinder. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass Israel diese Zivilisten ins Visier nehmen wollte, aber es soll sich unter den vertriebenen Familienmitgliedern in dem Haus, das angegriffen wurde, nur ein einziges Hizbollah-Mitglied befunden haben. Nachdem der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu erklärte, Israel würde „die Hizbollah überall im Libanon gnadenlos angreifen“, ist es möglich, dass derartige Luftangriffe fortgesetzt werden, da immer mehr Schiiten, darunter auch potenzielle Hizbollah-Mitglieder, in anderen Teilen des Landes Zuflucht suchen.

Wie im Gaza-Streifen zeigt Israel eine hohe Toleranz dafür, bei der Verfolgung militärischer Ziele erhebliche zivile Opfer zu verursachen. Da die Hizbollah keine getöteten Kämpfer mehr meldet, ist nicht klar, wie viele Kämpfer und wie viele Zivilisten getötet wurden. Aus Berichten des libanesischen Gesundheitsministeriums geht jedoch hervor, dass viele der Getöteten Frauen und Kinder sind. So wurden beispielsweise am 23.9. – dem tödlichsten Tag im Libanon seit Jahrzehnten – mehr als 550 Menschen getötet, darunter über ein Viertel Frauen und Kinder.

Ein weiteres damit zusammenhängendes Problem ist Israels Ansatz, Personen auf der Grundlage dessen, was es als „Beteiligung“ an einer bewaffneten Gruppe ansieht, zu kategorisieren und ins Visier zu nehmen, anstatt strikt zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten zu unterscheiden. Im Kontext des Libanon, wo die Hizbollah nicht nur eine bewaffnete Gruppe, sondern auch eine politische und soziale Organisation ist, die Schulen, Krankenhäuser und Wohltätigkeitsorganisationen betreibt, kann dies zu erheblichen Risiken für die Zivilbevölkerung führen.

Ein Beispiel hierfür sind die Angriffe auf den Gesundheitssektor im Libanon. Seit Oktober 2023 hat ACLED über 90 Vorfälle registriert, bei denen Gesundheits- und Rettungskräfte oder Gesundheitseinrichtungen, von denen viele mit der Hizbollah oder der Amal-Bewegung in Verbindung stehen, von israelischen Angriffen getroffen wurden. Etwa 70 % dieser Vorfälle ereigneten sich seit dem 17.9. [Anm.: s. Karte „IDF attacks on health workers“] und reichten von Angriffen Israels auf Rettungskräfte, die Bergungs- und Rettungseinsätze durchführten, bis hin zu Angriffen auf Krankenhäuser, medizinische Zentren und Krankenwagen.

Informationen und Berichte über die Bodenoffensive Israels sind nach wie vor relativ begrenzt, insbesondere von israelischer Seite. Die vorliegenden Berichte deuten jedoch darauf hin, dass sich die Operation in erster Linie auf die Distrikte Bint Jubayl und Marjayun im Gouvernement Nabatieh im zentralen Teil des Südlibanon entlang der Grenze konzentriert hat. Sie erstreckt sich auch südwestlich in den Distrikt Tyre im Gouvernement Süd/South. Diese Gebiete entlang der Grenze, in denen derzeit israelische Truppen im Einsatz sind, waren im vergangenen Jahr schweren Luftangriffen und Beschuss ausgesetzt, die bis in den Oktober hinein andauerten [Anm.: s. Karten „IDF activity in Marjayoun, Tyre, and Bint Jubayl“ in der Originalquelle]. Israel hatte also bereits die Grundlagen dafür geschaffen, dass seine Truppen in das Gebiet einrücken und es vollständig räumen konnten, sowohl über als auch unter der Erde, wahrscheinlich mit dem Ziel, eine Pufferzone in der Nähe der Grenze zu schaffen. Während israelische Medien berichten, dass die IDF bisher nur auf begrenzten Widerstand gestoßen sind, verzeichnete ACLED in den ersten vier Wochen der Bodenoffensive über 50 bewaffnete Zusammenstöße.

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Amnesty International (AI) veröffentlichte im Dezember 2024 einen Bericht, dem vier beispielhafte Fälle zu entnehmen sind, bei denen laut AI unrechtmäßige israelische Luftschläge mindestens 49 Zivilisten töteten. Israelische Streitkräfte griffen demnach drei Wohngebäude an und dezimierten ganze Familien, und zwar am 29.9. im Dorf al-Ain in der nördlichen Bekaa-Ebene, am 14.10. im Dorf Aitou im Nordlibanon und am 21.10. in der Stadt Baalbek. Darüber hinaus griffen israelische Streitkräfte am 16.10. das Rathaus von Nabatieh im Südlibanon an. Das israelische Militär hat vor keinem dieser Angriffe eine Warnung herausgegeben. AI kam zu dem Schluss, dass es sich bei den israelischen Angriffen auf al-Ain, die Stadt Baalbek und die Gemeinde Nabatieh wahrscheinlich um direkte Angriffe auf Zivilisten oder zivile Objekte handelte, da AI zum Zeitpunkt der Angriffe an keinem dieser Orte Beweise für militärische Ziele fand. Doch selbst wenn die israelischen Streitkräfte beabsichtigten, Ziele anzugreifen, die sie für legitime militärische Ziele hielten, würden die eingesetzten Mittel und Methoden die Angriffe wahrscheinlich zu wahllosen Angriffen und damit rechtswidrig machen, da hierbei große Bomben auf bewohnte zivile Gebäude zu Tageszeiten eingesetzt wurden, zu denen sich bekanntermaßen viele Zivilisten dort aufhielten, und ohne dass eine vorherige Warnung ausgesprochen wurde. Der Angriff auf ein Wohngebäude in Aitou, bei dem neben 23 Zivilisten auch eine Person getötet wurde, bei der es sich um einen Hizbollah-Agenten handeln könnte, war wahrscheinlich ein wahlloser, und möglicherweise unverhältnismäßiger Angriff.

