JudikaturBVwG

W176 2293557-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
06. Dezember 2024

Spruch

W176 2293557-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , syrischer Staatsangehöriger, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.05.2024, Zl. 1370523302/231914650, wegen Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte am 23.09.2023 bei der PI Schwechat einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung an 26.09.2023 gab er an, er sei im Jahre XXXX von der Syrischen Arabischen Armee (SAA) desertiert und in die Türkei ausgereist. Nun wolle er seiner Familie ein besseres Leben als in der Türkei ermöglichen.

2. Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) gab der BF bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 07.03.2024 zusammengefasst an, er stamme aus XXXX im Gouvernement Aleppo, sei verheiratet und habe drei Kinder. Er habe ab Oktober XXXX den Wehrdienst bei der SAA geleistet und sei dann im Juli XXXX desertiert. Wegen der Desertion sei ein Gerichtsverfahren anhängig und werde er in Syrien gesucht. Wenige Monate später sei er in die Türkei ausgereist. Im Jahr 2016 sei er nach Syrien in zurückgekehrt und habe dort geheiratet. Nach einem vierzehnmonatigen Aufenthalt in seinem Heimatdorf habe er Syrien endgültig verlassen, weil im Zuge einer Kontrolle an einem Checkpoint Angehörige der Al-Nusra-Front oder der FSA ihn für einen Anhänger der Regierung gehalten hätten und einen Schuss über seinen Kopf hinweg abgegeben hätten.

3. Am 16.04.2024 legte der BF der belangten Behörde ein Dokument, bei dem es sich laut Übersetzung um ein Urteil handeln sollte, zum Beweis dafür vor, dass er wegen Desertion vom syrischen Regime gesucht werde. Dieses Dokument erwies nach Untersuchung durch das LKA Steiermark als Totalfälschung.

4. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 15.05.2024 wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Zugleich wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).

Die belangte Behörde ging davon aus, dass die Identität des BF feststehe. Es habe jedoch nicht festgestellt werde können, dass er desertiert sei oder wegen einer Desertion verfolgt werde.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, die Angaben des BF zu seinen persönlichen Lebensumständen seien glaubhaft und gingen außerdem aus den von ihm vorgelegten – mit Ausnahme des syrischen Strafurteils unbedenklichen – Urkunden hervor. Sein Vorbringen zur Desertion sei aber unglaubwürdig, wobei insbesondere auf den Umstand hingewiesen wurde, dass sich das von ihm vorgelegte Dokument als Totalfälschung erwiesen habe.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dem BF drohe keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

5. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 06.06.2024 wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, dem BF nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

Der BF brachte darin zusammengefasst vor, er sei von der Al-Nusra-Front, nachdem diese die Macht in seinem Heimatort übernommen habe, verdächtigt worden, ein Anhänger des Regimes zu sein. Aufgrund der Desertion im Jahre XXXX würde ihm auch das syrische Regime eine oppositionelle Gesinnung unterstellen. Ihm drohe daher asylrelevante Verfolgung in seinem Herkunftsstaat.

6. Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Akt des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

7. Am 19.08.2024 wurde der BF vom BG Graz-Ost wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je EUR 5,− verurteilt. Dieses Urteil wurde am 23.08.2024 rechtskräftig.

8. Am 21.11.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der der BF befragt und in die vorgelegten Urkunden Einsicht genommen wurde.

Dabei gab der BF an, er befürchte bei einer Rückkehr nach Syrien als Deserteur hingerichtet zu werden. Er habe an fast allen gegen das syrische Regime gerichteten Demonstrationen in Österreich teilgenommen. Er sei auch in Reportagen des Fernsehsenders Al Jazeera über diese Demonstrationen zu sehen, öffentliche überdies regimekritische Beiträge in sozialen Medien und sei keinesfalls bereit, die Wehrersatzgebühr zu leisten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Beschwerdeführer:

Der BF wurde am XXXX in XXXX im Gouvernement Aleppo geboren, ist syrischer Staatsangehöriger, Araber und gehört der sunnitischen Konfession des Islams an.

XXXX steht seit der jüngsten Offensive der Rebellen unter der Kontrolle des HTS und es nicht davon auszugehen, dass die syrische Regierung in absehbarer Zeit die Kontrolle zurückerlangen wird.

Der BF besuchte acht Jahre die Schule, arbeitete in Syrien in der Landwirtschaft und leistete von XXXX bis XXXX als einfacher Soldat seinen Wehrdienst bei der SAA in XXXX , wo er nach der Grundausbildung ausschließlich mit Reinigungsarbeiten betraut war.

Gegen Ende des Jahres 2013 verließ der BF erstmals Syrien und reiste in die Türkei aus. 2016 kehrte er nach XXXX zurück und heiratete in einem in der Nähe gelegenen Dorf seine Ehefrau nach islamischem Recht. Etwa ein Jahr später, Ende 2017 oder Anfang 2018 reiste er mit seiner Frau und seinem erstgeborenen Sohn endgültig in die Türkei aus. Seine Frau und seine drei Kinder leben nach wie vor in der Türkei.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF vom Wehrdienst bei der SAA desertierte oder dass von den syrischen Behörden gesucht wird.

In Österreich nahm der BF nach dem 15.05.2024 an drei gegen das syrische Regime gerichteten Demonstrationen in Wien teil, ohne dabei irgendeine Funktion (als Redner, Organisator oder dergleichen) ausgeübt zu haben. Es kann nicht festgestellt werden, dass er dabei so gefilmt oder fotografiert wurde, dass er für Dritte identifizierbar ist.

Der BF verfasste zunächst auf X zunächst unter einem Account XXXX und nunmehr unter einem Account namens XXXX Kommentare zur Situation in Syrien und dem Libanon, insbesondere solche, die gegen die Hisbollah gerichtet sind.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die syrischen Behörden dem BF eine oppositionelle Gesinnung unterstellen.

Nicht festgestellt werden kann außerdem, dass der BF wegen (unterstellter) gegen die HTS gerichteter Gesinnung nach einer Rückkehr nach XXXX Übergriffen der der HTS ausgesetzt wäre.

Die Einreise ins Herkunftsgebiet des BF ist über einen nicht von der syrischen Regierung kontrollierten Grenzübergang auf dem Landweg möglich, da XXXX zum vom HTS beherrschten Gebiet gehört und über den Grenzübergang Bab al-Hawa erreichbar ist. Der BF hätte bei einer Rückkehr in seinen Heimatort folglich keine Gebiete zu durchqueren, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden. Dem BF ist es somit möglich, in das Rebellengebiet und seinen Heimatort zu reisen, ohne in den Einflussbereich der syrischen Regierung zu gelangen.

Das HTS erlegt den Bewohnern des von ihm beherrschten Gebietes keine Wehrpflicht auf. Die syrische Armee hat auf die Bewohner des Rebellengebietes um Idlib und Aleppo keinen Zugriff und kann dort daher keine Wehrpflichtigen zwangsweise rekrutieren oder Verhaftungen durchführen.

Der BF wurde in Österreich wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB rechtskräftig verurteilt.

1.2. Hinsichtlich der Lage in Syrien:

Lage/Kontrollsituation im Nordwesten Syriens

Am 27.11.2024 starteten islamistische Rebellen eine Großoffensive im Nordwesten Syriens (ORF 29.11.2024) unter dem Namen „Abschreckung der Aggression“ (auf Arabisch ونلعدا نر - Rad’a al-‘Adwan) (AJ 2.12.2024). Der Operation gingen Monate an Training und Vorbereitungen voraus (NYT 1.12.2024b). Bereits im Oktober hatten die Angriffe zwischen Regierungstruppen und ihren russischen Verbündeten auf der einen und Oppositionsgruppierungen auf der anderen Seite stark zugenommen. Schon damals stand eine mögliche militante Operation der Oppositionskräfte gegen die Regierungsgebiete im Nordwesten Syriens im Raum (TNA 31.10.2024). Die Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) hatte mit Artillerie und Raketen Stellungen der Syrischen Arabischen Armee angegriffen (NPA 11.10.2024), woraufhin die Regierung zahlreiche Ortschaften in den Provinzen Aleppo und Idlib mit Artillerie, Raketen und Drohnen angegriffen hatte und ihre russischen Verbündeten Luftangriffe geflogen waren (Enab 31.10.2024).

