JudikaturBFG

RV/7102569/2023 – BFG Entscheidung

Entscheidung
Sozialrecht
29. April 2025

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Helga Hochrieser über die Beschwerde der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vom 20. April 2023 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 15. März 2023, mit dem der Antrag auf Familienbeihilfe und Erhöhungsbetrag ab August 2022 abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Dem Sohn der Beschwerdeführerin (Bf.), S., geb. 1998, wurde im Gutachten des Sozialministeriumservice, letztes Gutachten vom 2. September 2016, wegen seiner Behinderung (ADHS, Intelligenzminderung) ein Behinderungsgrad von 50 % ab Februar 2002 und eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 18. Lebensjahr bescheinigt. Begründend wurde angemerkt, dass S. wegen ASO-Lehrplan erwerbsunfähig sei und derzeit nur eine Beschäftigungstherapie möglich sei. Eine Nachuntersuchung in 5 Jahren wurde mit der Begründung angemerkt, dass eine Besserung noch möglich sei.

Auf Grund dieser Feststellungen bezog die Bf. für ihren Sohn von Jänner 2014 bis September 2021 die Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag.

S. wurde am 23. November 2021 (Nachuntersuchung) von Dr.in Dok1 untersucht und folgendes Gutachten erstellt:

Anamnese:VGA, 08/2016:kombinierter Entwicklungsrückstand mit Intelligenzminderung - 50% Gesamt-GdB: 50% seit 02/2002, dauernd außer Stande sich selbst den Unterhalt zu verschaffen; NU in 5 Jahren

Es werden keine Befunde vorgelegt.

Die Mutter gibt an, dass sie bereits heuer im Frühjahr bei der ärztlichen Sachverständigen zur Untersuchung gewesen seien. Nach Recherche kann ermittelt werden, dass offensichtlich eine Untersuchung am 11.05.2021 bezüglich Feststellungsverfahren stattgefunden hat, es liegen allerdings keine Unterlagen diesbezüglich vor.

Derzeitige Beschwerden:Er würde im Moment keiner Beschäftigung nachgehen. Er habe die Pflichtschule mit SPF beendet. Sie seien im Mai schon einmal hier gewesen zur Untersuchung, sie hätten gedacht, dass alles aufliegen würde.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:keine Therapie

Sozialanamnese:bis Oktober sei er von PVA arbeitsunfähig geschrieben worden, neue Untersuchung hätten noch nicht stattgefunden

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):Befunde nachgereicht.:

Einladung für Untersuchung nach dem Behinderteneinstellungsgesetz am 11.05:21 um 16 Uhr Ordination Dr. Dok1PVA GA DR. Dok2 - unvollständig ohne Diagnosen

Es ist kein Grad der Behinderung zu ermitteln.

Begründung:Da keine aktuellen Befunde vorgelegt wurden, kann kein GdB ermittelt werden.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung: --------

Stellungnahme zu Vorgutachten:Da keine aktuellen Befunde vorgelegt wurden, kann kein GdB ermittelt werden.

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja

GdB liegt vor seit: 11/2021GdB 50 liegt vor seit: 02/2002

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:kein GdB ab aktuellem Untersuchungsdatum

50%: entsprechend VGA

Herr S. F. ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:Da keine Befunde vorgelegt wurden, kann die Erwerbsfähigkeit nicht beurteilt werden.

Auf Grund der im Gutachten getroffenen Feststellungen stellte das Finanzamt die Auszahlung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages ab September 2021 ein und setzte die Bf. mit Schreiben vom 17. Dezember 2021 darüber in Kenntnis.

Der Bf. wurde mit diesem Schreiben auch mitgeteilt, dass der Grund für die Einstellung die Nichtvorlage von aktuellen Befunden sei, weshalb keine Feststellung des Behinderungsgrades getroffen hätten werden können.

Mit Eingabe vom 28. Oktober 2022 brachte die Bf. erneut ein Antrag auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe beim Finanzamt ein.

