JudikaturBVwG

W252 2293483-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
13. Juni 2025

Spruch

W252 2293483-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Elisabeth SCHMUT LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX StA. Syrien, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.03.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Die Beschwerde wird abgewiesen.

B) Die Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in Folge: „BF“), ein männlicher Staatsangehöriger Syriens, stellte am 21.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des BF statt. Dabei gab der BF zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er 2017 ein zweites Mal zum Militärdienst einberufen worden sei, weil er sich geweigert habe, sei er ein Jahr inhaftiert worden. Nach der Entlassung hätte er sich erneut bei der Militärpolizei melden sollen, da er dies nicht wollte, sei er geflüchtet.

3. Am 18.10.2023 fand eine schriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Wobei er zu seinen Fluchtgründen angab, dass er beim Reservemilitärdienst gewesen sei, einen Befehl zur Teilnahme an Kriegshandlungen abgelehnt habe und deshalb inhaftiert worden sei. Am 18.12.2020 habe er Urlaub bekommen und habe bei seiner Familie eine Ladung für die Hauptverhandlung bekommen die einen Monat später stattfinden hätte sollen, er hätte dabei zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt werden können, deshalb sei er aus Syrien in die Türkei geflohen.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29.03.2024 wies das Bundesamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Es erteilte dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt II. und III.).

Begründend zu Spruchpunkt I. führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der BF habe keine Umstände vorbringen können, die eine Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention erkennen lassen.

5. Der BF erhob gegen Spruchpunkt I. des Bescheides fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass das reale Risiko bestehe, dass ihm von Seiten der syrischen (Assad-)Regierung eine oppositionelle Gesinnung zumindest unterstellt wird und/oder er von der syrischen Armee zwangsweise zum Militär eingezogen werde und er im Falle der Weigerung mit unverhältnismäßiger Bestrafung zu rechnen habe.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.01.2025 eine mündliche Verhandlung durch. Im Zuge der Ladung zur Verhandlung wurde den Parteien das einschlägige Länderberichtsmaterial (Länderinformation des CMS-COI zu Syrien, Version 11, vom 27.03.2024) vorgehalten und die Möglichkeit gegeben, eine Stellungnahme abzugeben. Es langte keine Stellungnahme ein.

7. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte mit Parteiengehör vom 25.04.2025 einen weiteren Länderbericht zur Stellungnahme (ACCORD Anfragebeantwortung vom 21.03.2025). Eine Stellungnahme langte nicht ein.

8. Mit Parteiengehör vom 09.05.2025 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht das neueste einschlägige Länderberichtsmaterial (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation –Syrien, Version 12, 08.05.2025) zur Stellungnahme. Eine Stellungnahme langte nicht ein.

Beweis wurde aufgenommen durch: Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt des BF sowie insbesondere durch die mündliche Einvernahme des BF.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX Er ist syrischer Staatsangehöriger, sunnitischer Moslem, gehört zur Volksgruppe der Araber und spricht Arabisch als Muttersprache. Er ist ledig, in keiner Lebensgemeinschaft und hat keine Kinder (AS 19ff, 63ff, 68, 70, OZ 6, S 6).

Der BF ist in XXXX , in der Stadt XXXX geboren und in XXXX , Gouvernement Rif Dimaschq (Damaskus Umland) aufgewachsen. Er absolvierte acht Schuljahre in Syrien und arbeitete als Fliesenleger, Maler und auf Baustellen. Von 2008 bis 2017 arbeitete der BF im Verteidigungsministerium – Institut Wissenschaftliche Studien und Forschungen, Abteilung allgemeine Beziehungen, wobei es seine Aufgabe war Delegationen vom Flughafen in das Institut zu bringen. Ende 2020 reiste der BF aus Syrien in die Türkei aus (AS 19ff, 66, 72ff, OZ 6, S7, S 10).

Der Vater des BF ist verstorben, die Mutter lebt mit den Kindern einer verstorbenen Schwester weiterhin im Heimatort des BF. Ein Bruder und zwei Schwestern des BF leben in Jordanien, ein weiterer seit 2014 in Deutschland (AS 22, 67, OZ 6, S 7).

Der BF stellte am 21.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Bescheid vom 29.03.2024 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (AS 19ff, 109ff).

Der BF wurde wegen §§ 127, 129 (1) Z 2 StGB rechtskräftig verurteilt (OZ 5).

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Der Heimatort des BF steht unter der Kontrolle der Übergangsregierung.

Das syrische Regime unter Baschar al-Assad wurde am 08.12.2024 gestürzt. Das syrische Regime bzw dessen Sicherheitsbehörden existieren nicht mehr und können weder Verhaftungen, noch Zwangsrekrutierungen durchführen.

Der BF kann in seinen Heimatort zurückkehren ohne dass er in Kontakt mit vom Iran unterstützten Milizionären, wie der Hizbollah, treten muss.

Der BF hat keine oppositionelle Gesinnung gegenüber der neuen Übergangsregierung und ihm wird eine solche auch nicht unterstellt.

Dem BF ist eine Rückkehr in seine Heimatregion möglich.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

Aus den ins Verfahren eingeführten Länderinformationen:

Länderinformationsblatt der Staatendokumention –Syrien, Version 12, 08.05.2025

ACCORD Anfragebeantwortung vom 21.03.2025: Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen

Kurzinformation der Staatendokumentation, Syrien, Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht, 10.12.2024

Länderinformation des CMS-COI zu Syrien, Version 11, vom 27.03.2024

UNHCR: UNHCR Position On Returns To The Syrian Arab Republic, Dezember 2024

UNHCR: Regional Flash Update #4, 16.12.2024

ACCORD: Syrien-Länderseite auf ecoi.net, Stand 13.01.2025

ergibt sich Folgendes:

Länderinformationsblatt der Staatendokumention –Syrien, Version 12, 08.05.2025

Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)

Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen (AJ 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt (VB Moskau 10.12.2024). Er hatte das Land seit 2000 regiert, nachdem er die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad übernommen hatte, der zuvor 29 Jahre regiert hatte (BBC 8.12.2024a). Er kam mit der Baath-Partei an die Macht, die in Syrien seit den 1960er-Jahren Regierungspartei war (NTV 9.12.2024). Bashar al-Assad hatte friedliche Proteste gegen sein Regime im Jahr 2011 gewaltsam unterdrückt, was zu einem Bürgerkrieg führte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen (BBC 8.12.2024a). Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt (BBC 9.12.2024). [Details zur Offensive bzw. zur Hay'at Tahrir ash-Sham finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (8.12.2024) Anm.] Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay'at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt (Al-Monitor 8.12.2024). Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich (BBC 8.12.2024b), etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS (Tagesschau 8.12.2024). Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara'a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein (Al-Monitor 8.12.2024). Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations - DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024).

[…]

Der HTS-Anführer Mohammed al-Joulani, der mittlerweile anstelle seines Kampfnamens seinen bürgerlichen Namen Ahmad ash-Shara' verwendet (Nashra 8.12.2024), traf sich am 9.12.2024 mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Vizepräsidenten von al-Assad, um die Modalitäten für eine Machtübergabe zu besprechen (DW 10.12.2024). Bis zu ihrer Übergabe blieben die staatlichen Einrichtungen Syriens unter seiner Aufsicht (REU 8.12.2024). Die Macht des Assad-Regimes wurde auf ein Übergangsgremium übertragen, das vom Premierminister der SSG, Mohammed al-Bashir, geleitet wurde (MEI 9.12.2024). Al-Bashir kündigte am ersten Tag seiner Ernennung an, dass die Prioritäten seiner Regierung folgende seien: Gewährleistung von Sicherheit, Bereitstellung von Dienstleistungen und Aufrechterhaltung der staatlichen Institutionen. (AJ 27.1.2025a). Am 29.1.2025 wurde de-facto-Herrscher Ahmed ash-Shara' zum Übergangspräsidenten ernannt (Standard 29.1.2025).

Am 29.1.2025 versammelten sich die Führer der militärischen Gruppierungen, die an der militärischen Kampagne zum Sturz Assads beteiligt waren, zu einer Zeremonie im Präsidentenpalast, um den Sieg zu erklären. In der Siegeserklärung kündigten sie neun Schritte an, die in drei Hauptthemen unterteilt sind, wie beispielsweise: 1. Füllen des Machtvakuums durch die Annullierung der Verfassung von 2012, die Aussetzung aller Ausnahmegesetze, die Auflösung der während der Zeit des vorherigen Regimes gebildeten Volksversammlung und aller aus ihr hervorgegangenen Komitees und die Ernennung des Befehlshabers des militärischen Operationskommandos, Ahmed ash-Shara', zum Präsidenten des Landes während der Übergangszeit. Bei der Zeremonie wurde die Auflösung von vier Institutionen, welche die Säulen der Herrschaft und Kontrolle des früheren Regimes darstellten und die Schaffung eines neuen Regimes behindern, angekündigt, nämlich: die Armee, die Sicherheitsdienste mit ihren verschiedenen Zweigen und alle damit verbundenen Milizen, die Arabische Sozialistische Ba'ath-Partei, die Parteien der Nationalen Progressiven Front und die ihnen angeschlossenen Organisationen, Institutionen und Komitees und das Verbot ihrer Wiedererrichtung auch unter einem anderen Namen und Rückgabe ihrer Vermögenswerte an den syrischen Staat (AJ 31.1.2025a). Die Ba'ath-Partei des gestürzten syrischen Machthabers Bashar al-Assad stellte nach eigenen Angaben mit 12.12.2024 sämtliche Aktivitäten ein. Dies gelte bis auf Weiteres, hieß es in einer auf der Website der Parteizeitung veröffentlichten Erklärung. Die Vermögenswerte und die Gelder der Partei würden unter die Aufsicht des Finanzministeriums gestellt, Fahrzeuge und Waffen sollen nach Parteiangaben an das Innenministerium übergeben werden. Die Ba'ath-Partei war seit 1963 in Syrien an der Macht (Tagesschau 12.12.2024). Viele Mitglieder der Parteiführung sind untergetaucht und einige aus dem Land geflohen. In einem symbolischen Akt haben die neuen Machthaber Syriens das ehemalige Hauptquartier der Partei in Damaskus in ein Zentrum umgewandelt, in dem ehemalige Mitglieder der Armee und der Sicherheitskräfte Schlange stehen, um sich registrieren zu lassen und ihre Waffen abzugeben (AP 30.12.2024). Am 11.2.2025 gab das Präsidialamt bekannt, dass die wichtigsten Oppositionsgremien Syriens, die im Exil tätig waren, Damaskus die von ihnen bearbeiteten Akten übergeben haben, als Teil der Bemühungen, die während des Konflikts gebildeten Institutionen „aufzulösen“. Dieser Schritt kommt der Abschaffung der wichtigsten unbewaffneten Oppositionsgruppen Syriens gleich und erinnert an ash-Shara's Versuch, alle bewaffneten Gruppen aufzulösen und in die Armee zu integrieren (FR24 12.2.2025). Für die in den Kriegsjahren im und aus dem Ausland tätige Opposition hat man nur Geringschätzung (SYRDiplQ1 5.2.2025).