[…]

Dem US-amerikanischen Magazin The Drift ist eine Reportage eines im Libanon lebenden Schriftstellers und Lektors an der Amerikanischen Universität in Beirut zu entnehmen, in dem die Auswirkungen der israelischen Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung im Libanon beschrieben werden. Israelische Streitkräfte und die Hizbollah bekämpften sich gegenseitig, seit letztere am 8.10.2023 eine „Unterstützungsfront“ eröffnet hatte – einen Tag nachdem die Hamas die militärische Blockade Israels im Gazastreifen durchbrochen und ihren Angriff „Al-Aqsa-Flut“ gestartet hatte. Fast ein Jahr lang beschränkte sich der Krieg entlang der libanesischen Grenze hauptsächlich auf grenzüberschreitenden Beschuss, bei dem etwa sechshundert Libanesen und vierzig Israelis ums Leben kamen. Mitte September 2024 setzte Israel dann seine volle militärische Macht ein und griff Städte, Dörfer und Gemeinden im gesamten Libanon an, die als Hochburgen der Hizbollah galten. Am 17. und 18.9. zündeten israelische Geheimdienste Sprengsätze in Tausenden Kommunikationsgeräten, die angeblich von einfachen Mitgliedern der Hizbollah getragen wurden. Bei den Explosionen, von denen viele in belebten zivilen Bereichen stattfanden, wurden Dutzende Menschen getötet und Tausende weitere verletzt. Zwei Tage lang waren in der ganzen Stadt heulende Krankenwagen zu hören.

Auf die Angriffe mittels der Pager und Walkie-Talkies folgte ein anhaltender Beschuss auf Beirut und die umliegenden Gebiete, begleitet von Angriffen an anderen Orten im Libanon. Am Abend des 27.9. zerstörten israelische Kampfflugzeuge sechs Wohngebäude in den südlichen Vororten von Beirut, angeblich als gezielter Versuch, den Hizbollah-Führer Hassan Nasrallah zu töten. Sie töteten dabei schätzungsweise dreihundert Menschen auf einmal. Israelische Regierungsvertreter warnten libanesische Sanitäter, dass jeder Krankenwagen, der sich auf den Weg zum Einschlagsort machen würde, ebenfalls angegriffen werden würde. Als am 26.11. ein Waffenstillstand zwischen Israel und der Hizbollah verkündet wurde – ein Abkommen, das Israel laut der UN-Friedenstruppe im Libanon bis zum 2.12. „ungefähr 100 Mal“ gebrochen hat – hatte die militärische Eskalation fast viertausend Menschen getötet, 1,5 Millionen vertrieben und ein Land, das bereits seit vielen Jahren unter finanziellen und politischen Krisen leidet, unwiderruflich traumatisiert und geschädigt.

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 01.03.2023

Sicherheitslage

Die allgemeine Sicherheitslage ist durch die Proteste und den wirtschaftlichen Abschwung unübersichtlicher geworden (AA 12.5.2022). Es kommt zu Demonstrationen, Straßenblockaden, Streiks und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen verschiedenen Gruppierungen sowie zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften. Dabei werden vereinzelt auch Schusswaffen eingesetzt (EDA 14.2.2023). Diebstähle, Schießereien und Zusammenstöße nehmen zu, da immer mehr Menschen verzweifelt versuchen, über die Runden zu kommen, was manchmal zu tödlichen Auseinandersetzungen führt. Die von den Banken eingeführten informellen Kapitalverkehrskontrollen für Einlagen haben dazu geführt, dass einige Menschen in verschiedenen Bankfilialen im ganzen Land Geiseln genommen haben, um an ihr Geld zu kommen. Die sich verschlechternde Sicherheitslage stellt eine besondere Herausforderung für die libanesischen Sicherheitskräfte dar, die ohnehin schon mit der Wirtschaftskrise zu kämpfen haben, durch die ihre Ressourcen schrumpfen und die Gehälter ihrer Mitarbeiter gekürzt werden (NL 27.9.2022).

Die libanesische schiitische Miliz Hizbollah kontrolliert den Zugang zu Teilen des Libanon und operiert innerhalb des Landes relativ ungestraft (CRS 11.1.2023). Ihr „militärischer Arm“ ist von der EU seit 2013 als terroristische Vereinigung gelistet. Die Hizbollah übernimmt zumindest in ihren Hochburgen (Teile der Bekaa-Ebene, südliche Beiruter Vororte, Teilgebiete des Südens) faktisch auch die Funktion einer Sicherheitsbehörde (AA 5.12.2023). Im Libanon präsent sind neben der Hizbollah auch andere Terrorgruppen wie die Abdallah Azzam Brigades, al-Aqsa Martyrs Brigade, Asbat al-Ansar, Hamas, an-Nusrah Front (Hay'at Tahrir ash-Sham), Palestine Liberation Front, Islamic Revolutionary Guard Corps/Qods Force, Islamic State of Iraq and ash-Sham (ISIS); PFLP-General Command; Popular Front for the Liberation of Palestine (CIA 14.2.2023).

Nordlibanon

Es bestehen große Spannungen in der Region, die sich durch den Konflikt in Syrien und die Anwesenheit zahlreicher Flüchtlinge verschärft haben. Es sind bewaffnete Gruppierungen aktiv, und Grenzüberschreitungen durch Kämpfer sind häufig. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen der Armee und militanten Gruppierungen oder zwischen verschiedenen politisch-religiösen Gruppierungen, vor allem in und um Ersal, Ra’s Baalbek und Qaa. Die Gefahr von weiteren Anschlägen und einer Eskalation ist groß (EDA 14.2.2023). Die Schwächung der Streitkräfte hat ihre Fähigkeit eingeschränkt, schnell auf Notsituationen zu reagieren, einschließlich Zusammenstößen zwischen bewaffneten Gruppen im Nordlibanon. Einige Gemeinden und politische Parteien in Gebieten wie Keserwane und Matn (Gouvernement Berg-Libanon), die nördlich der Hauptstadt Beirut (Gouvernement Beirut) liegen, führen lokale Maßnahmen durch, um die steigende Kriminalität zu bekämpfen, wobei die Einwohner als Wächter fungieren und abwechselnde Schichten übernehmen. Ähnliche Maßnahmen gibt es bereits in den von der schiitischen Bewegung Hizbollah kontrollierten Gebieten in den Vororten der Hauptstadt (CR 18.10.2022).

Südlibanon

Viele Gebiete (Zonen) im gesamten Südlibanon gelten als Militärgelände der Hizbollah. Der Zugang zu diesen Gebieten ist untersagt. Die örtliche Zivilbevölkerung, die United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL)-Truppen und sogar die libanesische Armee haben keinen Zugang zu diesen Gebieten. Einige der Gebiete befinden sich in unmittelbarer Nähe von Dörfern (Alma 16.6.2022). Entlang der Blauen Linie im Südlibanon kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen dem Libanon und Israel. Bei den grenzüberschreitenden Streitigkeiten zwischen beiden Seiten werfen die Libanesen Israel wiederholt vor, den libanesischen Luftraum und die Hoheitsgewässer zu verletzen. Im Oktober 2022 legten Libanon und Israel unter Vermittlung der USA nach zwei Jahren indirekter Verhandlungen ihre Seegrenze fest. Die beiden Länder befinden sich technisch gesehen immer noch im Kriegszustand und unterhalten keine diplomatischen Beziehungen, was jede Art von Kontakt zwischen libanesischen und israelischen Bürgern verbietet (AlM 23.1.2023).

