IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der rumänischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2025, Zl. XXXX , zu Recht:
A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Verfahrensgang:
Am XXXX erstattete das Stadtpolizeikommando XXXX (Polizeiinspektion XXXX ) einen Abschlussbericht über den Verdacht von durch die Beschwerdeführerin (BF) und eine weitere Person begangene Ladendiebstähle an die Staatsanwaltschaft XXXX und informierte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am XXXX darüber. Das BFA leitete daraufhin ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen die BF ein und forderte sie mit Schreiben vom XXXX auf, sich zur beabsichtigten Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Die BF erstattete am XXXX über die BBU GmbH eine entsprechende Stellungnahme.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erließ das BFA gegen die BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein mit einem Jahr befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte ihr gemäß § 70 Abs 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.). Dieser Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sie keine Bindungen zu Österreich habe, wo sie am XXXX , kurz nach ihrer Einreise, auf frischer Tat bei einem Ladendiebstahl betreten worden sei.
Mit der am XXXX per E-Mail von der BBU GmbH für die BF eingebrachten Beschwerde werden die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung und die ersatzlose Behebung dieses Bescheids beantragt. Dies wird zusammengefasst damit begründet, dass die BF in Österreich als Arbeitnehmerin erwerbstätig sei. Sie halte sich seit XXXX im Bundesgebiet auf und werde rechtzeitig eine Anmeldebescheinigung beantragen. Sie habe sich vor ihren nunmehrigen Inlandsaufenthalt in Spanien, Deutschland und der Schweiz aufgehalten und beherrsche die deutsche Sprache. Sie habe sich nicht strafbar gemacht, sondern nur eine Bekannte, die die Diebstähle begangen habe, bei einem Einkaufsbummel begleitet. Von ihr gehe keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus. Mit der Beschwerde legte die BF eine Meldebestätigung, einen rumänischen Strafregisterauszug, ihren Dienstvertrag und Einkommensnachweise für XXXX und XXXX vor.
Das BFA legte dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Am XXXX reichte die BF dem BVwG auftragsgemäß die der BBU GmbH erteilte Vollmacht nach.
Feststellungen:
Der BF ist eine am XXXX in der rumänischen Stadt XXXX geborene rumänische Staatsangehörige. In den Jahren vor ihrer nunmehrigen Einreise in das Bundesgebiet im XXXX hielt sie sich in Spanien, Deutschland und der Schweiz auf. Neben ihrer rumänischen Erstsprache beherrscht sie auch die deutsche Sprache. Sie ist ledig und hat keine Sorgepflichten.
Die BF ist seit XXXX mit Hauptwohnsitz an einer Adresse in Österreich gemeldet. Seit Anfang XXXX ist sie als Reinigungskraft in XXXX unselbständig erwerbstätig; am XXXX wurde ihr eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmerin ausgestellt.
Die BF ist in Österreich und in Rumänien strafgerichtlich unbescholten. Gegen sie wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil der Verdacht bestand, dass sie am XXXX in XXXX Ladendiebstähle habe. Sie verantwortete sich dazu nicht geständig, sondern verwies darauf, dass ihre Begleiterin die Diebstähle ohne ihre Beteiligung begangen habe. Die BF wurde wegen dieses Vorfalls bislang nicht strafgerichtlich verurteilt.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.
Rumänischkenntnisse der BF sind angesichts ihrer Herkunft plausibel, ebenso die in der Beschwerde behaupteten Deutschkenntnisse, zumal sich aus dem polizeilichen Abschlussbericht vom XXXX ergibt, dass für sie kein Dolmetscher benötigt wurde.
Frühere Aufenthalte der BF in verschiedenen Staaten außerhalb ihrs Herkunftsstaates werden von ihr glaubhaft in der Beschwerde angegeben. Die Wohnsitzmeldung in Österreich ergibt sich aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), ihre Erwerbstätigkeit aus dem Dienstvertrag und den vorgelegten Einkommensnachweisen. Die Anmeldebescheinigung ist im IZR dokumentiert.
Der Familienstand der BF wird dem ZMR entnommen. Anhaltspunkte für Sorgepflichten sind nicht aktenkundig. Ihre Unbescholtenheit in Österreich ergibt sich aus dem Strafregister, in Bezug auf Rumänien wurde von der BF ebenfalls ein entsprechender Nachweis vorgelegt.
Das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Ladendiebstahls und die leugnende Verantwortung der BF ergeben sich aus dem polizeilichen Abschlussbericht. Es gibt keine aktenkundigen Informationen darüber, ob wegen dieses Vorfalls eine Anklage gegen sie erhoben wurde, daher können zum weiteren Verlauf des Verfahrens keine Feststellungen getroffen werden.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen die BF als EWR-Bürgerin iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des bzw. der Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen oder verwaltungsrechtliche Bestrafungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe z.B. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).
§ 67 FPG dient der Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl § 2 Abs 4 Z 18 FPG), und zwar insbesondere der Umsetzung von deren Art 27 und 28 (vgl. VwGH Fr 2016/21/0020), und ist in erster Linie in Fällen schwerer Kriminalität anzuwenden (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1).
Da sich die BF erst seit kurzem im Bundesgebiet aufhält, ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) anzuwenden. Ihr Verhalten erfüllt diesen Gefährdungsmaßstab nicht, zumal sie bislang strafgerichtlich völlig unbescholten ist. Als Arbeitnehmerin ist sie in Österreich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigt; dementsprechend wurde ihr mittlerweile auch eine Anmeldebescheinigung ausgestellt.
Zwar kann ein Fehlverhalten auch dann zur Beurteilung der für ein Aufenthaltsverbot erforderlichen Gefährdungsprognose herangezogen werden, wenn es (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat. Ein solches Vorgehen verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung, erfordert jedoch entsprechende, in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren getroffene Feststellungen zum Fehlverhalten selbst und nicht bloß zu einer allenfalls bestehenden, nicht weiter verifizierten Verdachtslage (siehe VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0349 und 25.07.2023, Ra 2023/20/0088).
Hier gründen die vom BFA gegen die BF erhobenen, allenfalls strafrechtlich relevanten Vorwürfe auf einer (noch) nicht verifizierten Verdachtslage, zumal sie sich bislang nicht geständig zeigte und auch eine plausible Erklärung für ihre Involvierung anbot. Das BFA hat zu den gegen Vorwürfen keine näheren Ermittlungen durchgeführt.
Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen die BF somit nicht erfüllt sind, ist Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben, zumal auch die Tatbestandserfordernisse für die Erlassung einer (von der erstinstanzlichen Entscheidung des BFA umfassten) Ausweisung nach § 66 FPG nicht erfüllt sind, weil die BF gemäß § 51 Abs 1 Z 1 NAG unionsrechtlich aufenthaltsberechtigt ist und von ihr keine (erkennbare) Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgeht. Dies bedingt auch die Aufhebung der auf der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aufbauenden Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids (Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs und Aberkennung der aufschiebenden Wirkung).
Sollte die BF in Zukunft in Österreich wegen entsprechend schwerwiegender Taten bestraft werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots oder einer Ausweisung gegen sie neuerlich zu prüfen sein.
Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid zur Gänze zu beheben ist, entfällt die beantragte mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG.
Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Erstellung einer Gefährdungsprognose ist im Allgemeinen nicht revisibel (vgl. VwGH Ra 11.05.2017, 2016/21/0022). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender VwGH-Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüberhinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.
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