Während ash-Shara' ein gewisses Maß an Pragmatismus gezeigt hat, insbesondere im Umgang mit lokalen Gemeinschaften, sind die Strukturen der Übergangsregierung nach wie vor zentralisiert und hierarchisch, wobei die Macht in einem kleinen Führungskreis konzentriert ist. Dies schränkt die Möglichkeiten für eine integrative Entscheidungsfindung ein und verstärkt die Wahrnehmung der Ausgrenzung von Minderheiten und Frauen (AC 20.12.2024). HTS hat in Idlib einerseits bemerkenswerte Zugeständnisse an die lokale Bevölkerung gemacht. So erlaubte sie beispielsweise Christen, Gottesdienste abzuhalten und Frauen, Universitäten zu besuchen und Autos zu fahren – Maßnahmen, die angesichts der radikalen dschihadistischen Vergangenheit der Gruppe bemerkenswert sind. Darüber hinaus hat HTS Zivilisten in seine Regierungsverwaltung integriert und einen technokratischen Regierungsstil eingeführt, selbst in sensiblen ideologischen Bereichen wie Bildung und Religion, in denen die Gruppe ursprünglich ausschließlich eigenes Personal ernennen wollte. Andererseits ist die mangelnde Bereitschaft, politische Opposition zuzulassen, nach wie vor besorgniserregend. In Idlib hat HTS nach und nach die Macht monopolisiert und agierte praktisch als Einparteienstaat. Politische Opposition und zivilgesellschaftlicher Aktivismus wurden unterdrückt (DIIS 16.12.2024). Zu den ersten Entscheidungen der Übergangsregierung unter al-Bashir gehörten die Entsendung von Polizeikräften in Großstädte und das Verbot von Rauchen und Alkoholkonsum (MAITIC 17.12.2024). Der HTS wurden unter anderem von Human Rights Watch, immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Oppositionelle, Frauen und religiöse Minderheiten vorgeworfen. Es kam auch zu groß angelegten Protesten gegen die HTS und ihren Anführer, ash-Shara' (Rosa Lux 17.12.2024). Laut Terrorismusexperte Peter Neumann haben die Kämpfer der HTS für ein islamistisches Regime gekämpft. Er hält es für möglich, dass es zu einer Opposition in der eigenen Bewegung kommen könnte (Spiegel 11.12.2024). Auch Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler spricht von Videos von Personen aus dem Umfeld der HTS, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024). Alberto M. Fernandez, Vizepräsident des Middle East Media Research Institutes, wiederum sieht nicht so sehr die Gefahr, dass Syrien nun ein islamischer Staat sein wird, sondern dass es ein gescheiterter Staat sein wird. Die Gefahr besteht eher darin, dass die Anarchie die Oberhand gewinnt und nicht das Scharia-Recht. Dennoch sehen auch sie, al-Shara', seine Organisation die HTS und viele ihrer Verbündeten als Hardcore-Islamisten. Der beste Vergleich sind nicht der Islamische Staat (IS) und al-Qaida, sondern die Taliban und die Hamas, politische Projekte, die sowohl islamistisch als auch nationalistisch sind (MEMRI 9.12.2024). Etwa 70 % der syrischen Bevölkerung sind sunnitische Muslime, darunter auch Kurden, die etwa 10 % der Bevölkerung ausmachen. Die arabischen Sunniten sind sich jedoch in ihren Zielen nicht einig, und viele wünschen sich für die Zukunft Syriens keinen islamischen Staat (SWI 13.2.2025). [Informationen zu ethnischen und religiösen Minderheiten finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]

Trotz der Kritik ergab eine im März 2025 im Auftrag von „The Economist“ durchgeführte Umfrage, an der 1.500 Syrer aus allen Provinzen und konfessionellen Gruppen des Landes teilnahmen, dass 81 % die Herrschaft von ash-Shara' befürworten. Nur 22 % sind der Meinung, dass seine Vergangenheit als al-Qaida-Führer ihn für eine Führungsrolle disqualifiziert. Eine große Zahl der Befragten gibt an, dass sie seine neue Ordnung als sicherer, freier und weniger konfessionell geprägt empfinden als das Regime von al-Assad. Etwa 70 % sind optimistisch, was die allgemeine Richtung des Landes angeht. Die zufriedenste Provinz ist Idlib, ash-Shara's ehemaliges Machtgebiet, wo 99 der 100 Befragten sich optimistisch äußern. Tartus, wo Anfang März 2025 mehrere Massaker an der alawitschen Minderheit stattgefunden haben, ist die pessimistischste Provinz. Selbst dort gaben 49 % an, optimistisch zu sein, während 23 % sich pessimistisch äußerten. (Economist 2.4.2025).

[…]

Ahmed ash-Shara' wurde 1982 (Rosa Lux 17.12.2024) als Ahmed Hussein ash-Shara' in Saudi-Arabien als Kind syrischer Expatriates geboren. Ende der 1980er-Jahre zog seine Familie zurück nach Syrien (NYT 12.12.2024). Als junger Mann radikalisierte er sich während der blutigen zweiten Intifada, als die israelische Regierung auf palästinensische Selbstmordattentate mit brutaler Gewalt antwortete. Auch der 11.9.2001 prägte ihn (Rosa Lux 17.12.2024). Er ging 2003 in den Irak, um sich al-Qaida anzuschließen und gegen die US-Besatzung zu kämpfen. Arabischen Medienberichten und US-Beamten zufolge verbrachte er mehrere Jahre in einem amerikanischen Gefängnis im Irak. Zu Beginn des Bürgerkriegs tauchte er in Syrien auf und gründete die Jabhat an-Nusra, aus der sich schließlich Hay'at Tahrir ash-Sham entstand (NYT 12.12.2024). 2003 nahm er den Kriegsnamen Abu Mohammad al-Jolani an (Rosa Lux 17.12.2024). In einem vor einigen Jahren mit dem US-amerikanischen Sender PBS geführten Interview gab ash-Shara' zu, dass er bei seiner Rückkehr nach Syrien finanzielle Unterstützung durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) erhielt, der zu diesem Zeitpunkt weite Teile des Iraks und Syriens besetzt hielt (DW 18.12.2024). Im Januar 2017 gründete er mit der HTS ein neues Bündnis verschiedener islamistischer Milizen, das sich dezidiert von der dschihadistischen al-Qaida und ihrem Ziel eines globalen Dschihads gegen den Westen lossagte (Rosa Lux 17.12.2024). Seit dem Bruch mit al-Qaida haben er und seine Gruppierung versucht, internationale Legitimität zu erlangen, indem sie globale dschihadistische Ambitionen ablehnten und sich auf eine organisierte Regierungsführung in Syrien konzentrierten (NYT 12.12.2024). 2013 setzten die USA ihn auf ihre Terrorliste und lobten später sogar ein Kopfgeld in Höhe von zehn Millionen für Hinweise zu seiner Ergreifung aus. 2018 wurde dann auch die HTS von den Vereinigten Staaten als terroristische Vereinigung eingestuft, die Vereinten Nationen folgten (Rosa Lux 17.12.2024)

6 Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)

[…]

Ash-Shara' versprach, dass die bewaffneten Gruppierungen und Milizen entwaffnet würden (HB 16.12.2024), und kündigte an, dass die bewaffneten Gruppierungen aufgelöst und die Kämpfer ausgebildet werden, um in die Reihen des Verteidigungsministeriums einzutreten. Sie werden dem Gesetz unterworfen sein (DW 17.12.2024). Seit Jänner 2025 haben die Interimsministerien für Verteidigung und Inneres zügig daran gearbeitet, alle bewaffneten Gruppen unter einer einzigen, mit dem Staat verbundenen Armee und Polizei zu vereinen. Für diesen Prozess wurde der Oberste Ausschuss für die Regulierung der Streitkräfte eingerichtet, der Waffen, Technologie, Militärstützpunkte und Personal überwachen soll. Ein Ausschuss von Offizieren entwirft derzeit die Struktur der neuen syrischen Armee. Die Regierung hat klargestellt, dass alle militärischen Fraktionen aufgelöst und in staatliche Institutionen integriert werden (TNA 3.2.2025). Der Prozess der Bildung einer neuen Armee für Syrien wird auf der Vereinigung mehrerer bewaffneter Gruppierungen beruhen, die über das ganze Land verteilt sind. Einige dieser Gruppierungen waren in Nord- und Westsyrien aktiv, während andere ihren Einfluss auf Südsyrien konzentriert haben, wie die Achte Brigade unter der Führung des ehemaligen Oppositionskommandeurs Ahmad al-'Awda oder andere Formationen, die in der drusischen Mehrheitsprovinz Suweida eingesetzt werden. Diese Formationen, die sich in der nächsten Phase zu einer einzigen Armee vereinigen sollen, sind jedoch über ihre Visionen und Ziele sowie darüber, woher sie Unterstützung erhalten, zerstritten (AlHurra 12.2.2025). Die HTS verhandelte mit Einheiten der aufgelösten Syrischen Arabischen Armee (SAA) über die Zusammenlegung und Integration in eine neue syrische Armee (ISW 16.12.2024). Der neue syrische Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte für deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln. Die zwei größten drusischen Fraktionen aus der südlichen syrischen Provinz Suweida haben daraufhin ihre Bereitschaft erklärt, sich der neuen syrischen Armee anzuschließen (AlHadath 7.1.2025). Die richtungsweisende Entscheidung, die bewaffneten Gruppierungen unter einer einzigen nationalen Armee zusammenzufassen, wurde während eines hochrangigen Treffens in Damaskus formalisiert. Die neu vereinte Truppe wird dem Verteidigungsministerium unterstellt sein und darauf abzielen, die militärische Führung zu zentralisieren und die Ordnung wiederherzustellen. Das Abkommen umfasst nicht alle Fraktionen. Gruppierungen, die in südlichen Regionen wie Dar'aa, Quneitra und Suweida operieren, sowie in at-Tanf stationierte, von den USA ausgebildete Truppen bleiben außerhalb des Geltungsbereichs. Auch die kurdisch dominierten SDF fallen nicht unter das Abkommen. Pläne für eine umfassendere Integration sollen nach dem Ende der Amtszeit der Übergangsregierung im März umgesetzt werden (TR-Today 8.1.2025). Dem syrischen Verteidigungsminister zufolge waren die bewaffneten Gruppen bereit, sich der neuen Militärstruktur anzuschließen. Das syrische Verteidigungsministerium berichtete, dass die neue syrische Regierung mit Vertretern von mehr als 60 bewaffneten Gruppierungen zusammengetroffen sei, die sich bereit erklärt hätten, sich in das neue Verteidigungsministerium zu integrieren. Es wurde ein Ausschuss eingerichtet, um eine einheitliche Datenbank der Streitkräfte zu erstellen, die Informationen über die Humanressourcen (Offiziere, Unteroffiziere, Soldaten und akademisches Personal) und über militärische Vermögenswerte (Hauptquartiere, Technologie und Waffen) enthalten soll. Die Informationen würden der Führung des Verteidigungsministeriums vorgelegt, gefolgt von Treffen mit den bewaffneten Organisationen, um die Struktur der Sicherheitskräfte festzulegen und Kommandeure zu ernennen (MAITIC 23.1.2025). Die Bewegung der syrischen Oppositionsfraktionen gegen Assad war schon immer zersplittert, und es gibt eine lange Geschichte von gescheiterten Vereinigungsprojekten, sowohl im Norden als auch im Süden des Landes. Nach dem Sturz von al-Assad hat sich die Lage geändert, aber die Probleme sind nicht völlig verschwunden (AlHurra 12.2.2025). Der Übergangsregierung ist es gelungen, von bewaffneten Gruppen im ganzen Land (mit Ausnahme von Suweida) vorsichtige Zugeständnisse zu erwirken. Die Bildung einer Süddivision deutet darauf hin, dass sie an einer vorübergehenden Lösung gegenüber dem geschäftsführenden Verteidigungsministerium interessiert ist: Bisher scheinen nicht zu HTS gehörende bewaffnete Gruppen bereit zu sein, mit dem Ministerium zusammenzuarbeiten, ohne jedoch ihre Organisationsstrukturen und geografischen Einflusszonen aufzugeben oder sich entwaffnen zu lassen. Tatsächlich werden die Brigaden der Süddivision die Spaltungen, die den Süden seit Jahren prägen – zwischen dem östlichen und westlichen Dara'a, zwischen Dara'a und Suweida und zwischen konkurrierenden Gruppierungen untereinander – aufrechterhalten (Etana 22.2.2025). Obwohl ash-Shara' Fortschritte bei der Bildung eines Verteidigungsministeriums nach al-Assad unter der Kontrolle der von HTS geführten Behörden in Damaskus signalisiert hat, gibt es über Erklärungen gegenüber den Medien und Diplomatenbesuchen hinaus kaum Anzeichen für praktische Fortschritte. Da es keinen transparenten Plan für die Bildung eines neuen Verteidigungsministeriums gibt, haben ehemalige Oppositionsfraktionen ihre Waffen nicht abgegeben (Etana 10.1.2025). Übergangspräsident ash-Shara' und Verteidigungsminister Abu Qasra haben sich noch nicht mit den Einzelheiten befasst, wie diese Armee von innen aussehen wird und ob das neue syrische Verteidigungsministerium in der Lage ist, eine vollständige Harmonie zwischen den Fraktionen und Kämpfern zu erreichen (AlHurra 12.2.2025).