Am 29.8.2022 nahmen Beamte des libanesischen Generaldirektorats für Sicherheit in Bint Jbeil mehrere Männer fest, die verdächtigt wurden, ISIS-Terroristen zu sein. Ihnen wurde vorgeworfen, in den Reihen von ISIS in Syrien zu kämpfen, illegal in den Libanon einzudringen und mit Drogen und Falschgeld zu handeln (ITIC 6.9.2022).

Bewegungsfreiheit

Kontrollpunkte sind im Libanon weit verbreitet (AA 5.12.2022). Bewaffnete nichtstaatliche Akteure behindern oder verhindern die Bewegungsfreiheit in den von ihnen kontrollierten Gebieten. Bspw. kontrollieren Bewaffnete Hizbollah-Mitglieder den Zugang zu einigen von der Hizbollah kontrollierten Gebieten (USDOS 12.4.2022).

Grundversorgung und Wirtschaft

Der Libanon befindet sich seit drei Jahren in einer Wirtschafts- und Finanzkrise, die zu den schlimmsten der Welt zählt (WB 14.4.2022; vgl. NPR 5.6.2022). Die wirtschaftliche Situation hat sich seit Oktober 2019 immer weiter verschlechtert (EUI 12.1.2022; vgl. AA 5.12.2022). Mitten in dieser Krise forderte die Explosion im August 2021 im Hafen von Beirut mehr als 200 Tote, mehr als 6.500 Verletzte und 300.000 Obdachlose. Dieses verheerende Ereignis verschlimmerte die ohnehin schon katastrophale sozioökonomische Lage im Land (EUI 12.1.2022).

Die Währung des krisengeschüttelten Libanon, die einst einen Wert von 1.500 pro USD hatte, ist seit Ende 2019 auf Talfahrt und hat seitdem über 90 % ihres Wertes verloren (ABCNEWS 19.1.2023; vgl. TNN 19.1.2023, KAKE 20.1.2023). Die Finanzkrise hat drei Viertel der Bevölkerung in die Armut gestürzt, und Millionen von Menschen haben mit einer der höchsten Inflationsraten der Welt zu kämpfen (ABCNews 19.1.2023). Der drastische Verfall der Währung treibt die Inflation weiter in die Höhe, die sich seit Juli 2020 im dreistelligen Bereich bewegt. Die Inflation lag im Jahr 2021 bei durchschnittlich 150 % und in der ersten Hälfte des Jahres 2022 bei durchschnittlich 218 % und erreichte im Januar 2022 einen Höchststand von 240 % (im Vergleich zum Vorjahr). Der Inflationsdruck wurde durch den Anstieg der weltweiten Lebensmittelpreise seit Beginn des Ukraine-Kriegs noch verschärft. Die Inflation wirkt wie eine höchst regressive Steuer, die die Armen und Schwachen der libanesischen Gesellschaft unverhältnismäßig stark trifft, zumal Grunderzeugnisse, darunter Lebensmittel, die Haupttreiber der Gesamtinflation sind (WB 23.11.2022). Im Juni 2022 lag die Inflation bei Lebensmitteln bei 332 % (WB 23.11.2022; vgl. HRW 12.1.2023). Der Libanon zählt zu den weltweit am stärksten verschuldeten Staaten (WZ 4.11.2022). Die wirtschaftliche Schrumpfung und die Währungsabwertung tragen zu einer ohnehin schon unhaltbaren Schuldendynamik bei. Die öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt erreicht den Prognosen zufolge im Jahr 2021 172,5 % und im Jahr 2022 180,7 % (WB 23.11.2022). Im Jahr 2020 trugen Auslandsüberweisungen in der Höhe von 6,63 Mrd. USD zu ungefähr 25,6 % des BIP im Libanon bei. Für Familien, die Gelder aus dem Ausland erhalten, machen die Überweisungen im Durchschnitt 40 % des gesamten Haushaltseinkommens aus und ermöglichen dadurch den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, die sonst nur schwer leistbar wären (WKO 10.2022).

Am 4.4.2022 gab der stellvertretende Premierminister die Illiquidität des Libanon und der Libanesischen Zentralbank (Banque de Liban, BDL) bekannt, nachdem der Staat seine Schulden nicht begleichen konnte (WKO 10.2022). Der Zusammenbruch der Banken, der durch ausbleibende Investoren und nicht gedeckte Schulden ausgelöst wurde, hat für einen Großteil der Menschen gravierende Auswirkungen. Die Staatsanwaltschaft fror kurzerhand über Nacht sämtliche Guthaben von 20 Banken ein. Betroffen sind auch Fremdwährungen. Es werden im Höchstfall an Sparer nur wenige hundert Dollar pro Monat ausgezahlt. Die nie per Gesetz legalisierte Kapitalkontrolle betrifft alle Bürger, sofern diese noch nicht in die Armut abgerutscht sind (WZ 4.11.2022). Inmitten der sich verschärfenden und ausweitenden Bankenkrise im Libanon, hat die Frustration bei einigen Anlegern zu radikalen Maßnahmen geführt, als die Landeswährung auf dem Schwarzmarkt einen neuen Tiefstand gegenüber dem Dollar erreichte (WKO 10.2022). So kam es zu vermehrten Banküberfällen von verzweifelten Kunden, die ihre Geldeinlagen einforderten um ihre Ersparnisse gegen den Kursverfall zu retten (WKO 10.2022; vgl. WZ 4.11.2022; PC 27.12.2022). Infolgedessen erklärten die libanesischen Banken Mitte September 2022 einen Generalstreik und verlangten staatliche Maßnahmen, um ein sicheres Arbeitsumfeld zu gewährleisten. Nachdem für eine Woche sämtliche Banken geschlossen waren, hat der libanesische Bankenverband erklärt, dass die Banken in begrenzten Umfang für Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Krankenhäusern wieder geöffnet sind (WKO 10.2022). Manche Banken haben Betonmauern und Stacheldraht um ihre Gebäude gezogen, damit aufgebrachte Bürger sie nicht mehr stürmen können (WZ 9.1.2023).