Den Regierungsgegnern unter der Führung der islamistischen Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS), einem ehemaligen syrischen Ableger des Terrornetzwerkes Al-Qa’ida (Standard 1.12.2024), gelang es ab 27.11.2024 schnell und ohne große Gegenwehr im Zuge ihrer aktuellen Offensive die zweitgrößte syrische Stadt Aleppo unter ihre Kontrolle zu bringen. Innerhalb weniger Tage konnten die Rebellen ihr Herrschaftsgebiet verdreifachen (NZZ 1.12.2024). Die HTS kontrolliert damit weite Teile der Region Idlib im Nordwesten Syriens sowie Teile der benachbarten Provinzen Aleppo, Hama und Latakia (DAST 1.12.2024). Mit Stand 2.12.2024 waren die Islamisten bis in die nördlichen und östlichen Landesteile von Hama vorgedrungen, woes zu Zusammenstößen zwischen HTS und Regierungskräften gekommen ist. Die Terroristen setzen bei ihren Kämpfen in großem Umfang Drohnen ein, um militärische Stellungen und Fahrzeuge anzugreifen (SOHR 2.12.2024a).

Die Regierungstruppen entsandten große Verstärkung zur Errichtung einer Verteidigungslinie im Norden und Westen der Stadt Hama (SOHR 2.12.2024b) und starteten Luftangriffe in Aleppo (NYT 1.12.2024). Die syrischen Streitkräfte geben an, bereits einige Städte wieder zurück unter ihre Kontrolle gebracht zu haben (FT 2.12.2024). Syriens Präsident Bashar al-Assad bemühte sich um Unterstützung seiner Verbündeten. Der iranische Außenminister reiste am 1.12.2024 nach Damaskus und erklärte vor seiner Abreise, dass Teheran die syrische Regierung und Armee fest unterstützen werde. Auch das russische Militär bestätigte, dass es den syrischen Regierungstruppen dabei helfe, die Terroristen in den Provinzen Idlib, Hama und Aleppo abzuwehren (al-Mon 1.12.2024; vgl. France24 2.12.2024).

Die drei wichtigsten Verbündeten Iran, die Terrororganisation Hizbollah und Russland sind durch den Krieg mit Israel einerseits und den Ukraine-Krieg andererseits geschwächt (NZZ 1.12.2024). Dennoch wurden erstmals seit 2016 wieder Ziele in Aleppo durch russische Streitkräfte aus der Luft angegriffen (Standard 1.12.2024). Die syrische Regierung erwartet weitere militärische Unterstützung aus Russland (Presse 30.11.2024). Syrische Quellen berichteten, dass Kämpfer schiitischer, bewaffneter und vom Iran unterstützter Gruppierungen der sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF) aus dem Irak zur Hilfe im Kampf gegen die Oppositionsgruppen eingetroffen wären (Al-Hurra 2.12.2024; vgl. Arabiya 2.12.2024, REU 2.12.2024).

Nachdem die Regierungstruppen zuvor noch unter Verstärkung durch weitere Einheiten versucht hatten, die Einnahme der Stadt Hama zu stoppen, drangen die Rebellen der HTS am 05.12.2025 in die Stadt ein und die syrische Armee meldete, ihre Einheiten aus der Stadt zurückgezogen zu haben (ORF.at 05.12.2024: Rebellen dringen in Hama ein/Syrische Armee meldet Rückzug).

Nordwest-Syrien - Das Gebiet unter Kontrolle von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS)

In der nordwestlichen Provinz Idlib und den angrenzenden Teilen der Provinzen Nord-Hama und West-Aleppo befindet sich die letzte Hochburg der Opposition in Syrien (BBC 2.5.2023). Das Gebiet wird von dem ehemaligen al-Qaida-Ableger Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) [Anm.: übersetzt soviel wie: Komitee zur Befreiung der Levante] beherrscht, der nach Ansicht von Analysten einen Wandel durchläuft, um seine Herrschaft in der Provinz zu festigen (Alaraby 5.6.2023). Das Gebiet beherbergt aber auch andere etablierte Rebellengruppen (BBC 2.5.2023). Durch eine Kombination aus militärischen Konfrontationen, Razzien und Festnahmen hat die HTS alle ihre früheren Rivalen wie Hurras ad-Din und Ahrar ash-Sham effektiv neutralisiert. Durch diese Machtkonsolidierung unterscheidet sich das heutige Idlib deutlich von der Situation vor fünf Jahren, als dort eine große Anzahl an dschihadistischen Gruppen um die Macht konkurrierte. HTS hat derzeit keine nennenswerten Rivalen. Die Gruppe hat Institutionen aufgebaut und andere Gruppen davon abgehalten, Angriffe im Nordwesten zu verüben. Diese Tendenz hat sich nach Ansicht von Experten seit dem verheerenden Erdbeben vom 6.2.2023, das Syrien und die Türkei erschütterte, noch beschleunigt (Alaraby 5.6.2023). […]

Im Jahr 2012 stufte Washington Jabhat an-Nusra [Anm.: nach Umorganisationen und Umbenennungen nun HTS] als Terrororganisation ein (Alaraby 8.5.2023). Auch die Vereinten Nationen führen HTS als terroristische Vereinigung (AA 2.2.2024). Die Organisation versuchte, dieser Einstufung zu entgehen, indem sie 2016 ihre Loslösung von al-Qaida ankündigte und ihren Namen mehrmals änderte, aber ihre Bemühungen waren nicht erfolgreich und die US-Regierung führt sie weiterhin als "terroristische Vereinigung" (Alaraby 8.5.2023; vgl. CTC Sentinel 2.2023). HTS geht gegen den IS und al-Qaida vor (COAR 28.2.2022; vgl. CTC Sentinel 2.2023) und reguliert nun die Anwesenheit ausländischer Dschihadisten mittels Ausgabe von Identitätsausweisen für die Einwohner von Idlib, ohne welche z.B. das Passieren von HTS-Checkpoints verunmöglicht wird. Die HTS versucht so, dem Verdacht entgegenzutreten, dass sie das Verstecken von IS-Führern in ihren Gebieten unterstützt, und signalisiert so ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft bei der Terrorismusbekämpfung (COAR 28.2.2022). Im Mai 2023 startete die HTS in den Provinzen Idlib und Aleppo beispielsweise eine Verhaftungskampagne gegen Hizb ut-Tahrir (HuT) als Teil der langfristigen Strategie, andere islamistische Gruppen in den von ihr kontrollierten Gebieten zu unterwerfen und die Streichung der HTS von internationalen Terroristenlisten zu erwirken (ACLED 8.6.2023; vgl. Alaraby 8.5.2023). Das Vorgehen gegen radikalere, konkurrierende Gruppierungen und die Versuche der Führung, der HTS ein gemäßigteres Image zu verpassen, führten allerdings zu Spaltungstendenzen innerhalb der verschiedenen HTS-Fraktionen (AM 22.12.2021). Im Dezember 2023 wurden diese Spaltungstendenzen evident. Nach einer Verhaftungswelle, die sich über ein Jahr hinzog, floh eine Führungspersönlichkeit in die Türkei, um eine eigene rivalisierende Gruppierung zu gründen. Die HTS reagierte mit einer Militäroperation in Afrin (Etana 12.2023). HTS verfolgt eine Expansionsstrategie und führt eine Offensive gegen regierungsnahe Milizen im Raum Aleppo durch (UNSC 25.7.2023).

Syrisches Eherecht

Religionsverschiedenheit ist ein Hindernis für die Eheschließung in Syrien. So ist die Ehe einer muslimischen Frau mit einem nichtmuslimischen Mann nichtig. Eine Ehe zwischen einem muslimischen Mann und einer nichtmuslimischen Frau, sofern diese dem Christentum oder Judentum angehört, ist gültig (MPG 2018, USDOS 02.06.2022). Inwieweit eine Ehe mit einer Jesidin rechtmäßig ist, ist unklar (MPG 2018). Im Jahr 2019 erfolgten Änderungen. Das Heiratsalter wurde für Männer wie Frauen von 17 auf 18 Jahre erhöht. Der Ehemann und die Ehefrau können nun ihre jeweiligen Bedingungen im Ehevertrag festschreiben, wenn diese weder islamisches noch syrisches Recht verletzen. Sollte islamisches oder syrisches Recht hingegen verletzt sein, werden diese Bedingungen nichtig, aber der restliche Ehevertrag behält seine Gültigkeit (LoC 08.04.2019).