[…]

Außenpolitische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)

Dem Assad-Regime war die Unterstützung aus dem Ausland weggebrochen: Die libanesische Hizbullah wurde im Krieg mit Israel stark dezimiert. Iran musste ebenfalls schwere Schläge gegen seine Militärführung in Syrien durch Israel einstecken.

[…]

Iran

Dank der umfassenden Zusammenarbeit mit dem Assad-Regime, die durch die iranische Intervention im Jahr 2013 aufrechterhalten werden konnte, hatte das Korps der Islamischen Revolutionsgarden – Quds Force (IRGC-QF) eine bedeutende militärische Produktions- und Umschlaginfrastruktur im Land aufgebaut, die in erster Linie der Bewaffnung und Stärkung der libanesischen Hizbollah diente (Soufan 16.12.2024). Während das frühere Regime eine enge Allianz mit Iran pflegte, ist das Verhältnis der neuen Machthaber zu Teheran deutlich komplexer und fragmentierter. Einige islamistische Gruppen haben weiterhin Verbindungen zu Iran, während andere versuchen, sich von der schiitischen Einflussnahme zu distanzieren und stattdessen enge Beziehungen zur Türkei oder zu sunnitischen Golfstaaten aufzubauen. Dies führt zu internen Spannungen innerhalb der neuen syrischen Führung und erschwert eine klare außenpolitische Ausrichtung. Iran hat an Einfluss verloren, da viele islamistische Gruppierungen Teheran als zu dominant betrachten und sich gegen dessen anhaltende Präsenz in Syrien wenden. Dies hat zu Konflikten zwischen pro-iranischen Milizen wie der Hizbollah und den neuen Machthabern geführt, insbesondere in Gebieten wie Deir ez-Zour und dem Süden Syriens. Seit dem Sturz al-Assads hat Iran seine Vermögenswerte in Syrien weitgehend evakuiert, wodurch die Islamische Republik als bedeutender Akteur in der Innenpolitik Syriens im Wesentlichen ausgeschaltet wurde (Soufan 16.12.2024).

[…]

Ausländische Unterstützung bzw. Einmischung - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)

Seit Beginn des Krieges stützte sich die Regierung al-Assads bei Kampfeinsätzen und zur Verteidigung von Gebieten auf die libanesische Hizbollah sowie auf Iran und von Iran unterstützte irreguläre Kräfte. Seit 2011 stellte Iran Militärberater und Kampftruppen des Korps der Iranischen Revolutionsgarden sowie nachrichtendienstliche, logistische, materielle, technische und finanzielle Unterstützung bereit. Er hatte schiitische Milizen bzw. paramilitärische Einheiten finanziert, ausgebildet, ausgerüstet und angeführt, die sowohl aus syrischem als auch aus nicht-syrischem Personal bestehen, hauptsächlich aus Afghanistan, dem Irak und Pakistan (CIA 31.7.2024). Iran soll Milliarden Dollar ausgegeben haben, um al-Assad zu unterstützen. Zu den von Iran entsandten schiitischen Kämpfern gehörten hauptsächlich die Hizbollah (neben anderen Bewegungen aus dem Libanon, dem Irak, Afghanistan und dem Jemen). Seit dem Konflikt mit Israel im Libanon war die Hizbollah stark geschwächt (BBC 10.12.2024). Israel setzt seine Luftangriffe auf iranische Stellungen in Syrien fort, weil Teheran weiterhin versucht, strategische Stellungen und Waffenlager zu halten (VB Amman 9.2.2025).

Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024)

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Die syrische Übergangsregierung unter ash-Shara’ hat zugesagt, dass die Verantwortlichen für Gewalttaten gegen Syrer durch das gestürzte Assad-Regime zur Rechenschaft gezogen werden. Der Weg dorthin ist jedoch schwierig, da die Zahl der Opfer nicht genau bekannt ist und die Täter noch nicht identifiziert werden konnten (BBC 13.12.2024). Die HTS möchte die an staatlicher Folter beteiligten Ex-Offiziere auflisten und sie als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft ziehen. Dafür setzte sie sogar eine Belohnung aus, für Informationen über ranghohe Offiziere von Armee und Sicherheitsbehörden, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren (FAZ 10.12.2024).

[…]

Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)

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Alawiten

Der alawitischen Minderheit wird unterstellt, dass sie von Assads Regime unterstützt wurde, weil auch er und seine Familie Alawiten sind (PBS 16.12.2024). Unter al-Assad arbeiteten mehr als 80 % der Alawiten für den Staat, sie stellten den Großteil der Armee und des Geheimdienstoffizierskorps, die meisten leitenden Regierungsbeamten und die meisten Führungskräfte in der öffentlichen Industrie. Während des Bürgerkriegs erhielten die Frauen und Kinder getöteter alawitischer Soldaten öffentliche Jobs, um ihre Verluste auszugleichen, wodurch die Zahl derer, die ihren Lebensunterhalt dem Staat und der Familie al-Assad verdankten, noch weiter anstieg (TWI 31.12.2024). Die alawitischen Gemeinschaften besetzten zwar überproportional viele Schlüsselpositionen im Regime, gehören aber auch zu den ärmsten in Syrien (Independent 12.12.2024). Abgesehen von den Familienangehörigen al-Assads und seinen Anhängern litt die alawitische Minderheit unter Armut (PBS 16.12.2024). Die Familie al-Assad verließ sich auf die Alawiten, die seit ihrer Machtübernahme im Jahr 1970 viele Führungspositionen im Regime innehatten. In vielen Berichten wurde darauf hingewiesen, dass sie in früheren Kriegsjahren überproportional häufig vom Assad-Regime zur Wehrpflicht eingezogen wurden. Die Schätzungen gehen zwar auseinander, aber alle stimmen darin überein, dass in diesem Konflikt mindestens Zehntausende Alawiten getötet wurden (Independent 12.12.2024). In den nach dem Sturz des Regimes zurückgelassenen Geheimdienstdokumenten soll auch eines gefunden worden sein, dass die Hinrichtung von 2.459 alawitischen Soldaten anordnete. Der Grund für die Hinrichtung war die Nichteinhaltung militärischer Befehle. Den Familien soll mitgeteilt worden sein, dass die Soldaten auf dem Schlachtfeld gefallen seien. Das Dokument, das auf den 1.3.2015 datiert, soll auch beinhalten, dass damals 1.796 Soldaten inhaftiert wurden und ihren Familien mitgeteilt wurde, sie seien entführt worden (AlHurra 15.12.2024b). Die neue Regierung soll Berichten zufolge eine Liste mit 250 Namen angelegt haben - die Mehrheit davon Alawiten - welche die neue Regierung als Kriminelle betrachtet, die verhaftet und strafrechtlich verfolgt werden sollten. In Einzelheiten über laufende Treffen mit alawitischen Würdenträgern in großen Städten oder an der syrischen Küste sagt das neue Regierungsteam, dass die Alawiten ihre Loyalität für die neue Regierung unter Beweis stellen und Verbindungen zu al-Assads Unterstützer abbrechen müssen (Akhbar 31.12.2024). Obwohl die neue Regierung es auf ehemalige Regierungsbeamte und Soldaten abgesehen hat, sind die alawitischen Stadtviertel von Angst erfüllt, aufgrund beunruhigender Berichte über Morde und Verschwindenlassen in diesen Gebieten (AlMon 11.1.2025).

