JudikaturBVwG

W176 2289112-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
16. Mai 2025

Spruch

W176 2289112-1/11E

Schriftliche Ausfertigung des am 06.05.2025 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , syrischer Staatsangehöriger, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2024, Zl. 1353134704/-230959765, wegen Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten nach Durchführung einer mündlichen öffentlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der aus Syrien stammende, illegal ins Bundesgebiet eingereiste XXXX (Beschwerdeführer/BF) stellte am XXXX 05.2023 bei der PI XXXX (Fremdenpolizei) einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung am darauffolgenden Tag gab er an, er sei vor der Einziehung zur syrischen Armee geflüchtet und habe Angst um sein Leben.

2. Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) gab der BF bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am XXXX 12.2023 zusammengefasst an, er stamme aus XXXX im Gouvernement Hasaka, sei geschieden und habe keine Kinder. In Syrien habe er elf Jahre die Grundschule besucht und dann als Taxifahrer gearbeitet. Er befürchte, in Syrien zur Armee eingezogen zu werden. In Syrien herrsche keine Sicherheit mehr. 2018 habe er sich der Stellung beim Militär unterzogen und dann sein Wehrbuch erhalten. Der BF sei während der gesamten Dauer des Bürgerkrieges zu seiner Ausreise in Syrien gewesen, habe sich jedoch allen Rekrutierungsversuchen entziehen können, indem er sich versteckt habe. Sieben Monate vor seiner im April 2023 erfolgten Ausreise sei er von Unbekannten angerufen worden, die ihm damit gedroht hätten, ihm Dinge anzutun, die ihm nicht gefallen würden.

Zugleich legte der BF seinen syrischen Personalausweis und sein Wehrbuch vor.

3. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 05.02.2024 wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Zugleich wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).

Die belangte Behörde ging davon aus, dass die Identität des BF feststehe. Er sei syrischer Staatsangehöriger, Araber und Sunnit. Er habe in Syrien weder asylrelevante Verfolgung erlitten noch eine solche in Zukunft zu befürchten.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, die Angaben des BF zu seinen persönlichen Lebensumständen seien glaubhaft und gingen diese außerdem aus den von ihm vorgelegten unbedenklichen Urkunden hervor.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dem BF drohe keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

4. Allein gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wendet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 21.03.2024 wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, dem BF nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

Der BF brachte darin zusammengefasst vor, er sei seit seiner Stellung bei der Rekrutierungsstelle in XXXX immer auf der Flucht vor dem syrischen Regime und den Kurden gewesen und habe ständig seinen Aufenthaltsort wechseln müssen. Er lehne den Wehrdienst bei der syrischen Armee und den kurdischen Milizen aus Gewissensgründen ab. Das Assad-Regime könne auch im Kurdengebiet Zwangsrekrutierungen durchführen. Hinsichtlich der bereits vor der belangten Behörde erwähnten Drohanrufe ergänzte er, ein Unbekannter habe ihn drei oder vier Mal binnen einer Woche angerufen und sei er von zwei Personen mit dem Tode bedroht worden. Deswegen habe er – um seine Ausreise zu finanzieren – sein Auto verkauft und sei nur mehr abends unterwegs gewesen, bis er nach etwa sieben Monaten in die Türkei habe ausreisen können. Dem Bruder des BF sei am 20.11.2020 in Österreich der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden.

Aufgrund der Wehrdienstverweigerung des BF würde ihm das syrische Regime eine oppositionelle Gesinnung unterstellen. Die Zwangsrekrutierung durch kurdische Milizen im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht sei wegen der fehlenden internationalen Anerkennung der AANES grundsätzlich als asylrelevante Verfolgung zu betrachten. Der BF wolle sich nicht an Kriegsverbrechen beteiligen.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Akt des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

5. Mit Schreiben vom 15.04.2025 teilte das Bundesverwaltungsgericht dem BF mit, dass es beabsichtigt, die Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA zum Sturz des Assad-Regimes vom 10.12.2024 sowie den EUAA-Bericht zu Syrien vom März 2025 seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

6. Mit Schreiben vom 29.04.2025 gab der BF eine Stellungnahme zu den zuvor genannten Länderberichten ab und führte aus, er befürchte nach wie vor die Zwangsrekrutierung durch die SDF. Die Lage in Nordsyrien habe sich wegen der Kampfhandlungen zwischen SDF und SNA zugespitzt. Auch die Rekrutierungspraktiken der neuen Machthaber würden eine erhebliche Gefahr für den BF darstellen. Es gebe Gerüchte, wonach auch diese Zwangsrekrutierungen durchführen würden. Da die syrischen Wehrgesetze nicht geändert oder aufgehoben worden seien, sei die Furcht des BF vor Rekrutierung zum staatlichen Wehrdienst nach wie vor relevant. Die Sache sei wegen der unklaren Verhältnisse in Syrien nicht entscheidungsreif.

7. Am 06.05.2025 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der der BF als Partei einvernommen wurde.

Dabei gab der BF an, er stamme aus der XXXX . Früher hätte die Armee des Assad-Regimes im gesamten Gouvernement Hasaka Zwangsrekrutierungen durchgeführt. Einen Einberufungsbescheid habe er nicht erhalten, weil dies in Syrien nicht üblich sei. Bei einer Stellung oder Untersuchung durch einen Militärarzt sei er nicht gewesen. Auch die Kurden hätten versucht, ihn zwangsweise zu rekrutieren. Zwei oder drei Mal habe er in XXXX an gegen das Assad-Regime gerichteten Demonstrationen teilgenommen.

Nachdem er Anrufe von Unbekannten, die Geld von ihm verlangt und ihn mit dem Tode bedroht hätten, erhalten hätte, habe er zunächst die Telefonnummer gewechselt. Als er dann weitere Morddrohungen erhalten habe, habe er sich entschieden, Syrien zu verlassen. Er wisse nicht, in welchem Jahr sich dies ereignet habe.

Seit dem Machtwechsel gebe es in XXXX Geheimzellen, die Jugendliche entführen würden. Wer hinter diesen Geheimzellen stecke, wisse man nicht. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien würde ihm die Zwangsrekrutierung durch die Kurden oder die Ermordung wegen der Drohanrufe drohen.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung wurde das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet.

8. Mit Schreiben vom 06.03.2025 beantragte der BF die schriftliche Ausfertigung dieses Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Beschwerdeführer:

Der BF wurde am XXXX in XXXX im Gouvernement Hasaka geboren, ist syrischer Staatsangehöriger, Araber und Moslem. Bis zu seiner Ausreise aus Syrien im April 2023 lebte der BF in XXXX , wo er elf Jahre die Grundschule besuchte und anschließend als Taxifahrer arbeitete.

XXXX steht unter der Kontrolle der SDF und gehört zum kurdischen Selbstverwaltungsgebiet in Nordsyrien (AANES).

Nach den Vorschriften der AANES sind Männer ab dem vollendeten achtzehnten Lebensjahr im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht bei den Selbstverteidigungskräften wehrpflichtig, allerdings nur, wenn sie im Jahre 1998 oder danach geboren worden sind.

Wer den Selbstverteidigungsdienst verweigert, muss in der Regel länger als gesetzlich vorgesehen bei den Selbstverteidigungskräften dienen, wird darüber hinaus aber nicht bestraft. Außerdem werden Wehrpflichtige grundsätzlich nicht an der Front eingesetzt und es ist keine Teilnahme an völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen zu erwarten.

Der BF ist auch den Machthabern der kurdischen Selbstverwaltung gegenüber nicht oppositionell eingestellt und wird ihm dergleichen von den diesen auch nicht unterstellt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass kurdische Einheiten versucht hätten, den BF vor seiner Ausreise aus Syrien zwangszurekrutieren.

Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der BF in Syrien von durch HTS-Angehörige begangenen Menschenrechtsverletzungen betroffen wäre.

1.2. Hinsichtlich der Lage in Syrien:

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA (LIB) vom 27.03.2024:

Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Als die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Baschar Al-Assad geführten Ba‘ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Demonstranten, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und regimetreuer Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein immer komplexer werdender bewaffneter Konflikt.

Ab März 2020 trat der Konflikt in eine Patt-Phase ein, in der sich im Wesentlichen drei Gebiete und mehr oder weniger statische Frontlinien herauskristallisierten. Dabei kontrollierte die syrische Regierung unter Präsident Assad rund 60% des syrischen Staatsgebietes, während die Selbstverwaltungszone im Nordosten Syriens (AANES) unter Herrschaft kurdischer Kräfte stand, mit der Türkei alliierte Rebellengruppen Teile des Nordens kontrollierten und die islamistische Gruppierung HTS über einen Teil der Provinzen Idlib und Aleppo im Nordwesten herrschte (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (LIB) vom 27.03.2024, S. 16).

Für männliche syrische Staatsbürger war im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 bzw. 21 Monaten in der Syrischen Arabischen Armee (SAA) verpflichtend. Auch Rückkehrer mussten mit Zwangsrekrutierung rechnen. Männer im Alter von 17 Jahren waren gesetzlich verpflichtet, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wurde man einberufen, um den Wehrdienst zu leisten, sofern kein Ausnahmegrund (Studium, medizinische Gründe, einziger Sohn der Familie) vorlag (LIB, S. 119). Nach Ableistung des Pflichtwehrdienstes blieb ein syrischer Mann Reservist und konnte bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (LIB, S. 124). Eine Durchsetzung der Wehrpflicht durch Zwangsrekrutierung war dem syrischen Regime im Wesentlichen nur im eigenen Herrschaftsgebiet möglich (LIB, S. 123f.).

Wehrdienstverweigerung wurde aber vom syrischen Regime zuletzt nicht mehr in jedem Fall als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung gesehen. Das Regime war sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer das Land lediglich verlassen hatten, um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich gegen Bezahlung einer Geldsumme von der Wehrpflicht freizukaufen (LIB, S. 144).

Personen, die unter dem Verdacht standen, sich oppositionell zu engagieren, oder als regimekritisch wahrgenommen wurden, unterlagen einem besonders hohen Folterrisiko seitens des Regimes. In vielen Fällen wurden auch Familienmitglieder solcher Personen als vermeintliche Mitwisser oder für vermeintliche Verbrechen ihrer Angehörigen inhaftiert (LIB, S. 165).

Das HTS, welche von Seiten der US-Regierung und auch von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestuft wurde, versuchte in Idlib, eine autoritäre Ordnung mit einer islamistischen Agenda durchzusetzen. Ihr wurden in dieser Zeit Menschenrechtsverletzungen (auch gegenüber religiöser Minderheiten), darunter u.a. willkürliche Verhaftungen, mangelnde Rechtsstaatlichkeit im Rahmen der auf religiösen Grundsätzen basierenden Gerichtsbarkeit, gewaltsame Niederschlagung von Protesten sowie das Verschwindenlassen von Personen vorgeworfen (LIB, S. 11, 35, 90, 169).