Der Sohn der Bf. wurde am 22. Februar 2023 von Dr.in Dok2, Fachärztin für Neurologie, untersucht und folgendes Gutachten erstellt:

Anamnese:Intelligenzminderung, ADHS

Die letzte Begutachtung erfolgte am 23.11.2021, da keine aktuellen Befunde vorgelegt wurden, konnte kein GdB ermittelt werden.

Derzeitige Beschwerden:Der AW kommt gehend ohne Hilfsmittel in Begleitung der Mutter und einer Kanzleiangestellten. Es gehe ihm gut. Er sei 24 Jahre alt. Er leide laut Mutter noch unter Konzentrationsstörungen, er selber merke davon nichts. Medikamentös sei er nicht eingestellt - er weigere sich, da er 10 oder 20 kg zugenommen und Schwangerschaftsstreifen bekommen hätte. Dies sei vor ca. 5 Jahren gewesen. Fachärztlich sei er nicht mehr in Betreuung. Psychotherapie hätte er vor 3 Jahren abgebrochen, man hätte ihn hinausgeworfen, der Therapeut hätte gemeint, dass er sich nicht öffne und deswegen die Therapie nichts bringe. Ein Befund werde vorgelegt. Im ADL- Bereich sei er selbstständig. Ein kleiner Freundeskreis sei vorhanden. Kleine Einkäufe wären möglich.

Ausbildung:Er hätte ein SPZ in der Treustrasse absolviert. Danach wäre er bei JaW beim Projekt Absprung und dann bei Horizont gewesen. Danach hätte er noch weitere 2 Projekte - Namen nicht erinnerlich - über JaW absolviert. Dies sei vor ca. 5 Jahren gewesen. Seither sei er zu Hause und würde er zocken. Er hätte eine Tag-Nacht Umkehr, gehe zwischen 1 und 4 Uhr früh, wenn er vom Zocken genervt sei, zu Bett; wenn er vom Zocken nicht genervt sei um 10 Uhr vormittags, dann schlafe er bis ca. 15 Uhr. Eine Tagesstruktur besuche er nicht, laut Mutter wäre die Bewilligung abgelaufen. Es bestehe eine Erwachsenenvertretung, er beziehe kein PG.

Sozialanamnese:Ledig, wohne bei der Mutter und dem Bruder. Eine Schwester, diese ausgezogen. Seltener Kontakt zum Vater. Beruf: -Nik: 40-60Z/T Alk: 0Drogen: 0. Früher Marihuana, Kokain, Speed

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):Vorgelegter Befund: Ärztliches Gutachten gem. Mindestsicherungsgesetz, Dr. A. Hajek, Ärztin für AM

Untersuchung am 18.08.2022 Der MISW hat ein Sonderpädagogisches Zentrum besucht, danach sei er bei Jugend am Werk tätig gewesen. Seit 2 Jahren keine Tätigkeit mehr, er sei damals wegen aggressiven Verhaltens in der Werkstätte nicht weiter beschäftigt worden. Der MISW gibt dazu befragt an, dass er sehr viel von anderen provoziert wurde und dass dann eben "ein Kollege durch ihn über den Tisch geflogen sei".

Derzeitige Beschwerden: Der MISW gibt an, dass es ihm gut gehe, ab und zu leide er an Kreuzschmerzen.Hinsichtlich der Frage, wie er sich seine Zukunft vorstelle gibt er an, dass er eine Arbeit finden möchte und auch eine Familie gründen möchte.

Die Mutter gibt an, dass sie hoffe, dass ihr Sohn wieder eine Tagesstruktur besuche könne, jedoch mit einer richtigen Beschäftigung, nicht nur Herumsitzen den ganzen Tag. Dadurch, dass er nun arbeitsunfähig geschrieben worden sei, habe er keine Chance eine solche Beschäftigungs-Therapie zu erhalten. Zu Hause würde er vor allem Zocken, vor allem die ganze Nacht, tagsüber würde er meistens schlafen.