Der Zuständige des Gerichtes kann die Ehe im Gericht oder zuhause schließen. Das Brautpaar muss nicht anwesend sein. Die Frau kann auch durch ihren Vormund vertreten werden. Eine Vertretung wird entsprechend in der Eheschließungsurkunde/Heiratsurkunde vermerkt (NMFA 05.2022). Theoretisch braucht eine erwachsene Frau nicht die ausdrückliche Zustimmung ihres Vaters oder Vormundes, um eine traditionelle Ehe eingehen zu können. Auf die Anwesenheit des Vormundes der Frau wird jedoch großer Wert gelegt, weil von ihm erwartet wird, dass er die Interessen der Familie und der Braut schützt (NMFA 06.2021). In den unterschiedlichen Strömungen des islamischen Rechtes ist es umstritten, ob eine erwachsene, voll geschäftsfähige Frau ihre Ehe ohne ihren Ehevormund schließen kann. Ein erwachsener Mann kann seine Ehe ohne einen Ehevormund schließen (MPG o.D.a). Stellvertretung bei der Ehe („tawkîl“) ist gemäß Art. 8 PSG zulässig und durchaus üblich (ÖB Damaskus 01.10.2021).

Die Mitwirkung des Staates ist für die Wirksamkeit der Eheschließung nicht erforderlich. Vielmehr stellen die Eheschließung an sich und die Mitteilung bzw. Registrierung der Eheschließung bei Gericht oder einer anderen Behörde getrennte Vorgänge dar. Die Registrierung ist verpflichtend und kann entweder vor oder nach der Eheschließung erfolgen (MPG o.D.a). Das Scharia-Gericht (oder die sonstige religiöse Behörde) meldet die geschlossenen rechtmäßigen Heiraten dem Zivilregister (NMFA 05.2022).

Paare, bei denen ein Partner ausländischer Staatsbürger ist, benötigen eine Genehmigung des Innenministeriums, denn dies gilt als Frage der nationalen Sicherheit (SLJ 03.10.2019).

Eine informelle Heirat mit Bezeichnungen wie „sheikh“, „‘urfi“ und „katb al-kitab“ (NMFA 05.2022) − auch unter der Bezeichnung „traditionelle Ehe“ (SLJ 03.10.2019) − ist eine islamische Heirat, die ohne die Involvierung einer kompetenten Autorität geschlossen wird (NMFA 05.2022). Gründe für eine traditionelle Ehe können sein, dass das Paar unterschiedlichen islamischen Konfessionen angehört, dass es gegen die Wünsche der Familie heiratet, oder es sich um eine polygame Ehe handelt (mit oder ohne Wissen der ersten Ehefrau), die grundsätzlich im syrischen Personenstandsrecht erlaubt, jedoch strukturell beschränkt ist. Ein Mann kann einer solchen Ehe auch zustimmen, um dem unehelichen Kind seiner Frau einen Vater und somit einen Familiennamen zu geben (Eijk 2013). Ein Richter kann weiterhin eine informelle Heirat ratifizieren, wenn die Bedingungen des ersten Absatzes (des Gesetzes) nicht gegeben sind. Das kann auch als Möglichkeit für die Heirat von Minderjährigen genutzt werden, ohne das eine Dispens durch den Richter nötig ist (NMFA 05.2022).

Ein weiterer Grund für informelle Eheschließungen ist, dass Männer, die in der Armee (je nach Zeitpunkt vor oder nach der Gesetzesänderung 2019 nur Berufssoldaten oder auch andere) dienen, eine Genehmigung der Armee für eine Eheschließung benötigen (Eijk 2013). Männer müssen nämlich sonst Dokumente vorlegen, welche belegen, dass ihre militärdienstlichen Verpflichtungen erfüllt sind (STJ 03.10.2019). Im Jahr 2019 benötigte z.B. jeder in der Altersgruppe zwischen 18 und 42 Jahren die Erlaubnis seiner Militäreinheit für eine Heirat. Viele Männer, egal ob Wehrpflichtige oder Deserteure schlossen daher informelle Ehen, welche sie dann bei einem Scharia-Gericht ratifizieren ließen. Letzteres soll ohne Erlaubnis des Militärs möglich gewesen sein, wenn die Frau schwanger war oder schon ein Kind geboren hatte. Nach mehreren Änderungen im Personenstandsgesetz im Jahr 2019 benötigen gem. Art. 40 Abs. 1 leg. cit. nur Berufssoldaten eine Erlaubnis, um heiraten zu dürfen. Ob ein Deserteur seine informelle Heirat durch ein Scharia-Gericht bestätigen lassen kann, das beim Zivilregister registriert ist, hängt hauptsächlich davon ab, ob diese informelle Heirat bestätigt wird (NMFA 05.2022).

Da eine Ehe auch formlos zustande kommen kann, gibt es oft keine vorherige Anzeige der Eheabsicht bei Gericht. Zudem können die Brautleute in vielen Fällen die erforderlichen Dokumente nicht beibringen. Der Bedarf, die informell geschlossene Ehe zu registrieren, entsteht immer dann, wenn für ein Kind aus dieser Ehe Dokumente (z.B. eine Geburtsurkunde oder die Staatsbürgerschaftsurkunde) ausgestellt werden sollen. Das Gesetz bestimmt, dass eine Registrierung der bereits geschlossenen Ehe im Nachhinein erfolgen darf, wenn festgelegte Anforderungen erfüllt sind. Im Fall einer Schwangerschaft der Ehefrau oder des Vorhandenseins von Kindern aus dieser Ehe ist diese leichter nachweisbar. Können bestimmte Unterlagen zur Gültigkeit der außergerichtlichen Eheschließung nicht vorgelegt werden, besteht die Möglichkeit, eine einvernehmliche Feststellungsklage über das Bestehen der Ehe zu erheben. Bei der Feststellungsklage werden lediglich Tatsachen festgehalten, die von den Parteien selbst vorgebracht werden. Das Gericht überprüft die vorgebrachten Behauptungen nicht (MPG o.D.a).

Scharia-Gerichte können diese informellen Ehen ratifizieren, wobei die Bestätigung in schriftlicher Form erfolgt, aber die Dokumente werden inhaltlich wie formal je nach Gericht unterschiedlich nach Gutdünken der Richter ausgestellt. Zum Beispiel ist die Anwesenheit des Brautpaares oder seiner Repräsentanten nicht zwingend im Dokument erwähnt. Es wird auch nicht immer explizit erwähnt, ob ein Gatte oder eine Gattin durch eine andere Person vertreten wurde (NMFA 05.2022).

Das Datum der Eheschließung wird bei einer nachträglichen Registrierung vom Gericht bestimmt. Wenn das Gericht die traditionelle Eheschließung als gültig anerkennt, ist das Datum der traditionellen Eheschließung das Datum der Eheschließung, nicht das Datum der Registrierung. Da es auch möglich ist, Kinder ex post zu registrieren (oftmals gleichzeitig mit der Registrierung der Ehe), und Kinder im Kontext einer Ehe geboren werden sollten, sollte das Hochzeitsdatum hierbei jedenfalls vor dem Geburtsdatum der Kinder liegen. Daher würde es laut der Einschätzung einer Expertin für syrisches Ehe- und Familienrecht Sinn machen, dass das Gericht das Datum der traditionellen Eheschließung als das „echte Hochzeitsdatum“ festlegt (Eijk 04.01.2018).

Ein Gerichtsbeschluss wird besonders in Fällen gewählt, in denen ein Gatte verstorben, verschwunden, die Adresse unbekannt ist, nicht im Gericht erscheinen kann oder sich weigert, seine informelle Heirat zu bestätigen oder zu registrieren. Dieser Weg kann auch gewählt werden, wenn beide Gatten nicht vor Gericht erscheinen können. Ein Anwalt initiiert als Vertreter einer der beiden Eheleute das Verfahren zur Ratifizierung der außergerichtlichen Heirat. Dieses Verfahren war weit verbreitet, als die Genehmigung des Registrierungsbüros für den Militärdienst von Nöten war, und der Gatte nicht im Gericht erscheinen konnte (NMFA 06.2021).

In Bezug auf christliche Ehen werden vom Staat Ehen, die in einer Kirche geschlossen werden, als gültige Ehen anerkannt. Nach der Zeremonie sendet die Kirche die Unterlagen an das Zivilregisterbüro (Ejk 2013).