Durch eine am 27.11.2024 gestartete Großoffensive des HTS gegen die Regierungstruppen kam es rund um den 08.12.2024 zu einem Machtwechsel in Syrien: Assad setzte sich nach Russland ab, das HTS übernahm die Kontrolle über die staatlichen Institutionen und bildete eine unter seiner Leitung stehende Übergangsregierung. Die nunmehrigen Machthaber haben eine Neuordnung des syrischen Staates in Aussicht gestellt, wobei die Erlassung einer neuen Verfassung in drei Jahren und die Abhaltung von Wahlen in vier Jahren vorgesehen ist. Die Soldaten der SAA wurden vom Armeekommando außer Dienst gestellt. Für alle Wehrpflichtigen, die in der SAA gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Aktuell existiert in Syrien keine staatliche Wehrpflicht.

Aus der Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA zur Sicherheitslage und politischen Lage vom 10. Dezember 2024:

„Nach monatelanger Vorbereitung und Training starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) die Operation ‚Abschreckung der Aggression‘ […] und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende. […]

Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort. Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12.

Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab. Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen. Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein, nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten. Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab. Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor. Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind, und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben. Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt, die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen. Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt.

Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad. Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt.

[…]

Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo. Im Zuge der Operation ‚Morgenröte der Freiheit‘ […] nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein.

[…]

Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet. Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen. Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union und der Türkei als Terrororganisation eingestuft. Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden. Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien. Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren.

[…]

Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt. Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben.“

Aus dem Bericht der EUAA, Syria: Country Focus, Country of Origin Information Report vom März 2025:

Regierungsführung unter der Übergangsverwaltung (S. 20-23)

Nach dem Sturz der Regierung von Baschar Al-Assad am 08.12.2024 wurde eine Übergangsverwaltung geschaffen. Der ehemalige Premierminister Mohammed Al-Jalali übertrug die Macht formell an Mohammed al-Baschir, den neu ernannten Übergangspremierminister, um die Fortführung der staatlichen Aufgaben einschließlich der Zahlung der Gehälter im öffentlichen Dienst zu gewährleisten, wie Al-Jalali erklärte.

Al-Scharaa erklärte, dass die Organisation landesweiter Wahlen bis zu fünf Jahre dauern könnte, da die Wahlinfrastruktur erst wieder aufgebaut werden müsse. Er versicherte ferner, dass Syrien als „Republik mit einem Parlament und einer Exekutivregierung“ strukturiert sein werde.

Am 29.12.2024 skizzierte Ahmad al-Scharaa einen mehrjährigen Fahrplan, der die Ausarbeitung einer neuen Verfassung innerhalb von drei Jahren und anschließende Wahlen vorsieht, sowie Pläne für eine Konferenz des nationalen Dialoges zur Förderung von Versöhnung und Inklusion. Als Teil des Übergangsprozesses betonte Al-Scharaa die Bedeutung der Bewahrung der nationalen Einheit und lehnte den Föderalismus ab. Erste Verhandlungen wurden mit den SDF und dem Kurdischen Nationalrat (KNC) geführt, um die kurdischen Gruppierungen in den politischen Prozess einzubeziehen. Die ursprünglich für Anfang Jänner geplante Konferenz für den nationalen Dialog wurde jedoch verschoben, um ein breiteres Vorbereitungskomitee einzusetzen, in dem alle Teile der syrischen Gesellschaft vertreten sind. Die Konferenz fand schließlich am 25.02.2025 statt, der vorbereitende Treffen auf lokaler Ebene vorausgegangen waren. Sie trat in Damaskus mit rund 600 Teilnehmern zusammen und betonte in ihrer Abschlusserklärung die territoriale Integrität Syriens, verurteilte die israelischen Angriffe und forderte den Rückzug der Israelis. Ferner wurde die Annahme einer vorläufigen Verfassungserklärung, die Bildung eines vorläufigen Legislativrates und die Ausarbeitung eines Entwurfes für eine ständige Verfassung mit Schwerpunkt auf Menschenrechten und Freiheit festgelegt. In der Abschlusserklärung wurde ferner die Bedeutung der Beteiligung von Frauen, der friedlichen Koexistenz und der Einrichtung von Mechanismen für den laufenden nationalen Dialog hervorgehoben. Die Konferenz wurde jedoch als übereilt organisiert und unzureichend repräsentativ kritisiert.

Ende Jänner erklärte die Übergangsregierung die Verfassung Syriens aus dem Jahr 2012 für ungültig und löste das Parlament, das Militär und die Sicherheitsorgane der früheren Regierung auf. Al-Scharaa erklärte, er werde einen legislativen Interimsrat einrichten, der die Regierung bis zur Verabschiedung einer neuen Verfassung unterstützen soll.

Regierungsbildung (S. 21-22)

Nach der Machtübernahme in Damaskus setzte HTS eine geschäftsführende Regierung ein, die sich hauptsächlich aus Beamten der ehemaligen Syrischen Heilsregierung (SSG) in Idlib zusammensetzte, was Al-Scharaa als eine vorübergehende Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Stabilität und Wiederherstellung der wichtigsten Einrichtungen bezeichnete. Zunächst übernahmen Minister der SSG nationale Ministerposten, wobei einige Beamte und Staatsbedienstete der früheren Regierung in ihren Positionen blieben, um die Kontinuität zu gewährleisten.

Am 10.12.2024 wurde Mohammed Al-Baschir, ein Ingenieur aus dem Gouvernement Idlib und ehemaliger Premierminister der HTS-geführten SSG im Nordwesten Syriens zum Interimspremierminister ernannt. Seine Amtszeit und die der Übergangsregierung sollte am 01.03.2025 enden, aber Ende Jänner 2025 gab es noch keinen Termin für Wahlen in Syrien. In der Zwischenzeit wurde Ahmad Al-Scharaa, der HTS-Anführer, zum De-Facto-Führer Syriens ernannt. Am 29.01.2025 wurde Al-Scharaa zum Präsidenten für die Übergangszeit ernannt.

Am 21.12.2025 ernannte die Übergangsregierung Asaad Hassan Al-Schaibani zum Außenminister und Murhaf Abu Qasra zum Verteidigungsminister, die beide als Verbündete von Al-Scharaa bekannt waren. Weitere Ernennungen betrafen Mohamed Abdel Rahman als Innenminister, Mohammed Yaqoub Al-Omar als Informationsminister, Mohamed Taha Al-Ahmad als Minister für Landwirtschaft und Bewässerung, Nazir Mohammed Al-Qadri als Bildungsminister und Shadi Mohammed Al-Waisi als Justizminister, die alle zuvor in der Heilsregierung tätig waren. Darüber hinaus übernahmen Fadi Al-Qassem, Mohamed Abdel Rahman Muslim, Hossam Hussein und Basil Abdul Aziz das Amt des Ministers für Entwicklung, des Ministers für lokale Verwaltung und Dienstleistungen, des Ministers für Stiftungen und des Wirtschaftsministers. Anas Khattab (auch bekannt unter seinem Pseudonym Abu Ahmad Hudood), ein früherer Führer der Nusra-Front, wurde zum Leiter des Allgemeinen Nachrichtendienstes ernannt.

Militärische Reformen (S. 22-23)

Vor ihrem Einzug in Damaskus am 08.12.2024 verpflichtete sich HTS, den bisherigen institutionellen Rahmen Syriens beizubehalten, und erließ später eine Generalamnestie für die Soldaten der syrischen Armee. Die Übergangsregierung leitete daraufhin einen Versöhnungsprozess ein, der die Wiedereingliederung zahlreicher ehemaliger Regierungs- und Militärangehöriger erleichterte, darunter auch hochrangige Beamte, von denen einige, wie z.B. Fadi Saqr, in schwerwiegende Übergriffe während des Krieges verwickelt waren. Neben den Verfahren zur freiwilligen Wiedereingliederung verfolgte die Military Operations Administration (MOA), die übergeordnete Kommandozentrale der neuen HTS-geführten Übergangsverwaltung, Personen, die sich der Wiedereingliederung entzogen. Im Rahmen dieser Kampagnen wurden frühere Offiziere verhaftet, während andere wieder freigelassen wurden, nachdem festgestellt worden war, dass sie nicht an Übergriffen beteiligt gewesen waren. Nach Angaben von Etana gab es Bedenken wegen fehlender Verfahren, da Berichten zufolge Hinrichtungen von Milizionären auf unterer Ebene stattfanden, die von den Behörden als vereinzelte Racheakte der Gemeinschaft dargestellt werden. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR), eine im Vereinigten Königreich ansässige Überwachungsorganisation, berichtete Mitte Jänner, dass innerhalb weniger Tage 8.000 Personen in den MOA-Zentren in Sallamiyah, Hama, Versöhnungsabkommen geschlossen haben. Die Zahl der Offiziere und Angehörigen der Streitkräfte der früheren Regierung in Gefängnissen wie Adra, Hama und Harim stieg auf über 9.000, darunter 2.000, die aus dem Irak zurückgekehrt waren. Die meisten wurden verhaftet, nachdem sie bei Razzien oder an Checkpoints erwischt worden waren.

Die Übergangsregierung schaffte außerdem die Wehrpflicht ab, außer in Situationen des nationalen Notstandes. Laut Samir Saleh, Mitglied des Militärkommandos im Umland von Damaskus, wird die syrische Armee eine Freiwilligenarmee sein, an der sich die Bevölkerung beteiligen soll, um die Grenzen des Landes zu sichern. Frühere Überläufer, wie z.B. Offiziere der Freien Syrischen Armee (FSA), werden in der Struktur des Verteidigungsministeriums einen besonderen Status erhalten, je nach ihrer Expertise. Am 29.12.2024 wurde eine Liste mit 49 neuen militärischen Befehlshabern veröffentlicht, darunter HTS-Mitglieder, übergelaufene Offiziere der syrischen Armee und mindestens sechs Nicht-Syrer, wobei die sieben höchsten Positionen Berichten zufolge mit HTS-Mitgliedern besetzt sind.

Schließlich verpflichtete sich die Übergangsregierung, alle Rebellengruppen in das Verteidigungsministerium zu integrieren. Zwischen Jänner und Februar 2025 bemühten sich die Interimsministerien für Verteidigung und Inneres, alle bewaffneten Gruppen in einer einzigen Militär- und Polizeitruppe zu vereinen. Das Verteidigungsministerium berichtete, dass über 70 Gruppierungen aus sechs Regionen der Integration zugestimmt hätten, und es wurde ein Oberster Ausschuss eingerichtet, der den Einsatz militärischer Mittel, einschließlich Personal, Stützpunkte und Waffen, steuern sollte.