Laut einer von der Staatendokumentation des BFA in Auftrag gegebenen Umfrage des Instituts Statistics Lebanon sind lediglich 34,84 % der in der Studie befragten Libanesen durchgehend erwerbstätig, während 17,74 % einer Gelegenheitsarbeit nachgehen (SL 2022). Steigende Arbeitslosigkeit, eine abwertende Landeswährung, eine explodierende Inflation und die Streichung von Subventionen haben es vielen Menschen erschwert, ihre Grundbedürfnisse zu decken (HRW 12.12.2022). Inzwischen wurden fast alle Subventionen auf Treibstoff, Nahrungsmittel und medizinische Güter abgebaut (AA 5.12.2022). Die Preise für Strom, Wasser und Gas sind in die Höhe geschnallt und stiegen zwischen Juni 2021 und Juni 2022 um 595 % (HRW 12.1.2023). Immer mehr Erwachsene lassen Mahlzeiten ausfallen oder können sich keine Medikamente leisten, gleichzeitig müssen immer mehr Kinder arbeiten gehen, um ihre Familien zu unterstützen. Erschwerend kommt hinzu, dass der anhaltende Krieg in der Ukraine die Preise für Grundnahrungsmittel und Energie weiter in die Höhe treibt. Vor dem Krieg bezog der Libanon 80 % der gesamten Weizeneinfuhren aus der Ukraine und 15 % aus Russland, wie aus libanesischen Zollangaben hervorgeht. Niedrige Einkommen und dreistellige Inflationsraten führen dazu, dass sich viele Menschen lebenswichtige Güter und Dienstleistungen nicht mehr leisten können (HRW 12.12.2022). Dreiviertel der Bevölkerung, insb. im Nord-Libanon (Region Akkar), in der nördlichen Bekaa-Ebene (insb. Region Hermel) sowie in Süd-Libanon, leben an oder unter der Armutsgrenze von ca. 4 USD pro Tag (AA 5.12.2022; vgl. ACAP 31.5.2022). 82 % der Bevölkerung leben in mehrdimensionaler Armut in Bezug auf das Einkommen und verschiedene Aspekte der Lebensbedingungen (ACAP 31.5.2022; vgl. UNESCWA 3.9.2021). Gefährdete Bevölkerungsgruppen, darunter vertriebene Syrer, palästinensische Flüchtlinge aus Syrien (PRS) und palästinensische Flüchtlinge im Libanon (PRL), sind besonders von einem starken Anstieg der Armut, Lücken in wichtigen Versorgungsketten und Einschränkungen beim Zugang zu Nahrungsmitteln, Gesundheitsversorgung, Bildung und anderen grundlegenden Dienstleistungen betroffen (GoL UN 1.2022; vgl. HRW 12.1.2023).

Rund zwei Millionen Menschen im Libanon, darunter 1,29 Millionen Libanesen und 700.000 syrische Flüchtlinge, sind derzeit von Ernährungsunsicherheit betroffen (UN 19.1.2023; vgl. KAKE 20.1.2023). Die erste integrierte Analyse der akuten Ernährungsunsicherheit im Libanon (Integrated Food Security Phase Classification, IPC) prognostiziert, dass sich die Situation zwischen Januar und April 2023 weiter verschlechtern wird. Der Analyse zufolge ist die akute Ernährungsunsicherheit der libanesischen Bevölkerung im Bezirk Akkar am höchsten, gefolgt von Baabda, Baalbek und Tripoli (UN 19.1.2023). Laut Human Rights Watch hat die Ernährungsunsicherheit ein alarmierendes Ausmaß erreicht, was dazu führt, dass viele Familien, darunter auch Kinder, regelmäßig hungern müssen (HRW 12.12.2022). Laut der Umfrage von Statistics Lebanon schaffen es lediglich 13,55 % der Befragten, ihre Familien ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. Eine Mehrheit von 71,94 % der Befragten kann ihren Haushalt gerade noch mit ausreichend Lebensmitteln versorgen (36,13 %) oder kann dies kaum noch tun (35,81 %) (SL 2022).

Auch die Elektrizitätsversorgung im Libanon ist weiterhin unzureichend. Fast 34 % des Stroms geht durch „technische Verluste“ wie Netzausfälle und „nichttechnische Verluste“, einschließlich Diebstahl, verloren. Seit der Explosion am Beiruter Hafen hat sich im ganzen Land die Stromversorgung, allem voran durch die immer schlimmer werdende finanzielle Situation, extrem verschlechtert. Zuletzt führte der Mangel an Treibstoff in den wichtigsten Kraftwerken des Landes zu einem flächendeckenden Zusammenbruch des Stromnetzes (WKO 10.2022). Des Weiteren kann sich die libanesische Regierung den Brennstoff für die lokalen Kraftwerke nicht leisten. Somit kommt es zu Stromausfällen, welche bis zu 22 Stunden pro Tag dauern (WKO 10.2022; vgl. HRW 12.1.2023). Die meisten Haushalte besitzen trotz der nahezu täglichen Stromausfälle noch immer keinen Generator, bzw. kann die Hausgemeinschaft sich den Treibstoff für den Betrieb der Aggregate nicht mehr leisten (WZ 15.1.2023). Während die weit verbreiteten Stromausfälle alle Libanesen betreffen, hat die Krise die Ungleichheit im Land noch verschärft (HRW 12.1.2023).

Die Gespräche zwischen der libanesischen Regierung und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) haben zu einer Einigung über ein Unterstützungsprogramm im Wert von rund 3 Mrd. USD für die nächsten 46 Monate geführt. Ein finanzieller Sanierungsplan zum Schutz der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft wurde jedoch nicht aufgenommen (DW 19.1.2023). Der Libanon muss außerdem noch entscheidende Struktur- und Finanzreformen durchführen, die erforderlich sind, um 3 Mrd. USD an IWF-Hilfe freizusetzen (TNN 17.1.2023).

