Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer sowie Hofrätin Dr. Holzinger und Hofrätin Mag. Dr. Pieler als Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Strasser, über die Revision des Bundesministers für Finanzen gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 19. September 2024, VGW 002/011/5935/2024/E 5, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien; mitbeteiligte Partei: W H, vertreten durch die Hochstöger Nowotny Wohlmacher Rechtsanwälte OG in Linz), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
1Mit Straferkenntnis vom 18. Jänner 2021 erkannte die Landespolizeidirektion Wien den Mitbeteiligten der vierfachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 drittes Tatbild iVm § 2 Abs. 2 und 4 Glücksspielgesetz (GSpG) schuldig, weil er am 8. Mai 2020 vom Inland aus verbotene Ausspielungen dadurch, dass er den Betrieb von vier näher bezeichneten Glücksspielgeräten in seinem Lokal geduldet habe, unternehmerisch zugänglich gemacht habe. Über den Mitbeteiligten wurden gemäß § 52 Abs. 2 vierter Strafsatz GSpG vier Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 6.000,- (samt Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils vier Tagen) verhängt und es wurde ein Beitrag zu den Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens festgesetzt.
2 Eine gegen dieses Straferkenntnis erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten wies das Verwaltungsgericht Wien mit am 4. Juli 2022 mündlich verkündetem und mit 7. September 2022 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis als unbegründet ab und es traf Aussprüche betreffend Verfahrenskosten. Diese Entscheidung hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 10. April 2024, Ra 2023/12/0040, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
3Im fortgesetzten Verfahren gab das Verwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 18. Jänner 2021 gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG iVm § 45 Abs. 1 Z 1 VStG statt und es sprach aus, das Verwaltungsstrafverfahren werde „wegen Unmöglichkeit der Vorladung des vom VwGH als unabdingbar beurteilten Zeugen I und somit drohender Verfolgungsverjährung nach § 31 VStG zur Einstellung gebracht“ (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof). Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG für den Mitbeteiligten keine Kosten anfielen. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
4 Das Verwaltungsgericht legte dar, dass es in seiner Entscheidung im ersten Rechtsgang auf die Unmöglichkeit der Vorladung des Zeugen I verwiesen habe, weshalb dessen niederschriftliche Aussage vor der Finanzpolizei verlesen worden sei. Dieses Erkenntnis sei vom Verwaltungsgerichtshof wegen Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes aufgehoben worden.
5 Fallbezogen sei eine für den 16. September 2024 anberaumte Verhandlung „wegen der außerordentlichen Witterungsumstände“ nicht abgehalten worden. Die in diesem Zusammenhang versuchte Ladung des Zeugen I habe sich als „ergebnislos“ erwiesen.
6 Das Verwaltungsgericht stellte sodann fest, der für das Verfahren „erforderliche Belastungszeuge“ habe nicht vorgeladen werden können und somit könne der gegen den Revisionswerber erhobene Tatvorwurf nicht mit der für das Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Die an den Zeugen I gerichtete Ladung sei mit dem Vermerk „nicht behoben“ zurückgekommen, die ZMR Auskunft sei „negativ“.
7Im Ergebnis ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Zeuge I, „dessen persönliche unmittelbare Einvernahme der VwGH fordert“, nicht auffindbar und sein Aufenthalt nicht feststellbar sei. Die Landespolizeidirektion Wien und auch die Finanzpolizei hätten keine näheren Angaben zu einem etwaigen Verbleib des Zeugen bekannt zu geben vermocht. Es sei daher mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb der aus § 43 VwGVG erfließenden Frist nicht mit einem Erscheinen und einer Feststellung des Aufenthaltsortes des Belastungszeugen zu rechnen. Auf Basis des vorliegenden Beweisergebnisses könne unter Bindung an die Rechtsauslegung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 63 VwGG der dem Mitbeteiligten zur Last gelegte Sachverhalt nicht mit der für das Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, weil der Belastungszeuge nicht vorgeladen und einvernommen werden könne.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, hilfsweise wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Der Verwaltungsgerichtshof führte ein Vorverfahren, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde.
9Mit Verfahrensanordnung vom 15. Juli 2025 forderte der Verwaltungsgerichtshof die Verfahrensparteien auf, allfällige Umstände bekannt zu geben, die im Sinne des § 31 Abs. 2 VStG zu einer Hemmung der Strafbarkeitsverjährungsfrist geführt haben könnten. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht und der Amtsrevisionswerber erstatteten dazu jeweils eine Stellungnahme.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 In der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Amtsrevision wird unter anderem vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe (wie bereits im ersten Rechtsgang) gegen den Amtswegigkeits und Untersuchungsgrundsatz verstoßen, indem es keine hinreichenden Anstrengungen unternommen habe, um den Zeugen I zum Erscheinen und zur Aussage in der mündlichen Verhandlung zu zwingen. Weiters werden in der Zulässigkeitsbegründung der Sache nach Begründungsmängel geltend gemacht bzw wird die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes in Zweifel gezogen, weil so das Vorbringen der Umstand, dass die an den Zeugen I ergangene Ladung mit dem Vermerk „nicht behoben“ und nicht etwa mit dem Vermerk „verzogen“ oder „unbekannt“ an das Verwaltungsgericht rückübermittelt worden sei, nicht unter Beweis stelle, dass der Aufenthaltsort des Zeugen „schlechthin unbekannt“ sei. Auch habe das Verwaltungsgericht die Beurteilung, die ZMR Auskunft sei „negativ“, nicht näher konkretisiert.