Anerkennung von Kindern, Vormundschaft, Sorgerecht und Staatsbürgerschaft

Das in wirksamer Ehe geborene Kind gilt als vom Ehemann abstammend, wenn seit der Eheschließung die Mindestdauer einer Schwangerschaft verstrichen ist, und der körperliche Kontakt der Ehegatten nicht unmöglich gewesen ist, also wenn nicht etwa einer der Ehepartner über die Dauer der Schwangerschaft hinaus abwesend war (z.B. Gefängnis). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so gilt das Kind als vom Ehemann abstammend, wenn er das Kind anerkennt oder seine Vaterschaft gerichtlich geltend macht (MPG o.D.b).

Das islamische Recht sieht zwei Konzepte des Sorgerechtes für Kinder vor: Erstens die Vormundschaft („wilāya“), welche immer der Vater, bzw. dessen Seite der Familie (Großvater des Kindes) innehat, und zweitens die physische Obsorge, welche bei der Mutter, bzw. prioritär bei ihrer Seite der Familie (Großmutter des Kindes), liegt. Für die Wahrnehmung der Obsorge steht eine Vergütung durch den Vormund zu, abhängig von dessen finanziellen Verhältnissen (MPG o.D.b). Mit Vollendung des 15. Lebensjahres erlischt bei Mädchen und mit der Vollendung des 13. Lebensjahres bei Buben das Recht auf Personenobsorge mütterlicherseits. Im Falle einer Scheidung kann die Mutter die physische Obsorge über die Kinder bis zu dieser Altersgrenze erhalten (USDOS 02.06.2022), wobei die Altersgrenze hierbei von der Konfession abhängt (STDOK 08.2017). Das Vormundschaftsrecht ist laut syrischem Personenstandsrecht für alle Religionen und Konfessionen anzuwenden. Hinsichtlich der Obsorge („ḥaḍāna“) verfügen jedoch die jüdischen und christlichen Gemeinden über eigene Regelungen (Eijk 2013).

Frauen können die Obsorge auch verlieren. Etwa wenn die Mutter Christin, der Vater aber Muslim ist, könnte der Vater im Falle einer Scheidung argumentieren, dass die Mutter die Kinder nicht richtig erziehen kann (STDOK 08.2017). Es gibt auch Fälle, in denen christliche Männer zum Islam konvertiert sind und vor Scharia-Gerichten das volle Sorgerecht, also Obsorge und Vormundschaft, für ihre Kinder eingefordert haben (Eijk 2013). Geht die Mutter eine neue Ehe ein, verliert sie ebenfalls das Recht auf Obsorge (MPG o.D.b). Selbst wenn die Mutter die Obsorge innehat, besitzt der Vater stets die Vormundschaft über die Kinder und somit Entscheidungsgewalt über ihre Ausbildung oder die Reisebewegungen der Kinder. Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden. Auch nach dem Tod des Vaters geht die Vormundschaft nicht auf die Mutter, sondern auf die Familie des Vaters über. Kinder können so als Druckmittel benutzt werden, um die Frau dazu zu bringen, sich nicht scheiden zu lassen oder auf Unterhaltszahlungen zu verzichten. Im Falle einer Scheidung belegen die Gerichtsdokumente, wem die Obsorge zugesprochen wurde. Ein gesondertes Dokument über den Zuspruch der Obsorge ist nicht bekannt (STDOK 08.2017).

Das Gesetz erlaubt die Weitergabe der Staatsbürgerschaft durch die Mutter nur, wenn das Kind in Syrien geboren wurde, und der Vater unbekannt ist. In der Praxis wird betroffenen Kindern die Staatsbürgerschaft jedoch nicht immer zuerkannt (STDOK 08.2017). Wenn ein Kind im Ausland geboren wurde, kann es die syrische Staatsbürgerschaft nur erlangen, wenn der Vater syrischer Staatsbürger ist. Die Mutter kann ihre syrische Staatsbürgerschaft nicht an ein im Ausland geborenes Kind weitergeben (USDOS 20.03.2023).

Wenn eine Geburt nicht registriert wird, führt dies für das Kind zu bestimmten Einschränkungen im Zugang zu staatlichen Leistungen, wie Abschlusszeugnissen, Zugang zu Universitäten, Zugang zu formaler Beschäftigung oder Dokumenten (STDOK 08.2017). Die Zahl unregistrierter Kinder oder Kinder ohne dokumentierte Vaterschaft, bzw. unbekannte Vaterschaft, stieg vor allem aufgrund illegaler bzw. informeller Trauungen, des Verlustes von Identitätsdokumenten (besonders bei der Flucht oder Vertreibung, gegebenenfalls auch durch den Tod des Kindsvaters), mangelnden Zuganges zu Regierungsbehörden zwecks Beantragung von Dokumenten oder auch z.B. durch Verwendung falscher Identitäten durch ausländische Kämpfer. 70% der befragten IDP in einer Umfrage des Norwegian Refugee Council fehlten wichtige Identitätsdokumente (Fanack 27.05.2022).

Heiratsdokumente

Ein „bayān zawāj“ ist ein Auszug aus einer Heiratsurkunde und enthält eine Reihe von Feldern oder Abschnitten. Die „raqm al-wathīqa“ (Dokumentennummer) ist eine codierte Nummer, die Auskunft über die Provinz, das zutändige Standesamt und die Seriennummer des Dokumentes gibt. Die Dokumentennummer ist die Nummer des Heiratsdokumentes und wird vom Scharia-Gericht oder im Falle von Christen oder Drusen von einem anderen Familiengericht vergeben. Die „raqm al-wāqiʿa“ (Vorgangsnummer) bezieht sich auf die Nummer des registrierten Vorfalles (wie Geburt, Tod, Heirat, Scheidung und damit zusammenhängende Vorfälle) und den Ort, an dem der Vorfall registriert wurde. Die Vorgangsnummer wird von den Standesämtern vergeben. Das „tārīḫ al-ʿaqd“ (wörtlich „Datum des Vertrages“) bezieht sich auf das Datum der Eheschließung, also entweder auf das Datum, an dem die Ehe vor einem oder durch einen Eheschließungsbeamten des Gerichtes geschlossen wurde, oder das Datum der Eheschließung, das durch die rückwirkende Ratifizierung einer traditionellen Ehe durch das Gericht bestimmt wurde. Im Falle einer rückwirkenden Ratifizierung einer traditionellen oder Urfi-Ehe entspricht dieses Datum − wenn es korrekt ist, wie die Quelle hinzufügt − dem Datum der Eheschließung, das in der Gerichtsentscheidung zu finden ist (NMFA 06.2021).

Der Heiratsurkunde/Eheschließungsurkunde („sakk zawaj“) sind drei Zahlen auf der oberen linken Seite zu entnehmen: „as-sahifa“ (Seitenzahl), „al-asas“ (Laufnummer) und „as-sidjil“ (Registrierungsbuchnummer des Zivilregisterarchives). Kopien der Heiratsurkunde ergehen an das jeweilige Zivilregisterbüro der Eheleute, sodass ihre Ehe dort als registriert aufscheint. Das kann mehrere Tage dauern. Manche Paare bringen lieber selbst die Kopien zu den Registrierungsbüros, um das Prozedere zu beschleunigen, bzw. als Vorsichtsmaßnahme (NMFA 05.2022).

Im Fall einer nachträglichen Ratifizierung einer informellen Heirat kann in der Zwischenzeit eine Schwangerschaft vorliegen, was der Richter bei der Ratifizierung vermerken kann, was aber kein Standardvorgehen darstellt (NMFA 05.2022).

Außerhalb der regimekontrollierten Gebiete

Der militärische und politische Zerfall Syriens hat auch Auswirkungen auf das Familienrecht, weil die einzelnen politischen Gruppen in ihren Herrschaftszonen zum Teil eigene Normensysteme gebildet haben und anwenden

Humanitäre Lage in Nordwest-Syrien (Oppositionsgebiete):

Prekär blieb die humanitäre Lage auch im Nordwesten Syriens. Ca. 2,9 Mio. der aktuell ca. 4,6 Mio. dort lebenden Menschen sind nach Schätzungen von UNOCHA Binnenvertriebene, die infolge von Kampfhandlungen nach oder innerhalb Idlibs geflohen sind oder durch vom Regime betriebene „Evakuierungen“ aus zuvor belagerten Gebieten dorthin verbracht wurden. Die hohe Bevölkerungsdichte stellt eine besondere Herausforderung dar, wenn auch die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfes aufgrund der Nähe zur Türkei teilweise besser als in Regimegebieten ist. Mittlerweile leben 1,8 Mio. Binnenvertriebene in Lagern, 2022 waren es 1,7 Mio. Die VN gehen von einem Anstieg auf zwei Mio. bis Jahresende aus (AA 29.03.2023).

