Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. in Gröger und Dr. in Sabetzer als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juli 2024, W109 2279921 1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: A A), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
1 Der (zu diesem Zeitpunkt noch minderjährige) Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Syriens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe, stellte am 3. Oktober 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er sein Heimatland wegen des Krieges und der bevorstehenden Einberufung zum Wehrdienst bei der syrischen Armee verlassen habe.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die nunmehrige amtsrevisionswerbende Partei wies diesen Antrag mit Bescheid vom 28. August 2023 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
4 Das BVwG stellte fest, der zwischenzeitig volljährig gewordene Mitbeteiligte sei in Syrien wehrpflichtig. Als Angehöriger der syrischen Armee wäre er gezwungen, zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen beizutragen, da das syrische Regime nicht zwischen der Zivilbevölkerung und rein militärischen Zielen unterscheide. Eine legale Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern, bestehe in Syrien nicht. Die Herkunftsregion des Mitbeteiligten stehe unter der Kontrolle des syrischen Regimes. Personen, die nicht auf den Einberufungsbefehl reagierten, würden zahlreichen Berichten zufolge von Mitgliedern der Geheimdienste abgeholt und zwangsrekrutiert werden. Darüber hinaus würden junge Männer an den im Regimegebiet häufigen Checkpoints festgenommen und zwangsrekrutiert werden. Wehrdienstentzug zu Kriegszeiten werde in Syrien mit einer „schweren Haftstrafe“ bestraft, wobei die Haftbedingungen in Syrien insbesondere in Gefängnissen für Oppositionelle und sonstige politische Gefangene unmenschlich seien. Der Mitbeteiligte sei in Syrien schon einmal für ca. einen Monat verhaftet worden, weil ihm als Bäcker vorgeworfen worden sei, dunkles statt weißes Mehl zu verwenden. Er sei dabei Folter und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt gewesen. Aufgrund der Haft sei der Mitbeteiligte schon in Kontakt mit den syrischen Behörden und insbesondere auch der syrischen Militärpolizei gestanden.
5 Im Rahmen der Beweiswürdigung erwog das BVwG insbesondere, es ergebe sich aus der klaren Aussage des Mitbeteiligten vor dem BFA, dass dieser den Wehrdienst in Syrien nicht ableisten wolle und diesen verweigern würde. So habe der Mitbeteiligte angegeben, keine Waffen tragen zu wollen, da er „seine Hände nicht mit Blut verschmutzen wolle“. Angesichts dessen bestehe für das BVwG kein Zweifel, dass der Mitbeteiligte an seiner Wehrdienstverweigerung im Falle einer Rückkehr nach Syrien auch festhalten würde. Experten gingen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition und als schweres Verbrechen gesehen werde. Angesichts dessen sei „unzweifelhaft davon auszugehen“, dass dem Mitbeteiligten, der „bereits vom syrischen Regime verhaftet und gefoltert“ worden sei und „nun ... auch noch den Wehrdienst verweigern würde“, seitens des syrischen Regimes eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde.
6 Rechtlich folgerte das BVwG daraus, es sei glaubhaft, dass dem Mitbeteiligten in Syrien (insbesondere in seiner durch das syrische Regime kontrollierten Herkunftsregion) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine unverhältnismäßige Bestrafung aufgrund seiner Weigerung, den Militärdienst für die syrische Regierung abzuleisten, oder entgegen seiner Überzeugung die sofortige Einberufung zum syrischen Militär drohe. Das syrische Regime unterstelle dem Mitbeteiligten eine oppositionelle Gesinnung. Dieser falle damit in eine von UNHCR angeführte Risikogruppe, nämlich jene der „Wehrdienstentzieher und Deserteure der syrischen Streitkräfte“. Der Beschwerde des Mitbeteiligten sei daher stattzugeben gewesen.
7 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit und in der Sache zusammengefasst geltend macht, das BVwG sei von der (näher angeführten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht von Entscheidungen abgewichen, da es das Vorbringen des Mitbeteiligten zu seiner Inhaftierung wegen eines Vorfalls in der Bäckerei seiner Familie - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als glaubwürdig erachtet habe und davon ausgegangen sei, dass durch die hinzutretende Wehrdienstverweigerung diesem unzweifelhaft eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde. Die vorgebrachte Inhaftierung und die willkürliche Zwangsgewalt wiesen allerdings keinen Zusammenhang zu einem Konventionsgrund auf. Das BVwG stelle im Wesentlichen auf die Länderberichte betreffend die Wehrdienstverweigerung ab, um die Asylrelevanz der behaupteten Verfolgung zu begründen. Dabei lasse das BVwG außer Acht, dass die zitierten Länderinformationen auch gegenteilige Angaben hinsichtlich der Haltung des syrischen Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern enthielten. Die pauschale Annahme des BVwG zur oppositionellen Gesinnung des Mitbeteiligten erweise sich daher als nicht hinreichend begründet. Das BVwG habe sich auch nicht damit auseinandergesetzt, dass der Mitbeteiligte gemäß dem Bescheid des BFA politisch nicht auffällig gewesen sei und auch keine weiteren Indizien vorgebracht habe, die als regierungsfeindlich gelten würden oder als solche wahrgenommen werden könnten. Dem angefochtenen Erkenntnis fehle daher eine plausible Begründung, woraus sich die Gefahr für den Mitbeteiligten ergebe, als Oppositioneller betrachtet zu werden. Das BVwG habe es schließlich auch verabsäumt, die festgestellte Verfolgung mit einem der Verfolgungsgründe im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) zu verknüpfen und belaste daher das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit.
