Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Dr. Doblinger und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Rieder, über die außerordentliche Revision des A B in C, vertreten durch Mag. Dr. Vera M. Weld, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Weihburggasse 4/40, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. September 2023, W151 2273917 1/3E, betreffend Zulassung als Schlüsselkraft „Besonders Hochqualifizierte“ gemäß § 12 Ausländerbeschäftigungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit Bescheid vom 16. März 2023 versagte die mit dem Antrag des Revisionswerbers, einem chinesischen Staatsangehörigen, vom 4. November 2022 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot Weiß Rot Karte“ gemäß § 20d Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) befasste vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde dessen Zulassung als Schlüsselkraft gemäß § 12 AuslBG für eine Tätigkeit „Masseur, Büro, Empfang“ bei einem näher bezeichneten Unternehmen.
2 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde beantragte der Revisionswerber die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und erstattete ein umfangreiches Vorbringen zum Vorliegen der erforderlichen Mindestpunkteanzahl gemäß Anlage A zum AuslBG. Mit Schriftsatz vom 10. Mai 2023 brachte der Revisionswerber unter anderem ergänzend vor, dass er seit 1. November 2022 im Unternehmen als gewerberechtlicher Geschäftsführer beschäftigt sei. Diese Beschäftigung sei als Tätigkeit in einer „Führungsposition“ anzusehen, weshalb entsprechende Punkte für den Bereich Berufserfahrung anzurechnen seien.
3 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 25. Mai 2023 wies die belangte Behörde die Beschwerde des Revisionswerbers ab, weil die erforderliche Mindestpunkteanzahl gemäß Anlage A zum AuslBG von 70 Punkten nicht erreicht werde. Dabei stellte die Behörde unter anderem fest, dass der Beschwerdeführer seit 11. November 2019 als Masseur und seit 1. November 2022 als gewerberechtlicher Geschäftsführer mit der Gewerbeberechtigung Massage, eingeschränkt auf Tuina An Mo Praktik, tätig gewesen sei. Hinsichtlich des Beschwerdevorbringens, wonach der Revisionswerber eine Führungsposition ausgeübt habe, verwies die Behörde darauf, dass die Haupttätigkeit des Revisionswerbers die eines Masseurs gewesen sei. Trotz der Zurverfügungstellung des Gewerbescheines habe es weder eine versicherungs- bzw. arbeitsrechtliche Änderung noch eine Gehaltsanpassung gegeben.
4 Gegen die Beschwerdevorentscheidung erhob der Revisionswerber einen Vorlageantrag.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 20. September 2023 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte es für nicht zulässig.
6 Das Bundesverwaltungsgericht legte seiner Entscheidung unter anderem die Feststellung zu Grunde, dass der Revisionswerber seit 11. November 2019 als Masseur beschäftigt gewesen sei, was sich aus dem vorgelegten Dienstzeugnis und dem Versichersicherungsdatenauszug ergebe. In rechtlicher Hinsicht führte es fallbezogen aus, dass die erforderliche Mindestpunkteanzahl gemäß Anlage A zum AuslBG nicht erreicht werde. Die Beschäftigung des Revisionswerbers als Masseur weise keinen Bezug zu seinem Hochschulabschluss an der Universität für Erdöl Chemieindustrie Liaoning in der Fachrichtung „Informations- und Rechnenswissenschaft“ auf, weshalb diese nicht als ausbildungsadäquat gewertet werden könne. Darüber hinaus ergebe sich aus dem vorgelegten Dienstzeugnis deutlich, dass der Revisionswerber bloß als Masseur beschäftigt gewesen sei. Der aus den Unterlagen ersichtliche Tätigkeitsbereich des Revisionswerbers die Entgegennahme von Terminvereinbarungen, Kundenanfragen, organisatorische Belange etc. lasse nicht erkennen, dass dieser eine Führungsposition im Unternehmen eingenommen habe. Somit könnten in der Kategorie Berufserfahrung keine Punkte vergeben werden. Der vom Revisionswerber in Österreich absolvierte Universitätslehrgang sei vom Umfang und den Anforderungen her nicht mit einem Bachelor-/Masterstudium bzw. einem Diplomstudium vergleichbar, weshalb auch keine Punkte für ein Studium in Österreich vergeben werden könnten.
7 Den Entfall der mündlichen Verhandlung begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass „die zur Klärung der Rechtsfrage nötige Aktenlage“ vorgelegen sei und von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten gewesen wäre.
8 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Bundesverwaltungsgericht fallunspezifisch mit dem Fehlen grundsätzlicher Rechtsfragen.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch das Bundesverwaltungsgericht - die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
10 Der Revisionswerber sieht die Zulässigkeit seiner Revision unter anderem darin gelegen, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erforderlichkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewichen sei. Schon unter diesem Aspekt ist die Revision zulässig und auch begründet.
11 Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht nur dann ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.
12 Der vorliegende Fall gleicht sowohl in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht in seinen entscheidungswesentlichen Umständen insofern, als es sich beim Verfahren betreffend die Zulassung von Ausländern zu einer Beschäftigung als Schlüsselkraft um ein „civil right“ im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR 27.7.2006 , Jurisic und Collegium Mehrerau/Österreich , 62539/00, sowie EGMR 27.7.2006, Coorplan Jenni GmbH und Hascic/Österreich , 10523/02) handelt und die Parteien bei einer solchen Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen grundsätzlich ein Recht darauf haben, dass ihre Angelegenheit in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem in der Sache entscheidenden Gericht erörtert wird und hier weder ausschließlich rechtliche noch bloß hochtechnische Fragen zu klären waren, jenem Fall, der dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Ra 2015/09/0051, zu Grunde lag und auf dessen Begründung daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird (vgl. auch VwGH 29.3.2023, Ra 2023/09/0011, mwN).
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem bereits wiederholt ausgesprochen, dass bei einem rechtswidrigen Unterlassen einer nach Art. 6 EMRK gebotenen mündlichen Verhandlung keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen ist. Diese zu Art. 6 EMRK entwickelte Rechtsprechung findet in gleicher Weise für das auf Art. 47 GRC gestützte Recht auf mündliche Verhandlung Anwendung (vgl. auch dazu VwGH 29.3.2023, Ra 2023/09/0011).
14 Der Revisionswerber hat im Beschwerdeverfahren ein konkretes Sachverhaltsvorbringen erstattet und unter anderem unter Hinweis auf seine Stellung als gewerberechtlicher Geschäftsführer die Ausübung einer Führungsposition behauptet, was zur Berücksichtigung einer entsprechenden Punkteanzahl führen müsse. Davon ausgehend durfte das Bundesverwaltungsgericht nicht von einem hinreichend geklärten Sachverhalt ausgehen, der eine mündliche Verhandlung erübrigt hätte. Das Bundesverwaltungsgericht hat zudem im Gegensatz zur belangten Behörde, die mit näheren beweiswürdigenden Erwägungen in der Beschwerdevorentscheidung trotz der Aufgaben des Revisionswerbers als gewerberechtlicher Geschäftsführer von einer Haupttätigkeit als Masseur ausging ausschließlich eine Tätigkeit als Masseur festgestellt und pauschal darauf verwiesen, dass aus den Unterlagen eine Führungsposition nicht ableitbar sei. Wenn das Verwaltungsgericht eine zusätzliche, die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzende Beweiswürdigung vornimmt, hat eine ergänzende Beweiswürdigung aber regelmäßig erst nach Durchführung einer Verhandlung zu erfolgen (vgl. VwGH 24.3.2020, Ra 2019/09/0159, mwN).
15 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
16 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
17 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 29. Jänner 2024