JudikaturVwGH

Ra 2023/21/0192 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
08. Mai 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger, den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. in Oswald und den Hofrat Mag. Schartner als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Oktober 2023, W154 2278569 1/11E, betreffend Festnahme und Anhaltung (mitbeteiligte Partei: S U, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Der Mitbeteiligte, ein usbekischer Staatsangehöriger, hatte am 9. April 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der mit dem unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 16. Juni 2023 zur Gänze abgewiesen wurde. Unter einem wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und ausgesprochen, dass seine Abschiebung nach Usbekistan zulässig sei.

2 Am 23. September 2023, um 19:15 Uhr, wurde der Mitbeteiligte in Vollziehung eines auf § 34 Abs. 3 Z 3 BFA VG gestützten Festnahmeauftrags des BFA vom 17. August 2023 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 BFA VG festgenommen und anschließend in ein Polizeianhaltezentrum überstellt.

3 Im Zuge der Festnahme wurde dem Mitbeteiligten ein in russischer unstrittig dem Mitbeteiligten verständlicher Sprache verfasstes Formblatt mit Informationen für (nach dem BFA VG) festgenommene Personen ausgefolgt, in welchem jedoch keiner der dort angegebenen Festnahmegründe angekreuzt war.

4 Am 24. September 2023 wurde der Mitbeteiligte ab 13:00 Uhr von einem Organ des BFA unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die usbekische Sprache niederschriftlich einvernommen. Laut der im Akt befindlichen Niederschrift wurde er im Zuge dessen darüber informiert, dass er „am 23.09.2023 durch die Beamten der LPD Wien angehalten und in weiterer Folge gem. § 40 Abs. 1 Z 1 BFA VG iVm § 34 Abs. 3 Z 3 BFA VG um 19:15 Uhr festgenommen“ worden sei. Zudem wurde er im Rahmen der Einvernahme darauf hingewiesen, dass er sich unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, gegen ihn eine durchsetzbare und rechtskräftige Rückkehrentscheidung bestehe und über ihn die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet werde. Mit Mandatsbescheid vom selben Tag wurde über den Mitbeteiligten schließlich beginnend um 19:30 Uhr gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung verhängt.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 30. Oktober 2023 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der vom Mitbeteiligten gegen die Festnahme und Anhaltung erhobenen Beschwerde vom 26. September 2023 „gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 BFA VG iVm § 40 Abs. 1 BFA VG iVm § 41 Abs. 1 BFA VG“ statt und erklärte die Festnahme des Mitbeteiligten am 23. September 2023 sowie seine anschließende Anhaltung in Verwaltungsverwahrungshaft bis 24. September 2023 für rechtswidrig (Spruchpunkt A.I.). Ferner verpflichtete es den Bund gemäß § 35 Abs. 1 und 2 VwGVG zum Aufwandersatz an den Mitbeteiligten und wies den Kostenersatzantrag des BFA als unbegründet ab (Spruchpunkte A.II. und A.III.). Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach es aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).

6 Das BVwG ging rechtlich davon aus, dass der Mitbeteiligte im Zuge seiner Festnahme nicht ausreichend über die Gründe seiner Festnahme belehrt worden sei, weil in dem in russischer Sprache verfassten Informationsblatt der konkrete Festnahmegrund nicht angemerkt gewesen sei. Um der Bestimmung des § 41 Abs. 1 BFA VG zu entsprechen, wäre es jedoch notwendig gewesen, einen konkreten Festnahmegrund „im Sinne einer Ziffer/eines Tatbestandes des § 40 Abs. 1 oder 2 BFA VG“ mitzuteilen. Eine Belehrung erst am Tag nach der Festnahme im Rahmen der Einvernahme des Mitbeteiligten sei nicht ausreichend. „Schon aufgrund dessen“ sei die Festnahme für rechtswidrig zu erklären, was auch für die darauffolgende Anhaltung in Verwaltungsverwahrungshaft gelte.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen hat:

8 Die Revision erweist sich entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG aus folgenden in der Revision aufgezeigten Gründen als zulässig und auch als berechtigt.

