Rückverweise
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Dr. Maurer Kober sowie die Hofrätin Dr. in Sembacher und den Hofrat Mag. Schartner als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. November 2024, L508 22818531/6E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: A A, vertreten durch Mag. Hilal Kafkas, Rechtsanwältin in Salzburg), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1Am 5. September 2022 stellte der Mitbeteiligte, ein Staatenloser palästinensischer Herkunft, einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2Mit Bescheid vom 18. Oktober 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Palästinensischen Autonomiegebiete zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte es mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt und erkannte ihm (ipso facto) den Status eines Asylberechtigten zu. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
4 Das BVwG stellte in den Entscheidungsgründen zusammengefasst fest, dass der Mitbeteiligte bis zu seiner Ausreise aus dem Westjordanland im dortigen Flüchtlingslager Al Arroub gelebt habe. Er habe vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) Unterstützung in Form der Unterbringung im Flüchtlingslager, durch Strom und Wasserversorgung sowie durch medizinische Hilfe erhalten. Er sei beim UNRWA im Westjordanland als Flüchtling registriert und unterliege damit dem Anwendungsbereich des Art. 1 Abschnitt D GFK. Unter Bezugnahme auf die „UNHCR Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 13: Die Anwendbarkeit von Art. 1 Abschnitt D GFK“ und mit näherer Begründung führte das BVwG weiters aus, dass der Schutz des UNRWA aufgrund der Vorfälle nach dem 7. Oktober 2023 im Westjordanland ob der aktuell bedenklichen Sicherheitslage, der willkürlichen Gewalt und der hohen Chance, eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen, als vom Mitbeteiligten unverschuldet weggefallen anzusehen sei. Gegenwärtig könne nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass das UNRWA im Westjordanland dem Mitbeteiligten physischen Schutz und/oder tatsächliche Unterstützung gewährleisten könne. Dem Mitbeteiligten sei daher ipso facto Asyl zu gewähren.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA, zu der der Verwaltungsgerichtshof, nach Vorlage der verwaltungsbehördlichen und verwaltungsgerichtlichen Akten, ein Vorverfahren durchführte, in dem der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 BVG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
8Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 BVG ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen. Eine bei Einbringung der Revision bestehende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung kann nachträglich wegfallen, wenn die Frage in einem anderen Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geklärt wird. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt aber auch dann nicht vor, wenn sie durch ein Urteil des EuGH gelöst ist (vgl. VwGH 23.1.2019, Ro 2016/13/0012, mwN).
10 Zur Zulässigkeit der Amtsrevision wird vorgebracht, das BVwG weiche von näher genannter Rechtsprechung zur Begründungspflicht ab, indem es trotz der Angaben des Mitbeteiligten in seiner Einvernahme vom 24. August 2023 vor dem BFA, er habe (zuletzt) freiwillig auf die Unterstützung durch das UNRWA verzichtet und habe zumindest die letzten sechs Monate vor seiner Ausreise nicht mehr im Flüchtlingslager AlArroub gewohnt, davon ausgegangen sei, dass der Mitbeteiligte Unterstützungsleistungen bezogen habe, die aufgrund der Verschlechterung der Sicherheitslage im Westjordanland seit Oktober 2023 bzw. der Unterfinanzierung des UNRWA unverschuldet als weggefallen anzusehen seien. Es sei dadurch, ohne die Vornahme weiterer Ermittlungen bzw. ohne dies in der Entscheidung entsprechend zu würdigen, von der Argumentation des BFA abgegangen. Die Behörde habe nämlich mit der Prüfung des Asylantrags nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 sowie der Feststellung, dass das Fluchtvorbringen des Mitbeteiligten iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nicht glaubhaft sei, impliziert, dass der Mitbeteiligte den Schutz des UNRWA (zuletzt) nicht in Anspruch genommen habe bzw. nicht gezwungen gewesen sei, das Einsatzgebiet zu verlassen. Bei der Prüfung von Asylanträgen von staatenlosen Palästinensern sei davon auszugehen, dass in Konstellationen, in denen der Asylwerber bereits vor der Ausreise aus dem Heimatland freiwillig keinen Schutz bzw. keine Unterstützung des UNRWA mehr beansprucht habe, kein Ausschlussgrund iSd § 6 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt D GFK vorliege. Demnach sei selbst bei der Annahme, dass zum Entscheidungszeitpunkt keine konkrete Möglichkeit bestehe, in das Gebiet, zu dem das Operationsgebiet des UNRWA gehöre, zurückzukehren, kein ipso facto Schutz zu gewähren. Der angeführte Begründungsmangel sei auch relevant. Hätte sich das BVwG näher mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Mitbeteiligte den Beistand des UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen habe und das Einsatzgebiet aus von ihm nicht zu kontrollierenden Gründen verlassen habe müssen, so wäre der Schluss, dass er nicht in den Anwendungsbereich des Art. 1 Abschnitt D GFK falle bzw. der Asylantrag nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 zu prüfen sei, und demnach eine abweisende Entscheidung, wahrscheinlich gewesen.
11Asylwerbern, die beim UNRWA registriert sind und dessen Beistand tatsächlich in Anspruch genommen haben, ist nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte des öffentlichen Rechts, die wiederum auf einschlägige Judikatur des EuGH verweist, „ipso facto“ Asyl zu gewähren, wenn der Beistand vom UNRWA nicht länger gewährt wird und keiner der Ausschlussgründe nach Art. 12 Abs. 1 lit. b oder Abs. 2 und 3 Statusrichtlinie vorliegt (vgl. VwGH 13.12.2024, Ra 2023/18/0478; 19.3.2024, Ra 2022/18/0326; 5.12.2022, Ra 2022/18/0179; vgl. auch aus der jüngeren Zeit VfGH 26.6.2024, E 2282/2023, mwN).