Versicherungsdienstleistungen

Das libanesische Sozialschutzsystem ist ein zweigeteiltes Modell, das eine Sozialversicherung für die Bessergestellten und Sozialhilfe für die extrem Armen vorsieht, während ein großer Teil der Menschen mit mittlerem oder niedrigem Einkommen ausgeschlossen ist. Die Sozialversicherung umfasst eine Reihe von beitragsabhängigen Programmen über den Nationalen Sozialversicherungsfonds (NSSF), die an eine formelle Beschäftigung in einem Arbeitsmarkt gebunden sind, der überwiegend informell ist, sodass viele keinen Anspruch auf das Programm haben (HRW 12.12.2022). Laut einer Studie der Internationale Arbeitsorganisation (ILO) können lediglich 22,2 % der Beschäftigungsverhältnisse in der Stichprobe als formell bezeichnet werden, während 67,4 % aller Beschäftigten im informellen Sektor tätig sind. Syrer und Palästinenser weisen mit 95 % bzw. 93,9 % einen extrem hohen Anteil an informeller Beschäftigung auf (ILO 12.8.2021). Für arme Libanesen besteht bislang nur ein rudimentäres System der sozialen Sicherung in Form des nationalen Armutsprogramms (NPTP) (AA 5.12.2022). Trotz des alarmierenden Ausmaßes der Ernährungsunsicherheit ist die Abdeckung gering: Nach eigenen Angaben des Programms profitieren 3,5 % der Bevölkerung von dem Programm (HRW 12.12.2022). Anderen Angaben zufolge erhalten derzeit lediglich 63.993 Familien Nahrungsmittelhilfe in Höhe von 20 USD pro Kopf/pro Monat im Rahmen des NPTP. Die Unterstützung macht ca. 2/3 Drittel des im August 2022 festgelegten Survival Minimum Expenditure Basket (SMEB) aus. Die Anzahl der Haushalte soll bis Januar 2023 auf 75.000 erhöht werden (AA 5.12.2022). Während der Covid-19-Pandemie initiierte die Regierung außerdem das Programm Emergency Social Safety Net (ESSN), das mit einem Weltbankdarlehen in Höhe von 246 Millionen USD für drei Jahre finanziert wurde, um den Schutz und die Bereitstellung von Sozialleistungen für extrem arme Haushalte auszuweiten. Die Einführung des Programms begann im März 2022 mit dem Ziel, bis 2025 786.000 Personen, etwa 11,6 % der Bevölkerung, mit Bargeld zu unterstützen (HRW 12.12.2022). Die Einführung eines weiteren sozialen Sicherungsprogramms „ratio card“-System der Regierung für etwa 500.000 Haushalte wurde 2021 angekündigt, aber bislang nicht umgesetzt. Es existiert zudem weder eine allgemeine Arbeitslosen- noch eine Rentenversicherung. Wesentliches Element sozialer Sicherung ist die Familie, daneben karitative und religiöse Einrichtungen (immer nur für die jeweilige Religionsgruppe) (AA 5.12.2022).

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf die Verwaltungsverfahrensakten des BFA, den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes und das Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.

2.1 Zu den Personen der Beschwerdeführenden und den Lebensverhältnissen im Libanon (oben 1.1)

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, die er im Zuge des Verfahrens vor dem öffentlichen Sicherheitsdienst und dem BFA gemacht hat, waren auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht zu bezweifeln. Die Identität wurde bereits vom BFA aufgrund des vorgelegten Einzelregisterauszugs als feststehend erachtet.

Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seiner Schul- und Ausbildung, seiner Erwerbstätigkeit, zu seinen Familienangehörigen und Freunden im Libanon waren im Laufe des Verfahrens kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei, sodass auch dieses Vorbringen als glaubhaft erachtet werden konnte.

Die Feststellungen zu den Wohnorten des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen schlüssigen Angaben im Zuge der behördlichen Einvernahme. Dass sich der Beschwerdeführer – wie in der Beschwerdeverhandlung behauptet – für über zwei Jahre auch in XXXX bei seiner Tante versteckt gehalten habe, wird hingegen – wie unter 2.4 dargelegt werden wird – nicht als glaubhaft erachtet.

Die Feststellungen zu seiner Ausreise aus dem Libanon, seiner Reiseroute und seiner Einreise nach Österreich beruhen auf seinen Angaben im Verfahren, welche insofern stringent waren und keine Anhaltspunkte für die Annahme boten, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich falsche Angaben gemacht hätte.

2.2 Zu seinen Lebensverhältnissen in Österreich (1.2)

Seine Angaben zu seinem Aufenthalt in Österreich und zu seiner aktuellen Lebenssituation, erwiesen sich in der mündlichen Verhandlung als kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei, wurden durch die vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen (Beilagen VS) untermauert und stehen auch im Einklang mit den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszügen aus den behördlichen Datenregistern (Zentrales Melderegister [ZMR], Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich [GVS], Sozialversicherungsauszug [AJ-Web] und Strafregister der Republik Österreich [SA]; OZ 2, 7).

2.3 Zum Gesundheitszustand (1.3)

Der Beschwerdeführer hat gegenüber dem BFA angegeben, gesund zu sein und keine Medikamente einzunehmen. In der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer vor, einmal wegen Herzschmerzen im Krankenhaus ambulant behandelt worden zu sein, jedoch gesund zu sein und keine Medikamente einzunehmen. Zweifel an diesen Angaben des Beschwerdeführers kamen nicht hervor.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände war daher die Feststellung zu treffen, das im Falle des Beschwerdeführers keine reale Gefahr besteht, dass ihm im Libanon eine schwere, rapide und irreversible Gesundheitsverschlechterung droht, die mit intensivem Leiden oder mit einer signifikanten Verkürzung der Lebenserwartung verbunden ist.

2.4 Zur Begründung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz und zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit (oben 1.4 und 1.5)

2.4.1 Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen beruhen auf seinen protokollierten Aussagen im Zuge der Befragung durch den öffentlichen Sicherheitsdienst, der Einvernahme vor dem BFA sowie den schriftlichen Äußerungen und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung.

2.4.2 Die Feststellungen zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens (oben 1.5), waren aus den folgenden Gründen zu treffen:

Bedrohung und Verfolgung durch Hizbollah nicht glaubhaft

Widersprüchliches und unschlüssiges Vorbringen

2.4.2.1 Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren vor dem BFA vor, dass sein Bruder Mohammad und sein Vater freiwillig der Hizbollah angeschlossen hätten, nachdem diese von der Hizbollah angeworben worden seien. Die Hizbollah habe dann auch versucht, den Beschwerdeführer zu überzeugen und zu rekrutieren, und die Hizbollah sei ab und zu bzw. seit 2019 ungefähr 60-70 Mal zu ihm gekommen. Der Beschwerdeführer habe jedoch jedes Mal abgelehnt und dann seien jene immer wieder gegangen, ohne dass es für den Beschwerdeführer jemals Konsequenzen gegeben hätte. Er habe deswegen jedoch psychische Probleme bekommen und sei deswegen auch im Krankenhaus gewesen. (NS EV 26.06.2023 S 7, 8)