Behandlung bestimmter Bevölkerungsgruppen (S. 26-42)

Personen, die der Regierung von Baschar Al-Assad nahestanden (S. 26-29)

Nach der Machtübernahme verfolgte die Übergangsregierung keinen umfassenden Entbaathifizierungsprozess nach dem Vorbild der Nachkriegspolitik des Irak, und die Büros der Baath-Partei wurden nicht systematisch ins Visier genommen. Im Dezember 2025 stellte die Führung der Baath-Partei ihre Aktivitäten ein.

Ende Jänner 2025 wurde die Auflösung der Partei bekannt gegeben. Von Anfang an verkündeten die neuen Behörden, dass die Soldaten, die im Rahmen der Wehrpflicht rekrutiert worden waren, sicher seien und dass es verboten sei, sie anzugreifen. Am 09.12.2024 erließ das MOA eine Generalamnestie für alle zwangsrekrutierten Militärangehörigen. Die neue Regierung richtete daraufhin so genannte Versöhnungszentren ein, in denen ehemalige Angehörige der Polizei, des Militärs, der Nachrichtendienste und der Pro-Assad-Milizen, die ihre Waffen abgegeben haben, vorübergehend zivile Ausweise erhalten. Diese Versöhnungszentren überwachen den Prozess, bei dem ehemalige Regimeangehörige ihre Waffen abgeben und ihre persönlichen Daten im Austausch gegen vorläufige Personalausweise registrieren. Diese Karten gewähren einen begrenzten Rechtsschutz und sicheres Reisen, aber das Verfahren ist nicht transparent, folgt uneinheitlichen Kriterien und wird von den Sicherheitsbehörden beeinflusst, so dass viele Antragsteller vor komplexen bürokratischen Hürden stehen. Ende Dezember 2025 berichtete die BBC von regem Andrang mit Schlangen von Hunderten von Personen vor einem Versöhnungszentrum in Damaskus.

Im Jänner und Februar 2025 berichteten lokale Medien und Organisationen, welche die Ereignisse in Syrien verfolgten, dass die neue Regierung einigen hochrangigen Persönlichkeiten, die mit der Assad-Regierung in Verbindung stehen, Amnestie gewährte, wie z.B. Fadi Saqr, dem früheren Führer der Nationalen Verteidigungskräfte. Außerdem soll die MOA Kollaborateuren von Maher Al-Assad, wie Geschäftsleuten, die seine Aktivitäten unterstützten, sowie Generalmajor Talal Makhlouf, Anführer der Republikanischen Garde der Assad-Regierung, Versöhnung gewährt haben. Gleichzeitig veranlasste der Zusammenbruch der Regierung von Baschar Al-Assad zahlreiche hochrangige Beamte und Angehörige der Herrscherfamilie zur Flucht in den Libanon. Die libanesischen Behörden wiesen jedoch syrische Offiziere und Soldaten, die illegal eingereist waren, aus und schickten sie nach Syrien zurück, wo sie von der neuen Regierung inhaftiert wurden.

Ende Dezember 2025 intensivierte die Übergangsverwaltung ihre Bemühungen, Personen festzunehmen, die mit der gestürzten Regierung in Verbindung stehen. Die Behörden behaupteten, ihre Verhaftungsaktionen zielten nur auf Personen ab, die im Namen des Assad-Regimes Verbrechen begangen hatten. Die Kampagnen in Deir Ez-Zor, Aleppo und Tartus konzentrierten sich auf die Beschlagnahmung illegaler Waffen und die Festnahme von Verdächtigen, die an illegalen Aktivitäten beteiligt waren. Allein in einer Woche wurden in Damaskus, Latakia, Tartus, Homs, Hama und Deir Ez-Zor fast 300 Personen festgenommen, darunter ehemalige Regimeinformanten, pro-iranische Kämpfer und rangniedrige Militäroffiziere. Nach Angaben des SOHR wurden einige Gefangene, die beschuldigt wurden, der Assad-Regierung Informationen geliefert zu haben, Berichten zufolge unmittelbar nach ihrer Verhaftung hingerichtet. Am 10.01.2025 berichtete das SOHR, dass Kämpfer, die mit der Übergangsregierung verbunden sind, Mazen Kneneh, einen lokalen Beamten, der beschuldigt wird, als Informant für den gestürzten Präsidenten Assad zu arbeiten, öffentlich hinrichteten. Im Februar 2025 wurden weitere außergerichtliche Tötungen ehemaliger Mitglieder von Milizen, die Baschar Al-Assad unterstützten, gemeldet, wie die Ermordung von vier Mitgliedern der Familie Meido, die einer lokalen Miliz angehörten, die an der Seite der früheren Regierung gekämpft hatte. Nach Angaben des SOHR wurden zwischen Anfang 2025 und Mitte Februar 2025 287 Personen durch außergerichtliche Tötungen und Racheakte getötet.

Die Operationen wurden den ganzen Jänner 2025 über fortgesetzt, wobei Mitglieder der allgemeinen Sicherheitsverwaltung Häuser inspizierten und nach Waffen und Personen suchten, die sich nicht mit der Übergangsverwaltung ausgesöhnt hatten. Bei umfangreichen Militär- und Sicherheitsoperationen in Schlüsselregionen wie den Küstenstädten Homs, Hama und Aleppo sowie Damaskus kam es zu Razzien, Waffendurchsuchungen und der Festnahme weiterer Hunderter von Personen. Die Operationen konzentrierten sich auf ehemalige militärische Kämpfer und Ex-Regierungsangehörige und führten zur Beschlagnahme erheblicher Mengen an Waffen und Munition. Die festgenommenen Personen wurden in die Zentralgefängnisse von Homs, Hama und Adra im ländlichen Damaskus gebracht. Darüber hinaus wurden Videos ins Internet gestellt, auf denen zu sehen ist, wie Häftlinge, die bei diesen Operationen festgenommen wurden, körperlich und verbal misshandelt werden, einschließlich Angriffen und erniedrigender Behandlung. Nach Angaben des Syria Justice and Accountability Center kam es bei diesen Sicherheitsoperationen zu verschiedenen Menschenrechtsverletzungen, darunter dem Tod von Inhaftierten und der Verhaftung von Angehörigen gesuchter Personen, von denen sowohl ehemalige Angehörige der Assad-Regierung als auch Zivilisten betroffen waren. Mitte Jänner 2025 meldete das SOHR, dass über 9.000 Kämpfer und Offiziere weiterhin inhaftiert seien, wobei Foltervorwürfe erhoben und der Kontakt zu den Familien eingeschränkt wurde. Informationen des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte (SNHR) stimmten mit den Foltervorwürfen überein, die von Familien berichtet wurden, denen die Leichen ihrer Familienmitglieder nach ihrer Inhaftierung durch das Generaldirektorat für Sicherheit zurückgegeben wurden. Gleichzeitig berichtete das SOHR, dass 275 Häftlinge aus dem Zentralgefängnis von Homs freigelassen wurden, nachdem ihre Unschuld an Kriegsverbrechen gegen die syrische Bevölkerung festgestellt worden war. Im Jänner 2025 ließ die Übergangsverwaltung rund 641 Personen, hauptsächlich aus den Gouvernements Homs, Hama und Latakia, frei, die zwischen einigen Tagen und einem Monat inhaftiert waren, wobei die meisten in kleinen Gruppen aus dem Zentralgefängnis von Homs entlassen wurden.

Anfang Februar 2025 verhängte das Informationsministerium ein Verbot, Interviews mit Personen zu führen oder Aussagen zu verbreiten, die mit der früheren Regierung in Verbindung gebracht werden.

Seit der Machtübernahme durch die Übergangsregierung haben die verbliebenen Pro-Assad-Gruppen in ganz Syrien kleinere, gezielte Anschläge auf die Sicherheitskräfte der Regierung verübt. Diese Angriffe haben die Behörden dazu veranlasst, Operationen zur Ergreifung der Täter einzuleiten, die manchmal zu Opfern unter der Zivilbevölkerung führten. Anfang März 2025 führten koordinierte Angriffe von Pro-Assad-Gruppen auf Sicherheitskräfte, insbesondere in den Küstengebieten, zu einer erheblichen Eskalation, die eine große Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung, vor allem unter den Alawiten, zur Folge hatte.

Neben den Operationen der Übergangsverwaltung wurden Vorfälle von mutmaßlichen Racheakten, einschließlich Tötungen, Entführungen und Brandstiftungen, durch nicht identifizierte Gruppen dokumentiert, deren Ausmaß jedoch unklar bleibt. Ende Dezember 2025 wurden drei alawitische Richter in Masyaf, die für Eigentumsstreitigkeiten zuständig waren, getötet, eine Tat, die von der Übergangsverwaltung verurteilt wurde. Im Jänner 2025 meldete das SOHR die Hinrichtung von 15 Personen, darunter Beamte der ehemaligen Regierung, durch nicht identifizierte Bewaffnete im Gouvernement Homs. Außerdem wurden 53 Personen verhaftet und an unbekannte Orte gebracht.

Alawiten (S. 29-31)

Nach ihrer Machtübernahme betonte HTS ihr Engagement für die Integration der Alawiten in die syrische Staatsführung und nahm Gespräche mit lokalen Vertretern der Alawiten auf. HTS-Vertreter bekräftigten, dass die Verbrechen, die unter der Assad-Regierung begangen wurden, über das formelle Rechtssystem verfolgt werden würde. Trotz dieser Zusicherungen bleiben die Alawiten von den neuen politischen und militärischen Strukturen weitgehend ausgeschlossen, und es gibt keinen Plan für die Eingliederung entlassener Soldaten in die neue Armee, da die Differenzen aus der Kriegszeit fortbestehen. Das Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber ehemaligen Offizieren und Beamten des Regimes behindert ihre Wiedereingliederung zusätzlich. Die wirtschaftliche Unsicherheit stellt eine große Herausforderung dar, wobei die Massenentlassungen im öffentlichen Sektor vor allem Alawiten betreffen, darunter ehemalige Sicherheitsbeamte und ihre Familien, von denen viele auch staatlich bereitgestellte Wohnungen verloren haben.

Die Behandlung der alawitischen Gemeinschaften, insbesondere in Regionen wie Homs, Hama und den Küstengouvernements, gibt weiterhin Anlass zu großer Sorge. In der Stadt Homs errichteten Männer in Militäruniformen Kontrollpunkte an den Eingängen der mehrheitlich von Alawiten bewohnten Stadtteile, was die Ängste der Bewohner schürt. Berichten zufolge wurden junge Männer, darunter ehemalige Soldaten und Wehrpflichtige, die ihre Waffen abgegeben hatten, festgenommen. Die Männer an einem Kontrollpunkt haben angeblich ein Sektenprofil erstellt, bevor der Kontrollpunkt nach Beschwerden aufgelöst wurde. Shihadi Mayhoub, ein ehemaliger Gesetzgeber, sagte, er habe bis Jänner 2025 über 600 Verhaftungen im Bezirk Zahra (Gouvernement Homs) und mehr als 1.380 in der Stadt Homs dokumentiert, wobei es sich bei den meisten Verhafteten um Zivilisten und Wehrpflichtige sowie um pensionierte Offiziere gehandelt haben soll. Das SOHR schätzt, dass in der Stadt Homs und ihrem Gouvernement mindestens 1.800 Personen, überwiegend Alawiten, inhaftiert wurden. Darüber hinaus nahm die gegen Alawiten gerichtete Gewalt landesweit zu, und es wurden 150 Morde gemeldet, insbesondere in Homs und Hama.

