Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision des C B in L, vertreten durch Mag. Dr. Martin Enthofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Promenade 16/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 2023, W123 2251406 2/2E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
I. zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird hinsichtlich der Abweisung der Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit seiner Abschiebung in die DR Kongo, sowie die festgelegte Frist zur freiwilligen Ausreise wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision als unzulässig zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der DR Kongo, stellte am 16. August 2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und brachte als Fluchtgrund zusammengefasst vor, er habe im Februar 2018 gegen den seinerzeitigen Präsidenten der DR Kongo (Kabila) demonstriert und sei Zeuge der Ermordung eines Mitdemonstranten durch eine Polizistin geworden. Er fürchte nun um sein Leben, weil er sich von der kongolesischen Polizei unter Druck gesetzt fühle.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die DR Kongo zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
3 Begründend führte das BVwG aus, das gesamte Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei aus den vom BFA dargestellten Gründen nicht glaubhaft, weshalb ihm weder Asyl noch subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 lägen nicht vor.
4 Zur Rückkehrentscheidung stellte das BVwG fest, der Revisionswerber halte sich seit Oktober 2019 im Bundesgebiet auf und verfüge hier weder über Familienangehörige noch sonstige enge Bezugspersonen. Er arbeite seit Oktober 2022 als Hilfskoch, sei ehrenamtlich für die Caritas tätig und verfüge über gute Deutschkenntnisse. Er sei gesund und arbeitsfähig sowie strafrechtlich unbescholten. Rechtlich folgerte das BVwG, der Revisionswerber verfüge in Österreich über kein schützenswertes Familien und Privatleben. Soweit in der Beschwerde erstmals vorgebracht werde, er lebe seit September 2022 in einer Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin, ändere dies wegen seines unsicheren Aufenthaltsstatus nichts. Zudem könne in Anbetracht der kurzen Dauer der Beziehung nicht angenommen werden, dass eine so enge persönliche Bindung bestehe, dass dadurch ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK begründet worden sei. Es werde auch nicht verkannt, dass der Revisionswerber über gute Deutschkenntnisse verfüge, sich ehrenamtlich engagiere und als Hilfskoch arbeite. Darin liege aber noch kein Überwiegen der persönlichen Interessen des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen öffentlichen Interessen.
5 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit (und in der Sache) eine Verletzung des Unmittelbarkeitsprinzips sowie der Verhandlungspflicht durch das BVwG geltend macht.
6 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist teilweise zulässig und begründet.
Zur Unzulässigkeit der Revision in Bezug auf die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz und die Nichtgewährung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Hat das Verwaltungsgericht wie im vorliegenden Fall im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird.
12 Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen.
13 In der demnach für die Zulässigkeit der Revision allein maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung wird vorgebracht, der Revisionswerber habe keinen der mit seiner Asylrechtsangelegenheit befassten Amtspersonen bzw. Richter jemals persönlich zu Gesicht bekommen. Der verwaltungsbehördliche Bescheid sei nicht von jenem Organ des BFA erlassen worden, das ihn einvernommen habe, wodurch gegen das Unmittelbarkeitsprinzip verstoßen worden sei. Das BVwG habe zu Unrecht die Verhandlung unterlassen. Dies habe zur Folge gehabt, dass der Revisionswerber von keiner der in seiner Asylsache entscheidenden Personen einvernommen worden sei, ihm in den Entscheidungen jedoch rechtswidriger Weise die Glaubwürdigkeit abgesprochen werde.
14 Dem ist zu erwidern, dass es anders als in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten (vgl. § 25 Abs. 7 VwGVG) im verwaltungsbehördlichen Verfahren vor dem BFA nicht zwingend erforderlich ist, dass das einvernehmende Organ zugleich auch das zur Entscheidung berufene Organ ist (vgl. dazu VwGH 12.10.2016, Ra 2016/18/0119, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Ein Verstoß gegen das Unmittelbarkeitsprinzip liegt hinsichtlich des Verfahrens vor dem BFA somit nicht vor.
15 Was die Frage der Verhandlungspflicht des BVwG in Bezug auf den Antrag auf internationalen Schutz und die Nichtgewährung des Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 betrifft, ist zunächst auf die ständige hg. Rechtsprechung zum auch hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 erster Fall BFA VG zu verweisen, wonach ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt ist, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. dazu grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018).
16 Im gegenständlichen Verfahren hat das BFA in seinem Bescheid ausführlich dargestellt, warum es dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers keinen Glauben schenkte. Es bezog sich dabei tragend auf zahlreiche objektive Widersprüche und Ungereimtheiten in seiner Aussage. Außerdem verneinte es fallbezogen die Voraussetzungen für die Gewährung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005. Der nachvollziehbaren Beweiswürdigung wurde in der Beschwerde an das BVwG nicht substantiiert entgegengetreten. Die Beschwerde enthielt auch keine Ausführungen, aufgrund derer ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 in Frage käme. Das BVwG schloss sich in der angefochtenen Entscheidung den Erwägungen des BFA an. Ausgehend davon zeigt die Revision nicht auf, dass das BVwG von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Verhandlungspflicht in Bezug auf die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz und die Nichtgewährung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 abgewichen wäre.
17 Die Revision war daher in diesem Umfang mangels Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Zur Zulässigkeit und Begründetheit der Revision in Bezug auf Rückkehrentscheidung, Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und Festlegung der Frist zur freiwilligen Ausreise
18 Zulässig und begründet ist die Revision insoweit, als sie die unterbliebene Verhandlung in Bezug auf die Rückkehrentscheidung geltend macht. Diesbezüglich führt die Revision aus, das BVwG sei ohne Einvernahme des Revisionswerbers oder seiner Lebensgefährtin, die er zwischenzeitlich geheiratet habe, davon ausgegangen, dass zwischen ihnen keine enge persönliche Beziehung bestehe, die ein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK begründe.
19 Damit ist die Revision im Recht: Das BFA war in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass der Revisionswerber in Österreich über keine privaten oder familiären Bindungen verfügt. Das Vorbringen des Revisionswerbers in der Beschwerde an das BVwG, seit September 2022 in Lebensgemeinschaft mit einer näher bezeichneten österreichischen Staatsbürgerin zu leben, deren Einvernahme im Rahmen einer mündlichen Verhandlung auch beantragt wurde, war daher ein neuer Sachverhalt, der in die Erwägungen des BVwG einzubeziehen war, zumal das BVwG die Voraussetzungen für die Annahme eines Verstoßes gegen das Neuerungsverbot gemäß § 20 BFA VG fallbezogen auch zutreffend nicht in Erwägung zog. Die Verhandlung konnte auch nicht deshalb entfallen, weil der neue Sachverhalt in keinem Fall zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte führen können. Die Begründung des BVwG, die Beziehung zwischen dem Revisionswerber und seiner Partnerin (nunmehrigen Ehefrau) könne aufgrund der kurzen Zeit der Lebensgemeinschaft nicht so eng sein, dass sie ein (schützenswertes) Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK begründe, ist in dieser Allgemeinheit ohne Kenntnis der näheren Umstände dieser Beziehung nicht nachvollziehbar und rechtfertigte die Abstandnahme von der mündlichen Verhandlung (zwecks Einvernahme des Revisionswerbers und seiner Partnerin) nicht.
20 Das angefochtene Erkenntnis war deshalb in Bezug auf die Rückkehrentscheidung, die damit gemäß § 52 Abs. 9 FPG verbundene Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die darauf gemäß § 55 Abs. 1 FPG aufbauende Festlegung der Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
21 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 5. September 2023