Er habe eine Erwachsenenvertretung seit 3 Jahren. Er hätte den heutigen Termin nicht ohne Begleitung einhalten können.

Derzeitige Therapie:Keine seit etwa 5 Jahren, davor Strattera bzw. Ritalin, Abilify- der MISW gibt an, dass er diese Medikamente nicht vertragen habe. Er sei auch nicht in psychiatrischer Behandlung. Früher sei er an der Jugendpsychiatrie ambulant vorstellig gewesen.

Diagnosen in deutscher Sprache: Hauptdiagnose: Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitäts-Syndrom.

b) Nebendiagnosen:Kombinierter Entwicklungsrückstand.

Degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit Bandscheibenvorfall im Bereich L5/S1 und rezidivierender Lumbago

Weitere Diagnosen:Adipositas. Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma im 10. Lebensjahr.

Ärztliche Beurteilung der Leistungsfähigkeit: Der MISW ist kardiopulmonal kompensiert. Es finden sich keine wesentlichen Bewegungseinschränkungen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates. Es bestehen Defizite im Bereich des Sozialverhaltens und der Aufmerksamkeit. Die Aufnahme einer Beschäftigungstherapie bzw. evtl. Besuch eines berufsorientierenden Lehrgangs wäre meines Erachtens zu befürworten. Es ist derzeit nicht absehbar, ob auch eine einfache Tätigkeit auf dem primären Arbeitsmarkt in weiterer Folge aufgenommen werden kann.

 

Herr S. F. ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Es bestehen weder fachärztlich-psychiatrische Behandlungen noch Psychotherapien, eine medikamentöse Dauertherapie wird nicht eingenommen, sodass ein Leiden, das nicht behandlungswürdig erscheint, vorliegt, sodass das vorliegende Leiden keine Erwerbsunfähigkeit begründet.

Das Finanzamt legte die in dem Gutachten getroffenen Feststellungen seiner Entscheidung zu Grunde und wies den Antrag der Bf. auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages mit Bescheid vom 15. März 2023 ab August 2022 mit der Begründung ab, dass Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe, wenn ein Kind voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig sei. Die Erwerbsunfähigkeit müsse vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein. Bei S. sei das nicht der Fall (Verweis auf § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967). Da bei S. laut Sachverständigengutachten ein Grad der Behinderung von 40% sowie keine dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt worden sei, sei wie im Spruch angeführt zu entscheiden gewesen.

Mit weiterem Bescheid vom 15. März 2023 wurde der Anspruch auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung ab August 2022 abgewiesen und begründend festgestellt, dass Anspruch auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung bestehe, wenn der festgestellte Grad der Behinderung mindestens 50 Prozent betrage und die Behinderung nicht nur vorübergehend sei, sondern mehr als 3 Jahre andauere. Diese Punkte würden nicht zutreffen (Verweis auf § 8 Abs. 5 FLAG 1967). Da laut ärztlichem Sachverständigengutachten der Gesamtgrad der Behinderung 40% ab 1. August 2022 betrage, sei wie im Spruch angeführt zu entscheiden gewesen.

Am 20. April 2023 langte folgende Beschwerde des Erwachsenenvertreters von S. ein:

"…Der Bescheid wird vom Beschwerdeführer seinem gesamten Inhalt und Umfang nach angefochten und werden geltend gemacht Verfahrensfehler und unrichtige rechtliche Beurteilung.

Dazu im Einzelnen.

Der Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 15.03.2023 verletzt den Beschwerdeführer in seinen subjektiven Rechten.

Die Behörde führt in ihrer Entscheidung aus, dass Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, wenn ein Kind voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig ist. Die Erwerbsunfähigkeit muss vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein.

Weiters führt die Behörde aus, dass Anspruch auf den Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung besteht, wenn:

Der festgestellte Grad der Behinderung mindestens 50% beträgt

Die Behinderung nicht nur vorübergehen ist, sondern mehr als 3 Jahre andauert.

