Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer sowie Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. I. Zehetner als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, in der Rechtssache der Revision des Ü D, vertreten durch Mag. Volkan Kaya, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Senefeldergasse 11/1E, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Oktober 2024, I425 2300102 1/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, stellte am 5. Mai 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 22. Juli 2024 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 11. Dezember 2024, E 4386/2024 5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
5 In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision eingebracht.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen.
9 Der Revisionswerber bringt zur Begründung der Zulässigkeit seiner Revision vor, das Bundesverwaltungsgericht habe „nicht ausreichend und umfassend ermittelt“, insbesondere habe es sich nicht mit den aktuellen Geschehnissen in der Türkei und dem Umstand, dass „die HDP (bzw. deren Nachfolgepartei) ... geschlossen“ worden sei, auseinandergesetzt. Weiters habe das Bundesverwaltungsgericht „die Dokumente aus der Türkei“, und zwar die Bestätigung, dass der Revisionswerber als Wehrdienstverweigerer gesucht werde, „nicht ... korrekt gewürdigt“.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. VwGH 17.10.2024, Ra 2024/20/0607, mwN). Diesem Erfordernis wird der Revisionswerber mit dem dargelegten Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision nicht gerecht. Schon aus diesem Grund wird damit keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG aufgeworfen.
11 Darüber hinaus wird mit dem Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung der Revision auch sonst keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt:
12 Das Bundesverwaltungsgericht führte im angefochtenen Erkenntnis aus, dass sich aus dem Vorbringen des Revisionswerbers nicht einmal andeutungsweise eine Verbindung zur HDP ergeben habe. Vielmehr habe er vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dezidiert zu Protokoll gegeben, in seinem Heimatland niemals politisch tätig gewesen zu sein und dass weder er noch seine Familienangehörigen je Mitglied einer Partei oder sonstigen Organisation gewesen seien. Weder ist daher ersichtlich, dass sich das Bundesverwaltungsgericht nicht (ausreichend) mit dem Vorbringen des Revisionswerbers zur HDP auseinandergesetzt hätte, noch legt der Revisionswerber im Zulässigkeitsvorbringen die Relevanz des behaupteten Ermittlungs- und Begründungsmangels dar (zum Erfordernis der Relevanzdarlegung von Verfahrensfehlern vgl. etwa VwGH 2.9.2024, Ra 2024/20/0283, mwN).
13 Zum vom Revisionswerber vorgelegten Auszug aus der türkischen Behördenapplikation e-Devlet samt beglaubigter Übersetzung, wonach er ab dem 1. Jänner 2024 als Wehrpflichtiger gesucht werde, weil er seine Musterung versäumt habe und nunmehr aufgefordert werde, sich dieser zu stellen, hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, die bloße Angst vor der Ableistung des Militärdienstes oder vor der Bestrafung wegen Verweigerung der Leistung des Militärdienstes stelle keinen Grund für die Gewährung von Asyl dar. Insbesondere verweigere der Revisionswerber den Militärdienst so das Verwaltungsgericht mit näherer Begründung nicht aus Gewissensgründen. Hinweise darauf, dass die Wehrdienstverweigerung des Revisionswerbers auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruhe, ihm aufgrund dieser vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde oder den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehle, ergäben sich weder aus den einschlägigen näher dargestellten Länderberichten, noch sei derartiges seitens des Revisionswerbers im Verfahren substantiiert vorgebracht worden. Verfolgungshandlungen, die ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätten, seien in Zusammenhang mit der den Revisionswerber in der Türkei treffenden Wehrpflicht oder einer etwaigen Wehrdienstverweigerung nicht ersichtlich. Inwieweit die diesbezügliche Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts unvertretbar wäre, zeigt der Revisionswerber mit seinem unsubstantiierten Vorbringen nicht auf (zum im Revisionsverfahren anzulegenden Maßstab bei der Überprüfung der Beweiswürdigung vgl. etwa VwGH 17.12.2024, Ra 2024/20/0759, mwN; zur Frage der Wehrdienstverweigerung als Fluchtgrund vgl. etwa VwGH 28.2.2024, Ra 2023/20/0619, mwN).
14 Weiters wendet sich der Revisionswerber in seinem Zulässigkeitsvorbringen gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung erfolgte Interessenabwägung nach § 9 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG). Er bringt zusammengefasst vor, seine „persönlichen und familiären Integrationsmerkmale“ überwögen deutlich das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung. Die innerhalb seines nicht einmal zweijährigen Aufenthalts erlangte Integration sei „nach seiner Auffassung außergewöhnlich“. Das Bundesverwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass der Revisionswerber keine Leistungen aus der Grundversorgung beansprucht habe, er nicht nur strafgerichtlich, sondern sogar verwaltungsstrafrechtlich unbescholten sei, über eine ortsübliche Unterkunft verfüge, im kurdischen Verein aktiv beteiligt sei und mit ihm einfache Unterhaltungen (gemeint: in deutscher Sprache) möglich seien.
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel.
Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 21.10.2024, Ra 2024/20/0618, mwN).
16 Das Bundesverwaltungsgericht legte im Rahmen der Interessenabwägung im Wesentlichen dar, der Revisionswerber weise keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht auf. Insbesondere habe er keinen Nachweis bezüglich eines von ihm besuchten Deutschkurses oder einer abgelegten Sprachprüfung erbracht und er sei im Bundesgebiet lediglich einmalig für „gut einen Monat“ einer angemeldeten Erwerbstätigkeit als Arbeiter in einem Gastronomiebetrieb nachgegangen. Eine nachhaltige Verfestigung am Arbeitsmarkt sei sohin nicht gegeben. Etwaige maßgebliche gesellschaftliche Anknüpfungspunkte wie eine Vereins oder Organisationsmitgliedschaft oder ein ehrenamtliches Engagement hätten sich nicht ergeben und seien auch in der Beschwerde nicht behauptet worden. Dementgegen könne nach wie vor von einem Bestehen von Bindungen des Revisionswerbers zu seinem Herkunftsstaat Türkei ausgegangen werden, zumal er dort den weit überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, sozialisiert worden sei und seine Enkulturation erfahren habe. Auch die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Revisionswerbers stelle keine Stärkung seiner persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich dar.
17 Dass das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen bei seiner Beurteilung nicht alle relevanten Umstände näher beleuchtet und ausreichend berücksichtigt habe, wird in der Zulässigkeitsbegründung nicht aufgezeigt. Das in der Revision erstmals erstattete Vorbringen, der Revisionswerber sei in einem kurdischen Verein aktiv, unterliegt einerseits dem nach § 41 VwGG im Revisionsverfahren geltenden Neuerungsverbot (vgl. dazu etwa VwGH 9.11.2023, Ra 2023/20/0407, mwN). Andererseits ist zudem dessen Relevanz für den Verfahrensausgang nicht zu sehen.
18 Der Revisionswerber zeigt mit seinem Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung daher nicht auf, dass dem Bundesverwaltungsgericht bei der Interessenabwägung ein vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifender Fehler unterlaufen wäre oder dass es die für die Abstandnahme von der mündlichen Verhandlung in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien missachtet hätte.
19 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 5. März 2025