In der Zwischenzeit verschärften nicht identifizierte extremistische Gruppierungen die Ängste, indem sie Aufrufe zur Gewalt gegen Alawiten verbreiteten, darunter auch Videos, die wahllose Angriffe befürworteten. Gezielte Tötungen von Alawiten, die mit der früheren Regierung in Verbindung standen, wurden aus den Küstenregionen gemeldet, während Bewaffnete, die Militäruniformen trugen, die denen des HTS oder anderer Oppositionsgruppen ähnelten, über 20 alawitische Dörfer im ländlichen Hama überfielen, was zu Vertreibung, Diebstahl und Tötungen führte.

Berichte über Schikanen, Entführungen und Tötungen von Alawiten nahmen nach dem Sturz Assads zu, wobei in den sozialen Medien – wenn auch unbestätigterweise – HTS-Kämpfer für die Gewalt verantwortlich gemacht wurden. Ein ehemaliger syrischer Soldat berichtete, er sei an einem HTS-Kontrollpunkt in der Nähe von Khirbet al-Ma‘zah im Gouvernement Tartus festgenommen und geschlagen worden, als er unterwegs war, um Amnestie zu beantragen. Er gab an, er sei gezielt wegen seiner alawitischen Herkunft angegriffen und fünf Stunden lang körperlich misshandelt worden, bevor er freigelassen wurde. Die VN bemühten sich, diese Behauptungen zu überprüfen, um eine weitere Eskalation zu verhindern, während das SOHR schätzungsweise 150 Tötungen von Alawiten innerhalb eines Monates durch ungenannte Täter verzeichnete.

In Zahra, einem Viertel von Homs mit einem hohen Anteil an alawitischer Bevölkerung, nahm die Unsicherheit zu, und die Bewohner hielten sich aufgrund der Präsenz von HTS-Kräften an eine informelle Ausgangssperre. HTS ergriff Sicherheitsmaßnahmen in dem Gebiet, darunter Hausdurchsuchungen und die Errichtung von Kontrollpunkten, die sie als Überbleibsel der früheren Regierung identifizierte. In Berichten von Anwohnern wurde von Zwangsräumungen, der Erstellung von Profilen anhand von Ausweisdokumenten sowie von Gewalt, Verhaftungen, körperlichen Angriffen und Schüssen berichtet.

Ende Jänner 2025 meldete das SOHR mehrere Fälle, in denen bewaffnete Gruppen, von denen einige behaupteten, mit der MOA in Verbindung zu stehen, Zivilisten aus politischen und konfessionellen Gründen angriffen und töteten. Insbesondere in Gemeinden im Umland von Homs, in denen die alawitische und schiitische Bevölkerung überwiegt, kam es zu einer drastischen Eskalation von Übergriffen, Straftaten und außergerichtlichen Tötungen von Zivilisten. In einem Dorf im Nordwesten des Gouvernements Hama, das hauptsächlich von Alawiten bewohnt wird, haben Bewaffnete Zivilisten erschossen und getötet. Nach Angaben der Behörden befanden sich unter den Getöteten ehemalige Offiziere und Soldaten.

Anfang Februar 2025 wurden weitere Angriffe auf Alawiten gemeldet. Die neuen Behörden leiteten Ermittlungen wegen unrechtmäßiger Tötungen ein und kündigten gleichzeitig Sicherheitsoperationen gegen Loyalisten der früheren Regierung an. Interimspräsident Ahmad Al-Scharaa betonte die Notwendigkeit, den Frieden zu wahren, und warnte vor den Gefahren einer Vertiefung der konfessionellen Spaltung.

Gregory Waters, Experte für syrische Sicherheitsfragen, wies auf die sehr unterschiedlichen Bedingungen in ehemaligen Regierungshochburgen wie Tartus, Latakia, Homs und Hama hin. Während von Fällen konfessioneller Einschüchterung und Belästigung durch Sicherheitskräfte berichtet wurde, beschrieben einige Alawiten in diesen Regionen den Umgang mit den Behörden als höflich und respektvoll. Laut Waters scheinen die dokumentierten Verstöße eher auf unprofessionelles Verhalten bei Verhaftungen als auf explizite konfessionelle Ziele zurückzuführen zu sein, wobei viele der begangenen Straftaten Banden und Zivilisten zugeschrieben werden, die keine Verbindung zur Übergangsregierung haben. Er stellte ferner fest, dass Menschenrechtsverletzungen manchmal im Kontext einer instabilen Sicherheitslage oder eines Sicherheitsvakuums sowie als Reaktion auf bestimmte Vorfälle begangen wurden, wie beispielsweise, als ehemalige Regierungsmilizionäre Ende Dezember 2025 in den ländlichen Gebieten von Tartus einen Hinterhalt gegen Sicherheitskräfte legten. Die Streitkräfte leiteten daraufhin eine Operation ein, die Hausdurchsuchungen, die Errichtung von Kontrollpunkten und Schießereien mit den Einwohnern von Dörfern umfasste, die im Verdacht standen, die Kämpfer zu beherbergen, wie z.B. Khirbet Maazah, wo zahlreiche ehemalige Kämpfer der Regierungsmiliz und ein hochrangiger Gefängnisbeamter lebten, der beschuldigt wurde, an der Ermordung von Hunderten von Gefangenen beteiligt gewesen zu sein. Waters ist der Ansicht, dass zahlreiche Verbrechen von Banden und Zivilisten verübt wurden, die nicht mit der neuen Regierung verbunden sind, während einige untergeordnete Soldaten und lokale Führer an sektiererisch motivierten Einschüchterungen und Entführungen von alawitischen Zivilisten beteiligt waren.

Anfang März 2025 wurden bei Zusammenstößen zwischen Pro-Assad-Gruppen und Sicherheitskräften in Latakia, Tartus und Hama Hunderte von Zivilisten getötet, die meisten von ihnen Alawiten. Dabei kam es auch zu Hinrichtungen im Schnellverfahren durch Kräfte, die mit der Übergangsregierung verbunden sind.

Kurden (S. 31)

In Bezug auf die kurdische Gemeinschaft hielt Al-Scharaa nach der Übernahme der Kontrolle ein erstes Treffen mit einer hochrangigen SDF-Delegation ab, um die Grundlage für künftige Gespräche zu schaffen. Seine Äußerungen deuteten darauf hin, dass die Übergangsverwaltung nicht mit der Anti-SDF-Haltung der von der Türkei unterstützten SNA übereinstimmte. Dennoch bezeichnete Mohammed A. Salih, ein auf kurdische und regionale Fragen spezialisierter Wissenschaftler, seine Äußerungen als unklar und nicht unterstützend für die kurdischen Ziele. Nach der raschen Einnahme von Aleppo durch die von HTS-geführte Offensive Ende November 2024 zwangen die SNA-Kräfte Tausende von kurdischen Zivilisten zur Flucht. In Aleppo hatten die Kurden in erster Linie mit dem HTS zu tun, das sich moderat und offen für einen Dialog gezeigt hat. Im Gegensatz dazu geriet die SNA in Manbidsch immer wieder in Konflikt mit den SDF. Die durchgehende Existenz der SDF wurde von den Organisatoren der Nationalen Dialogkonferenz als Grund für den Ausschluss der halbautonomen kurdischen Verwaltung und der ihr nahestehenden Einrichtungen von der Konferenz angegeben.

Während des gesamten Jänners kam es zu weiteren Eigentumsverletzungen, als vertriebene kurdische Einwohner versuchten, nach Afrin, einer mehrheitlich kurdisch bewohnten Region im Umland von Aleppo, und in die umliegenden Gebiete zurückzukehren. Berichten zufolge wurden sie von den SNA-Kräften gezwungen, bis zu USD 10.000,− für die Rückgabe ihrer Häuser zu zahlen. Gleichzeitig nahmen SNA-Gruppierungen im Jänner 2025 mindestens zehn Kurden in Afrin fest, wobei die Lösegeldforderungen für die Freilassung auf über USD 1.000,− pro Person anstiegen. Bis Mitte Februar 2025 hatte sich für die Kurden in Afrin trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften aus Damaskus in der Stadt am 07.02.2025 nur wenig geändert. Berichten zufolge hielten die Misshandlungen durch verschiedene Gruppierungen in Afrin an. Zurückkehrende Bewohner stellten fest, dass ihre Häuser von Kämpfern oder Zivilisten besetzt waren, die für ihre Abreise erhebliche Geldsummen verlangten, obwohl die früheren Bewohner von der Übergangsverwaltung förmliche Zusicherungen für ihre Rückkehr erhalten hatten. Gegen Ende Februar 2025 besuchte Asch-Scharaa Afrin und traf sich mit lokalen kurdischen Vertretern, die ihre Beschwerden vortrugen; daraufhin sagte er zu, die Gruppierungen in der Stadt durch offizielle Sicherheitskräfte zu ersetzen und die gegen die kurdische Gemeinschaft gerichteten Übergriffe abzustellen.

Andere religiöse und ethnische Minderheiten (S. 32-33)

Die neue syrische Führung hat zugesagt, die Rechte von Minderheiten zu wahren und die nationale Einheit zu fördern. Dies geschah in Anbetracht der Befürchtung, unter der islamistischen Herrschaft marginalisiert zu werden.

Im Rahmen seiner Bemühungen, die Minderheitengemeinschaften zu beruhigen, traf Ahmad Al-Scharaa am 22.12.2024 mit dem libanesischen Drusenführer Walid Jumblatt zusammen. Später kam er nach einer Reihe von Angriffen auf religiöse Minderheiten mit christlichen Führern zusammen, darunter katholische, orthodoxe und anglikanische Geistliche. Dieses Treffen fand nach Protesten statt, die durch die Verbrennung eines Weihnachtsbaumes durch mit HTS verbundene ausländische Kämpfer am 23.12.2024 in einer überwiegend christlichen Stadt in Hama ausgelöst worden waren, sowie nach weiteren Berichten über Schikanen. Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsbaum nahm die Übergangsregierung die ausländischen Kämpfer fest, die sie für diesen als Einzelfall bezeichneten Vorfall verantwortlich machte. Darüber hinaus blieben die Regierungsbüros an den Weihnachtsfeiertagen und am folgenden Tag, dem 23.12.2024, geschlossen. Unterdessen berichtete France24, dass in Damaskus zwar Weihnachtsfeiern stattfanden, die christlichen Einwohner sich jedoch zurückhielten und einige aus Angst und Unsicherheit keinen Alkohol kauften.