Fast jeder in Nordwest-Syrien war vom Erdbeben am 06.02.2023 in der Grenzregion zwischen der Türkei und Syrien, bei dem mehr als 4.500 Menschen starben, betroffen. Mehr als 10.500 Personen wurden verletzt, und mehr als 100.000 mussten laut UN-Angaben infolge des Erdbebens ihre Unterkünfte verlassen. Durch die Erdbeben kollabierten fast 2.000 Gebäude und mehr als 4.000 Gebäude wurden als unsicher oder unbewohnbar eingestuft. Viele Unterkünfte können ohne externe Hilfe nicht wiederaufgebaut werden, und Nachbeben bleiben eine Gefahr. Hinzukommt der Verlust von Einkommensmöglichkeiten als Folge des Erdbebens (Al Jazeera 06.05.2023). Die hohen Raten an Lebensmittelunsicherheit in der Region wurden durch die Erdbeben ebenso wie durch die Dürre verschärft. Die am stärksten von den Erdbeben betroffenen Gebiete in Syrien haben leiden unter Wassermangel und viel Ackerland wird nun zur Unterbringung von Menschen genutzt, welche durch die Erdbeben ihr Obdach verloren (TNH 06.06.2023).

Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Lage weiter zugespitzt. 97% der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze (Stand 2022); etwa 90% der Menschen in der Region sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Mangelernährung stellt ein wachsendes Problem in der Region dar. 3,3 Mio. Menschen sind von Ernährungsunsicherheit betroffen. Laut OCHA hat nicht einmal ein Zehntel der Kinder Zugang zu adäquater und ausreichender Ernährung. Die grenzüberschreitende humanitäre Versorgung von 4,1 Mio. Menschen in Nordwestsyrien bleibt daher weiterhin essenziell. Im November 2022 erreichten die Hilfsmaßnahmen der UNO 2,47 Mio. Menschen. Nach Auslaufen der Resolution 2585 konnte die notwendige Hilfe der VN über den Grenzübergang Bab al-Hawa bisher jeweils immer um sechs Monate verlängert werden. Der UN-Sicherheitsrat verlängerte die Öffnung des Grenzüberganges erneut am 09.01.2023 bis zum 10.06.2023 (AA 29.03.2023). So kann jeweils für die Dauer von sechs Monaten humanitäre Hilfe ohne Zustimmung der syrischen Regierung in das Gebiet gebracht werden (Al Jazeera 06.05.2023).

Rekrutierung durch nichtstaatliche, regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen:

Anders als die Regierung und die SDF erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie SNA und HTS Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrpflicht auf (NMFA 05.2022; DIS 12.2022). Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch SNA und HTS gibt (NMFA 08.2023). In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder des HTS beizutreten. Die islamische Ideologie des HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der DIS Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis des HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die der SNA (DIS 12.2022). Im Mai 2021 kündigte das HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer „regulären Armee“ zu leisten. Der Grund für diesen Schritt dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten „HTS-Wehrpflicht“ in ldlib liebäugelt, damit dem „Staatsvolk“ von ldlib eine „staatliche“ Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte (BMLV 12.10.2022). Das HTS rekrutiert auch gezielt Kinder, bildet sie religiös und militärisch aus und sendet sie an die Front (SNHR 20.11.2023).

Bewegungsfreiheit

Die Verfassung sieht Bewegungsfreiheit vor, „außer eine gerichtliche Entscheidung oder die Umsetzung von Gesetzen“ schränkt diese ein. Das Regime, HTS und andere bewaffnete Gruppen sehen Restriktionen hinsichtlich der Bewegungsfreiheit in ihren jeweiligen Gebieten vor und setzen zu deren Überwachung Checkpoints ein (USDOS 20.03.2023).

Regierungsangriffe auf die Provinz Idlib und Teile Südsyriens schränkten die Bewegungsfreiheit ein und führten zu Todesfällen, Hunger und schwerer Mangelernährung, während die Angst vor der Vergeltung der Regierung zur Massenflucht von Zivilisten und dem Zusammenbruch u.a. der humanitären Hilfe führte. Im Februar 2022 ergab eine UN-Umfrage, dass 51% der untersuchten Gemeinschaften von Bewegungseinschränkungen betroffen waren (USDOS 20.03.2023).

Checkpoints werden sowohl von Regimesicherheitskräften sowie lokalen und ausländischen Milizen unterhalten (USDOS 20.03.2023). In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen Syriens gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der syrischen Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig ungeregelte Kontrollen durchführen. Dabei kann es auch zu Forderungen nach Geldzahlungen oder willkürlichen Festnahmen kommen. Insbesondere Frauen sind in diesen Kontrollen einem erhöhten Risiko von Übergriffen ausgesetzt (AA 08.12.2023). Auch können Passierende gewaltsam für den Militärdienst eingezogen werden (NFMA 05.2022).

Überlandstraßen und Autobahnen sind zeitweise gesperrt. Reisen im Land ist durch Kampfhandlungen vielerorts weiterhin sehr gefährlich. Es gibt in Syrien eine Reihe von Militärsperrgebieten, die allerdings nicht immer eindeutig gekennzeichnet sind. Darunter fallen auch die zahlreichen Checkpoints der syrischen Armee und der Sicherheitsdienste im Land. Für solche Bezirke gilt ein absolutes Betretungsverbot. Der Begriff der militärischen Einrichtung wird von den syrischen Sicherheitsdiensten weit ausgelegt und kann neben klar erkennbaren Kasernen, Polizeistationen und Militärcheckpoints auch schwerer als militärisch zu identifizierende Objekte wie z.B. Wohnhäuser hochrangiger Personen, Brücken, Rundfunkeinrichtungen oder andere staatliche Gebäude umfassen (AA 08.12.2023). Zudem wurden Kontrollpunkte eingerichtet, um diejenigen, die außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete leben, am Zugang zu ihren Grundstücken oder Eigentumsdokumenten zu hindern. Es gibt auch Berichte über die Beschlagnahmung von Eigentumsdokumenten und anderen Ausweispapieren an Kontrollpunkten, einschließlich Heiratsurkunden. Dies birgt für Frauen ein besonders hohes Risiko, den Zugang zu ihrem Eigentum zu verlieren, falls das Eigentum auf den Namen des Ehemannes eingetragen ist (AA 02.02.2024). Die Regimesicherheitskräfte erpressen an den Checkpoints (USDOS 20.03.2023) Bestechungsgelder für eine sichere Passage durch ihre Kontrollpunkte von Reisenden. So werden z.B. an den Checkpoints an der Straße von der jordanisch-syrischen Grenze nach Dara‘a üblicherweise Bestechungsgelder eingehoben (HRW 20.10.2021).

Die Kontrollpunkte grenzen die Stadtteile voneinander ab. Sie befinden sich auch an den Zugängen zu Städten und größeren Autobahnen Richtung Libanon, Flughafen Damaskus, oder an der Autobahn M5, welche von der jordanischen Grenze durch Dara‘a, Damaskus, Homs, Hama und Aleppo bis zur Grenze zur Türkei reicht. Zurückeroberte Gebiete weisen eine besonders hohe Dichte an Checkpoints auf (HRW 20.10.2021). Die Vierte Division, angeführt von Maher al-Assad, dem Bruder von Bashar al-Assad, übernahm die Kontrolle über alle Transportrouten Richtung Libanon und Jordanien sowie alle Hauptverkehrswege in West- und Süd-Syrien. Eine große Rekrutierungskampagne für die Besatzungen der Kontrollpunkte ist im Gang. Die Checkpoints sichern die vom Regime kontrollierten Drogentransitrouten und werden dazu verwendet, ein Monopol auf Bestechungsgelder für Reisen durch das Land zu schaffen (FP 01.02.2023).

