JudikaturVwGH

Ra 2025/20/0217 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
23. Juni 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer, Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, in den Rechtssachen der Revisionen 1. der J N, und 2. des R N, beide vertreten durch Rast Musliu Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 8. April 2025, 1. L515 2300770 1/15E und 2. L515 2300771 1/6E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

1 Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter des Zweitrevisionswerbers. Beide sind Staatsangehörige von Armenien.

2 Die Erstrevisionswerberin reiste am 26. Juli 2023 mit einem am 12. Juli 2023 von Griechenland ausgestellten und von 23. Juli 2023 bis 18. August 2023 gültigen Visum C in das Bundesgebiet ein. Sie hielt sich bei ihrem hier lebenden Lebensgefährten auf, den sie zuvor „telefonisch kennengelernt“ hatte. Sie wurde von diesem etwa drei Monate später verlassen, als er erfahren hatte, dass die Erstrevisionswerberin schwanger sei. In der Folge nahm sie beim Bruder ihres ehemaligen Lebensgefährten vorübergehend Unterkunft.

3 Am 7. März 2024 stellte die Erstrevisionswerberin einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Für den im Juni 2024 in Österreich geborenen Zweitrevisionswerber wurde ein solcher Antrag am 5. Juli 2024 gestellt.

4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diese Anträge mit den Bescheiden je vom 5. September 2024 ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung, stellte jeweils fest, dass die Abschiebung nach Armenien zulässig sei, und legte jeweils die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

5 Die von den revisionswerbenden Parteien gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurden vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit den angefochtenen Erkenntnissen als unbegründet abgewiesen. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass jeweils die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen.

9 Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG nur im Rahmen der dafür in der Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dementsprechend erfolgt nach der Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung. In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet (vgl. VwGH 11.4.2025, Ra 2024/18/0681, mwN).

10 Die revisionswerbenden Parteien wenden sich zur Begründung der Zulässigkeit der von ihnen erhobenen Revisionen gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts, das den Angaben der Erstrevisionswerberin zum Grund, weshalb sie asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat befürchte, keinen Glauben geschenkt hat.

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 27.2.2025, Ra 2025/20/0048, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 19.2.2025, Ra 2025/14/0010, mwN).

12 Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Verhandlung durchgeführt, in der es sich einen persönlichen Eindruck von der Erstrevisionswerberin verschaffen konnte. Der Erstrevisionswerberin wurde Gelegenheit gegeben, sich zu den Gründen, weshalb sie im Heimatland Verfolgung befürchte, zu äußern. Es wurde ihrer rechtsfreundlichen Vertretung die Möglichkeit eingeräumt, weitere Fragen an die Erstrevisionswerberin zu stellen, von der diese auch Gebrauch gemacht hat. Dass die beweiswürdigenden Überlegungen des Verwaltungsgerichts mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehler behaftet wären, wird von den revisionswerbenden Parteien, die in erster Linie ihre eigenen Erwägungen an die Stelle jener des Bundesverwaltungsgerichts gesetzt wissen wollen, nicht dargetan.

13 Soweit die revisionswerbenden Parteien meinen, das Bundesverwaltungsgericht hätte eine ergänzende Recherche im Herkunftsstaat durch den Vertrauensanwalt vornehmen lassen müssen, sind sie darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Ermittlungspflicht von Amts wegen weitere Ermittlungsschritte setzen muss, einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 4.5.2023, Ra 2021/20/0469, mwN).

14 Dass dem Bundesverwaltungsgericht, das die Erstrevisionswerberin im Rahmen der Verhandlung eingehend zu ihrem Vorbringen befragte und sich auch mit der eingeholten Stellungnahme eines Vertrauensanwaltes beschäftigte, bei dieser Beurteilung ein vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifender Fehler unterlaufen wäre und ihm unter Berücksichtigung der vorliegenden Beweisergebnisse weitere amtswegige Ermittlungen als „erforderlich“ im Sinn des § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 hätten erscheinen müssen, wird von den revisionswerbenden Parteien mit ihrem bloß pauschal gehaltenen Vorbringen nicht aufgezeigt.

15 Zudem wird von den revisionswerbenden Parteien nicht dargelegt, zu welchen konkreten Ergebnissen ergänzende Ermittlungen des Bundesverwaltungsgerichts hätten führen können und weshalb diese geeignet gewesen wären, zu einem anderen Ergebnis zu kommen (vgl. zur Notwendigkeit der Darstellung der Relevanz von behaupteten Verfahrensmängeln etwa VwGH 8.4.2025, Ra 2024/14/0910, mwN). In diesem Zusammenhang enthalten die Revisionen (ebenfalls) nur allgemein gehaltene Behauptungen, ohne sich auf einen konkret zu ermittelnden Sachverhalt zu beziehen.

16 Zudem sind die revisionswerbenden Parteien darauf hinzuweisen, dass ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens eines Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht (vgl. VwGH 12.9.2023, Ra 2022/19/0051, mwN). Somit kann das Bestehen eines Verfahrensfehlers nicht erfolgreich auf die Behauptung gegründet werden, dass im Herkunftsstaat allenfalls: ergänzende Ermittlungen hätten durchgeführt werden müssen.

17 Im Übrigen ist anzumerken, dass das Bundesverwaltungsgericht in einer alternativen Begründung auch davon ausgegangen ist, die Behörden des Herkunftsstaates könnten gegen die von der Erstrevisionswerberin behaupteten Übergriffe, die von Privaten (hier: von Familienmitgliedern) ausgingen, hinreichend Schutz bieten. Es stellte (unter anderem) fest, dass in Armenien Zwangsehen und Ehen im Fall des Alters von weniger als 18 Jahren der Brautleute verboten seien. Zwar kämen solche Ehen unter Jesiden weiterhin vor. Es existierten jedoch staatliche Institutionen und NGOs, die davon Betroffene wirksam unterstützten, falls sie sich entschlößen, sich zur Wehr zu setzen. Innerhalb der Polizei gebe es zudem eine „in Bezug auf diese Problematik“ besonders geschulte Einheit.

18 Dem setzen die revisionswerbenden Parteien nichts entgegen. Eine Revision ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber unzulässig, wenn ein Erkenntnis - wie hier - auf einer tragfähigen Alternativbegründung beruht und im Zusammenhang damit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG aufgezeigt wird. Dies gilt selbst dann, wenn davon auszugehen wäre, dass die anderen Begründungsalternativen rechtlich unzutreffend sind (vgl. etwa VwGH 14.3.2025, Ra 2024/07/0220, mwN).

19 Von den revisionswerbenden Parteien wird sohin keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revisionen waren daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 23. Juni 2025

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