Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Novak sowie die Hofräte Dr. Sutter und Dr. Hammerl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision der W GmbH, vertreten durch Mag. Thomas Fragner, Rechtsanwalt in Ottensheim, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 1. Oktober 2024, Zl. RV/5100706/2023, betreffend Haftung für Lohnsteuer und Festsetzung des Dienstgeberbeitrages und des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 2017 bis 2020, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Die Revisionswerberin schloss mangels Betriebsrats am 1. Juni 2017 eine als „Betriebsvereinbarung“ bezeichnete Vereinbarung mit einem Vertreter der zuständigen Gewerkschaft Bauhilfsgewerbe ab. In dieser Vereinbarung wurde über die geltende kollektivvertragliche Regelung hinausgehend vereinbart, dass das Tagesgeld ab der 3. Arbeitsstunde je weitere geleistete Stunde 2,20 € betragen solle. Auf Grund dieser Vereinbarung wurden an die Dienstnehmer Tagesgelder unter Berufung auf § 3 Abs. 1 Z 16b EStG 1988 in dieser Höhe ausbezahlt. Erst am 15. September 2022 wurde ein Betriebsrat eingerichtet, der am selben Tag eine entsprechende Betriebsvereinbarung mit der Revisionswerberin abschloss. In einer weiteren Vereinbarung zwischen der Revisionswerberin und dem Betriebsrat wurde die Vereinbarung vom 1. Juni 2017 rückwirkend genehmigt.
2 Mit Bescheiden vom 31. August 2022 zog das Finanzamt unter Verweis auf die Außenprüfung des Prüfdienstes Lohnabgaben und Beiträge die Revisionswerberin für die Jahre 2017 bis 2020 zur Haftung für Lohnsteuer heran und setzte den Dienstgeberbeitrag und den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag fest.
3 Die Inanspruchnahme zur Haftung sowie die Abgabenfestsetzung wurden im Wesentlichen damit begründet, dass die am 1. Juni 2017 abgeschlossene Vereinbarung mit einem auf Seiten der Belegschaft unzuständigen Organ, keine Betriebsvereinbarung iSd § 29 ArbVG darstelle. Daher seien die Voraussetzungen für die Abgabenbefreiung nach § 3 Abs. 1 Z 16b EStG 1988 nicht gegeben. Die Differenz zwischen den nach der sogenannten „Betriebsvereinbarung“ ausbezahlten und den nach dem Kollektivvertrag zustehenden Tagesgeldern sei daher als steuerpflichtig zu behandeln.
4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung ab, woraufhin die Revisionswerberin einen Vorlageantrag stellte.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Bundesfinanzgericht die Beschwerde im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass es sich bei der Vereinbarung vom 1. Juni 2017 mangels Abschlusses mit einem nach § 29 ArbVG zuständigen Organ der Belegschaft um keine Betriebsvereinbarung iSd § 29 ArbVG und somit auch um keine lohngestaltende Vorschrift nach § 3 Abs. 1 Z 16b iVm § 68 Abs. 5 Z 5 EStG 1988 handle. Damit seien die Voraussetzungen für die Abgabenbefreiung nach § 3 Abs. 1 Z 16b EStG 1988 nicht vorgelegen. Dieser Umstand könne auch nicht durch die rückwirkende Genehmigung dieser Regelung durch die Vereinbarung vom 15. September 2022 beseitigt werden, weil rückwirkende Rechtsgeschäfte, ungeachtet ihrer zivilrechtlichen Zulässigkeit, für den Bereich des Steuerrechtes nicht anzuerkennen seien. Es sprach weiters aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs.4 B VG nicht zulässig sei.