Passierende müssen an den vielen Checkpoints des Regimes ihren Personalausweis und bei Herkunft aus einem wiedereroberten Gebiet auch ihre „Versöhnungskarte“ vorweisen. Die Telefone müssen zur Überprüfung der Telefonate übergeben werden. Es mag zwar eine zentrale Datenbank für gesuchte Personen geben, aber die einzelnen Nachrichtendienste führen auch ihre eigenen Suchlisten. Seit 2011 gibt es Computer an den Checkpoints und bei Aufscheinen (in der Liste) wird die betreffende Person verhaftet (HRW 20.10.2021). Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, wenn sie z.B. aus früher von der Opposition kontrollierten Gebieten stammen oder auch wenn sie Verbindungen zu Personen in Oppositionsgebieten wie Nordsyrien oder zu bekannten oppositionellen Familien haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensähnlichkeit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Kontrollpunkten führen (DIS/DRC 02.2019). Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann sehr unterschiedlich sein, je nachdem, wer ihn kontrolliert. Auch die Laune und die Präferenzen des Kommandanten können eine Rolle spielen (DIS 09.2019).

Die Regimesicherheitskräfte halten in einigen Fällen Zivilisten von der Flucht aus belagerten Städten ab (USDOS 20.03.2023). Im Fall von Dara’a al-Balad im Jahr 2021 verletzte laut CoI der VN die Belagerungstaktik der Pro-Regime-Kräfte die Bewegungsfreiheit und könnte auf eine Kollektivbestrafung hinauslaufen (USDOS 20.03.2023).

Ausländischen Diplomaten – einschließlich jener der UNO und des OPCW-Investigation-and-Identification-Teams (IIT) – wurde von der syrischen Regierung der Besuch vieler Landesteile untersagt, und sie erhielten selten die Erlaubnis, außerhalb von Damaskus zu reisen (USDOS 20.03.2023).

Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen

Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem von der Opposition dominierten geografischen Gebiet verweigern (USDOS 20.03.2023). Das syrische Regime hat zudem Erfordernisse für die Erteilung von Ausreisegenehmigungen eingeführt. Die Regierung verbietet durchwegs die Ausreise von Angehörigen der Opposition oder Personen, die als solche wahrgenommen werden oder mit diesen oder mit Oppositionsgebieten in Verbindung stehen. Deshalb zögern diese sowie ihre Familien, auszureisen, aus Angst vor Angriffen bzw. Übergriffen und Festnahmen an den Flughäfen und Grenzübergängen. Auch Journalisten und Menschenrechtsaktivisten sowie Personen, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren, sowie deren Familien und Personen mit Verbindungen zu diesen werden oft mit einem Ausreiseverbot belegt. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängt das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer. Erhalten Aktivisten oder Journalisten eine Ausreiseerlaubnis, so werden sie bei ihrer Rückkehr verhört (USDOS 20.03.2023).

In Syrien betragen die Kosten für einen Reisepass aktuell USD 7,− im regulären Verfahren und USD 56,− im sogenannten „Expressverfahren“, welches dennoch mehrere Wochen dauern kann. Im Ausland liegen die Kosten bei USD 300,− für das Regel- und USD 800,− für das Expressverfahren. Die Gültigkeit beträgt in der Regel nur zwei Jahre. Damit ist der syrische Pass einer der teuersten der Welt. Seit Ende 2022 lässt sich beobachten, dass Ämter in Aleppo und Hama wieder Reisepässe für vertriebene syrische Staatsangehörige aus Oppositionsgebieten ausstellen, bei denen als Ausstellungsort „Idlib Center“ angegeben wird. Eine (nichtrepräsentative) Preisermittlung durch Forschungspartner des deutschen Auswärtigen Amtes hat ergeben, dass etwa die Gebühren für Reisepässe für syrische Staatsangehörige in den Oppositionsgebieten (Idlib: USD 700,−, Azaz: USD 600,−) nahe an den im Ausland erhobenen Preisen liegen und selbst einfache Auszüge um ein Vielfaches teurer sind als in den Regimegebieten (Idlib: USD 60,−, Azaz: USD 50,−). Eine Ausnahme bildet Qamischli im Nordosten, wo das Regime in Abstimmung mit den sogenannten Selbstverwaltungsbehörden ein Sicherheits- und Verwaltungszentrum unterhält, in dem entsprechende Dienstleistungen günstiger ausfallen (Reisepass: USD 300,−, Registerauszug: USD 6,−). Die Selbstbeschaffung durch Passieren informeller Checkpoints an der Front ist sowohl lebensgefährlich als auch teuer (USD 1.000,−/Strecke) (AA 02.02.2024).

Flüchtlingsbewegungen finden in die angrenzenden Nachbarländer statt. Die Grenzen sind zum Teil für den Personenverkehr geschlossen, bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden, und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen (AA 16.05.2023). Das Regime schließt regelmäßig den Flughafen von Damaskus sowie Grenzübergänge und begründet dies mit (drohender) Gewalt (USDOS 20.03.2023). Infolge israelischer Luftschläge auf die Flughäfen Aleppo und Damaskus musste der Flugverkehr teilweise eingestellt werden (AA 02.02.2024).

Die auf Grund von COVID-19 verhängten Sperren der Grenzübergänge vom regierungskontrollierten Teil in den Libanon, nach Jordanien (Nasib) und in den Irak (Al-Boukamal) für den Personenverkehr wurden inzwischen aufgehoben. Neue Einschränkungen seitens des Libanons sind eher der Vermeidung illegaler Migration aus Syrien in den Libanon als COVID-Maßnahmen geschuldet. Der libanesische Druck zur freiwilligen Rückkehr einer wachsenden Zahl syrischer Flüchtlinge steigt. Die Grenzen zwischen der Türkei und den syrischen kurdisch besetzten Gebieten sind geschlossen; zum Irak hin sind diese durchlässiger (ÖB Damaskus 12.2022).

Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (STDOK 08.2017). Außerdem gibt es ein Gesetz, das Ehemännern erlaubt, ihren Ehefrauen per Antrag an das Innenministerium die Ausreise aus Syrien zu verbieten, auch wenn Frauen, die älter als 18 Jahre sind, eigentlich das Recht haben, ohne die Zustimmung männlicher Angehöriger zu verreisen (USDOS 20.03.2023).

Rückkehr

Die Regierung erlaubt Syrern, die im Ausland leben, ihre abgelaufenen Reisepässe an den Konsulaten zu erneuern. Viele Syrern, die aus Syrien geflohen sind, zögern jedoch, die Konsulate zu betreten, aus Angst, dass dies zu Repressalien gegen Familienangehörige in Syrien führen könnte (USDOS 20.03.2023).

Die Behandlung von Einreisenden nach Syrien ist stark vom Einzelfall abhängig, über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste über allfällige exilpolitische Tätigkeiten informiert sind, ebenso ist von vorhandenen „black lists“ betreffend Regimegegner immer wieder die Rede. Je nach Sachlage kann es aber (z.B. aufgrund von Desertion oder Wehrdienstverweigerung oder früherer politischer Tätigkeit) durchaus zu Schwierigkeiten mit den syrischen Behörden kommen. Seit 01.08.2020 wurde – bedingt durch den Devisenmangel – bei Wiedereinreise ein Zwangsumtausch von USD 100,− pro Person zu dem von der Regierung festgelegten Wechselkurs eingeführt. Damit einher geht ein Kursverlust gegenüber Umtausch zum Marktkurs von mittlerweile bereits mehr als 50% (ÖB Damaskus 12.2022).

Auch länger zurückliegende Gesetzesverletzungen im Heimatland (z.B. illegale Ausreise) können von den syrischen Behörden bei einer Rückkehr verfolgt werden. In diesem Zusammenhang kommt es immer wieder zu Verhaftungen. Z.B. müssen deutsche männliche Staatsangehörige, die nach syrischer Rechtsauffassung auch die syrische Staatsangehörigkeit besitzen, sowie syrische Staatsangehörige mit Aufenthaltstitel in Deutschland auch bei nur besuchsweiser Einreise damit rechnen, zum Militärdienst eingezogen oder zur Zahlung eines Geldbetrages zur Freistellung vom Militärdienst gezwungen zu werden. Eine vorab eingeholte Reisegenehmigung der syrischen Botschaft stellt keinen verlässlichen Schutz vor Zwangsmaßnahmen seitens des syrischen Regimes dar. Auch aus Landesteilen, die aktuell nicht unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehen, sind Fälle zwangsweiser Rekrutierung bekannt (AA 16.05.2023). Die Dokumentation von Einzelfällen zeigt immer wieder, dass es insbesondere auch bei aus dem Ausland Zurückkehrenden trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung kommen kann. Häufig werden die Festgenommenen in Haftanstalten der Geheimdienste oder des Militärs überstellt, oft in den Raum Damaskus (AA 02.02.2024).