Berichten zufolge kam es vermehrt zu gezielten Übergriffen auf christliche Gemeinschaften, darunter ein Angriff unbekannter Bewaffneter auf eine griechisch-orthodoxe Kirche in Hama am 18.12.2024, sowie zu verstärkten Spannungen in christlichen Vierteln von Damaskus aufgrund von Drohungen wie öffentlich gesungenen dschihadistischen Liedern und einer Drohbotschaft auf einem gepanzerten Fahrzeug.

Menschenrechtsorganisationen haben verschiedene Einschränkungen der religiösen Freiheiten dokumentiert. Richard Ghazal, Geschäftsführer der Organisation In Defense of Christians, wies auf Maßnahmen wie Alkoholverbote und die Präsenz von Flaggen des Islamischen Staates in Gebieten nahe Damaskus hin. In ähnlicher Weise dokumentierte Nadine Maenza vom in Washington ansässigen Sekretariat für internationale Religionsfreiheit Ende Dezember 2024 mindestens ein Dutzend Augenzeugenberichte über Angriffe gegen religiöse und ethnische Minderheiten in der Region Shehba in der Nähe von Aleppo. Rafif Jouejati, Wissenschaftler am Middle East Institute, vertrat jedoch die Ansicht, dass diese Vorfälle als Einzelfälle und nicht als Beweis für ein breiteres Muster systematischer Intoleranz betrachtet werden sollten.

Im Stadtteil Al-Qassaa, Damaskus, verteilten bewaffnete Personen Flugblätter, in denen sie Beschränkungen für die Kleidung von Frauen, das Rauchen und soziale Interaktionen forderten. HTS entsandte daraufhin Patrouillen, schrieb die Vorfälle nicht identifizierten Personen zu und lehnte eine Befürwortung ab. Die Häufigkeit solcher Aktionen gibt jedoch weiterhin Anlass zur Sorge.

Die neue Regierung unterstrich ihr Bekenntnis zur Inklusion durch das Versprechen der Nationalen Dialogkonferenz, die darauf abzielte, verschiedene Gemeinschaften, darunter Christen, Kurden, Künstler und Intellektuelle, in die Gestaltung der Zukunft Syriens einzubeziehen. Als die Nationale Dialogkonferenz stattfand, konnte sie die Bedenken hinsichtlich der Inklusion nicht zerstreuen. Von den sieben Personen, die in das Vorbereitungskomitee berufen wurden, gehörte nur eine einer religiösen Minderheit an, die christliche Aktivistin Hind Kabawat, während die anderen sunnitische Muslime waren, von denen einige enge Verbindungen zu Sharaa oder HTS hatten. Die kurdisch geführten Behörden aus dem Nordosten waren von der Konferenz gänzlich ausgeschlossen. Einige Christen erklärten, sie hielten ihr Urteil zurück, bis eine neue Verfassung ausgearbeitet sei und allgemeine Wahlen stattfänden. In der Übergangsregierung sind die Christen nicht vertreten, und sie setzt sich hauptsächlich aus Ministern zusammen, die zuvor in der Regierung von Idlib tätig waren.

Vor allem nach der einseitigen Reform des nationalen Lehrplanes hat sich die Skepsis fortgesetzt. Der neue Bildungsminister, Nazir Mohammad Al-Qadri, versicherte, dass sowohl der Islam als auch das Christentum als Unterrichtsfächer Teil des Lehrplanes bleiben würden. Anfang Jänner 2025 kündigte das Bildungsministerium der Übergangsregierung jedoch Lehrplanänderungen an, die eine stärker islamische Perspektive widerspiegeln und gleichzeitig Bezüge zur Assad-Ära beseitigen sollen. Zu den vorgeschlagenen Änderungen gehören die Streichung der Evolution und der Urknalltheorie aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht, die Streichung vorislamischer Gottheiten und ihrer Statuen aus dem Geschichtsunterricht und eine geringere Betonung der Königin Zenobia von Palmyra. Aktivisten der Zivilgesellschaft haben ihre Besorgnis darüber geäußert, dass diese Änderungen auf eine Missachtung unterschiedlicher Perspektiven hindeuten und das erklärte Engagement der Verwaltung für Inklusion untergraben könnten. Das Ministerium wies jedoch diese Interpretationen der Änderungen zurück und betonte, dass die einzigen Änderungen „die Entfernung von Symbolen des früheren Regimes und dessen Verherrlichung sowie die Einführung von Bildern der neuen syrischen Flagge (der Flagge der Revolution) anstelle der früheren Flagge in allen Schulbüchern“ beträfen. Der Minister erläuterte, dass zu den Anpassungen auch die Korrektur „falscher“ Informationen gehörte, auf die sich die Vorgängerregierung bei der Erklärung einiger Koranverse gestützt hatte, und dass die in den Exegesebüchern für alle Bildungsstufen enthaltenen Informationen übernommen wurden.

Frauen (S. 33-38)

Allgemeiner Überblick über Übergriffe gegen Frauen

Laut eines SNHR-Berichtes wurden zwischen März 2011 und November 2024 mindestens 29.064 Frauen in Syrien getötet, und 11.268 Frauen wurden bei der Veröffentlichung des Berichtes in Haft gehalten oder verschwanden gewaltsam. Im Zeitraum vom 01.01.2024 bis zum 27.12.2024 dokumentierte das Amt des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR) Vorfälle, bei denen 92 Frauen in ganz Syrien getötet wurden. Berichte über die Tötung von Frauen durch bewaffnete Akteure wurden im Bezugszeitraum fortgesetzt, und Frauen wurden auch weiterhin Opfer anderer Verstöße, darunter Todesfälle durch nicht explodierte Kampfmittel und Tötungen durch unbekannte Täter. Im Februar 2025 berichtete SOHR über eine erhöhte Zahl von Entführungsfällen von Frauen und Mädchen.

Die Krise in Syrien hatte unverhältnismäßig schwerwiegende Auswirkungen auf Frauen, was zu Gewaltrisiken, negativen Bewältigungsmechanismen, einem eingeschränkten Zugang zu Dienstleistungen, einer erhöhten Anfälligkeit für sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt („sexual and genderbased violence – SGBV“), Diskriminierung und einem eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung und Rechtsschutz führte. Frauen und Mädchen waren beim Zugang zu humanitärer Hilfe benachteiligt und unverhältnismäßig stark von Ernährungsunsicherheit betroffen.

Legislative Entwicklungen und Maßnahmen, die Frauen betreffen

Quellen deuten darauf hin, dass zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichtes noch keine Klarheit über die Lage der Frauen in Syrien unter den HTS-Behörden besteht. Der neue Außenminister Assaad al-Shaibani behauptete, dass die Behörden die Rechte der Frauen „voll und ganz unterstützen“ würden, und Ahmed al-Scharaa versprach, Bildungsmöglichkeiten für Frauen beizubehalten. Zum 01.01.2025 wurden drei Frauen in offizielle Positionen unter der neuen Regierung in Syrien berufen. Die erste Frau, die ernannt wurde, war Aischa al-Dibs als Leiterin des Büros für Frauenangelegenheiten. Am 30.12.2024 ernannten die neuen Behörden die erste weibliche Gouverneurin der syrischen Zentralbank, Maysaa Sabrine, die zuvor als stellvertretende Gouverneurin der Bank tätig war. Am 31.12.2024 wurde Muhsina al-Mahithawi aus der drusischen Minderheit zur ersten weiblichen Gouverneurin der Provinz Sweida ernannt.

Auf nationaler Ebene ist der Regierungsansatz der Übergangsverwaltung nach wie vor unklar, insbesondere in Bezug auf die Rechte und die Repräsentation von Frauen. Obaida Arnout, eine Regierungssprecherin, schlug vor, dass Frauen aufgrund ihrer inhärenten Merkmale für bestimmte Rollen in der Regierungsführung ungeeignet seien, während Aischa al-Dibs, die neu ernannte Ministerin für Frauen, sich gegen die Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft aussprach, die mit ihren Ansichten nicht einverstanden seien. Al-Dibs führte weiter steigende Scheidungsraten auf ein früheres Regierungsprogramm zurück und versprach, ähnliche Initiativen zu vermeiden.

Maßnahmen, die auf das öffentliche Engagement von Frauen abzielen, wurden auf Pläne für die Geschlechtertrennung in öffentlichen und privaten Bussen in Damaskus ausgeweitet. Im Jänner 2025 kündigte die General Company for Internal Transport, „Zajal Transport“, an, dass in der Hauptstadt innerhalb weniger Tage, nach früheren Versuchen in Idlib, Aleppo, Hama und Homs, geschlechtergetrennte Transporte durchgeführt würden.

In Bezug auf die Arbeit von Richterinnen erklärte Obaida Arnout, dass dies „von Sachverständigen“ untersucht werden müsse, was die Situation von Richterinnen unklar lasse. Im Jänner 2025 wurde berichtet, dass Schadi al-Waisi, der Justizminister in der derzeitigen Regierung, in zwei Videos gesehen wurde, in denen die Hinrichtung von zwei Frauen überwacht wurde, die 2015 im Raum Idlib wegen „Korruption und Prostitution“ verurteilt wurden. In Homs erschienen Beschilderungen, die die Geschlechtertrennung bewerben, in Bussen. In Damaskus wurden Plakate mit den „Bedingungen des schariakonformen Hijab“ im öffentlichen Raum gesehen. Laut Al-Dibs wird die Regierung syrischen Frauen jedoch keine Kleiderordnung auferlegen. In einem Interview vom 25.12.2024 erklärte Ahmed al-Scharaa, dass „christliche Frauen nicht gezwungen würden, den Schleier einzuhalten“, ohne jedoch muslimische Frauen zu erwähnen.

