Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der M K, vertreten durch Mag. Werner Maierhofer, Rechtsanwalt in Wien, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. April 2025, Zl. W102 2303043 1/11E, betreffend Enteignung nach dem Eisenbahn Enteignungsentschädigungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesminister für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie; mitbeteiligte Partei: Ö AG, vertreten durch Dr. Martin Wandl, Rechtsanwalt in St. Pölten), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.
1 Mit Erkenntnis vom 7. April 2025 verfügte das Bundesverwaltungsgericht im Wege der Abweisung der Beschwerde gegen einen Bescheid der belangten Behörde vom 22. Oktober 2024 auf der Grundlage des Eisenbahn Enteignungsentschädigungsgesetzes die dauernde Enteignung der Revisionswerberin zu Gunsten der Mitbeteiligten durch die Aufhebung der Rechte aus zwei Bestandverträgen und einem Bahngrundbenutzungsübereinkommen.
2 Die dagegen erhobene außerordentliche Revision ist mit dem Antrag verbunden, ihr die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Zur Begründung bringt die Revisionswerberin unter anderem vor, dass die Mitbeteiligte angekündigt habe, die Enteignung unmittelbar vollziehen zu lassen, und sodann das Bestandsgebäude abbrechen werde. Selbst wenn sohin der Revision gefolgt werden würde, wäre der Rechtsschutz faktisch nicht gegeben, da das Bestandsgebäude untergegangen wäre. Mangels Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wäre die Effizienz des Rechtsschutzes geradezu vereitelt.
3 Die belangte Behörde verweist in ihrer Stellungnahme zu diesem Antrag darauf, dass sich die von der Revisionswerberin und ihrer Familie bewohnten bzw. genutzten Objekte (das Aufnahmegebäude und die Rottenunterkunft eines ehemaligen Bahnhofs) in jenem Bereich befänden, in dem für eine der Mitbeteiligten eisenbahnrechtlich baubewilligten, als „Warenversorgung“ bezeichneten Eisenbahnanlage die Zufahrtsstraße, die Freilagerfläche West, die Logistikhalle und das Trafo Gebäude geplant seien. Für die Verwirklichung dieses Bauvorhabens würden die antragsgegenständlichen Flächen benötigt werden. Die auf diesen Flächen geplanten Anlagen stellten einen integralen Bestandteil des baugenehmigten Vorhabens dar. Es bestehe ein hohes öffentliches Interesse an der Errichtung dieser Warenversorgung, welches die der Revisionswerberin entstehenden Nachteile überwiege.
4 Inwiefern sich eine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und damit eine Verzögerung der Fertigstellung des Bauvorhabens im konkreten Fall auf den Betrieb der Warenversorgung auswirken würde und welche Auswirkungen dies auf den Eisenbahnbetrieb auf dem Netz der Mitbeteiligen hätte, könne von der belangten Behörde jedoch derzeit nicht beurteilt werden.
5 Die Mitbeteiligte legt in ihrer Stellungnahme zum Aufschiebungsantrag zunächst dar, dass ihr Geschäftsfeld „Warenversorgung“ im Allgemeinen und die gegenständliche Anlage im Besonderen zur Erbringung von Leistungen in den Bereichen Fertigung, Wartung, Entstörung sowie Instandsetzung von eisenbahnspezifischen Komponenten für die Fachbereiche Fahrweg, Leit , Sicherungs und Energietechnik, der Aufarbeitung, Lagerung und Verwertung von Oberbaustoffen sowie der Sicherstellung des Materialversorgungs und Verwertungsprozesses diene. Das betreffende Eisenbahnprojekt sei erforderlich geworden, weil die bisherigen Standorte am ehemaligen Wiener Nordbahnhof (Werkstätten Bürogebäude) und am ehemaligen Wiener Nordwestbahnhof (Logistikhalle) aufgrund von Stadtentwicklungsmaßnahmen abgesiedelt hätten werden müssen. Die Anlage sei bislang (offenbar aufgrund der fehlenden Verfügbarkeit der Objekte, auf die sich die zu enteignenden Bestandrechte beziehen) lediglich zum Teil fertiggestellt, sodass ihre volle Funktionsfähigkeit nicht gewährleistet werden könne:
6 Durch die nicht vollständig erfolgte Errichtung des Hochregallagers entfielen rund 500 Palettenplätze sowie die zugehörige Freilagerfläche von ca. 1.420 m². Dadurch stünden deutlich weniger Lagerkapazitäten für jene Komponenten zur Verfügung, die für Baustellen und Entstörungen erforderlich seien. Zur temporären Kompensation sei es der Mitbeteiligten derzeit gerade noch bis Ende 2025 möglich, Lagerflächen am ehemaligen Nordwestbahnhof als „temporäre und weitaus unzureichende Notlösung“ zu nutzen. Die Nutzung dieser Ausweichflächen sei weder wirtschaftlich sinnvoll noch kostengünstig und sie verursache zusätzliche Transportwege. Aufgrund des fehlenden Freilagers gestalte sich die derzeitige Lagerlogistik als „unvollkommene Notlösung“ komplex und ineffizient. Die daraus resultierenden tatsächlichen und monetären Mehraufwände seien beträchtlich, jedoch nicht konkret bezifferbar. Weiters habe die ursprünglich geplante Verkehrslogistik am Standort nur eingeschränkt umgesetzt werden können, was zu verlängerten und ineffizienten Transportwegen, Verzögerungen im Betriebsablauf sowie einem erhöhten organisatorischen Aufwand führe. Darüber hinaus steige das Unfallrisiko bei der logistischen Abwicklung deutlich, weil Anliefertransporte bis ans Ende des Areals fahren und dort mit erheblichem Aufwand wenden müssten. Weiters seien die enteignungsgegenständlichen Flächen auch als Dienstkleiderlager vorgesehen. Das für den Fall der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (weiter) erforderliche Ausweichen auf den ehemaligen Nordwestbahnhof sei nur eine „temporäre Notlösung“ und führe zu einem signifikanten logistischen Mehraufwand.
