JudikaturVwGH

Ra 2023/17/0087 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. März 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der D D in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Mai 2023, G310 22678321/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1Der Revisionswerberin, einer Staatsangehörigen Serbiens, wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 27. Oktober 2021 eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 bis zum 22. November 2022 erteilt.

2 Am 15. September 2022 stellte die Revisionswerberin einen Verlängerungsantrag dieses Aufenthaltstitels.

3Mit Bescheid vom 24. Jänner 2023 wurde dieser Antrag auf Verlängerung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vom BFA gemäß § 57 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFAVG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), festgestellt, dass die Abschiebung (gemeint: nach Serbien) gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine 14 tägige Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

4 Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, dass es nunmehr keinerlei weitere Verfahren gegen den Täter gebe, für welche die Anwesenheit der Revisionswerberin notwendig wäre. In Österreich lebe ihr Gatte, weitere Familienangehörige seien nicht behauptet worden. Ein Privatleben habe nicht festgestellt werden können, weil sich die Revisionswerberin erst seit kurzem im Bundesgebiet aufhalte und zwischenzeitlich auch wieder nach Serbien ausgereist sei.

5 Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde u.a. mit dem Antrag auf Durchführung einer Beschwerdeverhandlung. Begründend führte die Revisionswerberin aus, sie sei im Jahr 2021 Opfer einer Vergewaltigung geworden. Es stimme nicht, dass kein Prozess mehr anhängig sei und sie daher angeblich keinen Titel mehr brauche. Sie habe einen näher konkretisierten Verfahrenshilfeantrag bei Gericht eingebracht, weil sie zusätzliches Schmerzengeld und außerdem die Feststellung begehre, dass der Täter für alle zukünftigen Schäden hafte. Außerdem sei die Rückkehrentscheidung unzulässig, weil sie mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet sei und mit ihm in Wien lebe. Aufgrund des erlittenen Traumas könne sie ohne ihren Ehemann das Haus nicht verlassen; sie habe ohne ihn an der Seite schwere Angstzustände. Sie mache in Wien auch eine Therapie und Lebensberatung bei Personen, „welchen [sie sich] anvertraut“ habe; sie habe „die richtigen Personen hier gefunden“.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab (Spruchpunkt A) und erklärte die Revision für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

7 Den Entfall der mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht mit dem Vorliegen eines eindeutigen Falles; der Sachverhalt habe anhand der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt werden können und auch bei einem positiven Eindruck der Revisionswerberin in einer mündlichen Verhandlung sei keine andere Entscheidung denkbar.

8 Sodann erhob die Revisionswerberin die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Die belangte Behörde erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist bereits in Bezug auf ihr Zulässigkeitsvorbringen zum Abweichen des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für ein Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG zulässig und begründet.

10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß dem hier maßgeblichen ersten Tatbestand des ersten Satzes des § 21 Abs. 7 BFA VG („wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“) dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Verwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFAVG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. etwa VwGH 23.2.2024, Ra 2022/17/0161; 14.8.2024, Ra 2022/17/0061, jeweils mwN).

11 In der Beschwerde (vgl. oben näher Rn. 5) wies die Revisionswerberin auf ihre durch die erfolgte Vergewaltigung bestehende Traumatisierung, auf laufende therapeutische Maßnahmen sowie die Wichtigkeit des Beistands durch ihren Ehemann sowie auch auf ein weiteres, von ihr angestrengtes zivilrechtliches Verfahren gegen den verurteilten Täter hin. Bereits im Hinblick auf dieses Vorbringen durfte das Verwaltungsgericht nicht von einem geklärten Sachverhalt gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG ausgehen, sondern es hätte nach den oben dargestellten Kriterien eine mündliche Verhandlung durchführen und sich dabei insbesondere einen persönlichen Eindruck von der Revisionswerberin (und ihren in der Beschwerde substantiiert behaupteten [geänderten] Lebensumständen) verschaffen müssen.

12Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und wie hierdes Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. etwa neuerlich VwGH 14.8.2024, Ra 2022/17/0061, mwN).

13Das angefochtene Erkenntnis war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze aufzuheben.

14 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.

15Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. März 2025