Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Doblinger, den Hofrat Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar, Mag. Schindler und Mag. Bayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Rieder, über die außerordentliche Revision der A in B, vertreten durch die CMS Reich Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gauermanngasse 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Februar 2025, W167 2304440 1/4E, betreffend einen Antrag auf Erteilung einer Entsendebewilligung gemäß § 18 Abs. 7 Ausländerbeschäftigungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz; Mitbeteiligter: C D in E), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit dem im Beschwerdeverfahren ergangenen angefochtenen Erkenntnis vom 5. Februar 2025 wies das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung den Antrag der revisionswerbenden Partei auf Erteilung einer Entsendebewilligung für einen namentlich genannten Ausländer (im Folgenden kurz: Mitbeteiligter) als Orchestermusiker gemäß § 18 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) ab.
Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte es für nicht zulässig.
2 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung dabei auf Tatsachenebene zugrunde, dass zwischen der revisionswerbenden Partei, einem Opernhaus mit Sitz in Wien im Geschäftszweig Theater, Varietés und Kabaretts mit der gewerblichen Konzession zur Veranstaltung eines Musik- und Tanztheaters, und dem Entsendebetrieb, einem (Opern )Unternehmen im Geschäftszweig Theaterbetrieb mit Sitz in Monaco, ein Gastspielvertrag für den Zeitraum von 29. Juni 2024 bis 12. Juli 2024 abgeschlossen worden sei. Die revisionswerbende Partei als Veranstalterin habe die Tätigkeit des Mitbeteiligten nicht gemäß § 18 Abs. 6 AuslBG angezeigt, sondern am 4. Juli 2024 eine Entsendebewilligung u.a. für diesen als Orchestermusiker für den Zeitraum von 30. Juni 2024 bis 12. Juli 2024 beantragt. Der Mitbeteiligte, für den eine für diesen Zeitraum gültige, von Frankreich ausgestellte Aufenthaltskarte vorgelegt worden sei, habe somit von Anfang an im Rahmen eines Ensemblegastspiels bei der revisionswerbenden Partei (Veranstalterin) länger als eine Woche beschäftigt werden sollen.
3 Beweiswürdigend stützte sich das Verwaltungsgericht zunächst darauf, dass sich die Feststellungen unbestritten aus dem Verwaltungs- und Gerichtsakt ergäben, und eine reine Rechtsfrage vorläge, um einzelne Feststellungen sodann unter anderem mit Einsichtnahmen in näher bezeichnete Webseiten zu begründen.
4 Rechtlich führte es nach Wiedergabe einzelner Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes zusammengefasst aus, dass es die Einschätzung der belangten Behörde, dass die Absätze 6 und 7 des § 18 AuslBG aufeinander aufbauten, teile; ebenso, dass § 18 Abs. 7 AuslBG aufbauend auf eine Anzeige nach § 18 Abs. 6 AuslBG einen nachträglichen Antrag ermögliche, wenn sich herausstelle, dass das Ensemblegastspiel länger als eine Woche dauern werde, und dass der Antrag auf Entsendebewilligung innerhalb der ersten Woche eingereicht werden könne.
5 § 18 Abs. 6 AuslBG regle die Beschäftigung von Ausländern im Rahmen von Ensemblegastspielen von maximal einer Woche, wofür eine Anzeige des Veranstalters spätestens am Tag der Arbeitsaufnahme erforderlich sei. § 18 Abs. 7 erster Fall AuslBG verpflichte Veranstalter von Ensemblegastspielen, die bereits von Anfang an länger als eine Woche vereinbart seien, eine Entsendebewilligung vor deren Beginn zu beantragen. § 18 Abs. 7 zweiter Fall AuslBG ermögliche dem Veranstalter aufbauend auf Abs. 6 leg. cit. eine Verlängerung des Ensemblegastspiels bekannt zu geben und für den Ausländer vor Ablauf der ersten Woche eine Entsendebewilligung zu beantragen. § 18 Abs. 7 zweiter Fall AuslBG betreffe daher lediglich eine Verlängerung pro futuro und ermögliche eine Verlängerung des Ensemblegastspiels, das Verschieben oder Nachholen von Vorstellungen. Bei Ensemblegastspielen, die von Anfang an länger als eine Woche geplant seien, sei bereits vor deren Beginn eine Entsendebewilligung nach § 18 Abs. 7 erster Fall AuslBG zu beantragen.
6 Im Beschwerdefall sei der revisionswerbenden Partei der Umstand, dass das Ensemblegastspiel und die konkrete Beschäftigung länger als eine Woche dauern werde, bereits vor Beginn des Ensemblegastspiels bekannt gewesen. Daher wäre von ihr für den Mitbeteiligten bereits vor Beginn der Beschäftigung eine Entsendebewilligung zu beantragen gewesen. Die Beantragung innerhalb der ersten Woche des Ensemblegastspiels sei verspätet; eine rückwirkende Erteilung einer Entsendebewilligung sei nicht vorgesehen.