8 Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Die Revision ist zulässig und begründet.
10 Vorauszuschicken ist, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen ist. Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren (vgl. etwa VwGH 19.3.2024, Ra 2022/18/0326, mwN).
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 28.10.2024, Ra 2023/18/0453, mwN).
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung unter Bezugnahme auf Judikatur des EuGH bereits ausgeführt, dass die Verweigerung des Militärdienstes in vielen Fällen Ausdruck politischer Überzeugungen (sei es, dass sie in der Ablehnung jeglicher Anwendung militärischer Gewalt oder in der Opposition zur Politik oder den Methoden der Behörden des Herkunftslandes bestehen) oder religiöser Überzeugungen sein bzw. ihren Grund in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe haben kann. In diesen Konstellationen können die Verfolgungshandlungen aufgrund der Verweigerung des Wehrdienstes den einschlägigen Verfolgungsgründen zugeordnet werden.
13 Die Verweigerung des Militärdienstes kann allerdings auch aus Gründen erfolgen, die in den Verfolgungsgründen von Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK bzw. Art. 10 Statusrichtlinie keine Deckung finden. In diesem Sinne hat auch der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass die (bloße) Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrelevante Verfolgung darstellt, sondern nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen kann.
14 Neben Fällen, in denen die Wehrdienstverweigerung des oder der Betroffenen auf einem Verfolgungsgrund, wie etwa politischer Gesinnung oder religiöser Überzeugung, beruht, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einer Wehrdienstverweigerung bei entsprechenden Verfolgungshandlungen auch dann Asylrelevanz zukommen, wenn dem Betroffenen wegen seines Verhaltens vom Verfolger eine oppositionelle (politische oder religiöse) Gesinnung unterstellt wird (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 4.7.2023, Ra 2023/18/0108; VwGH 4.6.2024, Ra 2024/18/0133).
15 Im gegenständlichen Fall weist die Amtsrevision zutreffend darauf hin, dass die Einschätzung des BVwG, dem Mitbeteiligten drohe bei einer Rückkehr nach Syrien Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung, da ihm als Wehrdienstverweigerer vom syrischen Regime eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde, nur mangelhaft begründet wurde.
16 Das BVwG stützte die Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens des Mitbeteiligten im Wesentlichen auf dessen Einvernahme vor dem BFA, griff diesbezüglich als maßgeblich allein dessen Aussage, er wolle keine Waffen tragen, da er „seine Hände nicht mit Blut verschmutzen wolle“ hervor, und änderte insoweit die gegenteilige Beweiswürdigung des BFA, wonach es nicht glaubhaft sei, dass der Revisionswerber wegen Wehrdienstverweigerung in Syrien verfolgt würde, ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. Schon dadurch belastete das BVwG sein Erkenntnis mit einem Verfahrensmangel.
17 Das BVwG berücksichtigte unter Bezugnahme auf die im angefochtenen Erkenntnis zitierten Länderberichte zudem, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition und als schweres Verbrechen gesehen werde, woraus zu schließen sei, dass dem Mitbeteiligten, der den Wehrdienst verweigern wolle, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde. Diese (isolierte) Sichtweise lässt sich ohne das Hinzutreten weiterer Aspekte jedoch mit den im angefochtenen Erkenntnis selbst verwerteten (weiteren) Länderberichten worauf die Amtsrevision zutreffend hinweist nicht in Einklang bringen, weil sich aus diesen Länderfeststellungen ein differenziertes Bild der Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt und allein daraus nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass dem Revisionswerber eine oppositionelle Haltung unterstellt werden würde (vgl. erneut VwGH 4.6.2024, Ra 2024/18/0133, mwN).
18 Die Amtsrevision macht schließlich zu Recht geltend, dass die vom Mitbeteiligten vor dem BFA vorgebrachte Inhaftierung aufgrund eines Vorfalls in der Bäckerei seiner Familie keinen Zusammenhang mit einem Konventionsgrund aufweise. Nicht nur würdigte das BVwG dieses Vorbringen zum ersten Mal im Verfahren (ohne dazu verhandelt zu haben), es übersieht dabei auch, dass dem Schutz vor (mit realem Risiko drohenden) willkürlichen Zwangsakten bei Fehlen eines kausalen Konnexes zu einem in der GFK genannten Grund die dem Mitbeteiligten ohnedies zuteil gewordene Gewährung subsidiären Schutzes dient (vgl. VwGH 14.10.2024, Ra 2024/20/0491, mwN).
19 Der Revision gelingt es somit, u.a. relevante Begründungsmängel darzulegen, weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
Wien, am 14. März 2025