Frauen ohne männliche Unterstützung (weiblich geführter Haushalt, einzeln oder verwitwet)

Der Konflikt in Syrien hat zu einem demografischen Wandel geführt, der zu mehr weiblichen Haushaltsvorständen/Familienoberhäuptern und Frauen, die in die Berufswelt einsteigen, geführt hat. Die Zahl der von Frauen geführten Haushalte hat aufgrund der Migrationsbewegungen zusätzlich zugenommen. Laut einer Analyse der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom Oktober 2024 wird in ganz Syrien „fast jede dritte Familie von einer Frau geleitet.“ Haushalte mit weiblichem „Oberhaupt“ gehören schutzbedürftigen Gruppen an, die unverhältnismäßig stark von dem Konflikt betroffen waren und deren Grundbedürfnisse wie Gesundheitsversorgung, Ernährung und Bildung nicht erfüllt wurden. Frauen wurden am Arbeitsplatz schikaniert und diskriminiert, insbesondere Frauen ohne Ehemänner, einschließlich Witwen. Die Arbeitslosenquote von Frauen in Syrien erreichte 2024 62,2%, so das syrische Zentralamt für Statistik. Kinder von weiblichen Haushaltsvorständen waren einem erhöhten Risiko der Staatenlosigkeit ausgesetzt, da sie ihre Geburten nicht registrieren konnten. Geschiedene Frauen und Witwen waren dem Risiko von Zwangsverheiratung ausgesetzt. Schwierigkeiten bei der Rückforderung von Eigentum wurden in Bezug auf Witwen, zurückkehrende Frauen aus dem Libanon (mehr als die Hälfte dieser Haushalte waren weiblich geführt) und vertriebene Frauen im Nordosten Syriens gemeldet. Geschiedene Frauen im Nordwesten Syriens waren mit gesellschaftlicher Stigmatisierung, sozialer Ausgrenzung und mangelnder Unterstützung konfrontiert.

Im Jänner 2025 wurden etwa 40.000 Menschen im Lager al-Hol im Nordosten Syriens festgehalten, Berichten zufolge hauptsächlich Frauen und Kinder, Familienangehörige von IS-Mitgliedern, darunter Tausende von Ausländern. Die Bedingungen in den Lagern wurden als „unmenschlich“ und „lebensbedrohlich“ bezeichnet. Am 27.01.2025 ordnete die US-Regierung an, die „ausländische Entwicklungshilfe“ auszusetzen, woraufhin am nächsten Tag eine vorübergehende Ausnahmeregelung für „lebensrettende humanitäre Hilfe“ erlassen wurde. Quellen berichteten, dass das Einfrieren der humanitären Hilfe die Lebensbedingungen im Lager al-Hol weiter verschlechtert hat.

Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt

Der im November 2024 veröffentlichte Jahresbericht der SNHR verzeichnete seit März 2011 11.553 Fälle sexueller Gewalt gegen Frauen. Die Haupttäter sexueller Gewalt, die von der SNHR dokumentiert wurden, waren das ehemalige syrisches Regime (8.024 Vorfälle) und der IS (3.487 Vorfälle), während HTS für zwei Vorfälle verantwortlich gemacht wurde. Das OHCHR berichtete von einem Anstieg „aller Arten sexueller Gewalt und anderer geschlechtsspezifischer Gewalt“ in Syrien während des Konfliktes. Misshandlungen gegen Frauen würden unterschätzt, auch wegen gesellschaftlicher Stigmatisierung und Angst. Der Konflikt in Syrien hat zu vermehrten Fällen von Früh- und Zwangsheiraten geführt, auch als Bewältigungsmechanismus. Eine Studie der internationalen Organisation PAX ergab, dass die Verlagerung der Geschlechterrollen zu einem Anstieg häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt beigetragen hat.

Im Jänner 2025 berichtete der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), dass Frauen und Mädchen in Syrien aufgrund institutionalisierter Ungleichheit der Geschlechter sowohl im öffentlichen als auch im privaten Leben mit „allgegenwärtigen Formen“ von SGBV konfrontiert waren. Die Situation war durch einen Mangel an Unterstützungsdiensten, sicheren Räumen und Rechtsschutz gekennzeichnet. Nach Angaben des Büros der VN für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) sind 93% der rund 8,5 Millionen Menschen, die in Syrien Hilfe bei geschlechtsspezifischen Gewalttaten benötigen, Frauen und Mädchen. Sie sahen sich einer Vielzahl von Missbrauch ausgesetzt, darunter „Gewalt durch intime Partner, häusliche Gewalt, wirtschaftliche und emotionale Gewalt sowie sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung und sexueller Belästigung.“ Ab Jänner 2025 waren im Nordwesten Syriens 67 sichere Räume für Frauen und Mädchen, die Hilfe bei SGBV anbieten, funktionsfähig. In Idlib wurden Ende 2024 Gesundheitseinrichtungen einschließlich einer Entbindungsklinik erheblich beschädigt. Frauen und Mädchen in Aleppo sahen sich beim Zugang zu Dienstleistungen für Opfer des SGBV mit „erheblichen Schwierigkeiten“ konfrontiert, einschließlich solcher, die den Transport und den Mangel an weiblichem Personal betrafen. Das Risiko von SGBV war Berichten zufolge für Frauen in Binnenvertriebenenlagern und in den Notunterkünften besonders hoch.

Kinder (S. 38-41)

Auswirkungen von Gewalt auf Kinder

Nach Angaben von UNICEF wurden in den dreizehn Jahren des Konfliktes rund 25.500 Verstöße gegen Kinderrechte verzeichnet, darunter die Tötung und Verstümmelung von Kindern und die Rekrutierung von Kindern. SNHR gab an, dass in der Zeit vom März 2011 bis zum 10.11.2024 30.293 Kinder getötet wurden, und ab dem 20.11.2024 5.298 Kinder verhaftet oder inhaftiert wurden oder verschwanden gewaltsam. Im Zeitraum vom 01.01.2024 bis zum 27.12.2024 dokumentierte das OHCHR Vorfälle, bei denen 212 Kinder in ganz Syrien getötet wurden. Nach dem Regimewechsel gab es weiterhin Berichte über die Tötung von Kindern durch bewaffnete Akteure. Kinder wurden auch weiterhin durch Blindgänger verletzt, die mindestens 116 im Dezember 2024 und 136 im Zeitraum vom 01.01.2024 bis zum 17.02.2024 töteten oder verletzten. Im Jänner 2025 warnte das UNOCHA, dass schwerwiegende Verstöße gegen Kinderrechte nach wie vor ein großes Problem darstellen, einschließlich der Gefahr, getötet, verletzt, rekrutiert und bei Feindseligkeiten eingesetzt zu werden.

Im Dezember 2024 waren schätzungsweise 7,5 Millionen Kinder in Syrien auf humanitäre Hilfe und rund 6,4 Millionen auf psychologische Hilfe angewiesen. Das Entwicklungsprogramm der VN (UNDP) berichtete, dass Ernährungsunsicherheit und Unterernährung bei Kindern die Gesundheitsrisiken erhöhen. Etwa 506.000 Kinder im Alter von unter fünf Jahren in Idlib und Aleppo litten unter akuter Unterernährung und über 609.000 unter „Stunting“ (Wachstumsverzögerung durch z.B. schlechte Ernährung, wiederholte Infektionen, mangelnder Zugang zu sauberen Trinkwasser oder mangelnde Gesundheitsversorgung). Die WHO stellte fest, dass in einigen Gouvernements das Stunting ein „alarmierend hohes Niveau“ erreicht hat. UNOCHA berichtete, dass Krankenhäuser überfüllt seien und dass psychische Belastungen bei Kindern weit verbreitet seien.

Negative Bewältigungsmechanismen

Nach Angaben des UNOCHA sind Kinderarbeit und Kinderehen nach wie vor „weitgehend akzeptierte“ Bewältigungsmechanismen für syrische Familien und wird deren Ausmaß nach wie vor nicht ausreichend erfasst. Auf den Straßen lebende Kinder waren Ausbeutung ausgesetzt und standen „in Kontakt mit dem Gesetz wegen geringfügiger und schwerer Straftaten“.

Ein im Jänner 2025 veröffentlichter UNOCHA-Bericht wies darauf hin, dass die Wirtschaftskrise in Syrien das Risiko von geschlechtsspezifischer Gewalt bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, auch bei jugendlichen Mädchen, sowie das Risiko von Kinderarbeit, Kinderheirat und sexueller Ausbeutung weiter erhöht hat.

Ein Bericht der internationalen NGO Welthungerhilfe über die Gouvernements Aleppo und Idlib zur Bewertung des Schutzbedarfes auf der Grundlage der im August 2024 erhobenen Daten ergab, dass Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder, insbesondere jugendliche Mädchen, in verschiedenen Umgebungen auftraten, unter anderem auch zu Hause, in der Schule, am Arbeitsplatz und in Binnenvertriebenenlagern. In dem Bericht wurde festgestellt, dass Kinderehen sowohl in Binnenvertriebenenlagern als auch in Aufnahmegemeinschaften nach wie vor „vorherrschend“ sind, wobei die Hauptgründe in erster Linie in Aleppo die Armut und in Idlib die Bräuche und Traditionen.

Nach Angaben des USDOS gab es unter der Assad-Regierung Unterkünfte für Waisenkinder. In Syrien gab es schätzungsweise 1,2 Millionen Waisenkinder, und nach einem Regierungserlass wurden Kinder als „muslimisch angenommen, sofern nichts anderes nachgewiesen wurde“, und sie konnten nur angenommen werden, „wenn das Paar und das Kind dieselbe Religion teilen“. Ein Bericht des Global Protection Cluster (GPC), eines Netzwerks von NRO, internationalen Organisationen und UN-Agenturen, der im Dezember 2024 veröffentlicht wurde, stellte fest, dass Kinder besonders von einem Mangel an zivilen Dokumenten betroffen waren.

Zwangsrekrutierung durch bewaffnete Gruppen

In einem am 20.11.2024 veröffentlichten Bericht erklärte die SNHR, dass im Zeitraum von März 2011 bis 10. November 2024 2.395 Kinder in Syrien zwangsrekrutiert wurden. Im Juni 2024 unterzeichnete der Sonderbeauftragte der VN für Kinder in bewaffneten Konflikten einen Aktionsplan zur Beendigung und Verhinderung der Rekrutierung und des Einsatzes sowie der Tötung und Verstümmelung von Kindern mit der SNA und mit dieser verbündeten Gruppen. Darüber hinaus wurde ein Fahrplan zur Umsetzung eines Aktionsplanes von 2019 zwischen den VN, den SDF und den Verwaltungen in Nord- und Ostsyrien angenommen, der die Rekrutierung und den Einsatz von Kindern in bewaffneten Konflikten verbietet. Dennoch wurden weiterhin Fälle von Rekrutierung von Kindern gemeldet, auch von SDF und einer kurdischen Jugendbewegung im Nordosten Syriens. Ende November 2024 dokumentierte die SNHR Operationen des ehemaligen Regimes zur Einberufung junger Männer und Jungen mit dem Ziel, sie nach Nordsyrien zu entsenden.