9 Unter der Überschrift „Rechte des Festgenommenen“ normiert § 41 Abs. 1 BFA VG, dass jeder gemäß § 40 Abs. 1 und 2 BFA VG Festgenommene ehestens in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe seiner Festnahme zu unterrichten ist.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bereits festgehalten, dass Rechtswidrigkeit einer auf § 40 BFA VG gestützten Festnahme bzw. Anhaltung vorliegen kann, wenn die festgenommene Person entgegen der im Einklang mit den Verfassungsbestimmungen des Art. 4 Abs. 6 PersFrG und des Art. 5 Abs. 2 EMRK stehenden Anordnung des § 41 Abs. 1 BFA VG nicht ehestens in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe der Festnahme bzw. Anhaltung informiert wurde. Zweck der Informationspflicht ist es, den Festgenommenen in die Lage zu versetzen, die Rechtmäßigkeit der Festnahme und Anhaltung zu beurteilen und gegebenenfalls einen entsprechenden Rechtsbehelf zu erheben, also effektiven Rechtsschutz gegen die Festnahme (und die darauf gegründete Anhaltung) zu erlangen (vgl. zuletzt VwGH 3.4.2025, Ra 2023/21/0165, Rn. 7, mit dem Hinweis auf VwGH 13.12.2023, Ra 2023/21/0091, Rn. 12/13, und auf VfGH 29.9.1997, B 3059/96, VfSlg. 14.903, Punkt II.2.2. der Entscheidungsgründe).

11 Unter Bezugnahme auf diesen Informationszweck hat der Verfassungsgerichtshof in dem oben zitierten Erkenntnis festgehalten, dass eine zwei Tage nach einer Festnahme durch die Zustellung des Schubhaftbescheides erfolgte Verständigung über die Gründe der Festnahme ausreichend sei, um den Festgenommenen in die Lage zu versetzen, deren Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Dabei nahm der Verfassungsgerichtshof auch ausdrücklich Bezug auf das gegenständlich vom BVwG zur Begründung der von ihm angenommenen Rechtswidrigkeit der Festnahme und Anhaltung ins Treffen geführte Erkenntnis VfGH 10.10.1994, B 46/94 und B 85/94, VfSlg. 13.914 (in diesem Fall hatte der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf Art. 5 Abs. 2 EMRK und Art. 4 Abs. 6 PersFrG eine erst mehr als drei Wochen nach der Festnahme erfolgte Unterrichtung der dortigen Beschwerdeführer über die Festnahmegründe in einer ihnen verständlichen Sprache als Verletzung ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit und Sicherheit gewertet), und hielt dazu klarstellend fest, dass sich die den Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalte durch den jeweils zwischen Festnahme und Information über den Festnahmegrund vergangenen Zeitraum wesentlich unterschieden (Punkt II.2.3. der Entscheidungsgründe). Unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ließ der Verwaltungsgerichtshof auch im Zusammenhang mit der Regelung des § 41 Abs. 1 BFA VG bereits erkennen, dass selbst eine erst im Zuge der gemeint: zeitnahen Erlassung des Schubhaftbescheides erfolgte Unterrichtung über die Festnahmegründe dazu führen könne, dass die Festnahme bzw. Anhaltung nicht wegen Verletzung der dort normierten Informationspflichten rechtswidrig ist (vgl. VwGH 31.8.2023, Ra 2023/21/0044, Rn. 19).