11 Aufgrund dieses Vorbringens erweist sich die vorliegende Revision als zulässig; sie ist auch berechtigt.
12Eingangs ist das Verwaltungsgericht Wien darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 10. April 2024, Ra 2022/12/0138, vor dem Hintergrund des § 46 Abs. 3 VwGVG, wonach Niederschriften über die Vernehmung von Zeugen (unter anderem) nur verlesen werden dürfen, wenn der Aufenthalt des Vernommenen unbekannt ist, davon ausgegangen ist, dass diese Voraussetzung im konkreten Fall nicht vorgelegen sei, weshalb die Verlesung der Niederschrift einer Zeugeneinvernahme gegen den in § 44 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsgrundsatz verstoßen habe.
13Aus welchem Grund das Verwaltungsgericht annimmt, der Verwaltungsgerichtshof habe die unmittelbare Einvernahme des Zeugen I vor dem Verwaltungsgericht als „unabdingbar“ angesehen, kann somit nicht nachvollzogen werden, zumal § 46 Abs. 3 VwGVG bei Vorliegen der dort normierten Voraussetzungen die Verlesung von Niederschriften über die Vernehmung von Zeugen zulässt.
14 Im Übrigen kann aber auch die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, der Zeuge I könne nicht vorgeladen werden, nicht nachvollzogen werden bzw erweist sich die zu Grunde liegende Beweiswürdigung als unvertretbar.
15 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG allerdings nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl VwGH 22.10.2023, Ro 2022/12/0016 und 0017, Rn 29, mwN).
16Weiters führt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Begründungsmangel zur Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in weiterer Folge zur Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof, wenn er entweder die Parteien des Verwaltungsverfahrens und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens an der Verfolgung ihrer Rechte oder den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf deren inhaltliche Rechtmäßigkeit hindert. Wird das Verwaltungsgericht den sich aus § 29 Abs. 1 VwGVG ergebenden Anforderungen an die Begründung von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte nicht gerecht, so liegt ein Begründungsmangel vor, der einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt (vgl etwa VwGH 23.4.2025, Ra 2023/12/0080, Rn 9, mwN).
17 Fallbezogen lässt sich dem angefochtenen Erkenntnis entnehmen, dass die dem Zeugen I übermittelte Ladung mit dem Vermerk „nicht behoben“ zurückgekommen und weiters eine ZMR Auskunft „negativ“ gewesen sei. Dazu ist festzuhalten, dass nicht nachvollziehbar ist, was mit dem Hinweis darauf, die ZMR Auskunft sei „negativ“, gemeint ist.
18 Soweit damit zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass keine andere Meldeadresse als jene ausgewiesen wurde, an die jene Ladung, die als „nicht behoben“ an das Verwaltungsgericht zurückkam, erweist es sich als unvertretbar, dass allein daraus abgeleitet wurde, der Zeuge I sei „nicht auffindbar und sein Aufenthalt nicht feststellbar“. Immerhin kann wie der Amtsrevisionswerber zutreffend geltend machtder Umstand, dass eine Ladung „nicht behoben“ wurde, auch auf eine (bloße) „Unwilligkeit“ des Zeugen zu erscheinen, hindeuten, sodass er vorzuführen gewesen wäre (vgl. VwGH 10.4.2024, Ra 2022/12/0138, 137, 180, Ra 2023/12/0040).
19 Soweit durch den Hinweis, die ZMR Auskunft sei „negativ“, zum Ausdruck gebracht werden sollte, es schiene keine aktuelle Meldeadresse des Zeugen I auf, bleibt offen, zu welchem Zeitpunkt das Verwaltungsgericht die diesbezügliche ZMR Auskunft einholte, und ob folglich aus der eingeholten ZMR Auskunft tatsächlich eine „Unauffindbarkeit“ des Zeugen I im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nachvollziehbar abgeleitet werden konnte.
20 Jedenfalls ergibt sich, dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, der Zeuge I sei „nicht auffindbar“ und es sei „sein Aufenthalt nicht feststellbar“, nicht nachvollziehbar ist bzw auf einer unvertretbaren Beweiswürdigung beruht. Schon aus diesem Grund erweist sich das angefochtene Erkenntnis als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.
21Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
22 Für das fortgesetzte Verfahren wird zusätzlich darauf hingewiesen, dass ausgehend von einer Tatbegehung am 8. Mai 2020bereits Strafbarkeitsverjährung nach § 31 Abs. 2 VStG eingetreten sein könnte. Das Verwaltungsgericht wird deshalb auch zu prüfen haben, ob abgesehen von dem Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof im ersten Rechtsgang (Ra 2023/12/0040) und dem nunmehr gegenständlichen Verfahrenweitere Umstände vorgelegen sind, die zu einer Hemmung der Strafbarkeitsverjährungsfrist geführt haben könnten. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof hat der Amtsrevisionswerber vorgebracht, infolge des Ablaufs der Tilgungsfrist nach § 55 VStG im Hinblick auf eine frühere Bestrafung des Mitbeteiligten sei es zu einer Anwendbarkeit des § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG gekommen, weshalb es zu einer (weiteren) Hemmung der Strafbarkeitsverjährung aufgrund eines Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 38a VwGG (BGBl. I Nr. 55/2020) gekommen sei. Diesbezüglich wird das Verwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren Ermittlungen anzustellen und sodann nachvollziehbare Feststellungen zu treffen haben, aus denen sich ableiten lässt, ob gegebenenfalls bereits Strafbarkeitsverjährung nach § 31 Abs. 2 VStG eingetreten ist.
Wien, am 1. September 2025