7 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit der Eindeutigkeit der Rechtslage.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und in Folge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung, auf die die revisionswerbende Partei replizierte.
9 Die revisionswerbende Partei macht zur Zulässigkeit der Revision zunächst das Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 18 Abs. 7 AuslBG und der Frage geltend, ob ein Antrag auf Erteilung einer Entsendebewilligung nach dieser Bestimmung auch bei Vorhersehbarkeit einer eine Woche übersteigenden Dauer eines Ensemblegastspiels noch innerhalb einer Woche nach Aufnahme der Beschäftigung vom Veranstalter gestellt werden dürfe. In der Rechtsprechung sei auch nicht geklärt, ob in einer solchen Konstellation eine Entsendebewilligung gegebenenfalls zur Gänze zu versagen oder zumindest für den Zeitraum ab Antragstellung (pro futuro) zu erteilen sei.
10 Ferner rügt die revisionswerbende Partei ein Abweichen von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erforderlichkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bei einer Entscheidung über „civil rights“, zu welchen eine solche über die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung zu zählen sei. Zudem sei die Rechtsfrage weder durch den Gesetzeswortlaut noch durch Rechtsprechung bereits klargestellt gewesen.
11 Darüber hinaus sei das Verwaltungsgericht dadurch, dass es die beantragte Einvernahme einer Zeugin begründungslos unterlassen habe und nicht überprüfbar begründet habe, weshalb es davon ausgegangen sei, dass bereits zu Beginn der Beschäftigung des Mitbeteiligten festgestanden sei, dass dieser länger als eine Woche habe beschäftigt werden sollen, von (näher angeführter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
12 Die Revision ist entgegen dem - den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a VwGG nicht bindenden - Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG bereits in Hinblick auf den aufgezeigten Verfahrensmangel des Unterlassens der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zulässig. Sie ist auch begründet.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Durchführung einer Verhandlung absehen kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen. Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um „civil rights“ oder „strafrechtliche Anklagen“ im Sinn des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird. Bei einem rechtswidrigen Unterlassen einer nach Art. 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. etwa VwGH 26.4.2023, Ra 2022/09/0050, mwN).
14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich beim Verfahren betreffend Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung um ein „civil right“ im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2017/09/0006, mit Hinweisen auf Rechtsprechung des EGMR). Nichts Anderes gilt unter diesem Gesichtspunkt für die Erteilung einer Entsendebewilligung nach § 18 AuslBG (siehe ferner abermals VwGH 26.4.2023, Ra 2022/09/0050, zu einer Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG; sowie etwa VwGH 29.1.2024, Ra 2023/09/0168, zu einer Zulassung als Schlüsselkraft).
15 Bei einer solchen Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen haben die Parteien grundsätzlich ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheit in einer - im vorliegenden Fall auch beantragten - öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem in der Sache entscheidenden Gericht erörtert wird, außer wenn weder eine Tatsachen- noch eine Rechtsfrage aufgeworfen wurde, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte (vgl. erneut VwGH 22.2.2018, Ra 2017/09/0006, mwN).
16 Das Verwaltungsgericht, das den Entfall der Verhandlung zunächst ausreichend zu begründen gehabt hätte (vgl. etwa VwGH 19.6.2023, Ra 2023/09/0023, mwN), durfte im hier zu beurteilenden Verfahren mangels Vorliegen der Voraussetzungen nicht von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung absehen. Überdies führte es erstmals Erhebungen im Internet zu von ihm getroffenen Feststellungen durch, die es auch einer Beweiswürdigung unterzog, ohne hiezu Parteiengehör zu gewähren.
17 Darüber hinaus dient die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur der Klärung des Sachverhalts sondern auch der Erörterung von Rechtsfragen (vgl. abermals VwGH 26.4.2023, Ra 2022/09/0050, mwN).
18 Gerade bei zu lösenden komplexen Rechtsfragen wie im vorliegenden Fall, zu welchen weder auf einschlägige höchstgerichtliche Judikatur zurückgegriffen werden konnte und die revisionswerbende Partei in ihrer Beschwerde an das Verwaltungsgericht wie dieses selbst im angefochtenen Erkenntnis eingangs festhielt auch rechtliches Vorbringen erstattete, wäre die Erörterung der Rechtslage in einer mündlichen Verhandlung angezeigt gewesen.
19 Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
20 Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
21 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden; eine solche wird das Verwaltungsgericht im fortzusetzenden Verfahren durchzuführen haben.
Wien, am 3. Juni 2025