Syrienexperte Fabrice Balanche glaubt, dass ash-Shara’ unter dem Vorwand, eine „Entba’athifizierung“ innerhalb der Armee und der Regierung durchzuführen, mit ziemlicher Sicherheit einen „Entalawitisierungsprozess“ einleiten wird. Das bedeutet, dass die alawitische Küstenregion ihre Bestimmung als Zufluchtsort wiederentdecken muss. Viele Alawiten, die in Damaskus, Homs und den umliegenden Gebieten im Landesinneren leben, werden sich wahrscheinlich gezwungen sehen, in ihre Heimat zurückzukehren – auf Grundstücke, die sie nicht nur als Urlaubsdomizile, sondern auch als Absicherung für die Zukunft angelegt haben. Wenn sie in anderen Teilen Syriens bleiben, könnte ihr Leben angesichts der Rückkehr vertriebener, potenziell rachsüchtiger Sunniten schnell schwierig und sogar gefährlich werden. Viele Mitglieder der neuen sunnitischen Führung in Damaskus und ihre Anhänger tragen vermutlich ein Erbe religiöser und sozialer Feindseligkeit gegenüber den Alawiten im Allgemeinen in sich. Die Sekte könnte einer kollektiven Bestrafung ausgesetzt sein, selbst jene Alawiten, die sich al-Assad widersetzt haben, anstatt ihm zu helfen (TWI 31.12.2024).

Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)

Die Syrische Arabische Armee wurde noch von al-Assad vor seiner Flucht nach Mitternacht am 8.12.2024 per Befehl aufgelöst. Die Soldaten sollten ihre Militäruniformen gegen Zivilkleidung tauschen und die Militäreinheiten und Kasernen verlassen (AAA 10.12.2024). Aktivisten des Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) in Damaskus haben berichtet, dass Hunderte von Regimesoldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie darüber informiert wurden, dass sie entlassen wurden, da das Assad-Regime gestürzt war (SOHR 8.12.2024). Ca. 2.000 syrische Soldaten sind in den Irak geflohen. Einem Beamten aus dem Irak zufolge sollen 2.150 syrische Militärangehörige, darunter auch hochrangige Offiziere, wie Brigadegeneräle und Zollangestellte, in einem Lager in der Provinz al-Anbar untergebracht sein. Die Mehrheit soll nach Syrien zurückkehren wollen (AlMada 15.12.2024). Syrischen Medien zufolge verhandelte die syrische Übergangsregierung mit der irakischen Regierung über die Rückführung dieser Soldaten (ISW 16.12.2024). Am 19.12.2024 begannen die irakischen Behörden damit, die syrischen Soldaten nach Syrien auszuliefern (TNA 19.12.2024). Die Mehrheit der führenden Soldaten und Sicherheitskräften des Assad-Regimes sollen sich noch auf syrischem Territorium befinden, jedoch außerhalb von Damaskus (Stand 13.12.2024) (AAA 10.12.2024). Nach der Auflösung der ehemaligen Sicherheits- und Militärinstitutionen verloren Hunderttausende ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen – vor allem in den Küstenregionen. Zehntausende wurden auch aus staatlichen und zivilen Einrichtungen entlassen, ohne alternative Einkommens- oder Arbeitsmöglichkeiten. Darüber hinaus wurden Mitgliedern der aufgelösten Armee, Polizei und Sicherheitsdienste Umsiedlungsmaßnahmen aufgezwungen, was zu wachsender Unzufriedenheit und Wut in den Reihen dieser Männer führte (Harmoon 17.3.2025).

Nach dem Umsturz in Syrien hat die von Islamisten angeführte Rebellenallianz eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt, teilte die Allianz auf Telegram mit (Presse 9.12.2024). HTS-Anführer ash-Shara' kündigte in einem Facebook-Post an, dass die Wehrpflicht der Armee abgeschafft wird, außer für einige Spezialeinheiten und "für kurze Zeiträume". Des Weiteren kündigte er an, dass alle Gruppierungen aufgelöst werden sollen und über Waffen nur mehr der Staat verfügen soll (CNBC Ara 15.12.2024a; vgl. MEMRI 16.12.2024). Unklar ist, wie eine Freiwilligenarmee finanziert werden soll (ISW 16.12.2024). Auch die Auflösung der Sicherheitskräfte kündigte ash-Shara' an (REU 11.12.2024a). In einem Interview am 10.2.2025 wiederholte ash-Shara', dass er sich für eine freiwillige Rekrutierung entschieden habe und gegen eine Wehrpflicht. Bereits Tausende von Freiwilligen hätten sich der neuen Armee angeschlossen (Arabiya 10.2.2025a; vgl. AJ 10.2.2025a). Wehrpflichtigen der Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) wurde eine Amnestie gewährt (REU 11.12.2024b). Ahmed ash-Shara' hat versprochen, dass die neue Führung die höchsten Ränge des ehemaligen Militärs und der Sicherheitskräfte wegen Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgen wird. Was dies jedoch für die Fußsoldaten des ehemaligen Regimes bedeuten könnte oder wo die diesbezüglichen Grenzen gezogen werden, bleibt unklar (Guardian 13.1.2025). Die neue Übergangsregierung Syriens hat sogenannte "Versöhnungszentren" eingerichtet, sagte Abu Qasra, neuer syrischer Verteidigungsminister. Diese wurden bereits gut genutzt, auch von hochrangigen Personen, und die Nutzer erhielten vorübergehende Niederlassungskarten. Eine beträchtliche Anzahl habe auch ihre Waffen abgegeben (Al Majalla 24.1.2025). Der Hauptsitz des Geheimdienstes in Damaskus ist jetzt ein "Versöhnungszentrum", wo die neuen syrischen Behörden diejenigen, die dort gedient haben, auffordern, sich zu stellen und ihre Waffen im Geheimdienstgebäude abzugeben. Im Innenhof warten Menschenschlangen darauf, Zettel zu erhalten, die besagen, dass sie sich offiziell ergeben und mit der neuen Regierung versöhnt haben, während ehemalige Aufständische in neuen Uniformen im Militärstil die abgegebenen Pistolen, Gewehre und Munition untersuchen. Ehemalige Offiziere, die sich für die neue Regierung Syriens als nützlich erweisen könnten, beispielsweise, weil sie Informationen über Personen haben, die international gesucht werden, haben wenig zu befürchten, solange sie kooperieren (Guardian 13.1.2025). In diesen "Versöhnungszentren" erhielten die Soldaten einen Ausweis mit dem Vermerk "desertiert". Ihnen wurde mitgeteilt, dass man sie bezüglich ihrer Wiedereingliederung kontaktieren würde (Chatham 10.3.2025). [Weitere Informationen zu "Versöhnungszentren" finden sich auch in den Kapiteln Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) und Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] Die Rolle der übergelaufenen syrischen Armeeoffiziere in der neuen Militärstruktur ist unklar. Während ihr Fachwissen beim Aufbau einer Berufsarmee von unschätzbarem Wert sein könnte, bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich ihrer Marginalisierung innerhalb der neuen Machtstruktur (DNewsEgy 3.2.2025). Unter al-Assad war die Einberufung in die Armee für erwachsene Männer obligatorisch. Wehrpflichtige mussten ihren zivilen Ausweis abgeben und erhielten stattdessen einen Militärausweis. Ohne einen zivilen Ausweis ist es schwierig, einen Job zu finden oder sich frei im Land zu bewegen, was zum Teil erklärt, warum Zehntausende in den "Versöhnungszentren" in verschiedenen Städten aufgetaucht sind (BBC 29.12.2024). Ehemalige Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter des Assad-Regimes, ca. 4.000 bis 5.000 Männer in Latakia und Tartus, haben sich diesen "Versöhnungsprozessen" entzogen. Einige von ihnen wurden im Rahmen einer landesweiten Kampagne mit täglichen Suchaktionen und gezielten Razzien gefasst, andere jedoch haben sich zu bewaffnetem Widerstand gegen die Übergangsregierung entschlossen (MEI 13.3.2025).

Der Übergangspräsident Ahmed ash-Shara' hat die Vision einer neuen „Nationalen Armee“ geäußert, die alle ehemaligen Oppositionsgruppen einbezieht. Diese Vision beinhaltet einen Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung, bei dem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeblich die Führung übernehmen soll (DNewsEgy 3.2.2025). Der syrische Verteidigungsminister Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte zu deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln (Arabiya 6.1.2025b). Hochrangige Beamte des neuen Regimes führten Gespräche über die Eingliederung von Milizen in das Verteidigungsministerium und die Umstrukturierung der syrischen Armee mit Vertretern unterschiedlicher bewaffneter Gruppierungen, wie Fraktionen der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) (MAITIC 9.1.2025). Die Behörden gaben Vereinbarungen mit bewaffneten Rebellengruppen bekannt, diese aufzulösen und in die vereinte syrische Nationalarmee zu integrieren (UNSC 7.1.2025). Die einzige Möglichkeit, eine kohärente militärische Institution aufzubauen, besteht laut Abu Qasra darin, die Gruppierungen vollständig in das Verteidigungsministerium unter einer einheitlichen Struktur zu integrieren. Die Grundlage für diese Institution muss die Rechtsstaatlichkeit sein (Al Majalla 24.1.2025). Es bleibt abzuwarten, wie die neue Armee Syriens aussehen wird und ob sie auf einer anderen Struktur als die Armee des Assad-Regimes basieren wird. Dazu gehören Fragen in Bezug auf Brigaden, Divisionen und kleine Formationen sowie Fragen in Bezug auf die Art der Bewaffnung, ihre Form und die Art der Mission. (AlHurra 12.2.2025). [Details zur neuen syrischen Armee und der Entwaffnung bewaffneter Gruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) Anm.]

Die Umstrukturierung des syrischen Militärs hat gerade erst begonnen. Der neue de-facto-Führer hat versprochen, die neue Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte (TR-Today 8.1.2025). Medienberichten zufolge wurden mehrere ausländische islamistische Kämpfer in hohe militärische Positionen berufen. Ash-Shara' hatte Berichten zufolge außerdem vorgeschlagen, ausländischen Kämpfern und ihren Familien aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen al-Assad die Staatsbürgerschaft zu verleihen (UNSC 7.1.2025).

