Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Dr. Maurer Kober sowie die Hofrätin Dr. in Sembacher und den Hofrat Mag. Marzi als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. in Zeitfogel, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 6. August 2024, W187 22880881/14E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: M A), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
1Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte am 8. September 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er im Wesentlichen damit begründete, dass er Syrien wegen des Krieges verlassen habe.
2 Mit Bescheid des Amtsrevisionswerbers vom 17. Jänner 2024 wurde dieser Antrag hinsichtlich des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem Mitbeteiligten der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine auf die Dauer eines Jahres befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).
3 Der gegen Spruchpunkt I. erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status eines Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG u.a. aus, dass dem Mitbeteiligten im Falle seiner Rückkehr nach Syrien die reale Gefahr drohe, zur syrischen Armee eingezogen zu werden, und er im Zusammenhang mit der Einziehung bzw. Ableistung des Militärdienstes, welchen er aber ablehne, der Gefahr erheblicher Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt werde. Die syrische Regierung betrachte Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens. Wehrdienstentzug werde mit einer Haftstrafe von einem bis zu sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft.
5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die vom BVwG samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde. Vom Verwaltungsgerichtshof wurde das Vorverfahren eingeleitet. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hatin einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Amtsrevision macht zur Begründung ihrer Zulässigkeit soweit verfahrensrelevant geltend, es fehle der angefochtenen Entscheidung entgegen näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Hinblick auf die vom BVwG zugrunde gelegte Wehrdienstverweigerung an nachvollziehbaren und damit überprüfbaren Feststellungen zum Vorliegen eines Konnexes der vorgebrachten Verfolgungshandlung zu einem der Verfolgungsgründe im Sinne der GFK. Eine konkrete Verfolgung des Mitbeteiligten sei vom BVwG nicht festgestellt worden. Aus den in der Revision ins Treffen geführten Länderberichten ergebe sich ein differenziertes Bild im Hinblick auf die Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung im Falle einer Wehrdienstverweigerung durch die syrische Regierung.
7 Die Amtsrevision ist zulässig, sie ist auch begründet.
8Vorab wird darauf hingewiesen, dass die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sachund Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen ist (vgl. etwa VwGH 27.6.2017, Ra 2017/18/0005, mwN). Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren.
9 Im vorliegenden Fall ging das BVwG davon aus, dem Mitbeteiligten werde vom syrischen Regime bereits wegen der Wehrdienstverweigerung eine oppositionelle Gesinnung unterstellt. Die ihm drohende Inhaftierung aufgrund der Verweigerung des Wehrdienstes stelle daher eine Verfolgung im Sinne der GFK dar.
10Vom Verwaltungsgerichtshof wurde bereits mehrfach festgehalten, dass sich aus den auch hier maßgeblichen Länderberichten ein differenziertes Bild der Haltung des syrischen Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt und aus dieser Berichtslage nicht abgeleitet werden kann, dass mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit jedem den Militärdienst verweigernden Syrer eine oppositionelle Haltung unterstellt werde. Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner bereits ausgeführt, nach dieser Berichtslage sei gerade kein Automatismus dahin als gegeben anzunehmen, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde und ihm deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohe. Nichts anderes gilt für die Frage, ob ein den Militärdienst ableistender syrischer Staatsangehöriger sich dazu gezwungen sähe, zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen beizutragen (vgl. etwa VwGH 24.3.2025, Ra 2024/20/0761, sowie ausführlich VwGH 28.2.2024, Ra 2023/20/0619, jeweils mwN).
11 Die Revision zeigt zur Begründung des von ihr in diesem Zusammenhang gerügten und relevanten Verfahrensmangels zutreffend auf, dass die vom BVwG vertretene Ansicht mit den im angefochtenen Erkenntnis verwerteten Länderberichten nicht in Einklang zu bringen ist, weil sich aus den Länderfeststellungen ein differenziertes Bild der Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt und allein daraus nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass dem Mitbeteiligten eine oppositionelle Haltung unterstellt werden würde.
12Der Revision gelingt es somit, relevante Begründungsmängel darzulegen, weshalb das angefochtene Erkenntnis schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war, ohne dass auf das übrige Revisionsvorbringen einzugehen wäre.
Wien, am 11. September 2025