12 Selbst wenn somit nach objektiven Gesichtspunkten eine frühere Unterrichtung über die Festnahmegründe hätte erfolgen können und sie damit entgegen § 41 Abs. 1 BFA VG nicht „ehestens“ durchgeführt wurde, hat dies nicht in jedem Fall zur Folge, dass die Festnahme bzw. Anhaltung schon aus diesem Grund rechtswidrig ist. Eine zur Rechtswidrigkeit von Festnahme und Anhaltung des Mitbeteiligten führende Verletzung der Pflicht zur „ehestens, womöglich bei seiner Festnahme“ (so Art. 4 Abs. 6 PersFrG) bzw. „in möglichst kurzer Frist“ (so Art. 5 Abs. 2 EMRK) vorzunehmenden Verständigung iSd § 41 Abs. 1 BFA VG liegt daher gemessen am Zweck dieser Vorschriften nur dann vor, wenn dadurch die Erlangung von effektivem Rechtsschutz in Form der Einbringung einer Beschwerde nach § 22a Abs. 1 Z 1 BFA VG behindert wird.

13 Laut der im Akt befindlichen Niederschrift vom 24. September 2023 wurde der Mitbeteiligte vorliegend wie unter Rn. 4 näher dargelegt binnen weniger als 24 Stunden nach der Festnahme über deren Gründe in einer ihm verständlichen Sprache „unterrichtet“. So wurde dem Mitbeteiligten zunächst dargelegt, dass er gemäß „§ 40 Abs. 1 Z 1 BFA VG iVm § 34 Abs. 3 Z 3 BFA VG“ festgenommen worden sei. Nach der erstgenannten Bestimmung sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, einen Fremden zum Zweck der Vorführung vor das Bundesamt festzunehmen, wenn gegen ihn ein auf Tatbestände nach § 34 BFA VG gestützter Festnahmeauftrag besteht. Somit ist der Inhalt des jeweiligen Tatbestandes des § 34 BFA VG, wegen dessen Vorliegen der Festnahmeauftrag erlassen und weshalb dann die Festnahme vorgenommen wurde, der dem Fremden nach § 41 Abs. 1 BFA VG bekanntzugebende Grund für seine Festnahme. Hier war der der Festnahme des Mitbeteiligten zugrundeliegende Auftrag des BFA auf den Tatbestand des § 34 Abs. 3 Z 3 BFA VG gestützt, somit deshalb erlassen worden, weil im Sinne der genannten Bestimmung gegen den Fremden ein Auftrag zur Abschiebung erlassen werden sollte. Vor diesem Hintergrund reichte die bloße Mitteilung der genannten Gesetzesstellen, von deren Inhalt ein Fremder in der Regel keine Kenntnis hat, zwar nicht für eine „Unterrichtung“ von den Gründen für die Festnahme des Mitbeteiligten aus. Im vorliegenden Fall erfolgte aber im Sinne des § 34 Abs. 3 Z 3 BFA VG zusätzlich der inhaltlich ausgeführte und im Gesamtzusammenhang nur so zu verstehende Hinweis darauf, dass (auch) die Festnahme des Mitbeteiligten zur Sicherung der (aufgrund der rechtskräftigen und durchsetzbaren Rückkehrentscheidung) vorzunehmenden Abschiebung nach Usbekistan erfolgte. Demnach lag unter den genannten Umständen des vorliegenden Falles entgegen der Revisionsbeantwortung keine die Rechtswidrigkeit der Festnahme und Anhaltung nach sich ziehende Verletzung der Informationspflichten vor. Es ist nämlich fallbezogen nicht zu erkennen, dass der Informationszweck, einen effektiven Rechtsschutz gegen die Festnahme und die darauf unmittelbar folgende Anhaltung (bis zur Erlassung des Schubhaftbescheides) zu gewährleisten, beeinträchtigt worden wäre, zumal einerseits der Mitbeteiligte via Dolmetscherin dazu noch nähere Aufklärungen durch das vernehmende Organ des BFA hätte verlangen können und andererseits die Beschwerde ohnehin bereits drei Tage nach der Festnahme durch einen vom Mitbeteiligten bevollmächtigen Rechtsanwalt eingebracht wurde.

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 8. Mai 2025

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