Zugang zu Bildung

Im Jänner 2025 gab es in Syrien etwa 2,4 Millionen Kinder, die die Schule verlassen hatten, und eine weitere Million, die vom Schulabbruch bedroht war. Seit Ende November 2024 wurde die Schulbildung für rund 230.000 Kinder im Nordosten Syriens aufgrund anhaltender Konflikte unterbrochen. Außerhalb der Schule waren Kinder einem erhöhten Risiko von Kinderarbeit und Kinderehen sowie Menschenhandel und Rekrutierung ausgesetzt. In einem Bericht des UNOCHA vom Jänner 2025 heißt es, dass mehr als 5.200 Schulen beschädigt sind und keine Ausrüstung haben. Während die Bildung kostenlos ist, haben einige Familien negativen Bewältigungsmechanismen, die sich auf den Schulbesuch von Kindern auswirken, Priorität eingeräumt. Im Dezember 2024 berichteten die VN, dass die Schulen zwar in ganz Syrien wiedereröffnet wurden, die „volatile Sicherheitslage“ jedoch den Schulbesuch in einigen Gebieten beeinträchtigte. Der Zugang zu den Schulen wurde durch Blindgänger erschwert. Einige Schulen sind nach der Offensive gegen Präsident Baschar al-Assad am 08.12.2024 zu Unterkünften für neu Vertriebene geworden. Etwa 68.000 Kinder in Aleppo und anderen Gouvernements konnten keine Schule besuchen, da viele Schulen als Sammelunterkünfte für Vertriebene genutzt wurden.

Nach Angaben der International Crisis Group „setzten Interimsbeamte im Eiltempo Änderungen des Lehrplans für islamische Bildung durch.“ Im Jänner 2025 wiesen Quellen darauf hin, dass die Behörden Änderungen des Lehrplanes für Schulen einführten, ohne die Gesellschaft in den Prozess einzubeziehen, und in einigen Fällen Verweise auf das Assad-Regime durch religiöse Texte ersetzten.

Vertreibung und Rückkehr von Flüchtlingen (S. 89-91)

Die Zahl der Personen, die seit dem 27.11.2024 durch Konflikte neu vertrieben wurden, verzeichnete eine anfängliche große Welle, die am 12.12.2024 mit 1,1 Millionen Menschen ihren Höhepunkt erreichte. Diese anfänglichen Vertreibungen, die von der Angst vor dem eskalierenden bewaffneten Konflikt getrieben wurden, wurden hauptsächlich in Hama und Aleppo, einschließlich der Stadt Aleppo, im Westen Aleppos und insbesondere in Tall Rifaat und Manbidsch, nach der Übernahme der beiden Städte durch von der Türkei unterstützte bewaffnete Fraktionen verzeichnet.

VN-Quellen schätzten anschließend die Zahl der seit Ende November 2024 neu vertriebenen Flüchtlinge, die am 18.12.2024 auf 859.460, am 10.01.2025 auf rund 627.000 und am 05.02.2025 auf 650.000 zurückblieben. Anfang 2025 stellte das UNOCHA zusätzliche Wellen von konfliktbedingten Vertreibungen aus dem Gebiet von Manbidsch fest, mit bis zu 15.000 Vertreibungen Mitte Jänner 2025, gefolgt von mehr als 25.000 Vertreibungen im selben Monat. Quellen schätzten die Zahl der Menschen, die Anfang Dezember 2024 vor der SNA-Offensive in Nordsyrien geflohen waren, auf 100.000 bis 120.000.

Nach dem Sturz Assads zogen zurückkehrende Binnenvertriebene in Gebiete, die zuvor von der ehemaligen Regierung kontrolliert wurden, darunter Aleppo, Hama, Homs und Damaskus. VN-Quellen schätzen, dass die Zahl der neu vertriebenen Menschen, die in ihre Heimatorte zurückkehren, bis zum 10.01.2025 auf mehr als 522.000 gestiegen ist. Gleichzeitig blieben die Rückführungsbewegungen aus Binnenvertriebenenlagern „stabil, aber minimal“, wobei der Cluster „Camp Coordination and Camp Management“ (CCCM) Ende Jänner 2025 angab, dass seit dem 03.12.2024 rund 57 000 Menschen die Lager verlassen hätten. Diese Rückkehrer bestanden hauptsächlich aus einzelnen Familien oder Männern, die zurückkehrten, um sich mit ihren Familien zu vereinigen oder den Zustand ihrer Häuser zu beurteilen.

Schätzungen des UNHCR zufolge waren bis zum 26.02.2025 schätzungsweise 885.294 Binnenvertriebene zurückgekehrt, während etwa 7,4 Millionen Binnenvertriebene blieben. Die Gouvernements mit dem größten Anteil an Binnenvertriebenen waren Aleppo mit 425.705 Binnenvertriebenen, gefolgt von Hama mit 155.561 und Idlib mit 116.053 Binnenvertriebenen.

Wie das UNOCHA feststellte, betrafen die gemeldeten Bedenken, die die Rückkehrentscheidungen von Binnenvertriebenen beeinflussten, die Zerstörung von Eigentum, unzureichende Infrastruktur, Unsicherheit sowie den Zugang zu Dokumenten und Rechtsschutz, einschließlich Dokumenten zu Wohn-, Grundstücks-und Eigentumsrechten (nicht alle Zivilregister und Gerichte waren Ende Jänner 2025 in Betrieb). Ein weiteres kritisches Problem, das aufgeworfen wurde, war die Kontamination mit nicht explodierten Kriegsresten.

Rückkehr aus dem Ausland (S. 91-92)

Nach Schätzungen des UNHCR kehrten zwischen dem 08.12.2024 und Ende Februar 2025 etwa 297.292 Syrer aus dem Ausland nach Syrien zurück. Von diesen Flüchtlingen kehrten 53% aus dem Libanon, 25% aus der Türkei und 14% aus Jordanien zurück. Bei der freiwilligen Rückkehr aus der Türkei, die sich nach Angaben der türkischen Regierung zum 30.12.2024 auf 35.114 belief, handelte es sich hauptsächlich um Syrer, die allein zurückkehrten, einschließlich Personen, die vor der Wiedervereinigung mit ihren Familien die Lage in Syrien beurteilen wollten.

Nach Angaben des UNHCR waren von Anfang 2024 bis Ende Februar 2025 die Gouvernements, in welche Rückkehrer hauptsächlich heimkehrten Aleppo (mit schätzungsweise 143.680 Rückkehrern) und Raqqa (112.951 Rückkehrern), gefolgt von Dar‘a (72.007), Homs (69.624), Damaskus-Land (62.738) und Idlib (46.273).

Es ist nicht klar, ob jede Rückkehr dauerhaft ist. Laut einem Bericht von Refugees International kehren viele Syrer zurück, um ihre Grundstücke zu begutachten, die Sicherheit und die wirtschaftlichen Bedingungen nach dem Zusammenbruch des Assad-Regimes zu bewerten oder sich mit ihrer Familie wieder zu vereinigen. Für andere ist die Rückkehr eher eine Notwendigkeit als eine Wahl, da die sich verschlechternden Bedingungen in den Aufnahmeländern – gekennzeichnet durch wirtschaftliche Not, steigende Lebenshaltungskosten und begrenzte Möglichkeiten – die Lebensbedingungen zunehmend untragbar gemacht haben.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Person, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zum Geburtsort des BF sowie zu seinem Leben in Syrien ergeben sich aus seinen über das ganze Verfahren hinweg gleichlautenden Angaben und den vorgelegten Dokumenten.

Dass sich XXXX unter Kontrolle der SDF befindet, ergibt sich aus den zutreffenden Angaben des BF in Übereinstimmung mit der aktuellen Version der Syria-Live-Map (https://syria.liveuamap.com).

Dass kurdische Einheiten versucht hätten, den BF vor seiner Ausreise aus Syrien zwangszurekrutieren, kann nicht festgestellt werden, da sein diesbezügliches nunmehriges Vorbringen insofern unglaubwürdig ist, als er Derartiges im verwaltungsbehördlichen Verfahren nicht vorgebracht hatte. Soweit er in der Beschwerdeverhandlung dazu vorbrachte, er habe bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde nicht davon erzählt, da er müde und aufgeregt gewesen sei, überzeugt nicht, weil er bei dieser Einvernahme die Frage verneinte, ob er „jemals Kontakt mit Rekrutieren der syrischen Armee oder diverser Milizen bei Checkpoints udgl.“ gehabt habe (vgl. Verwaltungsakt AS 66); bei Zutreffen seines nunmehrigen Vorbringens wäre jedoch zu erwarten gewesen, dass der BF trotz Aufregung und Müdigkeit die Versuche kurdischer Einheiten, ihn vom Haus seiner Familie mitzunehmen, anführt, zumal er vorbrachte, er habe sich auf der Flucht eine bis heute sichtbare Verletzung zugezogen (vgl. Verhandlungsschrift S 8).

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat der BF beruhen zunächst auf den wiedergegebenen Auszügen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA (LIB) zu Syrien, Version 11. Da dieses wegen des Machtwechsels in Syrien im Dezember 2024 in vielen Punkten nicht mehr relevant ist, wurden für die Feststellungen zur Situation nach dem Sturz des Assad-Regimes die Kurzinformation der Staatendokumentation zum Machtwechsel in Syrien vom 10.12.2024 sowie Bericht der EUAA mit dem Titel Syria: Country Focus, Country of Origin Information Report aus dem März 2025 ins Verfahren eingeführt. Der Vollständigkeit halber wird festgehalten, dass die am 08.05.2025 (damit nach der Verkündung des gegenständlichen Erkenntnisses) veröffentlichte Version 12 des LIB in ihren Ausführungen zum verpflichtenden Selbstverteidigungsdienst in der AANES sowie den Folgen der Verweigerung dieses Dienstes im Wesentlichen der hier zugrunde gelegten Version 11 des LIB gleicht und somit auch die Staatendokumentation davon ausgeht, dass sich die betreffenden Umstände nach dem Sturz des Assad-Regimes nicht maßgeblich geändert haben.

Was die Konsequenzen einer Verweigerung des Selbstvereidigungsdienstes angeht, wird nicht übersehen, dass die Länderinformationen auch teilweise davon ausgehen, dass eine ein- bis zweiwöchige, Inhaftierung über Personen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, verhängt, um in dieser Zeit die Zuführung der Wehrpflichtigen zu der Einheit, bei der sie den Wehrdienst leisten sollen, zu organisieren. Daraus lässt sich nun aber nicht ableiten, dass mit der Verrichtung der Wehrpflicht nach den Bestimmungen der AANES eine unverhältnismäßige Belastung bzw. Benachteiligung oder eine unverhältnismäßige Bestrafung für Wehrdienstverweigerer verbunden ist. Bemerkt wird dazu insbesondere, dass die Länderinformationen keine Misshandlungen der inhaftierten Wehrdienstverweigerer belegen können.

