Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger, den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. Holzinger und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20. April 2023, W117 2265770 2/12E, betreffend Anhaltung nach einer Festnahme (mitbeteiligte Partei: S K, vertreten durch Mag. Fatma Islekoglu, Rechtsanwältin in 6971 Hard, Landstraße 13), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im bekämpften Umfang (Spruchpunkt A.II. und Spruchpunkt A.III., soweit damit der Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf Kostenersatz abgewiesen wurde) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Die Mitbeteiligte, eine türkische Staatsangehörige, stellte am 5. Februar 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies den Antrag im Beschwerdeweg mit Erkenntnis vom 6. Dezember 2022 vollinhaltlich ab. Unter einem wurde ausgesprochen, dass der Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (von Amts wegen) nicht erteilt werde, es wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Türkei zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
2 Am 8. April 2023 (Karsamstag) wurde die Mitbeteiligte von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes um 6:33 Uhr an ihrem Wohnort in Vorarlberg aufgrund eines auf § 34 Abs. 3 Z 3 BFA VG gestützten Festnahmeauftrages des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 BFA VG zum Zwecke der Abschiebung festgenommen. Anschließend wurde sie auftragsgemäß in das Polizeianhaltezentrum Wien, Rossauer Lände, überstellt.
3 Im Zuge der Festnahme wurde der Mitbeteiligten von den einschreitenden Sicherheitsorganen eine schriftliche Information in türkischer Sprache über die für den 10. April 2023 geplante Abschiebung ausgefolgt.
4 Noch am 8. April 2023 um 16:05 Uhr übermittelte die rechtsanwaltliche Vertreterin der Mitbeteiligten der Landespolizeidirektion Wien unter Hinweis auf die Dringlichkeit der Sache eine E Mail, in der sie mit näherer Begründung die Enthaftung der Mitbeteiligten beantragte und um „Übermittlung einer Kopie des nunmehrigen Festnahmeauftrages“ ersuchte. Diese E Mail wurde sodann um 18:25 Uhr mit der „Priorität Hoch“ an die zuständige Außenstelle des BFA (EASt West) weitergeleitet. Ebenfalls am selben Tag brachte die Mitbeteiligte beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine Beschwerde gegen ihre Festnahme und Anhaltung ein.
5 Die Mitbeteiligte wurde bis zu ihrer am 10. April 2023 (Ostermontag) um 10:45 Uhr per Flugzeug vorgenommenen Abschiebung angehalten. Am 11. April 2023 um 8:52 Uhr übermittelte das BFA der Vertreterin der Mitbeteiligten dann per E Mail eine Kopie des Festnahmeauftrages.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 20. April 2023 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde der Mitbeteiligten, soweit sie sich gegen ihre Festnahme am 8. April 2023 und ihre Anhaltung an diesem Tag richtete, gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 und 2 iVm § 34 Abs. 3 Z 3 und § 40 Abs. 1 Z 1 BFA VG als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). In Bezug auf die Anhaltung der Mitbeteiligten vom 9. April 2023 bis zum 10. April 2023 gab das BVwG der Beschwerde gestützt auf § 22a Abs. 1 Z 2 und § 34 Abs. 6 BFA VG statt und erklärte diese Anhaltung für rechtswidrig (Spruchpunkt A.II.). Überdies wies es die Anträge der Verfahrensparteien auf Kostenersatz ab (Spruchpunkt A.III.). Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
7 Ausgehend von dem in den Rn. 1 bis 5 wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt ging das BVwG soweit für das vorliegende Revisionsverfahren relevant rechtlich davon aus, das BFA wäre gemäß § 34 Abs. 6 BFA VG „unter dem Aspekt des Rechtsschutzgedankens“ zweifellos verpflichtet gewesen, binnen längstens 24 Stunden ab dem entsprechenden Ersuchen der Vertreterin der Mitbeteiligten eine Kopie des Festnahmeauftrages zu übermitteln. Denn eine festgenommene Person solle „möglichst bald, wenn nicht sofort“, in die Lage versetzt werden, wirksamen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Bei der 24 Stunden Frist des § 34 Abs. 6 BFA VG handle es sich um eine Maximalfrist. Es sei nicht ersichtlich, warum der Festnahmeauftrag nicht bis zum Ablauf des Tages des Ersuchens (8. April 2023) vom Journaldienst des BFA übermittelt hätte werden können. Da der Mitbeteiligten bzw. ihrer Vertreterin „bis um Mitternacht des 8.4.2023“ keine Kopie des Festnahmeauftrages übermittelt worden sei, sei sie „um eine wichtige schriftliche Informationsquelle ihrer Festnahme und nachfolgenden Anhaltung gebracht“ worden. Die anschließende Anhaltung der Mitbeteiligten ab dem 9. April 2023 erweise sich somit aufgrund dieser Informationspflichtverletzung als rechtswidrig.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen die Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen hat:
9 Die Revision erweist sich wie die nachstehenden Ausführungen zeigen entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig; sie ist auch berechtigt.
10 Die im vorliegenden Fall relevanten Bestimmungen des BFA VG lauten samt Überschriften auszugsweise wie folgt:
„Festnahmeauftrag
§ 34. (1) ...