12 Das BVwG stellte, insoweit von der Amtsrevision unbestritten, fest, dass der Mitbeteiligte beim UNRWA im Westjordanland als Flüchtling registriert ist. Wenn in der Amtsrevision an mehreren Stellen davon ausgegangen wird, dass der Mitbeteiligte vor seiner Ausreise keinen Beistand vom UNRWA in Anspruch genommen hätte, ist auf die gegenteiligen, nicht substanziell bekämpften Feststellungen des BVwG zu verweisen, wonach der Mitbeteiligte vom UNRWA Unterstützung in Form der Unterbringung im Flüchtlingslager, durch Strom und Wasserversorgung sowie durch medizinische Hilfe erhalten habe. Dem diesbezüglich auf der Prämisse der Richtigkeit der eigenen Behauptungen aufbauenden und sich insofern vom festgestellten Sachverhalt entfernenden Revisionsvorbringen ist somit schon deswegen der Boden entzogen. Im Übrigen ergibt sich dies auch aus den in der Revision hervorgehobenen Angaben des Mitbeteiligten im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA am 24. August 2023, deren Richtigkeit im Übrigen von der Revision nicht in Frage gestellt wird.
13Dem BVwG ist somit nicht entgegenzutreten, wenn es davon ausging, dass der Mitbeteiligte in den Anwendungsbereich des Art. 1 Abschnitt D GFK fällt, für den § 6 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 einen Asylausschlussgrund vorsieht. Dieser greift aber nur solange, als der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht weggefallen ist. Ist vom „Wegfall“ des Schutzes im Sinne von Art. 1 Abschnitt D zweiter Satz GFK (bzw. Art. 12 Abs. 1 lit. a Statusrichtlinie) auszugehen, ist den asylwerbenden Parteien ipso facto Asyl zuzuerkennen. Eine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat muss hingegen nicht glaubhaft gemacht werden. Im vorliegenden Fall ist somit entscheidungswesentlich, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA für den Mitbeteiligten weggefallen ist.
14 Wenn die Amtsrevision in der Begründung ihrer Zulässigkeit zur Frage des Prüfungszeitpunkts des Wegfalls des Schutzes durch das UNRWA davon ausgeht, dass es sich dabei nur um den Zeitpunkt der Ausreise des Mitbeteiligten aus dem Gebiet des UNRWA handeln könne, so ist dem Folgendes entgegenzuhalten:
15 Der Wegfall des Beistandes des UNRWA erfordert die Prüfung, ob der Wegzug des Asylwerbers durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen des Gebietes gezwungen haben und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen. Ein Zwang, das Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen, und somit ein Wegfall des Schutzes durch das UNRWA, hängt wie bereits erwähntnicht vom Vorliegen individueller Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A GFK ab, sondern ist vielmehr auch gegeben, wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dem UNRWA unmöglich ist, ihm in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der ihm übertragenen Aufgabe im Einklang stehen. Diese Beurteilung hat individuell aufgrund aller maßgeblichen Anhaltspunkte oder Faktoren des fraglichen Sachverhalts zu erfolgen (vgl. zum Ganzen VwGH 1.2.2024, Ra 2023/18/0286, mit Hinweisen insbesondere auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGH).
16 Der EuGH hat in seinem Urteil vom 3. März 2022, C 349/20, Art. 12 Abs. 1 lit. a zweiter Satz Statusrichtlinie dahingehend ausgelegt, dass bei der Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt werde, sodass eine Person ipso facto die „Anerkennung als Flüchtling“ im Sinne dieser Bestimmung beanspruchen könne, im Rahmen einer individuellen Beurteilung die relevanten Umstände nicht nur zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Person das UNRWA Einsatzgebiet verlassen hat, sondern auch zu dem Zeitpunkt zu berücksichtigen seien, zu dem die zuständigen Verwaltungsbehörden einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft prüfen oder die zuständigen Gerichte über den Rechtsbehelf gegen eine Anerkennung als Flüchtling versagende Entscheidung entscheiden. Dabei hielt der EuGH unter Rn. 57 der genannten Entscheidung auch fest, dass die zuständigen nationalen Behörden und Gerichte in jedem Einzelfall alle relevanten Umstände zu prüfen haben, um festzustellen, ob der Antragsteller derzeit daran gehindert ist, Schutz oder Beistand des UNRWA zu erhalten, weil sich mutmaßlich die Lage im betreffenden Einsatzgebiet aus nicht von ihm zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen verschlechtert hat (vgl. ebenso EuGH 13.6.2024, C 563/22, Rn. 75 und 87).
17 Den Ausführungen des BVwG, wonach der Schutz vom UNRWA aufgrund der Vorfälle nach dem 7. Oktober 2023 im Westjordanland ob der aktuell bedenklichen Sicherheitslage, der unwillkürlichen Gewalt und der hohen Chance, eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen, als vom Mitbeteiligten unverschuldet weggefallen anzusehen ist, wird in der Revision nicht entgegengetreten.
18 In der Amtsrevision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen iSd Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
19Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 47 Abs. 3 iVm § 51 VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. Oktober 2025