6 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revisionswerberin mit der gegenständlichen Revision, zu deren Zulässigkeit vorgebracht wird, es fehle an Rechtsprechung, ob eine sich auf zukünftige Sachverhalte beziehende Parteienvereinbarung, die auf Grund von nicht eingehaltenen Formvorschriften unwirksam war, aber von den Vertragsparteien über mehrere Jahre entsprechend gelebt wurde, mit steuerlicher Wirkung rückwirkend von den Vertragsparteien genehmigt werden könne.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Gemäß § 3 Abs. 1 Z 16b EStG 1988 sind vom Arbeitgeber ausgezahlte Tagesgelder steuerfrei, die für eine Baustellentätigkeit außerhalb des Werksgeländes des Arbeitgebers gewährt werden, soweit sie nicht gemäß § 26 Z 4 EStG 1988 zu berücksichtigen sind und der Arbeitgeber aufgrund einer lohngestaltenden Vorschrift gemäß § 68 Abs. 5 Z 1 bis 6 EStG 1988 zur Zahlung verpflichtet ist. Eine Betriebsvereinbarung iSd § 68 Abs. 5 Z 5 EStG 1988 stellt eine solche lohngestaltende Vorschrift dar.
11 Gemäß § 29 ArbVG sind Betriebsvereinbarungen schriftliche Vereinbarungen, die vom Betriebsinhaber und dem Betriebsrat in Angelegenheiten abgeschlossen werden, deren Regelung durch Gesetz oder Kollektivvertrag der Betriebsvereinbarung vorbehalten sind. In gegenständlichem Fall konnte nach § 8A des Kollektivvertrages für das Bauhilfsgewerbe, vom 1. Mai 2016, das in diesem Vertrag geregelte Taggeld durch Betriebsvereinbarung, im Rahmen der einkommensteuerlichen Bestimmungen, erhöht werden.
12 Der wirksame Abschluss einer Betriebsvereinbarung setzt den Abschluss durch ein zuständiges Organ der Belegschaft voraus. Mangels Vorliegens eines Betriebsrates ist daher ein wirksamer Abschluss einer Betriebsvereinbarung nicht möglich (vgl. Erläuterungen zum ArbVG, RV 840 BlgNR. XIII. GP, 66; vgl. auch Reissner in Neumayr/Reissner , Zeller Kommentar zum Arbeitrecht 3 , § 29 ArbVG Rz 11; ebenso Födermayr in Jabornegg/Resch , ArbVG (58. Lfg.) § 29 Rz 17; siehe auch zur vergleichbaren Rechtsfrage nach BRG 1947, OGH 16. Juli 1954, 4 Ob 210/53).
13 Liegt eine Betriebsvereinbarung und somit eine lohngestaltende Vorschrift iSd § 3 Abs. 1 Z 16b EStG 1988 nicht vor, sind Tagesgelder nur bis zu einer, in einer anderen konkret anzuwenden lohngestaltenden Vorschrift vereinbarten Höhe, oder soweit sie den Rahmen des § 26 Z 4 EStG 1988 nicht überschreiten (vgl zu letzterem VwGH 16.11.2023, Ra 2022/15/0078), steuerfrei.
14 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind rückwirkende Rechtsgeschäfte, ungeachtet ihrer zivil oder unternehmensrechtlichen Zulässigkeit, für den Bereich des Steuerrechts nicht anzuerkennen, es sei denn, der Gesetzgeber selbst hätte diesen Grundsatz durch eine besondere Vorschrift ausdrücklich oder schlüssig zu Gunsten einer steuerlichen Relevanz rückwirkender Tatbestände durchbrochen (vgl. VwGH 19.4.2023, Ro 2022/13/0018, mwN).
15 Da in den gegenständlichen Veranlagungszeiträumen keine Betriebsvereinbarung iSd § 29 ArbVG bestanden hat, sind die Abgabenansprüche in Bezug auf die die kollektivvertragliche Begrenzung übersteigenden Tagesgelder gemäß § 4 BAO entstanden. Daran vermag auch die Vereinbarung vom 15. September 2022, mit der die unwirksame Vereinbarung vom 1. Juni 2017 und die darauf basierende Abrechnung der Tagesgelder genehmigt wurde, nichts zu ändern. Die entstandenen Abgabenansprüche können auch durch diese rückwirkende Vereinbarung ungeachtet einer Wirksamkeit nach ArbVG nicht beseitigt werden.
16 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 16. Oktober 2025