JudikaturVwGH

Ra 2025/14/0134 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
26. August 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Dr. Maurer Kober sowie die Hofrätinnen Dr. in Sembacher und Mag. Dr. Kusznier als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr.in Zeitfogel, über die Revision des S M, vertreten durch Dr. Eva Jana Messerschmidt, Rechtsanwältin in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. März 2025, W192 2152393 2/2E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit Bescheid vom 28. November 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Folgeantrag des subsidiär schutzberechtigten Revisionswerbers, eines afghanischen Staatsangehörigen, auf internationalen Schutz vom 12. März 2024, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab.

2 Diesen Bescheid begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass im Folgeantrag keine Gründe dargelegt worden seien, die für die Zuerkennung des Asylstatus „geeignet“ seien. Weder die Unzufriedenheit mit der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter noch die Integrationsbemühungen des Revisionswerbers seien asylrelevant.

3 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), in der er (erstmals) vorbrachte, vornehmlich in Europa sozialisiert worden zu sein. Er sei ausschließlich mit der in Österreich auf Grundrechten, Demokratie und Gleichbehandlung basierenden Gesellschaftsordnung vertraut. Zudem sei er nicht sonderlich religiös. Der Revisionswerber würde von den Taliban ohne Zweifel als „Ungläubiger“ und als Feind angesehen werden.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

5 Das BVwG stützte seine Entscheidung neben der Feststellung, dass der Revisionswerber keiner individuellen Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre und diese auch nicht zu fürchten habe, auch darauf, dass ihm auch aufgrund seines langjährigen Aufenthalts in Europa keine asylrelevante Verfolgung iSd GFK drohe.

6 Im Rahmen seiner Beweiswürdigung schloss sich das BVwG der Beweiswürdigung des BFA an und setzte sich sodann mit dem Beschwerdeinhalt bezogen auf ein weiters, den Vater des Revisionswerbers betreffenden Verfahren wieder, würdigte die Aussage des Vaters des Revisionswerbers im Rahmen einer Verhandlung in einem, nach den Ausführungen den Vater betreffenden Verfahren vor dem BVwG wieder und setzte sich danach mit dem erstmals in der Beschwerde erstatteten Vorbringen der behaupteten Verfolgung aufgrund des langjährigen Aufenthalts in Europa und der in diesem Zusammenhang vorgebrachten westlichen Sozialisierung auseinander. In weiterer Folge stellte das BVwG Erwägungen zu einem Abfall vom Glauben und „allfälligen weiteren Fluchtgründen“ an.

7 Das Absehen von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung gründete das BVwG zusammengefasst darauf, dass der Revisionswerber in der Beschwerde der Richtigkeit der im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen und der Beweiswürdigung der Behörde nicht substantiiert entgegengetreten sei und keine neuen Tatsachen vorgebracht habe. Es seien keinerlei neue Beweismittel beigeschafft worden. Das BVwG habe daher von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA VG ausgehen können.

8 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die ihre Zulässigkeit mit der Verletzung der Verhandlungspflicht durch das BVwG begründet und dazu vorbringt, dass die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA VG zur Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung nicht vorgelegen wären. Das BVwG habe sich der Beweiswürdigung des BFA nicht lediglich angeschlossen, sondern die Beweiswürdigung in mehrfacher Hinsicht durch neue, für den Ausgang des Verfahrens wesentliche Überlegungen ergänzt.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 Die Revision ist in Bezug auf das im Zulässigkeitsvorbringen gerügte Abweichen von näher dargelegter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen der Unterlassung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG zulässig und berechtigt.

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:

12 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 11.4.2023, Ra 2022/14/0343, mwN).

13 Schließt das BVwG sich nicht nur der Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde an, sondern zeigt darüber hinaus in seiner Beweiswürdigung noch weitere bedeutsame Aspekte auf, mit welchen es die Widersprüchlichkeit des Vorbringens begründet, nimmt es damit eine zusätzliche Beweiswürdigung vor, die dazu führt, dass das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzt. Eine solche (ergänzende) Beweiswürdigung hat jedoch regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen (vgl. aus vielen erneut VwGH 11.4.2023, Ra 2022/14/0343, mwN).

14 Im vorliegenden Fall nahm das BVwG mehrere Aspekte der Beschwerde des Revisionswerbers, so insbesondere sein Vorbringen den Auswirkungen des langjährigen Aufenthalts in Europa sowie zum behaupteten Tod des Großvaters des Revisionswerbers durch die Taliban zum Anlass, sich beweiswürdigend damit auseinanderzusetzen und ergänzte die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung damit nicht bloß unwesentlich. Dies zeigt die Revision zutreffend auf. Sohin lagen die oben dargestellten Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Durchführung einer Verhandlung nicht vor.

15 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hier gegeben des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 7.11.2022, Ra 2022/14/0048, mwN).

16 Das Erkenntnis war sohin im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

17 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. August 2025

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