Syrische Medien berichten, dass die neue Regierung aktiv Personen für die Armee und die Polizei rekrutiert. Damit soll der dringende Bedarf an Kräften gedeckt werden. Neue Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere werden Berichten zufolge durch intensive Programme rekrutiert, die von den traditionellen akademischen und Ausbildungsstandards abweichen. Der Prozess der Vorbereitung von Militär- und Sicherheitskadern wird beschleunigt, um den Bedürfnissen des neuen Staates gerecht zu werden (SCI o.D.). Am 10.2.2025 gab Übergangspräsident ash-Shara' an, dass sich Tausende von Freiwilligen der neuen Armee angeschlossen haben (Arabiya 10.2.2025a). Viele junge Männer ließen sich einem Bericht des syrischen Fernsehsenders Syria TV zufolge für die neue Armee rekrutieren. Insbesondere seien junge Männer in Idlib in dieser Hinsicht engagiert. Die Rekrutierungsabteilung der neuen syrischen Verwaltung in der Provinz Deir ez-Zour gab bekannt, dass wenige Wochen nach der Übernahme der Kontrolle über die Provinz durch den Staat etwa 1.200 neue Rekruten in ihre Reihen aufgenommen wurden. In den den ländlichen Gebieten von Damaskus treten junge Männer vor allem der Kriminalpolizei bei (Syria TV 21.2.2025). Die Rekrutierungsabteilung von Aleppo teilte am 12.2.2025 mit, dass bis zum 15.2.2025 eine Rekrutierung in die Reihen des Verteidigungsministeriums läuft. Dort ist die Aufnahmebedingung für junge Männer, dass sie zwischen 18 und 22 Jahre alt, ledig und frei von chronischen Krankheiten und Verletzungen sein müssen (Enab 12.2.2025). Das syrische Verteidigungsministerium hat am 17.3.2025 mehrere Rekrutierungszentren im Gouvernement Dara'a in Südsyrien eröffnet (NPA 17.3.2025). Das Innenministerium hat seitdem Rekrutierungszentren in allen von der Regierung kontrollierten Gebieten eröffnet (ISW 16.4.2025). Berichten zufolge verlangt die neue Regierung von neuen Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung (FDD 28.1.2025).

Ende Februar 2025 verbreiteten Facebook-Seiten die Behauptung, die Allgemeine Sicherheit habe in Jableh, Banyas und Qardaha Checkpoints eingerichtet, um jeden zu verhaften, der eine Siedlungskarte besitzt. Die Seiten behaupten, dass die Allgemeine Sicherheit die Verhafteten nach Südsyrien verlegt, wo es zu einer Eskalation durch die israelische Besatzung kommt. Die syrische Regierung dementierte die Durchführung von Rekrutierungskampagnen in den Provinzen Latakia und Tartus. Die Rekrutierung basiere weiterhin auf Freiwilligkeit (Syria TV 26.2.2025).

Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)

Die sunnitischen Muslime machen die Mehrheit der Bevölkerung des Landes aus. Obwohl die offiziellen Bevölkerungsstatistiken keine Angaben zu Religion oder ethnischer Zugehörigkeit enthalten, sind laut dem Bericht des US-Außenministeriums über Religionsfreiheit aus dem Jahr 2022 74 % der Bevölkerung Sunniten, mit einer vielfältigen ethnischen Mischung aus mehrheitlich Arabern, Kurden, Tscherkessen, Tschetschenen und einigen Turkmenen. Sunniten sind in den meisten syrischen Städten und Dörfern vertreten, mit bemerkenswerten Konzentrationen in Damaskus, Aleppo und Homs. Neben den Sunniten gibt es weitere islamische Gruppen, darunter Alawiten, Ismailiten und andere schiitische Sekten, die nach Schätzungen des US-Außenministeriums zusammen 13 % der Bevölkerung ausmachen. Die Vielfalt Syriens beschränkt sich nicht auf die konfessionelle Dimension, sondern erstreckt sich auf zahlreiche ethnische Gruppen wie Kurden, Armenier, Turkmenen, Tscherkessen und andere. Araber sind die überwältigende Mehrheit in Syrien, gefolgt von Kurden (BBC 12.12.2024). Die Übergangsregierung in Syrien will sich nach Aussagen ihres Außenministers ash-Shaybani für die Inklusion aller Bevölkerungsgruppen im Land einsetzen. Niemand sollte aufgrund seiner Herkunft, seines sozialen oder religiösen Hintergrunds oder einer Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungsgruppen bestraft werden, sagte er beim Weltwirtschaftsforum in Davos (Zeit Online 23.1.2025). Demografische Daten für Syrien sind unzuverlässig, und die derzeitigen Standorte von Minderheitengemeinschaften sind aufgrund der erheblichen Umwälzungen, die das Land unter der Herrschaft von Bashar al-Assad erlebte, ähnlich schwer zu ermitteln (MRG 1.2025).

Rückkehr - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)

Mit dem Sturz al-Assads kehrten Tausende Syrer aus dem Libanon und der Türkei nach Syrien zurück. Für viele war das Assad-Regime das Haupthindernis für die Rückkehr in ihre Heimat. Die Aufnahmeländer haben diese Begeisterung genutzt, um weitere Rückkehrer zu ermutigen (CSIS 11.12.2024). Zehn Tage nach dem Sturz des syrischen Regimes am 8.12.2024 erklärte die Europäische Union (EU), sie schätze, dass zwischen Januar und Juni 2025 etwa eine Million syrische Flüchtlinge in ihr Land zurückkehren würden. Das wurde durch die Direktorin des Büros des UNHCR für den Nahen Osten und Nordafrika bestätigt. Ahmad ash-Shara’, der Befehlshaber der Militäroperationen in Syrien, der später zum Übergangspräsidenten des Landes wurde, betonte bei einem Treffen mit dem UN-Sondergesandten Geir Pedersen, dass eine seiner ersten Prioritäten darin bestehe, zerstörte Häuser wieder aufzubauen und die Vertriebenen in das letzte Zelt zurückzubringen, während er gleichzeitig sehr wichtige wirtschaftliche Entscheidungen treffe (Almodon 13.2.2025). Die Mehrheit ist in die Gouvernements Hama und Aleppo zurückgekehrt. Das bedeutet, dass die Zahl der Menschen, die neu vertrieben wurden, von 1,1 Millionen, wie am 12.12.2024 gemeldet, auf 882.000 Menschen am 15.12.2024 gesunken ist. Von dieser Zahl wurden mindestens 150.000 Menschen mehr als einmal vertrieben. Viele Familien sind in frühere Lager in ihren Herkunftsgebieten zurückgekehrt, weil es in ihren Heimatstädten an grundlegenden Versorgungsleistungen mangelt oder die Infrastruktur beschädigt ist. Einige Familien gaben auch an, dass sie auf die Räumung von Kampfmittelrückständen in ihren Herkunftsgebieten warten, bevor sie zurückkehren (UNOCHA 16.12.2024). UNHCR schätzt, dass von 8.12.2024 bis 2.1.2025 über 115.000 Syrer nach Syrien zurückgekehrt sind, basierend auf öffentlichen Erklärungen von Aufnahmeländern, Kontakten mit Einwanderungsbehörden in Syrien und dem UNHCR sowie der Grenzüberwachung durch Partner (UNHCR 2.1.2025). Insgesamt sind nach Angaben des UNHCR 800.000 vertriebene Syrer in ihre Heimat zurückgekehrt, darunter 600.000 Binnenvertriebene (Internal Displaced Persons - IDPs) (Stand 31.1.2025) (AlHurra 31.1.2025). Die Zahl der Personen, die in das Gouvernement Aleppo zurückkehren, ist am höchsten, wobei die Rückkehrer die verbesserte Sicherheitslage und die Abschaffung des Wehrdienstes als Hauptgründe für ihre Rückkehr nennen (UNHCR 2.1.2025). Grundsätzlich verzeichnen die UN einen Anstieg an rückkehrwilligen Syrern, die im Nahen Osten leben. Fast 30 % geben an, in ihre Heimat zurückzuwollen. Als großes Hindernis für die Rückkehr sieht UNHCR-Chef Grandi die Sanktionen (Zeit Online 26.1.2025). Die syrischen Behörden gaben an, dass innerhalb von zwei Monaten nach der Befreiung Syriens 100.905 Bürger über die Grenzübergänge der Türkei zurückgekehrt sind. Der Grenzübergang Jdaydat Yabous/ Masna’ zum Libanon fertigte in zwei Monaten 627.287 Reisende ab, darunter 339.018 syrische Staatsbürger und arabische und ausländische Gäste, und 288.269 Ausreisende. Im gleichen Zeitraum wurden am Grenzübergang Nassib/ al-Jaber zu Jordanien 174.241 Passagiere syrischer Staatsbürger und arabischer und ausländischer Gäste abgefertigt, davon 109.837 bei der Einreise und 64.404 bei der Ausreise. Am Grenzübergang al-Bu Kamal/ al-Qa’im wurden 5.460 syrische Staatsbürger abgefertigt, die im Irak leben und zurückkehren, um sich dauerhaft in Syrien niederzulassen (Nashra 11.2.2025). Bei den Angaben zu Rückkehrern sind die zuständigen Behörden und Forschungszentren nicht in der Lage festzustellen, ob diese Menschen lediglich zurückgekehrt sind, um ihre Familien zu besuchen und zu treffen, oder ob sie freiwillig und dauerhaft zurückgekehrt sind (Almodon 13.2.2025).

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Bewegungsfreiheit - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)

Die Interimsregierung installiert Checkpoints, an denen Autos durchsucht werden. Es wird überprüft, wer unterwegs ist, beispielsweise um Menschen zu verhaften, die für Verbrechen gegen das syrische Volk in der Zeit des Regimes verantwortlich sind (PBS 16.12.2024). Die Kontaminierung durch explosive Kampfmittel stellt nach wie vor eine große Bedrohung für Zivilisten, die sich zwischen ehemaligen Kontrollgebieten bewegen, dar (UNOCHA 23.12.2024).

Laut Aussage des syrischen Verkehrsministers bei einem Interview mit der kurdischen Zeitung Rudaw haben die neuen syrischen Machthaber vom ersten Tag der Befreiung an damit begonnen, die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen, insbesondere durch die Sicherstellung der Grundversorgung, z. B. mit Brot und Treibstoff, zusätzlich zur Sicherung des Transportsektors, damit sich die Menschen zwischen den Provinzen bewegen können. Sie haben damit begonnen, Treibstoff für Fahrzeuge zu sichern, damit sie in Abstimmung mit dem Ölministerium eingesetzt werden können, und Fahrten zwischen Damaskus und den restlichen Provinzen, zwischen Idlib und den restlichen Provinzen und zwischen Aleppo und restlichen Provinzen zu organisieren, zusätzlich zum internen Transport innerhalb jeder Provinz. Sie haben mit der Umsetzung eines Plans zur Festlegung spezifischer Preise, die für Fahrzeugbesitzer und für Menschen mit sehr begrenztem Einkommen angemessen sind, begonnen. Etwa 70 bis 80 % der Preis- bzw. Transporttarifstruktur wurden fertiggestellt und umgesetzt. Was die Versorgung der Öffentlichkeit betrifft, so wurden etwa 50 bis 60 % der Strecken, ob intern oder extern, gesichert (Rudaw 1.2.2025). […]

Kurzinformation der Staatendokumentation, Syrien, Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht, 10.12.2024

1. Zusammenfassung der Ereignisse

Nach monatelanger Vorbereitung und Training (NYT 1.12.2024) starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) (Standard 1.12.2024) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf نن Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan (AJ 2.12.2024) und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende. Die folgende Karte zeigt die Gebietskontrolle der einzelnen Akteure am 26.11.2024 vor Beginn der Großoffensive:

Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort (AJ 8.12.2024). Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12. (BBC 8.12.2024).

Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab (NYT 6.12.2024). Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen (FR 7.12.2024). Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein (TNA 7.12.2024; Vgl. AJ 8.12.2024), nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten (AWN 7.12.2024). Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab (AJ 7.12.2024). Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor (AJ 8.12.2024). Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben (Tagesschau 8.12.2024). Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt (REU 9.12.2024), die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen (Tagesschau 8.12.2024). Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt (Standard 8.12.2024).

Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad (BBC 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt (REU 9.12.2024).

Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 6.12.2024 die Kontrolle über Deir ez-Zour im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren (AJ 7.12.2024), sowie über einen wichtigen Grenzübergang zum Irak. Sie wurden von den USA bei ihrem Vorgehen unterstützt (AWN 7.12.2024).

Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo (BBC 8.12.2024). ج فف ج Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch رال ر ح ة يية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein (SOHR 9.12.2024). Die Kampfhandlungen zwischen Einheiten der durch die Türkei unterstützten Syrian National Army (SNA) auf der einen Seite und den SDF auf der anderen Seite dauerten danach weiter an. Türkische Drohnen unterstützten dabei die Truppen am Boden durch Luftangriffe (SOHR 9.12.2024b).

Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge sind seit Beginn der Offensive 910 Menschen ums Leben gekommen, darunter 138 Zivilisten (AAA 8.12.2024). Beim Vormarsch auf Homs waren tausende Menschen Richtung Küste nach Westen geflohen (AJ 6.12.2024). Bei der Offensive gegen Manbij wurden hingegen einige Zivilisten in Richtung Osten vertrieben (SOHR 9.12.2024).

In Damaskus herrschte weit verbreitetes Chaos nach der Machtübernahme durch die Opposition. So wurde der Sturz von Assad mit schweren Schüssen gefeiert und Zivilisten stürmten einige staatliche Einrichtungen, wie die Zentralbank am Saba-Bahrat-Platz, das Verteidigungsministerium (Zivilschutz) in Mleiha und die Einwanderungs- und Passbehörde in der Nähe von Zabaltani, außerdem wurden in verschiedenen Straßen zerstörte und brennende Fahrzeuge gefunden (AJ 8.12.2024b). Anführer al-Joulani soll die Anweisung an die Oppositionskämpfer erlassen haben, keine öffentlichen Einrichtungen anzugreifen (8.12.2024c) und erklärte, dass die öffentlichen Einrichtungen bis zur offiziellen Übergabe unter der Aufsicht von Ministerpräsident Mohammed al-Jalali aus der Assad-Regierung bleiben (Rudaw 9.12.2024).

Gefangene wurden aus Gefängnissen befreit, wie aus dem berüchtigten Sedanaya Gefängnis im Norden von Damaskus (AJ 8.12.2024c).

2. Die Akteure

Syrische Arabische Armee (SAA): Die Syrische Arabische Armee kämpfte gemeinsam mit den National Defense Forces, einer regierungsnahen, paramilitärischen Gruppierung. Unterstützt wurde die SAA von der Hisbollah, Iran und Russland (AJ 8.12.2024).

Die Einheiten der syrischen Regierungstruppen zogen sich beim Zusammenstoß mit den Oppositionskräften zurück, während diese weiter vorrückten. Viele Soldaten flohen oder desertierten (NZZ 8.12.2024). In Suweida im Süden Syriens sind die Soldaten der Syrischen Arabischen Armee massenweise desertiert (Standard 7.12.2024). Am 7.12. flohen mehrere Tausend syrische Soldaten über die Grenze in den Irak (Arabiya 7.12.2024; vgl. Guardian 8.12.2024). Präsident al-Assad erhöhte am 4.12. die Gehälter seiner Soldaten, nicht aber dasjenige von Personen, die ihren Pflichtwehrdienst ableisteten (TNA 5.12.2024). Dieser Versuch, die Moral zu erhöhen, blieb erfolglos (Guardian 8.12.2024).

Die Opposition forderte die Soldaten indes zur Desertion auf (TNA 5.12.2024). Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte beobachteten, dass Hunderte Soldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie entlassen wurden (SOHR 8.12.2024). Offiziere und Mitarbeiter des Regimes ließen ihre Militär- und Sicherheitsfahrzeuge in der Nähe des Republikanischen Palastes, des Büros des Premierministers und des Volkspalastes unverschlossen stehen, aus Angst von Rebellen am Steuer erwischt zu werden (AJ 8.12.2024b).

Opposition: Obwohl Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) den plötzlichen Vormarsch auf Aleppo gestartet hat und treibende Kraft der Offensive war haben auch andere Rebellengruppierungen sich gegen die Regierung gewandt und sich am Aufstand beteiligt (BBC 8.12.2024c).

• Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet (BBC 8.12.2024c). Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida (CSIS 2018) und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen (BBC 8.12.2024c). Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union (AJ 4.12.2024) und der Türkei als Terrororganisation eingestuft (BBC 8.12.2024c). Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden (Nashra 8.12.2024). Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien (BBC 8.12.2024c). Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft (BBC 8.12.2024b) und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren (BBC 8.12.2024c).

Der Gruppierung werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (BBC 8.12.2024c). Einem Terrorismusexperten zufolge gibt es bereits erste Videos von Personen aus dem HTS-Umfeld, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024).

• National Liberation Front (NFL): Eine Reihe kleinerer Kampfgruppen, aus denen sich die NFL zusammensetzt, nahmen an der Operation „Abschreckung der Aggression“ teil, darunter die Jaish al-Nasr, das Sham Corps und die Freie Idlib-Armee. Die 2018 in Idlib gegründete NFL umfasst mehrere nordsyrische Fraktionen, von denen einige auch unter das Dach der Freien Syrischen Armee fallen (AJ 2.12.2024b).

Ahrar al-Sham Movement: Die Ahrar al-Sham-Bewegung ist hauptsächlich in Aleppo und Idlib aktiv und wurde 2011 gegründet. Sie definiert sich selbst als „umfassende reformistische islamische Bewegung, die in die Islamische Front eingebunden und integriert ist“ (AJ 2.12.2024b).

• Jaish al-Izza: Jaish al-Izza: Übersetzt: „Die Armee des Stolzes“ ist Teil der Freien Syrischen Armee und konzentriert sich auf den Norden des Gouvernements Hama und einige Teile von Lattakia. Im Jahr 2019 erhielt die Gruppierung Unterstützung aus dem Westen, darunter auch Hochleistungswaffen (AJ 2.12.2024b).

• Nur Eddin Zinki-Bewegung (Zinki): Diese Gruppierung entstand 2014 in Aleppo, versuchte 2017, sich mit der HTS zusammenzuschließen, was jedoch nicht funktionierte. Die beiden Gruppierungen kämpften 2018 gegeneinander, und „Zinki“ wurde Anfang 2019 von ihren Machtpositionen in der Provinz Aleppo vertrieben. Ein Jahr später verhandelte „Zinki“ mit der HTS, und ihre Kämpfer kehrten an die Front zurück, und seitdem ist die Gruppe unter den oppositionellen Kämpfern präsent (AJ 2.12.2024b).

• Milizen in Südsyrien: Gruppierungen aus südlichen Städten und Ortschaften, die sich in den letzten Jahren zurückhielten, aber nie ganz aufgaben und einst unter dem Banner der Freien Syrien Armeekämpften, beteiligten sich am Aufstand (BBC 8.12.2024c). In Suweida nahmen Milizen der syrischen Minderheit der Drusen Militärstützpunkte ein (Standard 7.12.2024).

• Syrian Democratic Forces (SDF): Die SDF ist eine gemischte Truppe aus arabischen und kurdischen Milizen sowie Stammesgruppen. Die kurdische Volksschutzeinheit YPG ist die stärkste Miliz des Bündnisses und bildet die militärische Führung der SDF (WiWo 9.12.2024). Sie werden von den USA unterstützt (AJ 8.12.2024). Im kurdisch kontrollierten Norden liegen die größten Ölreserven des Landes (WiWo 9.12.2024).

• Syrian National Army (SNA): Diese werden von der Türkei unterstützt (BBC 8.12.2024c) und operieren im Norden Syriens im Grenzgebiet zur Türkei (AJ 8.12.2024). Der SNA werden mögliche Kriegsverbrechen, wie Geiselnahmen, Folter und Vergewaltigung vorgeworfen. Plünderungen und die Aneignung von Privatgrundstücken, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sind ebenfalls dokumentiert (WiWo 9.12.2024).

3. Aktuelle Lageentwicklung

Sicherheitslage:

Israel hat Gebäude der Syrischen Sicherheitsbehörden und ein Forschungszentrum in Damaskus aus der Luft angegriffen, sowie militärische Einrichtungen in Südsyrien, und den Militärflughafen in Mezzeh. Israelische Streitkräfte marschierten außerdem in al-Quneitra ein (Almodon 8.12.2024) und besetzten weitere Gebiete abseits der Golan-Höhen, sowie den Berg Hermon (NYT 8.12.2024). Die israelische Militärpräsenz sei laut israelischem Außenminister nur temporär, um die Sicherheit Israels in der Umbruchphase sicherzustellen (AJ 8.12.2024d). Am 9.12.2024 wurden weitere Luftangriffe auf syrische Ziele durchgeführt (SOHR 9.12.2024c). Einer Menschenrechtsorganisation zufolge fliegt Israel seine schwersten Angriffe in Syrien. Sie fokussieren auf Forschungszentren, Waffenlager, Marine-Schiffe, Flughäfen und Luftabwehr (NTV 9.12.2024). Quellen aus Sicherheitskreisen berichten indes, dass Israelisches Militär bis 25km an Damaskus in Südsyrien einmarschiert wäre (AJ 10.12.2024).

Das US-Central Command gab an, dass die US-Streitkräfte Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Zentralsyrien geflogen sind (REU 9.12.2024). Präsident Biden kündigte an, weitere Angriffe gegen den Islamischen Staat vorzunehmen, der das Machtvakuum ausnützen könnte, um seine Fähigkeiten wiederherzustellen (BBC 7.12.2024).

Russland versucht, obwohl es bis zum Schluss al-Assad unterstützte, mit der neuen Führung Syriens in Dialog zu treten. Anstatt wie bisher als Terroristen bezeichnen russische Medien die Opposition mittlerweile als „bewaffnete Opposition“ (BBC 8.12.2024d).

Sozio-Ökonomische Lage:

Die Opposition versprach, den Minderheiten keinen Schaden zuzufügen und sie nicht zu diskriminieren, egal ob es sich um Christen, Drusen, Schiiten oder Alawiten handle. Gerade letztere besetzten unter der Führung Al-Assad’s oft hohe Positionen im Militär und den Geheimdiensten (TNA 5.12.2024).

Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt (Presse 9.12.2024). Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben (Spiegel 9.12.2024).

Die syrischen Banken sollen ihre Arbeit am 10.12.2024 wiederaufnehmen, die Bediensteten wurden aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren (Arabiya 9.12.2024).

Die HTS, die weiterhin auf der Terrorliste der UN steht, ist seit 2016 von Sanktionen des UN-Sicherheitsrates betroffen. Diplomaten zufolge war die Streichung der HTS von der Sanktionenliste kein Thema bei der jüngsten Ratssitzung (REU 10.12.2024).

Bevor der Wiederaufbau zerstörter Städte, Infrastruktur und Öl- und Landwirtschaftssektoren beginnen kann, muss mehr Klarheit über die neue Regierung Syriens geschaffen werden (DW 10.12.2024).

UNHCR: UNHCR Position On Returns To The Syrian Arab Republic, Dezember 2024

1. Diese Position ersetzt die UNHCR-Leitlinien vom März 2021 International Protection Considerations with Regard to people fleeing the Syrian Arab Republic, Update VI.1

Angesichts der unbeständigen Situation wird dieser Leitfaden frühzeitig und bei Bedarf auf der Grundlage der sich schnell entwickelnden Umstände aktualisiert.

Freiwillige Rückkehr

2. Syrien befindet sich an einem Scheideweg - zwischen Frieden und Krieg, Stabilität und Gesetzlosigkeit, Wiederaufbau oder weiterem Ruin. Für Syrien bietet sich jetzt eine bemerkenswerte Gelegenheit, sich auf den Frieden zuzubewegen und mit der Rückkehr seiner Bevölkerung zu beginnen. Das UNHCR betont seit vielen Jahren die Notwendigkeit, die Anstrengungen zu verdoppeln, um günstige Bedingungen für die Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen zu schaffen, und die aktuelle Situation eröffnet in dieser Hinsicht neue Möglichkeiten, die von allen genutzt werden müssen. Dazu gehören die Beseitigung bzw. Beseitigung neuer sicherheitspolitischer, rechtlicher und verwaltungstechnischer Hindernisse seitens der syrischen De-facto-Behörden, die Bereitstellung umfangreicher humanitärer Hilfe und frühzeitiger Wiederaufbauhilfe durch die Geberstaaten für die Rückkehrer, die sie aufnehmenden Gemeinden und die Gebiete, in die sie tatsächlich oder potenziell zurückkehren wollen, sowie die Ermächtigung des UNHCR und seiner Partner, die Rückkehr an den Grenzübergängen und an den Orten, an die die Menschen zurückkehren wollen, zu überwachen.

3. Jeder hat das Recht, in sein Herkunftsland zurückzukehren. UNHCR ist bereit, syrische Flüchtlinge zu unterstützen, die sich freiwillig für eine Rückkehr entscheiden, nachdem sie über die Lage an ihrem Herkunftsort oder in einem alternativen Gebiet ihrer Wahl umfassend informiert wurden. In Anbetracht der zahlreichen Herausforderungen, denen sich die syrische Bevölkerung gegenübersieht, darunter eine humanitäre Krise großen Ausmaßes, ein anhaltend hohes Maß an Binnenvertreibung und weit verbreitete Zerstörung und Beschädigung von Häusern und wichtiger Infrastruktur, fördert UNHCR jedoch vorerst keine freiwillige Rückkehr nach Syrien in großem Maßstab.

Moratorium zwangsweiser Rückführungen

4. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist Syrien nach wie vor von Angriffen und Gewalt in Teilen des Landes, groß angelegten Binnenvertreibungen, der Verseuchung vieler Teile des Landes mit explosiven Überresten des Krieges, einer zerstörten Wirtschaft und einer humanitären Krise großen Ausmaßes betroffen, wobei über 16 Millionen Menschen bereits vor den jüngsten Entwicklungen humanitäre Hilfe benötigten. Darüber hinaus hat Syrien, wie bereits erwähnt, massive Zerstörungen und Schäden an Häusern, wichtiger Infrastruktur und landwirtschaftlichen Flächen erlitten. Die Eigentumsrechte wurden stark beeinträchtigt, und in den letzten zehn Jahren wurden weit verbreitete Verstöße gegen Wohnungs-, Land- und Eigentumsrechte verzeichnet, was zu komplexen Eigentumsstreitigkeiten führte, deren Beilegung einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Vor diesem Hintergrund appelliert der UNHCR weiterhin an die Staaten, syrische Staatsangehörige und Personen, die früher ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, einschließlich Palästinenser, die sich früher in Syrien aufhielten, nicht gewaltsam in irgendeinen Teil Syriens zurückzuführen.

Aussetzung der Erteilung negativer Bescheide an syrische Antragsteller auf internationalen Schutz

5. UNHCR fordert weiterhin alle Staaten auf, Zivilpersonen, die aus Syrien fliehen, Zugang zu ihrem Hoheitsgebiet zu gewähren, das Recht auf Asyl zu garantieren und die Einhaltung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung zu jeder Zeit sicherzustellen.

6. Auch wenn die Gefahr der Verfolgung durch die frühere Regierung nicht mehr besteht, können andere Gefahren fortbestehen oder sich verschärfen. In Anbetracht der sich rasch verändernden Dynamik und Lage in Syrien ist UNHCR derzeit nicht in der Lage, Asylentscheidern detaillierte Hinweise zum internationalen Schutzbedarf von Syrern zu geben. UNHCR wird die Situation weiterhin genau beobachten, um detailliertere Hinweise zu geben, sobald es die Umstände erlauben. Angesichts der derzeit unsicheren Lage in Syrien fordert UNHCR die Asylstaaten auf, die Ausstellung negativer Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz von syrischen Staatsangehörigen oder Staatenlosen, die früher ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, auszusetzen. Die Aussetzung der Ausstellung negativer Bescheide sollte so lange aufrechterhalten werden, bis sich die Lage in Syrien stabilisiert hat und verlässliche Informationen über die Sicherheits- und Menschenrechtssituation zur Verfügung stehen, um die Notwendigkeit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an einzelne Antragsteller umfassend beurteilen zu können.

7. UNHCR ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Beendigung des Flüchtlingsstatus für Personen mit internationalem Schutzstatus, die aus Syrien stammen, derzeit nicht erfüllt sind.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF:

Die Feststellungen zu Namen, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Religionszugehörigkeit, Muttersprache, Volksgruppenzugehörigkeit und Familienstand des BF ergeben sich aus den stringenten Angaben des BF in der Erstbefragung, der Einvernahme vor dem Bundesamt sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des BF (Namen und Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese ausschließlich zur Identifizierung des BF im Asylverfahren (AS 19ff, 63ff, 68, 70, OZ 6, S 6).

Die Angaben des BF zu seinem Heimatsort, seiner Schulausbildung und seiner Berufserfahrung und seiner Ausreise resultieren aus seinen diesbezüglich nachvollziehbaren glaubhaften Aussagen in der Erstbefragung, der Einvernahme vor dem Bundesamt, sowie in der mündlichen Verhandlung (AS 19ff, 66, 72ff, OZ 6, S7, S 10).

Die Feststellungen bezüglich seiner Familie und ihres derzeitigen Wohnortes ergeben sich ebenfalls aus den glaubhaften und gleichbleibenden Aussagen in der Erstbefragung, der Einvernahme vor dem Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung (AS 22, 67, OZ 6, S 7).

Das Datum der Antragstellung sowie die Gewährung von subsidiärem Schutz ergibt sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt (AS 19ff, 109ff).

Die Feststellung zur strafrechtlichen Verteilung des BF ergibt sich aus dem Strafregisterauszug (OZ 5).

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des BF:

Die Feststellung dahingehend, dass der Heimatort des BF unter Herrschaft der nunmehrigen Übergangsregierung steht, ergibt sich aus einer Nachschau in der Syria-Livemap (https://syria.liveuamap.com/).

Dass das syrische Regime gestürzt wurde und insofern nicht mehr existiert bzw handlungsfähig ist, ergibt sich aus den eingebrachten Länderinformationen, wonach die Oppositionskräfte am 8.12.2024 die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet erklärten und Al-Assad aus Damaskus floh (AJ 8.12.2024). Die Syrische Arabische Armee wurde noch von al-Assad vor seiner Flucht nach Mitternacht am 08.12.2024 per Befehl aufgelöst. (Länderinformationsblatt der Staatendokumention –Syrien, Version 12, 08.05.2025). Der BF bestätigt in der mündlichen vor dem Bundesverwaltungsgericht selbst, dass das Regime gefallen ist (OZ 6, S 8).

Zu der Feststellung, dass der BF in seinen Heimatort zurückkehren kann ohne dass er in Kontakt mit vom Iran unterstützten Milizionären, wie der Hizbollah, treten muss, ergibt sich aus den einschlägigen Länderberichten:

Das Assad-Regime stützte sich seit Beginn des Krieges bei Kampfeinsätzen und zur Verteidigung von Gebieten auf die libanesische Hizbollah sowie auf Iran und von Iran unterstützte irreguläre Kräfte. Zu den von Iran entsandten schiitischen Kämpfern gehörten hauptsächlich die Hizbollah. Das frühere Assad-Regime hegte eine enge Allianz mit dem Iran, das Verhältnis zur neuen Regierung ist komplexer. Iran hat seinen Einfluss verloren, da viele islamistische Gruppierungen Teheran als zu dominant betrachten und sich gegen dessen anhaltende Präsenz in Syrien wenden. Dies hat zu Konflikten zwischen pro-iranischen Milizen wie der Hizbollah und den neuen Machthabern geführt (Länderinformationsblatt der Staatendokumention –Syrien, Version 12, 08.05.2025).

Tausende iranische Soldaten und vom Iran unterstützte Milizionäre, darunter auch die Hizbollah, sind nach dem Sturz Assads aus Syrien geflohen; so kam das US-Verteidigungsministerium (USDOD) zu dem Schluss, dass der Iran innerhalb von zehn Tagen alle seine Kräfte aus dem Land abgezogen hatte. Am 14. Dezember 2024 erklärte der HTS-Anführer Al-Sharaa das Ende der iranischen Präsenz in Syrien. (EUAA, COI Report – Syria: Country Focus, March 2025). Wie festgestellt, steht der Heimatort des BF (und das gesamte Gouvernement) zudem nunmehr unter der Herrschaft der Übergangsregierung. Darüber hinaus gab der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in seinen Erzählungen nie an, dass sich diese Milizionäre jemals in seinem Heimatort befunden hätten (OZ 6, S 8, S 9).