7 Mit Ende 2025 müssten auch die als temporäre Notlösung genutzten Lagerflächen am ehemaligen Nordwestbahnhof für die Stadtentwicklung aufgegeben werden und es bestehe dann nirgendwo sonst mehr die Möglichkeit, das Problem der Lagerflächen zu lösen. Es müsste, was aus derzeitiger Sicht kaum möglich und keinesfalls im öffentlichen Interesse wäre, als weitere temporäre Notlösung „irgendeine Ersatzerrichtung“ stattfinden, welche eine Gleiszulegung und sonstige Ausstattung wie etwa geeignete Zu und Abfahrtsstraßen benötige, was enorme Kosten nach sich ziehen würde. Tatsächlich gebe es kein geeignetes Ersatzobjekt und auch keine geeignete Bewilligungslage eines imaginären Ersatzobjektes. Mit Jahresende 2025 gebe es keinen Improvisationsspielraum mehr.
8 Ohne rechtzeitig geschaffene Alternativen könne nicht gewährleistet werden, dass bestimmte Komponenten in ausreichender Menge verfügbar seien. Dies habe zur Folge, dass „sogar“ Entstörungen von Anlagen verzögert durchgeführt werden müssten; dies mit der Konsequenz von Betriebsunterbrechungen und Verspätungen. Auch hier drohten enorme wirtschaftliche Schäden als Nachteil für die Öffentlichkeit. Seien die benötigten Komponenten nicht mehr vor Ort lagernd, müssten diese von anderen Standorten oder im ungünstigsten Fall direkt vom Lieferanten bezogen werden, was weitere Verzögerungen nach sich ziehe. Insbesondere bei Störungsfällen seien Verzögerungen im Eisenbahnbetrieb bei Wegfall einer entsprechenden Lagervorhaltung logische Folge, und es verlängerten sich die Reaktionszeiten. Die Pünktlichkeit, Verlässlichkeit und Sicherheit des Eisenbahnbetriebes sei ein vitales öffentliches Interesse.
9 Die schon derzeit bestehenden betriebswirtschaftlichen Mehrbelastungen für die Mitbeteiligte durch das Fehlen der hier enteignungsgegenständlichen Flächen würden sich für den Fall der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung noch vervielfachen. Wirtschaftlicher Eigentümer der Mitbeteiligten sei letztlich der Bund, derartige betriebswirtschaftliche Mehrbelastungen würden dem öffentlichen Interesse widersprechen. Dasselbe gelte im Hinblick auf die ineffiziente Transportlogistik und den zusätzlichen Personalaufwand. Eine konkrete Bezifferung der monetären Auswirkung der dargestellten Folgen sei kaum möglich. Es müsse jedoch im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse an der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit öffentlicher Ausgaben eingewendet werden, dass enorme Mehrkosten und negative Folgen in der Höhe mehrerer Millionen Euro für den Fall der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung drohten.
10 Die Voraussetzung für die Gewährung der aufschiebenden Wirkung liegen vor:
11Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof ab Vorlage der Revision auf Antrag des Revisionswerbers einer Revision die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
12 Die Mitbeteiligte hat in ihrer Äußerung zum Aufschiebungsantrag nicht bestritten, dass sie für den Fall der Nichtgewährung der aufschiebenden Wirkung das der Revisionswerberin in Bestand gegebene Objekt zum Zweck der vollständigen Realisierung der betreffenden Eisenbahnanlage unmittelbar abzubrechen beabsichtigt.
13Zwar vermag nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der bloße Verlust (sogar) des Eigentumsrechts auf dem Boden eines Enteigungsverfahrens einen unverhältnismäßigen Nachteil iSd § 30 Abs. 2 VwGG nicht zu indizieren. Auch eine Entziehung der Nutzung von enteigneten Grundstücksteilen während des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof allein kann einen unverhältnismäßigen Nachteil schon deshalb nicht begründen, weil im Falle des Erfolgs der Revision alle Ansprüche auf Geldersatz offenstehen, die die Rechtsordnung dafür einräumt (vgl. jeweils VwGH 23.7.2013, AW 2013/03/0008).