Das BFA hat im angefochtenen Bescheid im Einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen das Vorbringen des Beschwerdeführers vom BFA nicht für glaubhaft erachtet wurde. Dem Beschwerdeführer wurde unter anderem vorgehalten, dass er nicht näher über das Verschwinden seines Vaters gesprochen habe und auch keine Details zum Bruder, der sich trotz erforderlicher regelmäßiger Dialyse der Hizbollah angeschlossen hätte. Das BFA hielt dem Beschwerdeführer vor, dass er seine eigene Bedrohung durch die Hizbollah nur sehr oberflächlich und vage beschrieben habe und führte dazu Beispiele aus der Einvernahme an. Das BFA listete im Einzelnen auch Widersprüche und Unschlüssigkeiten im Vorbringen des Beschwerdeführers auf und setzte sich auch mit dem in Kopie vorgelegten ärztlichen Schreiben aus dem Libanon auseinander, dessen Inhalt nicht mit den Angaben des Beschwerdeführers in Einklang stand. (Bescheid S 46 ff)

In der Beschwerde, bei deren Erhebung der Beschwerdeführer bereits rechtsfreundlich von einer mit dem Asylrecht vertrauten Organisation vertreten wurde, wurde trotz dieser Ausführungen des BFA im angefochtenen Bescheid vom rechtsfreundlich vertretenen Beschwerdeführer nicht die Gelegenheit wahrgenommen, zum bisherigen Vorbringen des Beschwerdeführers individuelle, nähere und präzisere Angaben zu jenen Ereignissen zu machen, die der Beschwerdeführer selbst erlebt haben will. In der Beschwerde wurde den einzelnen Argumenten des BFA nicht konkret entgegengetreten und es wurde auch das bisherige Vorbringen des Beschwerdeführers weder ergänzt noch berichtigt; es wurden auch keine Schwierigkeiten mit dem Dolmetscher bei der Einvernahme vor dem BFA oder konkret Fehler im Einvernahmeprotokoll behauptet. (Beschwerde S 2 ff)

In der mündlichen Verhandlung am 14.05.2024 brachte der Beschwerdeführer dann erstmals vor, dass sein Vater von der Hizbollah bedroht und mitgenommen worden sei und die Miliz der Hizbollah dem Beschwerdeführer eine Waffe an seinen Kopf gehalten habe, er von diesen Leuten auch geschlagen sowie an der linken Oberlippe und am Rücken verletzt worden sei, und die Hizbollah in bei einer Rückkehr töten würde, wenn er nicht mit diesen zusammenarbeiten würde. (VS 14.05.2023 S 8)

Es ist nicht schlüssig und nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer derartige Gewalterfahrungen erstmals in der mündlichen Verhandlung vorbringt oder dies nicht bereits spätestens in der Beschwerde, bei welcher der Beschwerdeführer bereits vertreten war, erwähnt, wenn diese Ereignisse tatsächlich stattgefunden hätten.

In der mündlichen Verhandlung am 14.05.2023 brachte der Beschwerdeführer auch vor, dass er sich von 2019 bis 2021 bzw Februar oder März 2022 bei einer Tante mütterlicherseits in einem Dorf namens XXXX , welches am Rande von Saida liege, versteckt gehalten habe. Er habe in dieser Zeit auch nicht gearbeitet. (VS 14.05.2023 S 9, 10)

Dazu im Widerspruch stehend hatte er bei der Einvernahme vor dem BFA 26.06.2023 auf die Frage nach seinen Wohnorten in chronologischer Reihenfolge angegeben, die letzten 10 Jahre vor seiner Ausreise in XXXX gewohnt zu haben und die Personen der Hizbollah seit 2019 60 oder 70 Mal bei ihm Zuhause gewesen seien. Er gab zudem an, von 2014 bis Ende 2021 als Elektriker tätig und danach zwei Monate bei einer Ausbildung im Elektronikbereich gewesen zu sein. Er wiederholte in der Einvernahme vor dem BFA auch, dass er immer gearbeitet habe. (NS EV 26.06.2023 S 4, 8)

Zu den behaupteten Fehlern bei der Einvernahme vor dem BFA

2.4.2.2 In der mündlichen Verhandlung erklärte der Beschwerdeführer diese Widersprüche mit Fehlinformationen des Dolmetschers in der Einvernahm vor dem BFA sowie mit „vielen Fehlern“, die es in der Niederschrift des BFA gegeben habe. (VS 14.05.2024 S 10, 12)

Dass es während jener Einvernahme am 26.06.2023 zu Übersetzungsfehlern oder auch nur Übersetzungsschwierigkeiten gekommen wäre, lässt sich jener Niederschrift jedoch nicht entnehmen, zumal der Beschwerdeführer am Ende jener Einvernahme nach erfolgten Rückübersetzung der Niederschrift auch angegeben hat, dass der den Dolmetscher während der gesamten Einvernahme „einwandfrei“ verstanden habe. (NS 26.06.2023 S 10) In der Beschwerde wurden, wie zuvor dargelegt (oben 2.4.2.1), weder Probleme mit dem Dolmetscher noch Fehler in der Niederschrift behauptet.

Hätte es tatsächlich die vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung behaupteten Verständigungsschwierigkeiten bei der Einvernahme vor dem BFA gegeben, wäre zu erwarten gewesen, dass dies bereits in der Beschwerde aufgegriffen und die bei der jeweiligen Einvernahme wegen Verständigungsschwierigkeiten passierten Fehler im Einzelnen dargelegt worden wären. Das ist jedoch unterblieben.

In der mündlichen Verhandlung am 14.05.2024 wurde dem Beschwerdeführer zu Beginn die Gelegenheit gegeben, Fehler bei der Einvernahme aufzuzeigen oder seine Angaben zu ergänzen oder zu berichtigen. Der Beschwerdeführer gab dazu an, dass er nicht wisse, ob alles richtig protokolliert worden sei, und führte aus, dass sein Bruder von den Milizen mitgenommen und später freigelassen worden sei, nachdem festgestellt worden sei, dass der Bruder krank sei. Weitere Fehler oder Probleme bei der Einvernahme vor dem BFA erwähnte er nicht. (VS 14.05.2024 S 7)

Erst als dem Beschwerdeführer im Laufe der mündlichen Verhandlung seine unterschiedlichen Angaben vorgehalten wurden, erklärte er, dass es „viele Fehler“ in der Niederschrift des BFA gegeben habe (VS 14.05.2024 S 10). Es ist hier unschlüssig, dass der Beschwerdeführer dann diese „vielen Fehler“ nicht spätestens zu Beginn der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, als ihm die Gelegenheit dazu gegeben wurde, wenn es solche Fehler tatsächlich gegeben hätte. Es ist auch nicht nachvollziehbar, wie der Beschwerdeführer zu diesem Befund kommen kann, wenn er zu Beginn der Verhandlung angegeben hat, dass er nicht wisse, ob alles richtig protokolliert worden sei.

