Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätinnen Dr. Wiesinger und Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des C B, vertreten durch Mag. Dr. Martin Enthofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Promenade 16/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. März 2024, W123 2251406 2/18E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der 1990 geborene Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo, hält sich seit Oktober 2019 in Österreich auf. Er war von 28. April 2023 bis 29. Februar 2024 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und im Zeitraum von Oktober 2022 bis März 2023 aufgrund einer Beschäftigungsbewilligung als Hilfskoch erwerbstätig. In seinem Herkunftsstaat wo auch ein minderjähriger Sohn des Revisionswerbers bei seinen Eltern und eine Schwester leben hatte er nach zwölfjähriger Schulausbildung ein vierjähriges Studium der Elektrotechnik absolviert und war bis zu seiner Ausreise als Elektrotechniker bzw. Elektriker berufstätig.
2Der Revisionswerber hatte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 24. Oktober 2019 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der mit dem seit 5. Februar 2020 rechtskräftigen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gemäß § 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wurde. Unter einem wurde festgestellt, dass Italien für die Führung des Asylverfahrens zuständig sei, und eine Anordnung zur Außerlandesbringung gegen den Revisionswerber erlassen.
3 Der in Österreich verbliebene und für die Behörden nicht greifbar gewesene Revisionswerber stellte am 16. August 2021 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, der letztlich im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 27. April 2023 zur Gänze rechtskräftig abgewiesen wurde. Unter einem erließ das BVwG gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit seiner Abschiebung in die Demokratische Republik Kongo fest und gewährte ihm eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise.
4Die Rückkehrentscheidung (samt den erwähnten Nebenaussprüchen) wurde mit dem Erkenntnis VwGH 5.9.2023, Ra 2023/18/0203, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben, weil das BVwG ohne Einvernahme des Revisionswerbers und seiner (damaligen) österreichischen Lebensgefährtin, die er mittlerweile (am 28. April 2023) geheiratet hatte, davon ausgegangen war, zwischen ihnen habe keine enge persönliche Beziehung bestanden, die ein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK begründe. Im Übrigen wurde die Revision zurückgewiesen.
5 Das BVwG führte im fortgesetzten Verfahren am 25. Jänner 2024 eine mündliche Verhandlung durch, in deren Rahmen der Revisionswerber einvernommen wurde. Der Rechtsvertreter des Revisionswerbers beantragte die Ladung und Einvernahme auch der Ehefrau des Revisionswerbers und ersuchte um Gewährung einer einwöchigen Frist zur Bekanntgabe ihrer aktuellen Zustelladresse.
6 Mit Schreiben vom 28. Jänner 2024 teilte die Ehefrau des Revisionswerbers durch ihren anwaltlichen Vertreter im Scheidungsverfahren dem BVwG mit, dass sie sich aus näher genannten Gründen vom Revisionswerber scheiden lassen werde. Sie habe sich seit der Eheschließung nur gelegentlich an ihrem an der Adresse der Ehewohnung gemeldeten Hauptwohnsitz aufgehalten, sodass von einem Zusammenleben keine Rede sein könne. Seit Monaten bestehe keine Kommunikation zwischen ihr und dem Revisionswerber. Die Scheidungsklage werde in den nächsten Tagen beim zuständigen Bezirksgericht eingebracht werden.
7 In der Folge wurde die Ehe des Revisionswerbers (aus gleichteiligem Verschulden an der Zerrüttung der Ehe) mit Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 29. Februar 2024 rechtskräftig geschieden.
8 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 8. März 2024 wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers, soweit sie noch unerledigt war (s. Rn. 4), (neuerlich) als unbegründet ab. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
10 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
12 Zur Begründung der Zulässigkeit seiner Revision wendet sich der Revisionswerber gegen die vom BVwG durchgeführte Interessenabwägung und bringt dazu zusammengefasst vor, er sei in der Vergangenheit durch seine berufliche Tätigkeit und die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin in Verbindung mit den „nahezu perfekten“ Deutschkenntnissen bereits „vollständig“ in die österreichische Gesellschaft integriert gewesen. Weder der Verlust seines Arbeitsplatzes noch die Ehescheidung seien in der Verantwortung des Revisionswerbers gelegen, sodass die bereits erlangten Integrationsschritte weiterhin Berücksichtigung finden müssten, lägen doch beim Revisionswerber sowohl Integrationswille als auch Integrationsfähigkeit vor.
13 Dem ist zu erwidern, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage beruht und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgt ist nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 BVG ist (vgl. etwa VwGH 27.9.2023, Ra 2023/21/0077, Rn. 12, mwN).
14 Zudem hat der Verwaltungsgerichtshof schon klargestellt hat, dass von einem durch die Rückkehrentscheidung bewirkten unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Privatund Familienleben nach Art. 8 EMRK bei einem wie hier bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisseserst viereinhalbjährigen Aufenthalt nur dann auszugehen ist, wenn in Bezug auf die Integration des Fremden eine „außergewöhnliche Konstellation“ vorliegt (vgl. etwa VwGH 23.5.2024, Ra 2023/21/0058, Rn. 8 iVm Rn. 11, mwN).
15 Das vom BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erzielte Ergebnis insbesondere die Annahme des Fehlens einer solchen „außergewöhnlichen Konstellation“ ist aber jedenfalls vertretbar. Das BVwG hat dabei im Rahmen der nach § 9 BFA VG vorgenommenen Interessenabwägung ausreichend auf sämtliche für den Revisionswerber sprechenden Aspekte insbesondere seine auf Grundlage einer Beschäftigungsbewilligung ausgeübte Erwerbstätigkeit, sein ehrenamtliches Engagement, seine guten Sprachkenntnisse und sozialen Kontakte Bedacht genommen. Zu Recht hat es diese integrationsbegründenden Umstände aber dadurch als relativiert erachtet, dass der Revisionswerber während seines Aufenthalts für eineinhalb Jahre im Verborgenen lebte und für die Behörden nicht erreichbar war, womit er den fristgerechten Vollzug der rechtskräftig erlassenen Anordnung zur Außerlandesbringung nach Italien unterlaufen hat. Außerdem durfte vom BVwG zu Lasten des Revisionswerbers im Sinne der Z 8 des § 9 Abs. 2 BFA VG berücksichtigt werden, dass sich sein vorübergehend rechtmäßiger Aufenthalt nur auf (wiederholt gestellte, unberechtigte) Anträge auf internationalen Schutz stützte. Des Weiteren stand im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses nur mehr ein Eingriff in das Privatleben des Revisionswerbers, nicht aber in ein Familienleben zur Debatte. Demgegenüber verfügt der Revisionswerber wie das BVwG unter dem Gesichtspunkt der Z 5 des § 9 Abs. 2 BFA VG ebenfalls zutreffend einbezog über starke Bindungen zu seinem Herkunftsstaat, wo sein minderjähriger Sohn bei seinen Eltern und seine Schwester leben, er den Großteil seines Lebens verbrachte, seine Ausbildung absolvierte und über mehrere Jahre erwerbstätig war. All das wird in der Revision außer Acht gelassen.
16 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 18. Dezember 2024