JudikaturVwGH

Ra 2024/02/0211 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
22. Juli 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Melk gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 19. August 2024, LVwG S 1523/0012024, betreffend Übertretung des TSchG (mitbeteiligte Parteien: 1. Tierschutzombudsperson des Landes Niederösterreich, Dr. Lucia Giefing in 3109 St. Pölten, Rennbahnstraße 29, und 2. T in K), den Beschluss gefasst:

Spruch

1. Die Revision wird zurückgewiesen.

2. Die Anträge der Erstmitbeteiligten in ihrem als Revisionsbeantwortung bezeichneten Schriftsatz vom 11. November 2024 auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu auf Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, werden zurückgewiesen.

1Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Melk (revisionswerbende Partei) vom 10. Juni 2024 wurde dem Zweitmitbeteiligten angelastet, am 1. Februar 2024 an einem näher bezeichneten Ort einem Stück Rehwild, welches durch einen Zusammenstoß mit einem PKW schwer verletzt gewesen sei, durch sein Verhalten ungerechtfertigt Schmerzen und Leiden zugefügt sowie es in schwere Angst versetzt zu haben, weil er einem an der Unfallstelle befindlichen Jäger die notwendige Tötung des Rehes durch seine Intervention unmöglich gemacht habe. Der Zweitmitbeteiligte habe dadurch § 38 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Tierschutzgesetz (TSchG) verletzt, weshalb über ihn gemäß § 38 Abs. 1 TSchG eine Geldstrafe in der Höhe von € 200, (Ersatzfreiheitsstrafe acht Stunden) verhängt und ihm ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgeschrieben wurden.

2Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge, behob das bekämpfte Straferkenntnis, stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, am 1. Februar 2024 habe sich gegen 7:00 Uhr an einem näher bezeichneten Ort ein Verkehrsunfall ereignet, bei dem ein Reh verletzt worden sei, welches sich nur noch eingeschränkt fortbewegen habe können und am Fahrbahnrand zu liegen gekommen sei. Der verständigte Jäger habe die Absicht gehabt, das verletzte Reh mittels Schussabgabe zu erlösen. Der mit dem PKW vorbeifahrende Zweitmitbeteiligte habe den Jäger aufgefordert, die Schussabgabe zu unterlassen und sich zwischen den Jäger und das Reh gestellt. Gegenüber den in der Folge einschreitenden Polizeibeamten habe der Zweitmitbeteiligte angegeben, er sei der Meinung, dass das verletzte Reh nicht getötet werden müsse und er die Tierarztkosten bezahlen würde. Um 07:56 Uhr sei das Reh durch den Jäger erschossen und durch die Polizeibeamten festgestellt worden, dass dieses multiple Knochenbrüche gehabt habe. Die Amtstierärztin habe ausgeführt, dass durch das Einschreiten des Zweitmitbeteiligten die rasche Tötung des Rehes verzögert, der Leidensprozess um ca. 30 Minuten verlängert und dem Reh dadurch ungerechtfertigt und unnötigerweise Schmerzen zugefügt worden seien und dieses in schwere Angst versetzt worden sei.

4In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, als Täter einer Übertretung des Verbots der Tierquälerei nach § 5 Abs. 1 TSchG komme grundsätzlich jedermann in Betracht, der eine aktive Handlung setze, die eine der im Gesetz genannten Beeinträchtigungen herbeiführen könne. Auf eine Haltereigenschaft komme es nicht an. Die dem Zweitmitbeteiligten vorgeworfene aktive Tathandlung, durch seine Intervention in Form einer verbalen Auseinandersetzung und dem im Weg Stehen dem Jäger die Tötung des Rehes unmöglich gemacht zu haben, sei nicht geeignet, einem Tier ungerechtfertigt Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen oder es in schwere Angst zu versetzen. Das Unterbleiben der (leidensverkürzenden) Tötung des Rehes während eines Zeitraumes von etwa 30 Minuten stelle eine Unterlassungshandlung durch den allenfalls handlungsverpflichteten Jäger dar. Mangels Garantenstellung des Zweitmitbeteiligten in Bezug auf das verletzte Reh komme eine Begehung der Tierquälerei durch Unterlassen nicht in Betracht. Dass der Zweitmitbeteiligte einen allfälligen Garanten den Jägerdurch Drohung oder Ausübung von Druck vorsätzlich veranlasst habe, die unverzügliche Nottötung des verletzten Rehes zu unterlassen, also eine Bestimmungstäterschaft im Sinne des § 7 VStG, sei dem Zweitmitbeteiligten ebenso wie eine Übertretung des § 97 NÖ Jagdgesetz nicht vorgeworfen worden. Eine derartige Auswechslung des Tatvorwurfs würde eine unzulässige Überschreitung der Sache des Verfahrens im Sinne des § 50 VwGVG darstellen.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. In dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren erstattete die Erstmitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 BVG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist in jeder Lage des Verfahren zu fassen (§ 34 Abs. 3 VwGG).

8Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9Die revisionswerbende Partei sieht die Zulässigkeit ihrer Revision deshalb gegeben, weil das Verwaltungsgericht die festgestellte aktive Tathandlung des Zweitmitbeteiligten als nicht tatbildmäßig nach § 5 Abs. 1 TSchG erachtet habe. Es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob durch die Intervention eines Dritten, welche die Tötung eines bei einem Verkehrsunfall verletzten Tieres durch einen an der Unfallstelle befindlichen Jäger verzögere, wodurch dem Tier ungerechtfertigt Schmerzen und Leiden zugefügt würden sowie dieses in schwere Angst versetzt werde, der Tatbestand des § 5 Abs. 1 TSchG erfüllt sei.