Vor dem Hintergrund der hier getroffenen Ausführungen ist daher davon auszugehen, dass keine entscheidungsrelevanten Verständigungsschwierigkeiten während des gesamten Verfahrens aufgetreten sind. Die zuvor im Rahmen dieser Beweiswürdigung dargelegten Widersprüche, Unschlüssigkeiten und nicht nachvollziehbaren Angaben lassen sich daher nicht mit Verständigungsschwierigkeiten, Fehlbelehrungen durch den Dolmetscher bei der Einvernahme vor dem BFA oder Fehlern in der Niederschrift des BFA erklären.

Zur vorgelegten Kopie eines Schreibens eines Neuropsychiaters aus dem Libanon

2.4.2.3 Der Beschwerdeführer legte im Zuge der behördlichen Einvernahme ein Schreiben eines Neuropsychiaters aus dem Libanon vom 31.12.2022 in Englisch (AS 61) vor, in welchem festgehalten wird, dass der Beschwerdeführer erstmals im April 2022 in einer Privatklinik behandelt worden sei, nachdem er ein traumatisches Ereignis erlebt habe, welches zu einer schweren psychischen Verletzung des Beschwerdeführers geführt habe. Der Beschwerdeführer leide an einer Posttraumatischen Belastungsstörung und seien ihm 50mg Zoloft für sechs Monate verordnet worden.

Zunächst wird in diesem Schreiben nur in allgemeiner Form ein „traumatisches Ereignis“ Grund für die Behandlung angeführt, ohne jede Erklärung dafür, was dem Beschwerdeführer tatsächlich konkret passiert wäre, welche Vorfälle er persönlich erlebt hätte und wann sich diese ereignet hätten. Abgesehen von den Personaldaten des Beschwerdeführers enthält das Schreiben keine einzigen individuellen Formulierungen, insbesondere auch keine Anamnese in Form einer zusammengefassten persönlichen Schilderung der Beschwerden des Beschwerdeführers, sondern nur eine Aneinanderreihung allgemein formulierter Symptome.

Vor dem BFA gab der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang an, sechs Monate im Krankenhaus gewesen zu sein. Auslöser sei die – bis zu diesem Zeitpunkt in der Einvernahme nicht erwähnte – Mitnahme des Beschwerdeführers in das Raketenlager der Hizbollah gewesen, bei der über Selbstmordattentate gesprochen worden sei. (NS EV 26.06.2023 S 8f.) Dazu in Widerspruch gab er in der mündlichen Verhandlung an, im April 2022 nur 15 Tage lang im Libanon in einem Krankenhaus gewesen zu sein.

Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung zunächst auch an, dass er im staatlichen Krankenhaus von XXXX gewesen sei. (VS 14.05.2024 S 5) Laut dem von ihm vorgelegten Schreiben soll er sich jedoch in einer Privatklinik befunden haben. (AS 61) Erst nach Rückübersetzung der Verhandlungsschrift ergänzte er, dass er nicht wisse, ob der Arzt in jenem Krankenhaus eine eigene Praxis gehabt habe oder dort angestellt gewesen sei. (VS 14.05.2025 S 13)

Mit seiner Behauptung, im Krankenhaus in XXXX gewesen zu sein, widerspricht der Beschwerdeführer schließlich seinen eigenen Angaben, nach der Flucht zu seiner Tante im Jahr 2018 bis zu seiner Ausreise nicht mehr in die Stadt gefahren zu sein. (VS 14.05.2024 S 9)

Aufgrund dieser Ungereimtheiten sowie des Umstands, dass das ärztliche Schreiben erst am 31.12.2022 ausgestellt wurde, ist davon auszugehen, dass auch die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner psychischen Erkrankung nicht der Wahrheit entsprechen und es sich bei dem in Kopie vorgelegten Schreiben, das selbst keiner anderen Verifizierung zugänglich ist, um kein authentisches Dokument handelt. Dafür spricht auch, dass sich der Beschwerdeführer in Österreich in keiner regelmäßigen ärztlichen oder therapeutischen Behandlung befand oder befindet und er auch keine Medikamente einnimmt. Er gab auch in der Einvernahme vor dem BFA an, völlig gesund zu sein, was er in der mündlichen Verhandlung bestätigte. Er erwähnte in der mündlichen Verhandlung lediglich einen einzigen Arztbesuch in Österreich im Frühjahr 2024 wegen Herzschmerzen, wobei er lediglich ambulant behandelt und ihm gesagt wurde, dass alles in Ordnung sei. (NS EV 26.06.2023 S 2.; VS 14.05.2024 S 3f.)

Ergebnis

2.4.3 Aus den soeben dargestellten Gründen gelangt das Bundesverwaltungsgericht in einer Gesamtbetrachtung aller Argumente insgesamt zu der Überzeugung, dass der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen damit insgesamt nicht glaubhaft gemacht hat, dass er im Fall seiner Rückkehr in den Libanon – zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt – tatsächlich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit individuell konkret einer unmittelbaren Bedrohung aufgrund ethnischen, religiösen oder politischen Gründen oder aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt sein wird, oder ihm aus einem dieser Motive staatlicher Schutz verweigert werden würde.

2.5 Zur fallbezogen relevanten aktuellen Ländersituation im Libanon (oben 1.6)

Die Feststellungen zur aktuellen Lage beruhen auf den jüngsten BAMF Briefing Notes vom Jänner und Februar 2025, dem UNHCR - Libanon Emergency Flash Update Nr 22 vom 10.02.2025, auf der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation LIBANON Sicherheitslage für Zivilisten, 23.12.2024 (Stand 30.12.2024), sowie dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 01.03.2023.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Spruchpunkt I

Zum Status von Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005)

3.1 Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (VwGH 02.09.2015, Ra 2015/19/0143).

Zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen. (VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009)

Zum gegenständlichen Fall

3.2 Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt hat der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht, dass er im Fall seiner Rückkehr in den Libanon – zum gegenwärtigen Zeitpunkt –tatsächlich – mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit – individuell konkret einer unmittelbaren Bedrohung aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen oder aufgrund der Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt sein wird, oder ihm aus einem dieser Motive staatlicher Schutz verweigert werden würde.

3.3 Es liegt somit im Falle der Beschwerdeführenden keine Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten sind damit nicht gegeben.