Es ist nicht Standard, dass Syrer bei der legalen Ein- und Ausreise nach ihren Login-Daten für ihre Konten für soziale Medien gefragt werden, aber für Einzelfälle kann das nicht ausgeschlossen werden, z.B., wenn jemand − aus welchem Grund auch immer − auf dem Flughafen das Interesse der Behörden bei der Ausreise erweckt (NMFA 05.2022).

Durch das Fehlen klarer Informationen über das Prozedere für eine Rückkehr, durch das Zurückhalten der Gründe für die Ablehnung einer Rückkehr, bzw. durch das Fehlen einer Einspruchsmöglichkeit enthält die syrische Regierung ihren Bürgern im Ausland das Recht auf Einreise in ihr eigenes Land vor (UNCOI 07.02.2023).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich im Wesentlichen auf das aktuelle Länderinformationsblatt (LIB) der Staatendokumentation zu Syrien und die dort angeführten Quellen. Da dieses auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.

Die Feststellungen zur – durch diverse nationale und internationale Medienmeldungen allgemein bekannt (notorisch) gewordene – Änderung der Lage/Kontrollsituation in Nordwestsyrien durch die Großoffensive des von der HTS angeführten Rebellenbündnisses ab Ende November 2024 stützt sich auf die Kurzinformation der Staatendokumentation vom 03.12.2024, Syrien - Sicherheitslage Dezember 2024: HTS nimmt Städte in Nordsyrien ein, sowie (bezüglich des Eindringens der HTS in die Stadt Hama) auf die ORF.at-Meldung vom 05.12.2024, Rebellen dringen in Hama ein/Syrische Armee meldet Rückzug.

2.2. Diese Änderung der Lage brachte auch mit sich, dass sich der südlich von Aleppo gelegene Ort XXXX nun unter Kontrolle der HTS befindet, was auch der Syria Live Map (abrufbar unter https://syria.liveuamap.com/) bei einer Einsichtnahme am 06.12.2024 entnommen werden konnte.

Dass die syrische Regierung nicht in absehbarer Zeit die Kontrolle über XXXX zurückerlangen wird, war anzunehmen, da es der syrischen Regierung trotz Verstärkung der Truppen nicht gelungen ist, die strategisch wichtige Stadt Hama zu halten.

2.3. Die Feststellungen zur Person, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zum Familienstand, zur Ausreise sowie zum Geburtsort des BF ergeben sich aus seinen über das ganze Verfahren hinweg gleichlautenden Angaben und den von ihm vorgelegten – bis auf das vermeintliche syrische Strafurteil – unbedenklichen Dokumenten (Reisepass, Kimlik, Geburtsurkunden der Kinder).

2.4. Dass der BF vom BG Graz-Ost wegen Urkundenfälschung rechtskräftig verurteilt wurde, ergibt sich aus der vom erkennenden Gericht eingeholten Strafregisterauskunft sowie dem vorliegenden Strafakt des BG Graz-Ost zur Zl. 217 U 151/24d.

2.5. Die Feststellung zur Frage einer Desertion des BF von der syrischen Armee XXXX stützt sich darauf, dass das betreffende Vorbringen des BF aus nachfolgenden Gründen unglaubwürdig ist:

Der BF gab diesbezüglich in der Beschwerdeverhandlung an, er sei zu Beginn der Aufstände in Syrien als Wehrpflichtiger in einer Kaserne in XXXX zu Reinigungsdiensten eingesetzt gewesen. Er und seine Kameraden seien von ihrem Vorgesetzten dazu aufgefordert worden, bei regimekritischen Demonstrationen gegen die Demonstranten vorzugehen, wobei er dies jedoch habe vermeiden können, indem er vorgab, mit anderen Aufgaben beschäftigt zu sein. Seinem Vorgesetzten sei dies irgendwann aufgefallen, weshalb es einen Streit gegeben habe. Um dies wiedergutzumachen, habe der Vorgesetzte ihm dann Urlaub gegeben und der BF hätte diesen Urlaub genutzt, um zu desertieren.

Schon diese Schilderung steht im Widerspruch zu den Angaben des BF vor der belangten Behörde, bei der er angab, sein Vorgesetzter hätte ihn freigestellt, weil er die Rache des BF befürchtet hätte. Davon, dass er Urlaub bekommen hätte, weil der Vorgesetzte etwas wieder gutmachen hätte wollen, war damals noch nicht die Rede. Außerdem verwickelte sich der BF in weitere Widersprüche: So gab er in der Verhandlung zunächst an, er hätte einen Tag Urlaub erhalten, dann er hätte drei Tage Urlaub erhalten, um sich dann im nachfolgenden Satz zu korrigieren und auszuführen, dass es eigentlich fünf Tage gewesen seien. Auch bleibt für das erkennende Gericht rätselhaft, inwiefern die Gewährung von Urlaub – wie vom BF behauptet – zur Bestrafung geeignet sein soll und inwiefern die Gewährung eines fünftägigen Urlaubes – wie ebenfalls vom BF vorgebracht – eher dazu geeignet sein soll, eine verspätete Rückkehr des BF, die wiederum eine Bestrafung des BF zur Folge gehabt hätte, zu verursachen als die Gewährung eines kürzeren Urlaubes.

Insbesondere erschüttert aber der Umstand, dass der BF zum Beweis für seine Desertion dem BFA vorsätzlich eine falsche Urkunde vorgelegt hat, die Glaubwürdigkeit der von ihm behaupteten Desertion erheblich.

2.6. Zu den Feststellungen zur Teilnahme des BF an Demonstrationen in Österreich sowie zur Frage einer sich für daraus für ihn ergebenden Gefährdung ist Folgendes festzuhalten: Dass der BF nach der Erlassung des bekämpften Bescheides an drei Demonstrationen als einfacher Teilnehmer partizipiert hat, ergibt sich aus seinen eigenen Angaben vor dem erkennenden Gericht und den von ihm vorgelegten Lichtbildern. In der Verhandlung gab der BF zwar an, er habe „wie auch die anderen Demonstranten organisiert und umgefallene Bilder wieder aufgestellt und dergleichen“, doch stellt das Wiederaufstellen umgefallener Bilder noch keine Organisation einer Demonstration dar. Auch gibt es keinen Hinweis darauf, dass er als Redner, Ordner oder in irgendeiner anderen Funktion bei diesen Demonstrationen aufgetreten wäre und gab der BF in diesem Sinne auch an, er habe die Demonstrationen an sich nicht organisiert. Der BF legte auch mehrere Videos von den Demonstrationen, an denen er teilnahm vor und führte aus, dass er auf diesen Videos zu erkennen sei und diese Videos auch veröffentlicht (u.a von Al Jazeera) worden seien. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass in einem Video der BF nur etwa dreizehn Sekunden stark verdeckt von einem in der zweiten Reihe der abgebildeten Demonstranten stehenden Mann zu sehen ist; im zweiten vorgelegten Video, das von Al Jazeera ausgestrahlt worden sein soll, ist der Kopf des BF lediglich ganz kurz und sehr klein zu erspähen; im dritten – ebenfalls von Al Jazeera stammenden Video wiederum ist der BF gar nicht zu erblicken, obwohl er angab, hinter dem Kopf einer blonden Frau zu sehen zu sein. Daher konnte nicht festgestellt werden, dass der BF auf veröffentlichten Videoaufnahmen von gegen das syrische Regime gerichteten Demonstrationen in Österreich für Dritte identifizierbar ist.

Die Feststellungen zu den vom BF auf X verfassten Kommentaren ergibt sich aus dessen diesbezüglich glaubwürdigen Vorbringen.

2.7. Aus dem zuvor Ausgeführten ergibt sich, dass dem BF von den syrischen Behörden keine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird.

Was die Kommentare des BF auf X angeht, kann in Hinblick darauf, dass diese zunächst unter einem Account, der als Namen lediglich den Vornamen des BF hatte, und nun unter einem Account namens XXXX erfolgten, ist nicht anzunehmen, dass ein Rückschluss auf den BF gezogen wird, weshalb eine sich daraus ergebende Gefährdung ebenfalls zu verneinen ist.

