JudikaturVwGH

Ra 2024/18/0557 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
01. September 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Tolar als Richter sowie die Hofrätin Dr. Kronegger als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. August 2024, W132 2280086 1/14E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: A A), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird in Bezug auf die Gewährung des Status des Asylberechtigten wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit aufgehoben.

1 Der Mitbeteiligte, ein syrischer Staatsangehöriger aus Manbij (Provinz/Gouvernement Aleppo), stellte am 24. Juli 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz und brachte dazu im Wesentlichen vor, im Jahr 2016 vom Wehrdienst in der syrischen Armee desertiert zu sein. Bei Rückkehr nach Syrien fürchte er deshalb Verfolgung.

2 Mit Bescheid vom 28. August 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Mitbeteiligten aber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).

3 Der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen die Nichtzuerkennung von Asyl gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 zu und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Gleichzeitig behob es ersatzlos die Spruchpunkte II. und III. des bekämpften Bescheides, mit denen dem Mitbeteiligten subsidiärer Schutz gewährt und eine Aufenthaltsberechtigung erteilt worden waren. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, die Herkunftsregion des Mitbeteiligten (Manbij) stehe derzeit unter der Kontrolle des syrischen Regimes. Daher sei der gegenteiligen Feststellung des BFA, wonach die Herkunftsregion unter kurdischer Kontrolle stehe, nicht zu folgen. Das BFA habe insoweit die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien, Rekrutierung Wehrpflichtiger durch die syrische Regierung in Manbisch, Provinz Aleppo, vom 7. September 2023, außer Acht gelassen. Dass die Herkunftsregion des Mitbeteiligten aktuell unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehe, ergebe sich daraus sowie aus einer Nachschau auf einer näher bezeichneten Webadresse, welche die Sicherheitslage in der Provinz Aleppo zum Stichtag 1. Jänner 2024 zeige. Da das syrische Regime in der Herkunftsregion des Mitbeteiligten präsent sei, habe der Mitbeteiligte keine Möglichkeit, sich dauerhaft dessen Zugriff zu entziehen und er würde wegen seiner Desertion als politischer Gegner des Regimes angesehen werden. Ihm sei deshalb Asyl zu gewähren. Dadurch verlören die übrigen vom BFA getroffenen Aussprüche ihre rechtliche Grundlage, weshalb sie ersatzlos zu beheben gewesen seien.

5 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA, die im Zusammenhang mit der Zuerkennung von Asyl näher ausgeführte Begründungsmängel geltend macht. Überdies wendet sie sich gegen die ersatzlose Behebung der weiteren, von der Beschwerde des Mitbeteiligten unbekämpft gebliebenen Spruchpunkte des behördlichen Bescheides, weil das BVwG dadurch die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens überschritten habe.

6 Der Mitbeteiligte hat dazu eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die Revision ist zulässig und begründet.

8Vorauszuschicken ist, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen ist (vgl. etwa VwGH 14.3.2025, Ra 2024/18/0507, mwN). Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren.

9Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seiner jüngeren Rechtsprechung wiederholt auch mit Fällen auseinandergesetzt, in denen der Asylanspruch von syrischen Asylwerbern aus der in Nordsyrien gelegenen Provinz Aleppo zu beurteilen war, die einen Militärdienst in der syrischen Armee ablehnten (vgl. etwa VwGH 24.3.2025, Ra 2024/20/0761; 7.8.2025, Ra 2024/18/0486 u.a.)

10 Auch im gegenständlichen Fall stammt der Mitbeteiligte aus einer Herkunftsregion in dieser Provinz, der Stadt Manbij (auch Manbidsch). Das BFA ging in seinem Bescheid davon aus, dass diese Region nicht unter Kontrolle des syrischen Regimes, sondern der Streitkräfte der kurdischen Autonomiegebiete stand. Im Unterschied dazu nimmt das BVwG im angefochtenen Erkenntnis an, dass die Region im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses der Kontrolle des syrischen Regimes unterlag und dieses daher Zugriff auf den Mitbeteiligten als Wehrdienstverweigerer habe.