14 Der vorliegende Fall ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass eine (vorzeitig vollzogene) Enteignung für den Fall, dass die Revisionswerberin mit ihrer Revision durchdringen sollte, nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte, weil das Objekt, auf das sich die enteigneten Bestandrechte beziehen, nicht mehr bestehen würde. Durch die Nichtgewährung der aufschiebenden Wirkung liefe der Rechtsschutz durch den Verwaltungsgerichtshof in der Hauptsache damit faktisch leer. Dem kann auch nicht ein dafür zustehender Geldersatz entgegengehalten werden, ist die dauerhafte Entziehung der Bestandrechte gegen Geldentschädigung doch gerade das Verfahrensziel und Ergebnis der verfahrensgegenständlichen Enteignung.
15Bei der gemäß § 30 Abs. 2 VwGG gebotenen Interessenabwägung ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass die aufschiebende Wirkung ein die Funktionsfähigkeit des Rechtsschutzsystems der Verwaltungsrechtsordnung stützendes Element ist. Die Rechtsschutzfunktion des Verwaltungsgerichtshofes soll durch den Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses während der Dauer des Revisionsverfahrens nicht ausgehöhlt bzw. ausgeschaltet werden. Die Interessenabwägung schlägt daher in der Regel dann zugunsten der revisionswerbenden Partei aus, wenn der ihr durch den Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses drohende Nachteil im Falle eines Erfolges der Revision nicht rückgängig gemacht werden könnte (vgl. etwa VwGH 26.6.2023, Ra 2023/20/0125 bis 0130; 18.4.2023, Ra 2023/03/0086, und 21.3.2016, Ra 2016/06/0016, je mwN).
16 Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass der Gewährung aufschiebender Wirkung auch in einem solchen Fall dennoch zwingende öffentliche Interessen (oder doch überwiegende Interessen) am vorzeitigen Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses entgegenstehen. Solche ergeben sich jedoch weder aus der Äußerung der belangten Behörde welche ausschließlich das öffentliche Interesse am Bauvorhaben bzw. der Enteignung, nicht aber an deren vorzeitigen Vollzug anspricht , noch hat die Mitbeteiligte derartiges ausreichend konkret dargetan:
17 Die dargestellten Unzulänglichkeiten der als „temporäre Notlösung“ bezeichneten Auslagerung von Teilbereichen der Warenversorgung auf den bisherigen Standort am ehemaligen Nordwestbahnhof lassen kein zwingendes öffentliches Interesse an der sofortigen Beendigung dieser Situation erkennen. Soweit der Mehraufwand zumindest zum Teil darauf zurückzuführen sein sollte, dass die Anlage bereits (teilweise) errichtet und in Betrieb genommen wurde, bevor die Verfügbarkeit sämtlicher dafür benötigter Flächen und Objekte gesichert war, wurde auch nicht dargelegt, aus welchen Gründen dies erforderlich gewesen sein sollte.
18 Die finanziellen Auswirkungen einer temporären Weiterführung der derzeit bestehenden Situation stellt die Mitbeteiligte lediglich allgemein dar und setzt sie auch nicht in Bezug zu einem Zeitraum, sodass eine Beurteilung und damit Abwägung der daraus resultierenden Interessen dem Verwaltungsgerichtshof nicht möglich ist.
19 Ausgehend vom Vorbringen der Mitbeteiligten, wonach ab Ende 2025 auch eine solche Auslagerung von Teilflächen mangels Existenz geeigneter Ersatzobjekte faktisch unmöglich sei, stellt sie die erwarteten Auswirkungen auf die zweifellos im öffentlichen Interesse stehende Funktionsfähigkeit des Eisenbahnbetriebes im Hinblick auf eine Verzögerung in der Entstörung von Anlagen sowie auf Betriebsunterbrechungen, Verspätungen und Verzögerungen im Störungsfall zwar prinzipiell nachvollziehbar, aber doch (vor allem quantitativ) völlig unkonkret dar.
20 Auf dieser Grundlage kann weder ein zwingendes öffentliches Interesse am vorzeitigen Vollzug der Enteignung angenommen werden, noch vermögen die dargestellten öffentlichen Interessen bzw. jene der Mitbeteiligten an der möglichst frühzeitigen Fertigstellung der betreffenden Eisenbahnanlage das Interesse der Revisionswerberin und ebenfalls öffentliche Interesse an der Effektivität des ihr eingeräumten Rechtsschutzes zu überwiegen.
21Dem Antrag der Revisionswerberin war daher stattzugeben und ihrer Revision gemäß § 30 Abs. 2 VwGG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Wien, am 3. September 2025