2.8. Die Feststellung, wonach dem BF von HTS keine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird, beruht auf folgenden Erwägungen: Der einzige vom BF vorgebrachte Umstand, der eine Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung durch das HTS nahelegen würde, ist ein Vorfall, der sich 2016 oder 2017 ereignet haben soll und bei dem der BF auf dem Weg von XXXX nach Norden für einen Regimeanhänger gehalten worden sein soll und Schüsse über seinen Kopf hinweg abgegeben worden sein sollen. Diesbezüglich verwickelte sich der BF jedoch in Widersprüche: Zunächst gab er an, es seien Angehörige der Al-Nusra-Front gewesen, die geschossen bzw. ihn verdächtigt hätten, später in der selben Einvernahme vor dem BFA sollen es Angehörige der FSA gewesen sein. In seiner Beschwerde führte er dann wieder aus, es habe sich um Angehörige der Al-Nusra-Front gehandelt und dass die Al-Nusra-Front kurz vor dem Vorfall die Kontrolle über sein Heimatdorf übernommen habe, während er vor dem BFA durchgehend davon sprach, dass bis zur Eroberung durch Regierungstruppen (2016 oder 2017) die FSA die Macht in XXXX innegehabt habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sprach er dann nur mehr von einem „Diskriminierungsvorfall“ durch die „Jabhat al Nusra“. Auch legt das Vorbringen des BF, er sei wegen dieses Vorfalls noch einmal in die Türkei eingereist, nahe, dass dies der Grund war, weshalb er beschloss, das Dorf zu verlassen. Dies steht aber in einem Spannungsverhältnis zu seiner etwas später in der Verhandlung getätigten Aussage, die „freie Armee“ habe sie gebeten, das Dorf zu verlassen, da die syrische Armee vorhabe, in Richtung des Dorfes zu marschieren und dort die Kontrolle zu übernehmen.

Das erkennende Gericht zieht daher in Zweifel, dass es einen Vorfall gab, bei dem BF vorgeworfen wurde, ein Anhänger des Regimes zu sein. Sollte aber ein solcher Vorfall tatsächlich stattgefunden haben, kann gleichwohl nicht angenommen werden, dass der BF, der von der Türkei in sein Heimatdorf zurückkehrte, als dieses unter der Kontrolle oppositioneller Einheiten stand, und in seine Heimatregion wieder verließ, als die syrische Armee näher kam, realistischerweise Gefahr läuft, nach einer Rückkehr dorthin für einen Regimeanhänger gehalten zu werden, zumal er darstellen könnte, dass er auf X unter dem Account XXXX gegen die Hisbollah gerichtete Kommentare verfasst (hat).

2.9. Dass die syrische Regierung in den von HTS oder SNA kontrollierten Gebieten keinen Zugriff auf die dortige Bevölkerung hat, ergibt sich aus der Herkunftsländerinformation, wonach das syrische Regime in den HTS- und SNA-Gebieten weder Zwangsrekrutierungen durchführen noch Verhaftungen vornehmen kann.

2.10. Die Möglichkeit der Rückkehr des BF in seinen Heimatort über den Grenzübergang Bab al-Hawa ergibt sich aus der im Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Berichtslage (siehe insbesondere den Themenbericht der Staatendokumentation „Syrien – Grenzübergänge“) Etwaige Schließungen von Grenzübergängen sowie Gefahren auf den Reiserouten sind im Wesentlichen der allgemeinen Bürgerkriegssituation geschuldet, infolge derer sich die Sicherheitslage laut den Länderberichten in ganz Syrien als volatil erweist und führen nicht zur grundsätzlichen Unmöglichkeit der Wiedereinreise nach Syrien für geflüchtete Syrer.

Das Gebiet vom Grenzübergang Bab al-Hawa bis nach XXXX steht unter der Kontrolle des HTS, sodass der BF seinen Heimatort erreichen kann, ohne Regimegebiet durchqueren zu müssen.

Zudem wäre es dem BF nach rechtskräftig negativem Abschluss des Verfahrens auch grundsätzlich möglich und zumutbar, sich bei einer syrischen Vertretungsbehörde einen Reisepass ausstellen zu lassen, um ein irakischen Visum zu erlangen und dann über den Irak nach Syrien einzureisen. Hielte man dies für unzumutbar, stünde dem BF immer noch die Möglichkeit offen, sich als subsidiär Schutzberechtigter einen Fremdenpass nach § 88 FPG ausstellen zu lassen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

3.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen Bescheide von Verwaltungsbehörden wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 7 Abs. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels materienspezifischer Sonderregelung besteht somit gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit.

Das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten – mit Ausnahme der Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht – ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles sowie andere näher genannte (im vorliegenden Fall nicht relevante) Gesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die belangte Behörde in dem Verwaltungsverfahren, das zur Erlassung des bekämpften Bescheides geführt hat, angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Die Beschwerde wurde gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG fristwahrend erhoben und es liegen auch die sonstigen Prozessvoraussetzungen vor.

3.2. Sie ist in der Sache jedoch nicht berechtigt:

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Die für die Asylgewährung erforderliche Verfolgungsgefahr ist daher in Bezug auf den Herkunftsstaat des Asylwerbers zu prüfen (VwGH 2.2.2023, Ra 2022/18/0266, m.w.N.). Auch Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK und die Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) stellen auf das Herkunftsland (vgl. etwa Art. 2 lit. n StatusRL) des Asylwerbers ab und prüfen die Asylberechtigung hinsichtlich dieses Landes.

Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge derselben Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die „begründete Furcht vor Verfolgung.“ Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn aus objektiver Sicht eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (vor Verfolgung aus Konventionsgründen) fürchten würde. Eine Verfolgungsgefahr i.S.d. GFK ist nur dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Von der maßgeblichen Gefahr einer Verfolgung ist nicht auszugehen, wenn der Verfolger keinen Zugriff auf die betroffene Person hat (VwGH 06.09.2018, Ra 2017/18/0055).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass die schutzsuchende Person in der Vergangenheit bereits verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits geschehene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Entscheidend ist vielmehr, dass der schutzsuchenden Person im Zeitpunkt der Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz (hier: durch das Bundesverwaltungsgericht) im Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in der GFK bzw. in Art. 10 StatusRL genannten fünf Verfolgungsgründe drohen würde (VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212; VwGH 7.3.2023, Ra 2022/18/0284, m.w.N.).

3.2.2. Wie vorauszuschicken ist, ist das Gebiet um das Dorf XXXX , Provinz Aleppo, das der Prüfung zugrunde zu legende Herkunftsgebiet, da der BF dort – mit Ausnahme des Wehrdienstes – von seiner Geburt bis zu seiner ersten Ausreise im Jahre 2013 und dann wieder von 2016 bis zu seiner endgültigen Ausreise im Jahre 2017 lebte.

In Hinblick auf die getroffenen Feststellungen bestehen keine konkreten, überzeugenden Anhaltspunkte, dass der BF (nicht nur möglicherweise, sondern) mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von Verfolgungshandlungen im Herkunftsstaat betroffen ist. Die im Entscheidungszeitpunkt zu erstellende Prognose über die Situation des BF im Herkunftsstaat ergibt, dass er gegenwärtig mit keiner maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen erheblicher Intensität seitens der syrischen Regierung (die in seiner Herkunftsregion derzeit überdies keine Kontrolle ausübt) oder andere Akteure, etwa der HTS, die nun diese Region kontrolliert, rechnen muss.

Überdies ist auch im Fall, dass der BF entgegen der Annahmen des Bundesverwaltungsgerichts seine Herkunftsregion nicht erreichen kann, ohne von den syrischen Behörden kontrolliert zu werden, da ihm (wie festgestellt) von diesen keine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde.

Auch sonst haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung des BF aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen.

Dem BF ist es insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Der Vollständigkeit halber wird schließlich festgehalten, dass der allgemeinen Gefährdung der BF durch die derzeitige Lage in Syrien im gegenständlichen Verfahren bereits mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 durch die belangte Behörde Rechnung getragen wurde.

Da dem angefochtenen Bescheid somit keine Rechtswidrigkeit iSd Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG anhaftet, war die Beschwerde spruchgemäß abzuweisen.

Zu Spruchpunkt B)

3.3. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die vorliegende Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich im konkreten Fall eine Rechtsfrage stellt, die über den (hier vorliegenden konkreten) Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. Ausgehend davon kann eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auch insofern nicht bejaht werden. Es ist daher auszusprechen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.