Laut der nunmehr belangten Behörde soll laut Sachverständigengutachten ein Grad der Behinderung von 40% sowie keine dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt worden sein. Die Behauptungen der belangten Behörde sind unrichtig.

Bei dem Beschwerdeführer ist ein Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitäts-Syndrom sowie ein kombinierter Entwicklungsrückstand diagnostiziert worden. Weiters leidet der Beschwerdeführer unter einer degenerativen Wirbelsäulenveränderung mit Bandscheibenvorfall im Bereich L5/S1 und rezidivierender Lumbago sowie an Adipositas nach einem Schädel-Hirn-Trauma im 10 Lebensjahr.

Laut ärztlichem Gutachten der Pensionsversicherungsanstalt Wien vom 18.08.2022 sowie laut chefärztlicher Stellungnahme der Pensionsversicherungsanstalt Wien vom 01.09.20222 ist Arbeitsfähigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt des Beschwerdeführers für voraussichtlich 24 Monate nicht gegeben.

Beweis: beiliegendes ärztliches Gutachten samt chefärztlicher Stellungnahme der Pensionsversicherungsanstalt Wien

Für den Beschwerdeführer wurde weiters aufgrund seiner Behinderung ein Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses am 18.07.2022 gestellt.

Das beim Sozialministeriumservice durchgeführte medizinische Ermittlungsverfahren hat im Zuge einer Untersuchung des Beschwerdeführers rechtskräftig ein Grad der Behinderung von 50% festgestellt und wurde dem Beschwerdeführer ein unbefristeter Behindertenpass ausgestellt.

Beweis: beiliegendes Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice

beiliegender Behindertenpass

Inhaltlich liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe nach § 8 FLAG beim Betroffenen jedenfalls vor.

Danach ist eine erhebliche Behinderung dann gegeben, wenn er nicht nur vorübergehend im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich eine Funktionsbeeinträchtigung erleidet.

Der Grad der Behinderung muss im vorliegenden Fall nicht 50 von Hundert betragen, weil der Beschwerdeführer voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Er ist aus fachärztlicher Sicht auf längere Sicht nicht in der Lage selbstständig die Aktivitäten des täglichen Lebens zu bewältigen.

Ob wirklich die voraussichtliche dauernde Unfähigkeit gegeben ist, ist durch Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen aufgrund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

2. …

3. Beschwerdebehauptung und Beschwerdegründe

Eben weil der Beschwerdeführer an einer Beeinträchtigung leidet und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Familienbeihilfe und der erhöhten Familienbeihilfe vorliegen.

4. Beschwerdeerklärung, Anträge, Anregungen

Gestellt werden die

ANTRÄGE

das Bundesfinanzgericht möge

a. eine mündliche Verhandlung durchführen;

b. in der Sache selbst entscheiden und den angefochtenen Bescheid vom 15.03.2023 zu Ordnungsbegriff … dahingehend abändern, dass dem Beschwerdeführer die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe gewährt werden;

in eventu

c. den angefochtenen Bescheid vom 15.03.2023 aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen."

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom 23. Mai 2023 mit der Begründung ab, dass aufgrund des Sachverständigengutachtens vom 22. Februar 2023 nicht vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages auszugehen sei. S. habe bereits im Juni 2016 das 18. Lebensjahr vollendet, befinde sich nicht in Berufsausbildung bzw. liege keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor, welche nachweislich vor Vollendung des 21. (25.) Lebensjahres eingetreten sei. Vom Arzt sei zudem vermerkt worden, dass keine fachärztlich-psychiatrische Behandlung vorliege und keine medikamentöse Dauertherapie erfolge, sodass das Leiden nicht behandlungswürdig erscheine und somit keine dauernde Erwerbsunfähigkeit begründe.