3.4 Die Anträge der Beschwerdeführenden auf internationalen Schutz werden daher hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG abgewiesen.

Spruchpunkt II

Zum Status von subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs 1 AsylG 2005)

3.5 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Hinblick auf das Vorliegen einer allgemein prekären Sicherheitslage - unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung von EGMR und EuGH - zum Vorliegen eines reales Risikos iSd Art 3 MRK ausgesprochen, dass diese Voraussetzung nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") erfüllt ist. In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0068).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes orientiert sich der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs 1 Z 2 Asyl 2005 an Art 15 lit c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) und umfasst - wie der EuGH erkannt hat - eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des EuGH, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. (VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0068)

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art 2 oder 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art 2 oder 3 MRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (VwGH 31.01.2019, Ra 2018/14/0196).

Zum gegenständlichen Fall

3.6 Im vorliegenden Fall stammt der Beschwerdeführer aus dem Südlibanon. Bereits aus dem Länderinformationsblatt vom 01.03.2023 zeigen sich Hinweise auf eine im Libanon schwierige, zum Teil prekäre Sicherheits- und Versorgungslage. So gelten laut jenen Länderfeststellungen viele Gebiete im gesamten Südlibanon als Militärgelände der Hizbollah. Der Zugang zu diesen Gebieten ist untersagt. Die örtliche Zivilbevölkerung, die United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL)-Truppen und sogar die libanesische Armee haben keinen Zugang zu diesen Gebieten. Einige der Gebiete befinden sich in unmittelbarer Nähe von Dörfern. Entlang der Blauen Linie im Südlibanon kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen dem Libanon und Israel. Bei den grenzüberschreitenden Streitigkeiten zwischen beiden Seiten werfen die Libanesen Israel wiederholt vor, den libanesischen Luftraum und die Hoheitsgewässer zu verletzen. Im Nordlibanon bestehen große Spannungen in der Region, die sich durch den Konflikt in Syrien und die Anwesenheit zahlreicher Flüchtlinge verschärft haben. Es sind bewaffnete Gruppierungen aktiv, und Grenzüberschreitungen durch Kämpfer sind häufig. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen der Armee und militanten Gruppierungen oder zwischen verschiedenen politisch-religiösen Gruppierungen, vor allem in und um Ersal, Ra’s Baalbek und Qaa. Die Gefahr von weiteren Anschlägen und einer Eskalation ist groß. Die Schwächung der Streitkräfte hat ihre Fähigkeit eingeschränkt, schnell auf Notsituationen zu reagieren, einschließlich Zusammenstößen zwischen bewaffneten Gruppen im Nordlibanon. Einige Gemeinden und politische Parteien in Gebieten wie Keserwane und Matn (Gouvernement Berg-Libanon), die nördlich der Hauptstadt Beirut (Gouvernement Beirut) liegen, führen lokale Maßnahmen durch, um die steigende Kriminalität zu bekämpfen, wobei die Einwohner als Wächter fungieren und abwechselnde Schichten übernehmen. Ähnliche Maßnahmen gibt es bereits in den von der schiitischen Bewegung Hizbollah kontrollierten Gebieten in den Vororten der Hauptstadt. (im Detail siehe oben 1. 6)

Diese bereits zum Zeitpunkt März 2023 bestehende Lage im Libanon hat sich durch die im Oktober 2024 begonnenen Bodenoffensive Israels einschließlich von Luftoperationen im Libanon noch weiter – entscheidungswesentlich – verschärft und verschlechtert. (im Detail siehe oben 1.6 BAMF Briefing Notes vom Jänner und Februar 2025, UNHCR - Libanon Emergency Flash Update # 22 vom 10.02.2025, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation LIBANON Sicherheitslage für Zivilisten, 23.12.2024 (Stand 30.12.2024))

Die Länderberichte zeigen, dass Israel zwar vorwiegend im Süden, aber auch in Beirut und in der Nähe von Tripoli sowie an der Grenze zu Syrien Einsätze durchführt und dabei zivile Opfer großzügig in Kauf nimmt. Es kommt dabei auch regelmäßig auch zu Vertreibungen, Verletzungen und Tötungen von Zivilisten. Israel erklärte auch, dass die Hizbollah überall im Libanon gnadenlos angegriffen wird. Die bereits zuvor bestehenden Bewegungseinschränkungen wurden weiter massiv verstärkt. Auch nach der zwischenzeitlich geschlossenen Waffenruhe zeigt sich, dass diese nach wie vor von beiden Seiten gebrochen und Angriffe durchgeführt werden. Die Lage ist nach wie vor äußerst volatil. Eine nachhaltige Besserung der allgemeine (Sicherheits-)Lage im Libanon ist – zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt – nicht ersichtlich.

Im Hinblick auf die – derzeit noch bestehende – äußerst prekäre und volatile Sicherheitslage im Herkunftsland des Beschwerdeführers sowie unter Berücksichtigung, dass eine nachhaltige Verbesserung der Sicherheitslage in der Heimatregion des Beschwerdeführers in absehbarer Zeit (noch) nicht zu erwarten ist, besteht mit der erforderlichen Sicherheit ein „real risk“, dass dem Beschwerdeführer eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK garantierten Rechte droht. Angesichts der persönlichen Umstände und der gegenwärtigen Ländersituation kann im vorliegenden Einzelfall auch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit von einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen werden.

3.7 Da somit im vorliegenden Fall auf Grund der aktuellen Lage im Libanon bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers – zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt – die konkrete Gefahr einer Verletzung im Besonderen der auch durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte besteht, ist dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon zuzuerkennen.

3.8 Hinweise für das Vorliegen eines Abweisungsgrundes gemäß § 8 Abs 3a AsylG sind nicht hervorgekommen.

3.9 Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides wird daher stattgegeben und dem Beschwerdeführer wird der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Libanon zuerkannt.

Spruchpunkt III

Zur Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung (§ 8 Abs 4 AsylG 2005)

3.10 Gleichzeitig mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist auch eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. Diese gilt ein Jahr, beginnend mit der Zustellung des gegenständlichen Erkenntnisses. (siehe VwGH 28.03.2023, Ra 2022/20/0330 mwN)

Spruchpunkt IV

Zur Behebung der Spruchpunkt III bis VI des angefochtenen Bescheides

3.11 Nach dem zuvor dargestellten Ergebnis sind gleichzeitig die Spruchpunkt III bis VI des angefochtenen Bescheides mangels des Vorliegens einer gesetzlichen Grundlage dafür ersatzlos zu beheben.

B)

Revision

3.12 Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.

3.13 Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.