JudikaturVwGH

Ro 2024/22/0001 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
15. Juli 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm und die Hofräte Mag. Berger und Mag. Marzi als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Eraslan, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 7. Dezember 2023, VGW 151/063/14848/2023 2, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: E G, vertreten durch Mag. Muna Duzdar, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Florianigasse 1/6), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Der Mitbeteiligte, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 6. September 2021 im Wege der österreichischen Botschaft Teheran einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „NiederlassungsbewilligungAngehöriger“ gemäß § 47 Abs. 3 NAG. Als Zusammenführenden nannte er seinen Schwiegersohn, einen österreichischen Staatsbürger.

2 Mit E Mail an den Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht und nunmehriger Revisionswerber) vom 31. Dezember 2021, 23:54 Uhr, änderte der bevollmächtigte Schwiegersohn für den Mitbeteiligten den verfahrenseinleitenden Antrag dahingehend ab, dass nunmehr die Erteilung des Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit“ begehrt werde. Wörtlich wurde in diesem E Mail wie folgt ausgeführt (Ausführungen in eckiger Klammer durch den Verwaltungsgerichtshof):

„Als Bevollmächtigter [des Mitbeteiligten] beantrage ich die Änderung seines Antrages für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf Antrag für Niederlassungsbewilligung ausgenommen Erwerbstätigkeit ab 1.1.2022.“

Mit E Mail vom 1. Jänner 2022, 01:24 Uhr, wiederholte der Mitbeteiligte diesen Antrag.

3 Mit E Mail vom 27. September 2022 führte der Mitbeteiligte über Nachfrage des Revisionswerbers aus, dass „natürlich“ beabsichtigt gewesen sei, den Antrag für das Jahr 2022 zu stellen, und dieser lediglich sechs Minuten zu früh abgefertigt worden sei; dennoch sei der Antrag nochmals am 1. Jänner 2022, um 01:24 Uhr, gestellt worden.

4Mit Schreiben des Revisionswerbers vom 29. März 2023 wurde der Mitbeteiligte dahingehend belehrt, dass durch die Antragsänderung eine konkludente Zurückziehung des ursprünglichen Antrags vorliege. Mit weiterem Schreiben vom selben Tag wurde der Mitbeteiligte gemäß § 13 Abs. 3 AVG iVm § 19 NAG aufgefordert, den Mangel der persönlichen Antragstellung bis zum 30. April 2023 zu beheben, andernfalls der Antrag zurückgewiesen werde.

5 Mit dem vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheid des Revisionswerbers vom 11. Oktober 2023 wurde der Antrag des Mitbeteiligten auf Erteilung einer „Niederlassungsbewilligungausgenommen Erwerbstätigkeit“ gemäß § 12 Abs. 2 iVm Abs. 4 NAG zurückgewiesen.

6 Aufgrund der vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde hob das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 11. Oktober 2023 mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis auf. Ferner sprach es aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG zulässig sei.

7 Begründend führte das Verwaltungsgericht soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz aus, der Mitbeteiligte habe seinen Antrag vom 6. September 2021 auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung Angehöriger“ im Zuge des Verfahrens vor dem Revisionswerber auf die Erteilung des Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligungausgenommen Erwerbstätigkeit“ geändert. Wie aus § 19 Abs. 1 iVm Abs. 4 NAG ersichtlich, diene die verpflichtende persönliche Antragstellung bei der Erstantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels der Ermittlung und Überprüfung der erkennungsdienstlichen Daten des Antragstellers. Weiters erfolge bei einem Antrag auf einen der Quotenpflicht unterliegenden Aufenthaltstitel die Vergabe eines Quotenplatzes gemäß § 12 Abs. 2 und 4 NAG auf der Grundlage des Zeitpunktes der persönlichen Antragstellung. Fallbezogen folge hieraus, dass eine Wiederholung der persönlichen Antragstellung welche der Mitbeteiligte bereits am 6. September 2021 vorgenommen habenicht erforderlich gewesen sei. Die als „Behebung von Verfahrensmängeln“ titulierte Aufforderung des Revisionswerbers gemäß § 13 Abs. 3 AVG an den Mitbeteiligten, zur (neuerlichen) persönlichen Antragstellung bei der österreichischen Vertretungsbehörde in Teheran zu erscheinen, sei demnach zu Unrecht erfolgt. Damit erweise sich auch die ausschließlich auf die Nichterfüllung des genannten behördlichen Auftrags gestützte Zurückweisung des Antrags des Mitbeteiligten als verfehlt. Da der Revisionswerber den Antrag des Mitbeteiligten zurückgewiesen habe, sei Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Eine inhaltliche Entscheidung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Antrag würde den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschreiten.