Am 22. Juni 2023 wurde ein Vorlageantrag ohne weitere Begründung, jedoch mit neuerlichem Antrag auf mündliche Verhandlung vor dem BFG eingebracht.

Mit Schreiben vom 28. April 2025 wurde der Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vom Erwachsenenvertreter des Bf. in seinem Namen zurückgezogen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Aus dem Familienbeihilfenakt ergeben sich folgende Feststellungen:

S. ist 1998 geboren und vollendete am TT. Juni 2019 das 21. Lebensjahr.

S. leidet an einem Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätssyndrom.

Er lebt mit seiner Mutter und einem Bruder im gemeinsamen Haushalt.

S. besuchte ein Sonderpädagogisches Zentrum, danach war er bei Jugend am Werk, bei Horizont und absolvierte über Jugend am Werk zwei weitere Projekte. Er geht seit ca. 5 Jahren keiner beruflichen Tätigkeit nach.

S. bezieht kein Pflegegeld.

Er hat seit Oktober 2022 einen Erwachsenenvertreter (Beschluss des Bezirksgerichtes Leopoldstadt zu GZ. 123 vom 12. Oktober 2022).

Im (Vor)Gutachten des Sozialministeriumservice vom 2. September 2016 wurde S. ein Behinderungsgrad von 50 vH bescheinigt. Weiters wurde bescheinigt, dass S. "voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen". Angemerkt wurde "kein Dauerzustand" und eine Nachuntersuchung in 5 Jahren.

Im Gutachten vom 27. November 2021 (Nachuntersuchung) wurde S. weder ein Behinderungsgrad noch eine Erwerbsunfähigkeit bescheinigt, da keine Unterlagen vorgelegt wurden.

Im Gutachten vom 22. Februar 2023 wurde S. ein Behinderungsgrad von 40 vH bescheinigt und der Rahmensatz wie folgt begründet:

"Oberer Rahmensatz - hier weder fachärztliche, medikamentöse oder psychotherapeutische Betreuung. Intelligenzminderung - hier Ausmaß ohne aktuelle neuropsychologische Testung nicht objektivierbar - im Rahmensatz inkludiert. Erwachsenenvertretung. Selbständigkeit im ADL Bereich. Keine Tagesstruktur".

Eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit wurde mit der Begründung verneint, dass weder fachärztlich-psychiatrische Behandlungen noch Psychotherapien bestünden, eine medikamentöse Dauertherapie werde nicht eingenommen, sodass ein Leiden, das nicht behandlungswürdig erscheine, vorliege, sodass das vorliegende Leiden keine Erwerbsunfähigkeit begründe.

Beweiswürdigung

Das Bundesfinanzgericht erachtet die im Zuge des Verfahrens in den zwei Gutachten getroffenen Feststellungen, dass auf Grund fehlender Befunde bei S. kein Grad der Behinderung festgestellt werden konnte und auch nicht, dass er "voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen", als nachvollziehbar und schlüssig an.

Schlüssig wird auch die Begründung im Gutachten vom 22. Februar 2023 erachtet, wonach weder fachärztlich-psychiatrische Behandlungen noch Psychotherapien bestünden und auch keine medikamentöse Dauertherapie eingenommen werde und das Leiden somit nicht behandlungswürdig erscheine.

S. selbst gibt an, dass es ihm gut gehe und dass er sich seine Zukunft so vorstelle, dass er eine Arbeit finde und eine Familie gründen möchte. Er sitze, nachdem er ein Sonderpädagogisches Zentrum besucht und bei Jugend am Werk und noch zwei weitere Projekte über Jugend am Werk besucht habe, zu Hause und würde zocken.

Hierzu wird angemerkt, dass andere als behinderungskausale Gründe (wie z.B. mangelnde oder nicht spezifische Ausbildung, die Arbeitsplatzsituation, Arbeitsunwilligkeit, oÄ) für die Beurteilung ebenso wenig von den Sachverständigen herangezogen werden dürfen wie eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes (etwa durch Folgeschäden) nach Vollendung des 21. (bzw. bei Berufsausbildung bis zum 25. Lebensjahres).