Dass der BF keine oppositionelle Gesinnung gegenüber der neuen Übergangsregierung hat und ihm eine solche auch nicht unterstellt wird, ergibt zum einen daraus, dass der BF nach eigenen Angaben nie politisch tätig war (Einvernahme vor dem Bundesamt AS 71, Protokoll der mündlichen Verhandlung OZ 6, S 8) und keiner politischen Partei angehört (AS 71) und andererseits, dass er in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Frage was er zu den Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Sturz von Assad und der neuen Übergangsregierung sage angab: „Für das Volk war es gut, dass das Regime gestürzt wurde. Aber die Sicherheitslage ist noch schlecht. Die Leute bekommen ihre Gehälter nicht. Die Infrastruktur ist zerstört. Die Medikamente sind nicht vorhanden.“ Daraus ergibt sich, dass der BF keine oppositionelle Einstellung gegenüber dem neuen Regime hegt, im Gegenteil, dieses befürwortet.

Es wird nicht verkannt, dass der BF angab von 2008 bis 2017 im Verteidigungsministerium der Assad-Regierung gearbeitet zu haben, doch gab der BF selbst an, dort lediglich als einfacher Fahrer tätig gewesen zu sein, der Delegationen vom Flughafen zum Ministerium fuhr (OZ 6, S 10).

Aus den Länderberichten ergibt sich, dass soweit Verfolgungen durch die HTS-nahe Übergangsregierung stattgefunden haben, diese Verfolgungshandlungen hochrangige Vertreter des alten Regimes, die verantwortlich für Gewalttaten gegen Syrer waren, oder Mitglieder der alawitischen Glaubensgruppe betroffen haben (Länderinformationsblatt der Staatendokumention –Syrien, Version 12, 08.05.2025, S 139ff, S 157ff, S 198ff).

Der BF ist sunnitischer Moslem und Araber und war einfacher Fahrer des Verteidigungsministeriums, hatte damit keine höherrangige relevante Funktion inne und keinerlei politischen und/oder militärischen Einfluss oder war an Verbrechen an syrischen Staatsbürgern beteiligt. Darüber hinaus gab der BF auf die Frage an, ob er einen Dienstgrad hätte, an „Ich war einfacher Reservist“ sowie, dass er im Rahmen des Militärdienstes nie an bewaffneten Auseinandersetzungen teilgenommen hat (AS 67). Hinzu kommt, dass nach aktuellen Länderberichten, die HTS eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, ausgesprochen hat. Damit gerät der BF nicht in das Blickfeld der neuen HTS-nahen Übergangsregierung.

Dass die neue Übergangsregierung keine Anhaltspunkte hat den BF als Regimesympathisant zu sehen und ihm damit eine oppositionelle Gesinnung zu unterstellen, ergibt sich auch aus dem ursprünglichen Grund seiner Ausreise, nämlich dem Militärdienst des Assad-Regimes zu entgehen. So gab er an, wegen der Verweigerung auf Seiten des Assad-Regimes an Kriegshandlungen teilzunehmen vom Assad-Regime inhaftiert worden zu sein und darüber hinaus verurteilt worden zu sein (OZ 6, S 9). Gerade dies zeigt der neuen Regierung, dass er mit der Politik und der Herrschaft des ehemaligen Machthabers nicht einverstanden war.

Die Feststellung, dass dem BF eine hypothetische Rückkehr möglich ist, ergibt sich aus den in das Verfahren eingebrachten Länderberichten, wonach insgesamt bereits 800.000 vertriebene Syrer in ihre Heimat zurückgekehrt sind, darunter 600.000 Binnenvertriebene (Internal Displaced Persons - IDPs) (Stand 31.1.2025) (AlHurra 31.1.2025). Die meisten Rückkehrer möchten in ihre Herkunftsprovinzen zurückkehren, wobei Aleppo, Idlib, Damaskus und Hama die häufigsten Ziele sind (UNHCR 23.1.2025). Der Grenzübergang Jdaydat Yabous/ Masna’ zum Libanon fertigte in zwei Monaten 627.287 Reisende ab, darunter 339.018 syrische Staatsbürger.

Seit dem Tag der Befreiung wurde damit begonnen, die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen, insbesondere durch Sicherstellung der Grundversorgung und der Sicherung des Transportsektors, damit sich Menschen zwischen den Provinzen frei bewegen können.

Laut einer Umfrage (im Auftrag von „The Economist“) Anfang März 2025 an der 1.500 Syrer aus allen Provinzen und konfessionellen Gruppen des Landes teilnahmen, gaben 81 % an, dass sie die Herrschaft von ash-Shara' befürworten.

Es kamen keine Anhaltspunkte hervor, weshalb dem BF, der in Syrien weiterhin Familie hat, eine Rückkehr nicht ebenso möglich sein sollte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

3.1.1. Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen.

Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

3.1.3. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).

3.1.4. Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, mwN).

3.1.5. Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, mwN).

Die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung ist auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden Verwaltungsgerichts vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom Verwaltungsgericht nicht getroffen werden (vgl. VwGH 13.01.2022, Ra 2021/14/0386, mwN).

3.1.6. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).

3.1.7. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. ausführlich VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108, Rn. 27 ff; 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn. 19, mwN; siehe auch VwGH 19.06.2019, Ra 2018/18/0548, wonach es für die Frage eines möglichen Asylanspruchs entscheidend ist, ob einem Beschwerdeführer bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat angesichts des in den Länderfeststellungen ausgewiesenen erhöhten Rekrutierungsdrucks der syrischen Armee und der besonderen Gefährdung von einreisenden Männern im wehrfähigen Alter mit maßgebender Wahrscheinlichkeit eine Einziehung zum Wehrdienst droht; vgl. überdies VwGH 03.05.2022, Ra 2021/18/0250, mit Verweis auf VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0203; siehe auch EuGH 19.11.2020, C-238/19, wonach im Kontext des Bürgerkriegs in Syrien eine starke Vermutung dafür spricht, dass die Weigerung, dort Militärdienst zu leisten, mit einem Grund in Zusammenhang steht, der einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen kann; darauf Bezug nehmend auch VfGH 22.09.2022, E 1138/2022, und VwGH 26.01.2023, Ra 2022/20/0358; vgl. auch EUAA, Country Guidance: Syria 2023).

3.1.9. Wie bereits in der Beweiswürdigung dargestellt, ist es dem BF nicht gelungen, eine konkrete und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursachen in einem der in der GFK genannten Gründe hat, glaubhaft zu machen.

Der BF führte in seiner Beschwerde aus, dass das reale Risiko bestehe, dass ihm von Seiten der syrischen (Assad-)Regierung eine oppositionelle Gesinnung zumindest unterstellt wird und/oder er von der syrischen (Assad-)Armee zwangsweise zum Militär eingezogen werde und er im Falle der Weigerung mit unverhältnismäßiger Bestrafung zu rechnen habe. Dazu ist auszuführen:

Wie festgestellt, wurde das syrische Assad-Regime gestürzt. Da die bisherigen Macht-/Behördenstrukturen damit nicht mehr existieren, sind diese auch nicht mehr dazu in der Lage Personen zu verhaften oder zu rekrutieren. Auch hier existiert der vom BF vorgebrachte Verfolger nicht mehr, womit es auch hier der vom BF diesbezüglich vorgebrachten Verfolgung an Aktualität fehlt. Die vom BF in Bezug auf die syrische Assad-Regierung vorgebrachten Fluchtgründe sind daher unbegründet.

Wie festgestellt und in der Beweiswürdigung ausgeführt, ist auch eine Verfolgung durch die Hizbollah oder durch andere vom Iran unterstützte Milizen nicht maßgeblich wahrscheinlich und fehlt es an Aktualität, als diese mit Sturz des Assad-Regimes ebenso aus Syrien abgezogen wurden und sich der Heimatort des BF (und die gesamte Region) unter der Herrschaft der Übergangsregierung befindet.

Ebenso konnte keine oppositionelle oder unterstellte oppositionelle Gesinnung des BF gegen die neue HTS-nahe Übergangsregierung festgestellt werden. Der BF erfüllt, wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, kein Risikoprofil, eine Verfolgung ist daher nicht maßgeblich wahrscheinlich.

Als Rückkehrer wird der BF, dem diese Rückkehr auch möglich ist, ebenfalls nicht asylrelevant verfolgt. Wie ausgeführt ergibt sich kein Grund, warum der BF von der nunmehrigen HTS-nahen Übergangsregierung als Assad-Regimenahe angesehen werden sollte. Eine diesbezügliche asylrelevante Verfolgung bei Rückkehr daher nicht maßgeblich wahrscheinlich.

Soweit der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (OZ 6, S 11) als neuen Asylgrund vorbringt, er könne aufgrund seines Gesundheitszustandes und der medizinischen Versorgung nicht nach Syrien zurückkehren, ist darauf zu verweisen, dass er mit diesen Ausführungen keine asylrelevante Verfolgungsgefahr vorbringt und diese Umstände bereits mit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes berücksichtigt worden sind.

Die Durchsicht der aktuellen Länderberichte zur Heimatregion des BF erlaubt es nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen. Eine aktuelle und maßgebliche Verfolgungsgefahr aus einem Grund, wie sie in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählt sind, kann daher nicht angenommen werden.

Die von UNHCR thematisierten Fragen der freiwilligen Rückkehr („Voluntary Returns“) sowie des Moratoriums zwangsweiser Rückführungen („Moratorium on Forced Returns“) sind mit Blick auf den Gegenstand dieser Entscheidung nicht relevant. Des Weiteren plädiert UNHCR dafür, dass vorerst keine negativen Entscheidungen über Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen, erlassen werden. Zutreffend weist UNHCR zunächst darauf hin, dass das Risiko einer Verfolgung durch die einstige Regierung, also das Assad-Regime, geendet habe. Diese Ausführungen stehen im Einklang mit den – in zahlreichen Medien veröffentlichten – Informationen, auf die sich die gegenständliche Entscheidung stützt. Im Falle des Entstehens neuer Asylgründe infolge der Lageänderung in Syrien ab Ende November/Anfang Dezember 2024 wäre eine entsprechende Glaubhaftmachung am – rechtskundig vertretenen und über seine Mitwirkungspflicht belehrten – BF gelegen. Sollten sich (im Gegensatz zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt) neue Asylgründe infolge des Machtwechsels konkretisieren, steht dem BF auch in Zukunft die Möglichkeit offen, einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Zum hier relevanten Entscheidungszeitpunkt ist jedenfalls von keiner asylrelevanten Verfolgung auszugehen. Im Übrigen ist beachtlich, dass auch UNHCR keine konkreten neuen Verfolgungsrisiken ins Treffen führt, sondern sich bloß allgemein auf die in Syrien vorherrschende Unsicherheit und Instabilität bezieht. Vor diesem Hintergrund sei abschließend noch einmal daran erinnert, dass der BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten innehat.

Die belangte Behörde hat daher den Antrag des BF auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zu Recht abgewiesen, weshalb die dagegen gerichtete Beschwerde gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abzuweisen war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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