10Der Straftatbestand der Tierquälerei nach § 38 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 TSchG ist dem Tatbild nach ein Erfolgsdelikt. Da sich weder aus dem gesetzlichen Tatbestand des § 5 Abs. 1 leg. cit. noch aus anderen Bestimmungen ergibt, dass die Unterlassung bestimmter Handlungen strafbar sein soll, wenn sie nicht durch den Tierhalter oder den Garanten erfolgt, ist die Tathandlung der Tierquälerei durch eine Unterlassungshandlung eines Dritten nicht verwirklicht (vgl. ausführlich VwGH 1.10.2019, Ra 2018/02/0321).

11Nach den diesbezüglich unbekämpft gebliebenen Feststellungen setzte der Zweitmitbeteiligte aber keine aktiven Handlungen unmittelbar gegen das Tier, das ohne sein Zutun bereits verletzt war, sondern richtete sich sein Verhalten gegen den Jäger, um diesen davon abzuhalten, das leidende Tier zu töten. Die Revision zeigt nicht auf, dass die auf Basis dieser Feststellungen getroffene Beurteilung des Verwaltungsgerichts, wonach die von der Amtssachverständigen aufgrund der Verlängerung des Leidensprozesses konstatierte Beeinträchtigung des Tieres im Sinn des § 5 Abs. 1 TSchG nicht unmittelbar durch das Handeln des Zweitmitbeteiligten, sondern durch das Unterlassen der Tötung durch den Jäger verursacht worden sei, und eine Strafbarkeit des Zweitmitbeteiligten als unmittelbarer Täter nicht in Betracht komme, mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit belastet wäre. Die Revision zieht nicht in Zweifel, dass es sich beim Zweitmitbeteiligten weder um den Tierhalter noch um einen Garanten (etwa nach § 9 TSchG) des Wildtieres handelte, welcher nach der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Delikt des § 5 TSchG durch eine Unterlassungshandlung erfüllen konnte.

12 Das aktive Handeln des Zweitmitbeteiligten („Intervention“) könnte wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hatzwar allenfalls eine Anstiftung im Sinne von § 7 VStG des etwaig handlungsverpflichteten Jägers darstellen (vgl. VwGH 19.12.2014, Ro 2014/02/0087, mwN). Eine derartige Täterschaft im Sinne von § 7 VStG, nämlich, dass er den Jäger zur Begehung einer Tierquälerei nach dem TSchG angestiftet hätte, wurde dem Zweitmitbeteiligten jedoch nicht vorgeworfen. Im Übrigen käme eine Strafbarkeit als Bestimmungstäter im Sinne von § 7 VStG nur bei Vorsatz in Betracht. Der bedingte Vorsatz muss sich schon dem Wortlaut des § 7 VStG nach auf die Tätereigenschaft des unmittelbar Handelnden beziehen (vgl. VwGH 19.12.2014, Ro 2014/02/0087, mwN; VwGH 17.3.1994, 92/06/0159). Eine derartige Schuldform wurde dem Zweitmitbeteiligten nicht angelastet und wird auch von der revisionswerbenden Partei nicht behauptet. Vielmehr ging die Behörde selbst von Fahrlässigkeit aus; aus dem Sachverhalt ergeben sich auch keine Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Verhalten.

13 In der Revision wird ferner ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darin erblickt, dass das Verwaltungsgericht ohne Einholung einer (weiteren) sachkundigen Stellungnahme von der amtsärztlichen Stellungnahme abgegangen sei, wonach die Verzögerung der raschen Tötung durch das Verhalten des Zweitmitbeteiligten dem Reh ungerechtfertigt und unnötigerweise weitere Schmerzen zugefügt habe.

14Wenngleich es zutrifft, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Frage, ob eine als Tierquälerei zu qualifizierende Schädigung der Tiere vorlag, auf sachkundiger Ebene zu klären ist (vgl. dazu VwGH 29.4.2013, 2009/02/0024; dem folgend VwGH 3.2.2020, Ra 2020/02/0012, mwN), so ist darauf hinzuweisen, dass einem Sachverständigen keinesfalls die Lösung von Rechtsfragen zukommt und er auch nicht in den Bereich der Beweiswürdigung vordringen darf. Die rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes als eine der zentralen Aufgaben der richterlichen Tätigkeit bleibt ausschließlich dem Gericht vorbehalten (vgl. VwGH 25.5.2021, Ra 2021/02/0069; VwGH 18.3.2025, Ra 2023/12/0102, jeweils mwN).

15 Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass zwar das Vorliegen von Schmerzen, Leiden oder Angst des Rehes von der beigezogenen Amtstierärztin durch die aufgrund des Verhaltens des Zweitmitbeteiligten bedingte zeitliche Verzögerung der „Nottötung“ beurteilt werden konnte. Die Beurteilung, ob dem Zweitmitbeteiligten die zur Last gelegte Verwaltungsübertretung rechtlich zugeordnet werden kann, war jedoch allein durch das Verwaltungsgericht vorzunehmen, weshalb es auch nicht der Einholung eines weiteren Gutachtens bedurfte. Ausgehend davon ist auch der in der Zulässigkeitsbegründung gerügte Begründungsmangel, wonach aufgrund der Wiedergabe der Ausführungen der Amtssachverständigen in den Feststellungen nicht hervorgehe, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt worden sei, nicht erkennbar.

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

17 Die Anträge der Erstmitbeteiligten auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses in ihrem als Revisionsbeantwortung bezeichneten Schriftsatz stellen der Sache nach keine Revisionsbeantwortung, sondern eine Revision gegen das angefochtene Erkenntnis dar, die schon aufgrund ihrer Verspätung zurückzuweisen war.

Wien, am 22. Juli 2025