Zusammenfassend wird festgestellt, dass das Gericht nach eingehender Befassung die Gutachten als nachvollziehbar und schlüssig erachtet.

Es würde den Gutachten vielmehr an Schlüssigkeit fehlen, wenn die untersuchenden Sachverständigen ohne Untermauerung durch relevante Befunde eine "voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit" festgestellt hätten. Schlüssig ist vielmehr, eine "voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit" unter Zuhilfenahme von relevanten Befunden oder anderen geeigneten Nachweisen zu bestimmen.

Da im vorliegenden Fall derartige Befunde nicht vorgelegt wurden bzw. nicht vorgelegt werden konnten, konnte bei S. keine "voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit" festgestellt werden.

Somit liegen die Voraussetzungen für die Gewährung des Grundbetrages und des Erhöhungsbetrages an Familienbeihilfe nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Gesetzesgrundlagen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 besteht für volljährige Kinder, die "wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen", Anspruch auf den Grundbetrag und den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe.

§ 10 FLAG 1967 lautet:

(1) Die Familienbeihilfe wird, abgesehen von den Fällen des § 10a, nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs 4) ist besonders zu beantragen.

(2) Die Familienbeihilfe wird vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrundhinzukommt.

(3) Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs 4) werden höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist.

§ 8 Abs. 5 FLAG 1967 lautet:

Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als sechs Monaten. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom 18. August 2010, BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens alle fünf Jahre neu festzustellen, wenn nach Art und Umfang eine mögliche Änderung zu erwarten ist.

§ 8 Abs. 6 FLAG 1967 normiert:

Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) dem Finanzamt Österreich durch eine Bescheinigung auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die Kosten für dieses ärztliche Sachverständigengutachten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen. Das ärztliche Sachverständigengutachten ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) gegen Ersatz der Kosten aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen an die antragstellende Person zu übermitteln, eine Übermittlung des gesamten ärztlichen Sachverständigengutachtens an das Finanzamt Österreich hat nicht zu erfolgen. Der Nachweis des Grades der Behinderung in Form der Bescheinigung entfällt, sofern der Grad der Behinderung durch Übermittlung der anspruchsrelevanten Daten durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) aufgrund des Verfahrens nach § 40 des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. Nr. 283/1990, zur Ausstellung eines Behindertenpasses, nachgewiesen wird.

Gutachten Allgemeines:

Ein Gutachten ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhaltes durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen, verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen, stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sach-verhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen (vgl. z.B. BFG 25.01.2018, RV/2100484/2014; BFG 02.10.2019, RV/7101860/2018).

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht (vgl. Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8, Rz 5).

Der Grundbetrag steht bei einem volljährigen Kind bis zum 25. Lebensjahr zu, wenn es sich in Berufsausbildung befindet.

Befindet sich ein volljähriges Kind nicht in Berufsausbildung und wird die Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag beantragt, dann ist der Behinderungsgrad ohne jede Bedeutung.

Voraussetzung für den Bezug der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages ist in diesem Fall, dass bei der den Antrag stellenden Person eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. (bzw. vor dem 25. Lebensjahr bei Berufsausbildung) eingetreten ist (vgl. Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 21).