11 Zur Begründung dieser vom BFA abweichenden Einschätzung stützte sich das BVwG auf die Nachschau in eine Webseite, welche die Sicherheitslage in der Provinz zum 1. Jänner 2024 wiedergebe (wobei das BVwG erkennbar davon ausging, dass diese Lage auch im Zeitpunkt der Entscheidung im August 2024 noch aktuell gewesen sei). Zu Recht macht die Amtsrevision geltend, dass die auf dieser Webseite dargestellte Lage keine Deckung für die Annahme bietet, das syrische Regime würde den Mitbeteiligten bei Rückkehr in die Herkunftsregion verfolgen. Ihr lässt sich nur entnehmen, dass die Region Manbij Anfang des Jahres 2024 unter gemeinsamer Kontrolle der kurdischen und der syrischen Streitkräfte stand. Nähere Informationen dazu enthält diese Webseite nicht, insbesondere nicht zur Frage, was unter der gemeinsamen Kontrolle konkret zu verstehen war.

12 Wenn sich das BVwG ergänzend auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 7. September 2023 beruft, die seine Einschätzung bestätige und die nach Auffassung des BVwG vom BFA außer Acht gelassen worden sei, so erweist sich auch dies, wie die Amtsrevision im Ergebnis zutreffend geltend macht, als unzureichend begründet: Die genannte Anfragebeantwortung lieferte ein differenziertes Bild zur Frage, ob die syrischen Behörden in Manbij Rekrutierungen zur syrischen Armee oder Überprüfungen von Wehrdienstpflichtigen durchführen. Während sie einerseits auf eine Auskunft von Syrian Network for Human Rights vom August 2023 verwies, wonach junge Menschen, die einen Checkpoint unter der Kontrolle der Regierungskräfte in der Nähe von Manbij passierten und für den Militärdienst gesucht würden, „zur Wehrpflicht eskortiert würden“, gab sie auch die Information eines zur selben Zeit kontaktierten Syrienexperten wieder, demzufolge sich die Gebiete in und um Manbij zwar durch die Präsenz einiger Regierungstruppen auszeichnen würden, die kurdischen Streitkräfte jedoch nach wie vor die Hauptakteure in der Region seien. Sie hätten der syrischen Regierung lediglich erlaubt, Truppen einzusetzen, um eine mögliche türkische Militäroperation in Nordsyrien zu verhindern. Daher seien die Regierungstruppen zwar präsent, allerdings beschränke sich diese Präsenz auf die Durchführung von Patrouillen, meist zusammen mit russischer Militärpolizei. Seines Wissens könne die syrische Regierung dort keine Wehrpflichtigen für den Militärdienst einberufen. Dies wurde laut der Anfragebeantwortung auch von einer anderen Auskunftsperson bestätigt.

13 Bei dieser Ausgangslage ist es nicht ausreichend, wenn das BVwG im angefochtenen Erkenntnis ohne nähere beweiswürdigende Auseinandersetzung mit den angeführten Quellen davon ausgeht, dass dem Mitbeteiligten bei Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr eines Aufgriffes durch die syrischen Kräfte drohe. Schon deshalb ist das angefochtene Erkenntnis in Bezug auf die vom BVwG angenommene asylrelevante Verfolgungsgefahr nicht mängelfrei begründet.

14Das angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die Gewährung des Status des Asylberechtigten gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

15 Im Übrigen ist der Amtsrevision auch dahingehend zuzustimmen, dass „Sache“ des Beschwerdeverfahrens im vorliegenden Fall mit Blick auf die Erklärung über den Umfang der Anfechtung in der Beschwerde allein die Abweisung des vom Mitbeteiligten gestellten Antrags auf internationalen Schutz in Bezug auf das Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten war. Indem das BVwG auch die weiteren im Beschwerdeverfahren unbekämpft gebliebenen und sohin in Rechtskraft erwachsenenSpruchpunkte in Prüfung genommen und aufgehoben hat, hat es den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschritten und eine ihm nach dem Gesetz nicht zustehende Kompetenz in Anspruch genommen (vgl. dazu etwa VwGH 14.10.2024, Ra 2024/20/0231, mwN).

16Insoweit war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des BVwG gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.

Wien, am 1. September 2025