8 Die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass der Verwaltungsgerichtshof zur Frage, ab wann bei einer Zweckänderung eines Erstantrages die einzelnen Verfahrensbestimmungen eine wesentliche Änderung der Sache bewirkten, zwar bereits Stellung genommen habe, sich eine näher genannte Entscheidung im Unterschied zum vorliegenden Fall einer Zweckänderung von einer „Niederlassungsbewilligung-Angehöriger“ auf eine „Niederlassungsbewilligung ausgenommen Erwerbstätigkeit“ aber auf eine bloße Zweckänderung innerhalb des Regimes der humanitären Aufenthaltstitel bezogen habe.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, die sich hinsichtlich ihrer Zulässigkeit nach Art. 133 Abs. 4 BVG auf eine Abweichung von näher angeführter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen einer wesentlichen Änderung iSd § 13 Abs. 8 AVG iZm Antragsänderungen in Verfahren nach dem NAG beruft.

10 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hatin einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12 Die Revision erweist sich im Hinblick auf den in der Zulässigkeitsbegründung zusätzlich genannten Grund als zulässig. Sie ist auch begründet.

13Gemäß § 13 Abs. 8 AVG kann der verfahrenseinleitende Antrag in jeder Lage des Verfahrens bis zu einer allfälligen Schließung des Ermittlungsverfahrens (§ 39 Abs. 3) geändert werden. Durch die Antragsänderung darf die Sache ihrem Wesen nach nicht geändert und die sachliche und örtliche Zuständigkeit nicht berührt werden.

14Eine wesentliche Antragsänderung im Sinne des § 13 Abs. 8 AVG, die also das „Wesen“ der Sache betrifft, ist als neue Antragstellung unter konkludenter Zurückziehung des ursprünglichen Antragszu werten (vgl. VwGH 25.9.2024, Ra 2021/22/0200, mwN).

15 Gegenstand des Verfahrens vor dem Revisionswerber war zunächst der verfahrenseinleitende Antrag vom 6. September 2021 auf Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung Angehöriger“. Mit der Änderung dieses Antrags durch die E-Mails vom 31. Dezember 2021 bzw. 1. Jänner 2022 gab der Mitbeteiligte zu erkennen, dass er fortan ausschließlich die Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung ausgenommen Erwerbstätigkeit“ begehrt.

16 Diese Änderung betrifft entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts das „Wesen“ der Sache, weil sich der geänderte vom ursprünglichen Antrag in Bezug auf den beabsichtigten Aufenthaltszweck dem ursprünglichen Antrag lag der Zweck der Familienzusammenführung zugrunde, dem abgeänderten Antrag hingegen der Zweck „Privatier“unterscheidet (vgl. zur Maßgeblichkeit der Änderung des beabsichtigten Aufenthaltszweckes VwGH 20.7.2016, Ra 2015/22/0055, mwN, sowie zuletzt abermals VwGH 25.9.2024, Ra 2021/22/0200, mwN).

17Der Revisionswerber ist demnach zutreffend von einer wesentlichen Antragsänderung im Sinn des § 13 Abs. 8 AVG ausgegangen und hat diese zu Recht als Stellung eines neuen Antrags unter gleichzeitiger konkludenter Zurückziehung des ursprünglichen Antrags gewertet; da trotz Verbesserungsauftrags eine persönliche Antragstellung nicht nachgeholt wurde, kann die Zurückweisung dieses Antrags nicht als rechtswidrig erkannt werden. Insofern verkannte das Verwaltungsgericht somit die Rechtslage, wenn es die Zurückweisung dieses Antrags durch den Revisionswerber aufhob.

18Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 15. Juli 2025