Erwerbsunfähigkeit

Der VwGH stellte zB im Erkenntnis vom 18.12.2003, 99/12/0236, und vom 22.12.2004, 2003/12/0174, zum Begriff der Erwerbsfähigkeit im Pensionsgesetz fest, dass dieser im allgemeinen Sprachgebrauch bedeute, in der Lage zu sein, durch eigene Arbeit einen wesentlichen Beitrag zum Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Fähigkeit sei nach der Rechtsprechung zwar abstrakt zu beurteilen (dh, es sei nicht entscheidend, ob die in Frage kommenden Tätigkeiten gerade am Arbeitsmarkt verfügbar seien oder nicht, es müsse sich aber um eine Beschäftigung handeln, die grundsätzlich Gegenstand des allgemeinen Arbeitsmarktes sei); es komme aber sehr wohl darauf an, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Einsatzfähigkeit für bestimmte Tätigkeiten (Berufsbilder) vorliegen. Hierbei sei weiters zu berücksichtigen, ob die Einsatzfähigkeit auch im Hinblick auf die üblichen Erfordernisse in der Arbeitswelt (zB Einhaltung der Arbeitszeit oder Fähigkeit zur Selbstorganisation) noch gegeben sei (vgl. das Erkenntnis des BVwG vom 01.02.2017, GZ. W228 2136072-1, unter Verweis auf das Erkenntnis des VwGH 18.12.2003, 99/12/0236).

Bescheinigung des Sozialministeriumservice

§ 8 Abs. 6 FLAG 1967 regelt, dass der Grad der Behinderung und die Feststellung, ob bzw. ab wann eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen ist.

Im Fall, dass ein volljähriger Antragsteller die erhöhte Familienbeihilfe beantragt, haben sich die Feststellungen darauf zu erstrecken, ob die Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetreten ist (vgl. etwa VwGH 18.11.2008, 2007/15/0019).

Maßgeblich ist dabei nicht der Zeitpunkt, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert oder der Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt, sondern der Zeitpunkt, zu dem die Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eine Erwerbsunfähigkeit bewirkt hat (vgl. VwGH 27.11.2020, Ra 2020/16/0094, VwGH 02.07.2015, 2013/16/0170, VwGH 20.11.2014, Ra 2014/16/0010).

Ein Leiden, das zwar vor dem 21. Lebensjahr bestanden hat, sich aber erst nach dem 21. Lebensjahr derart verschlechtert, dass von einer voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen auszugehen ist, vermag keinen Familienbeihilfenanspruch zu begründen (UFSW 08.08.2011, RV/1344-W/11).

Für die rückwirkende Beurteilung der Frage, wann eine Erkrankung eingetreten ist und insbesondere wann diese Erkrankung ein Ausmaß erreicht hat, dass eine Erwerbstätigkeit, mit der sich der Patient selbst den Unterhalt verschaffen kann, nicht mehr möglich ist, gestaltet sich naturgemäß sehr schwierig und kann immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit und nie mit Sicherheit festgestellt werden (vgl. Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Tz 32, vgl. auch BFG 18.06.2019, RV/7103216/2019, BFG vom 21.01.2020, RV/7106301/2019).

Die sachverständigen Ärzte des SMS ziehen, wenn eine volljährige Person die erhöhte Familienbeihilfe beantragt, für die zu treffende Feststellung, wann die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, neben der durchgeführten Anamnese und Untersuchung des Antragstellers die Kenntnisse der Medizin und ihr eigenes Fachwissen heran. Unerlässlich sind Befunde, Arztbriefe oder sonstige Unterlagen, die auf eine Erwerbsunfähigkeit ab einem bestimmten Zeitpunkt schließen lassen (vgl. VwGH 20.11.2014, Ra 2014/16/0010, VwGH 30.03.2017, Ra 2017/16/0023, 30.05.2017, Ro 2017/16/0009).