...
(3) Ein Festnahmeauftrag kann gegen einen Fremden auch dann erlassen werden,
...
3. wenn gegen den Fremden ein Auftrag zur Abschiebung (§ 46 FPG) erlassen werden soll oder
...
(5) Der Festnahmeauftrag ergeht in Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt; er ist aktenkundig zu machen. Die Anhaltung auf Grund eines Festnahmeauftrages darf 72 Stunden nicht übersteigen und ist nach Durchführung der erforderlichen Verfahrenshandlungen zu beenden.
(6) In den Fällen der Abs. 1 bis 4 ist dem Beteiligten auf sein Verlangen sogleich oder binnen der nächsten 24 Stunden eine Durchschrift des Festnahmeauftrages zuzustellen.
...
Festnahme
§ 40. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einen Fremden zum Zweck der Vorführung vor das Bundesamt festzunehmen,
1. gegen den ein Festnahmeauftrag (§ 34) besteht,
...
Rechte des Festgenommenen
§ 41. (1) Jeder gemäß § 40 Abs. 1 und 2 Festgenommene ist ehestens in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe seiner Festnahme zu unterrichten.
...“
11 Das BVwG ist der Rechtsauffassung, dass die seiner Ansicht zufolge gegebene Verletzung der Verpflichtung nach § 34 Abs. 6 BFA VG die Rechtswidrigkeit der Anhaltung ab dem von ihm angenommenen Zeitpunkt (nach der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses wäre fallbezogen eine Übermittlung bis Mitternacht des 8. April 2023 möglich und geboten gewesen) bewirke. Dabei stützte sich das BVwG auch auf näher genannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes, wonach eine Verletzung von Informationspflichten gegenüber einer festgenommenen Person zur Rechtswidrigkeit der Festnahme (und Anhaltung) führe.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes festgehalten, dass Rechtswidrigkeit einer auf § 40 BFA VG gestützten Festnahme bzw. Anhaltung vorliegen kann, wenn die festgenommene Person entgegen der im Einklang mit den Verfassungsbestimmungen des Art. 4 Abs. 6 PersFrG und des Art. 5 Abs. 2 EMRK stehenden Anordnung des § 41 Abs. 1 BFA VG nicht ehestens in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe der Anhaltung informiert wurde (VwGH 31.8.2023, Ra 2023/21/0044, Rn. 16 ff, insb. Rn. 19, mit Hinweis auf VwGH 12.4.2005, 2003/01/0490).
13 Fallgegenständlich lag eine die Rechtswidrigkeit der Festnahme und Anhaltung begründende Verletzung der genannten Informationspflichten gegenüber der Mitbeteiligten aber nicht vor. So wurde die Mitbeteiligte nach den nicht bestrittenen Feststellungen des BVwG noch im Zuge der Festnahme über die Gründe der Festnahme unterrichtet, indem ihr eine Information über die bevorstehende Abschiebung in türkischer Sprache ausgehändigt wurde. Nach dem Inhalt der dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten wurde was das BVwG unbeachtet ließ überdies aber auch ihre rechtliche Vertreterin von den einschreitenden Sicherheitsorganen unmittelbar nach der Festnahme telefonisch über den Grund ihres Einschreitens informiert. Dass damit die notwendigen Informationen gefehlt hätten, um effektiven Rechtsschutz gegen die Festnahme zu erlangen, ist nicht zu sehen, zumal die Rechtsvertreterin der Mitbeteiligten auch in der Lage war, noch am selben Tag eine Maßnahmenbeschwerde gegen die Festnahme und Anhaltung unter anderem mit der Behauptung der Unzulässigkeit der Abschiebung einzubringen.
14 Fallbezogen ist vor dem Hintergrund des Inhaltes des Festnahmeauftrages, der im Wesentlichen nur die angewendete Gesetzesbestimmung des § 34 Abs. 3 Z 3 BFA VG und die Angabe, dass die Festnahme zum Zwecke der Abschiebung erfolge, enthält, somit nicht erkennbar, welchen maßgeblichen Informationsgewinn die Übermittlung einer Kopie des Festnahmeauftrages für die Mitbeteiligte gehabt hätte. Denn wie erwähnt wurden die Mitbeteiligte bzw. ihre Vertreterin bei bzw. unmittelbar nach der Festnahme über diese Umstände ohnehin unterrichtet.
15 Die Begründung des BVwG, wonach die von ihm angenommene Verletzung der Verpflichtung nach § 34 Abs. 6 BFA VG die Rechtswidrigkeit der weiteren Anhaltung bewirkt habe, weil der Mitbeteiligten eine maßgebliche „Informationsquelle“ vorenthalten worden sei, ist somit nicht tragfähig.
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb im Umfang der Anfechtung die Aufhebung des Spruchpunktes A.II. schlägt auf die diesbezügliche Kostenentscheidung durch (vgl. etwa VwGH 27.4.2023, Ro 2020/21/0005, Rn. 11, mwN) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das übrige Revisionsvorbringen einzugehen war.
Wien, am 13. Dezember 2023