Mitwirkungspflicht bei Begünstigungsvorschriften

Nach der ständigen Judikatur des VwGH bestehen bei Begünstigungsvorschriften und in Fällen, in denen die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde bzw. der Gerichte eingeschränkt sind, erhöhte Mitwirkungspflichten: "Es dürfte wohl nicht zu bestreiten sein, dass die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde eingeschränkt sind, wenn Sachverhalte zu beurteilen sind, die teilweise Jahrzehnte zurückliegen... Auch der Sachverständige kann aufgrund seines medizinischen Fachwissens ohne Probleme nur den aktuellen Gesundheitszustand des Erkrankten beurteilen. Hierauf kommt es aber nur dann an, wenn der derzeitige Behinderungsgrad zu beurteilen ist oder die Feststellung, ob eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, zeitnah zum relevanten Zeitpunkt erfolgen kann. Der Sachverständige kann in den übrigen Fällen nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung eingetreten ist. Dies ist besonders bei psychischen Krankheiten problematisch, die häufig einen schleichenden Verlauf nehmen. Somit wird es primär an den Berufungswerbern, allenfalls vertreten durch ihre Sachwalter, liegen, den behaupteten Sachverhalt, nämlich ihre bereits vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen." (Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 32 mwN)".

Bindung an die Gutachten des SMS durch die Beihilfenbehörden und das Gericht

Die Beihilfenbehörden und das Gericht dürfen die Gutachten nur insoweit prüfen, ob diese vollständig, nachvollziehbar und schlüssig sind und im Fall mehrerer Gutachten oder einer Gutachtensergänzung nicht einander widersprechen (vgl. VwGH 25.11.2010, 2010/16/0068; Beschluss VwGH 16.12.2014, Ro 2014/16/0053; Erkenntnisse VwGH jeweils vom 22.12.2011, 2009/16/0307 und 2009/16/0310). Erforderlichenfalls ist für deren Ergänzung zu sorgen (VwGH 25.11.2010, 2010/16/0068; VwGH 13.12.2012, v2009/16/0325; VwGH 04.07.2016, Ra 2016/04/0057).

Sind die Gutachten vollständig, nachvollziehbar und schlüssig, so haben die Beihilfenbehörden (Finanzamt) und auch das Gericht bei ihrer Entscheidung von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und sind daran gebunden. Ein Abweichen ist nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung möglich (vgl. zB VfGH 10.12.2007, B 700/07, VwGH 18.11.2008, 2007/15/0019).

Das Gericht war im vorliegenden Fall nicht gehalten, ein ergänzendes Gutachten einzuholen, weil sich kein Anhaltspunkt dafür ergeben hat, dass im Wege einer weiteren Untersuchung festgestellt hätte werden können, dass eine Erwerbsunfähigkeit bei S. vorliegt.

Die Gutachten unterliegen, wie alle anderen Beweismittel, der freien richterlichen Beweiswürdigung.

Das BFG hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO). Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH (vgl. für viele VwGH 09.09.2004, 99/15/0250) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.

Die medizinische Beurteilung in Verbindung mit den von der höchstgerichtlichen Judikatur aufgestellten und im Beschwerdefall beachteten Erfordernissen, wonach Gutachten eingehend die Art und das Ausmaß der Leiden und die konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbstätigkeit in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise zu behandeln haben, lässt die in den vorliegenden Gutachten nicht feststellbare Selbsterhaltungsunfähigkeit auf Grund der Behinderung von S. somit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit als richtig erscheinen.

Es würde - wie schon festgehalten - den Gutachten vielmehr an Schlüssigkeit fehlen, wenn die untersuchenden Sachverständigen eine Erwerbsunfähigkeit von S. ohne Untermauerung durch entsprechende Befunde festgestellt hätten. Schlüssig ist vielmehr, eine Erwerbsunfähigkeit ab einem bestimmten Zeitpunkt unter Zuhilfenahme vorliegender Befunde oder anderer geeigneter Nachweise zu bestimmen.

Da auf Grund von fehlenden relevanten Unterlagen keine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt werden konnte, waren die Voraussetzungen für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe nicht gegeben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit der Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Der Gesamtgrad der Behinderung bzw. die Erwerbs(un)fähigkeit ist seitens des Sozialministeriumservice festzustellen; das BFG ist an die diesbezüglich erstellten ärztlichen Gutachten gebunden. Da es sich dabei um eine nicht reversible Tatfrage handelt, liegt gegenständlich keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher Bedeutung" vor. Eine Revision ist daher nicht zulässig.

Wien, am 29. April 2025