Dies ergibt sich aus den aktuell verfügbaren und in das Verfahren eingebrachten Länderinformationen. So heißt es hiezu in der ACCORD-Anfragebeantwortung vom 18.08.2023 und 06.09.2023 auszugsweise:

„Laut Fabrice Balanche und drei lokalen Bewohnern der Provinz Hasaka könnten gefasste Wehrpflichtige, die sich dem Dienst entzogen hätten, von den Behörden festgehalten werden, bis ihr Status geklärt sei (DIS, Juni 2022, S. 42) oder ein geeigneter Ausbildungsort für sie gefunden werde (DIS, Juni 2022, S. 61). Laut Fabrice Balanche könnten Wehrpflichtige aus diesem Grund für ein bis zwei Tage (DIS, Juni 2022, S. 42), laut den Bewohnern von Hasaka ein bis zwei Wochen (DIS, Juni 2022, S. 61) inhaftiert werden. Beide Quellen hätten nicht von Misshandlungen während der Haftzeit gehört (DIS, Juni 2022, S. 42; DIS, Juni 2022, S. 62) Der/Die Repräsentant·in der AANES in der Region Kurdistan Irak habe gegenüber DIS angegeben, dass es keine Strafe für Personen gebe, die sich der Selbstverteidigungspflicht entzogen hätten (DIS, Juni 2022, S. 57). Fabrice Balanche habe erwähnt, dass Wehrdienstverweigerer weder eine Geldstrafe noch eine Gefängnisstrafe erhalten würden (DIS, Juni 2022, S. 42; siehe auch: DIS, Juni 2022, S. 49). Laut dem/r Experten/in der International Crisis Group gebe es keine Strategie zur Inhaftierung von Wehrdienstverweigerern (DIS, Juni 2022, S. 45). Der syrisch-kurdische Journalist und Autor erklärt gegenüber DIS, dass Wehrdienstverweigerer ihren Selbstverteidigungsdienst einen Monat länger als die anderen Rekruten ableisten müssten. Er habe nicht von Misshandlungen von Wehrdienstverweigerern während ihres Dienstes aufgrund ihres Entzugs vom Wehrdienst gehört (DIS, Juni 2022, S. 49¬50). Auch die drei Bewohner von Hasaka hätten berichtet, dass ihrer Erfahrung nach die Wehrdienstverweigerung keinen Einfluss auf die Behandlung des eingezogenen Wehrdienstverweigerers habe (DIS, Juni 2022, S. 62). […]

Die Interviewpartner·innen von DIS stimmen darin überein, dass eine Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften keine Konsequenzen für Angehörige habe (DIS, Juni 2022, S. 43; DIS, Juni 2022, S. 45; DIS, Juni 2022, S. 49; DIS, Juni 2022, S. 54; DIS, Juni 2022, S. 64; DIS, Juni 2022, S. 66). Laut Fabrice Balanche könnten Behörden Familienmitglieder nach dem Aufenthaltsort des Verweigerers fragen, doch die Familie würde nicht unter Druck gesetzt oder anderweitig belästigt (DIS, Juni 2022, S. 43). Laut dem/r Experten/in der International Crisis Group würden keine Hausdurchsuchungen stattfinden, um Wehrdienstverweigerer zu finden und Familienmitglieder würden auch nicht schikaniert (DIS, Juni 2022, S. 45). Der politische Analyst habe berichtet, dass fünf seiner Geschwister sich dem Dienst entzogen hätten. Die Behörden hätten das Haus seiner Mutter einmal durchsucht, seine Familie jedoch nicht weiter belästigt (DIS, Juni 2022, S. 54). Laut der Gruppe lokaler Einwohner gebe es die Möglichkeit, dass die Behörden Hausdurchsuchungen durchführen würden. Familienmitglieder würden jedoch ihrer Erfahrung nach niemals mitgenommen (‚they will [...] never take family members‘) (DIS, Juni 2022, S. 64). […]

Es konnten online keine Informationen über die Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern, gefunden werden. Gesucht wurde auf Arabisch, Deutsch und Englisch mittels ecoi.net, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: Syrien, AANES, Rojava, Selbstverteidigungsdienst, Selbstverteidigungspflicht, Selbstverteidigungskräfte, verweigern, weglaufen, verstecken, Wahrnehmung, Probleme, Gegner, Oppositionelle, Anfeindung, Gesellschaft, Araber, Kurden, Stämme, Behörden. (Balanche, 9. August 2023) […]

Laut RIC würden Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht normalerweise nicht an aktiver Front kämpfen. Sie würden in der Regel eine ideologische und militärische Ausbildung absolvieren, bevor sie an Checkpoints oder Straßensperren stationiert und logistische Unterstützung für freiwillige Streitkräfte leisten würden (RIC, Juni 2020). Laut der syrisch-kurdischen Nachrichtenagentur North Press Agency (NPA) würden Rekruten des Selbstverteidigungsdienstes dazu eingesetzt, Militärgebäude zu bewachen und würden an Militäreinsätzen gegen den Islamischen Staat (IS) teilnehmen (NPA, 23. Februar 2022). Die Interviewpartner·innen von DIS hätten übereinstimmend berichtet, dass die Wehrpflichtigen der Selbstverteidigungskräfte allgemein nicht an der Front eingesetzt würden (DIS, Juni 2022, S. 37; DIS, Juni 2022, S. 49; DIS, Juni 2022, S. 57; DIS, Juni 2022, S. 60; DIS, Juni 2022, S. 63; DIS, Juni 2022, S. 67; DIS, Juni 2022, S. 71) Der Universitätsprofessor habe gegenüber DIS erklärt, dass der ideologische Zweck der Selbstverteidigungspflicht darin bestehe, die Jugend auf Sicherheitsnotsituationen vorzubereiten. Die Wehrpflichtigen würden hauptsächlich für Aufgaben der inneren Sicherheit in den Städten eingesetzt (DIS, Juni 2022, S. 67) […]

Fabrice Balanche merkte in seiner E-Mail-Auskunft an ACCORD an, dass es im Gebiet der AANES seit Oktober 2019 keine aktive Front mehr gebe. Wehrpflichtige würden nicht an die Front geschickt. Sie könnten jedoch durch Terroranschläge hinter der Frontlinie getötet werden. Es gebe gefährliche Gebiete, wie beispielsweise südöstlich der Provinz Deir ez-Zor und Wehrpflichtige würden regelmäßig bei Patrouillen oder an Straßensperren getötet (Balanche, 9. August 2023). […] Auch der kontaktierte Syrienexperte gab in seiner E-Mail an, dass ihm keine Fälle bekannt seien, in denen Rekruten an die Front geschickt würden. Die aktuelle Phase des Konflikts zeichne sich durch eingefrorene Frontlinien und einem Konflikt von geringer Intensität aus (Syrienexperte, 15. August 2023).“

Somit war davon auszugehen, dass die kurdischen Machthaber Wehrdienstverweigerern ohne Hinzutreten weiterer Umstände keine oppositionelle politische Gesinnung unterstellen.

Dass der BF im konkreten Fall aufgrund einer verinnerlichten politischen oder religiösen Überzeugung den Militärdienst verweigern würden, wurde nicht substantiiert bzw. glaubhaft vorgebracht. Die Angaben des BF, warum er den Wehrdienst nicht leisten wolle, blieben nämlich vage: In seiner Beschwerde führte er lediglich aus, aus Gewissengründen nicht bei den kurdischen Milizen dienen zu wollen, ohne diese Gewissensgründe näher darzulegen. In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht erwähnte er diese gar nicht mehr, sodass nicht von einer verinnerlichten Überzeugung ausgegangen werden kann.

Die Feststellung, dass der BF nach einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Menschenrechtsverletzungen durch HTS-Angehörige betroffen wäre, fußt auf folgenden Erwägungen:

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass es vor der zum Sturz des syrischen Regimes führenden Offensive in den HTS-beherrschten Gebieten im Nordwesten Syriens (in der Provinz Idlib und angrenzenden Provinzen) zu Menschenrechtsverletzung seitens der HTS-Machthaber kam. Die der HTS-Regierung in Idlib vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen betrafen vor allem Frauen, (vermeintliche) Oppositionelle und Angehörige von Minderheiten (z.B. Christen). Dass der männliche BF, der Araber, Sunnit und nicht durch oppositionelle Aktivitäten in Erscheinung getreten ist, im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsort, Opfer derartiger Menschenrechtsverletzungen werden könnte, ist nicht zu erwarten, zumal der BF diesbezüglich auch nichts Konkretes vorgebracht hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Die für die Asylgewährung erforderliche Verfolgungsgefahr ist daher in Bezug auf den Herkunftsstaat des Asylwerbers zu prüfen (VwGH 02.02.2023, Ra 2022/18/0266, m.w.N.). Auch Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK und die Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) stellen auf das Herkunftsland (vgl. etwa Art. 2 lit. n StatusRL) des Asylwerbers ab und prüfen die Asylberechtigung hinsichtlich dieses Landes.

Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK legt fest, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge derselben Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die begründete Furcht vor Verfolgung. Sie liegt dann vor, wenn bei objektiver Betrachtung eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (vor Verfolgung aus Konventionsgründen) fürchten würde. Eine Verfolgungsgefahr i.S.d. GFK ist nur dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Von einer maßgeblichen Gefahr einer Verfolgung ist nicht auszugehen, wenn der Verfolger keinen Zugriff auf die betroffene Person hat (VwGH 06.09.2018, Ra 2017/18/0055).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass die schutzsuchende Person in der Vergangenheit bereits verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits geschehene Verfolgung (Vorverfolgung) für sich genommen nicht hinreichend. Entscheidend ist vielmehr, dass der schutzsuchenden Person im Zeitpunkt der Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz (hier: durch das Bundesverwaltungsgericht) im Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in der GFK bzw. in Art. 10 StatusRL genannten fünf Verfolgungsgründe drohen würde (VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212; VwGH 07.03.2023, Ra 2022/18/0284, m.w.N.).

Weiters ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Beurteilung, ob wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinn der GFK vorliegt, die Gesamtsituation des Asylwerbers zu berücksichtigen und dürfen einzelne zusammenhängende Aspekte seiner Situation im Herkunftsstaat nicht aus dem (asylrechtlich relevanten) Zusammenhang gerissen werden (VwGH 22.01.2016, Ra 2015/20/0157, unter Hinweis auf VwGH 10.06.1998, 96/20/0287 und VwGH 23.07.1998, 96/20/0144; zum Erfordernis einer Gesamtbetrachtung VwGH 27.04.2006, 2003/20/0181).

Als Herkunftsort des BF ist XXXX im Gouvernement Hasaka anzusehen, da er dort geboren und aufgewachsen sind und bis zum Jahr 2023 dort gelebt hat.

Vorauszuschicken ist, dass der Herkunftsort des BF unter Kontrolle der von kurdischen Milizen dominierten SDF steht.

Zunächst ist aufgrund der Herkunftsländerinformation festzuhalten, dass die Verfolgung durch das Assad-Regime, auf welche der BF seinen Asylantrag ursprünglich im Wesentlichen gestützt hat, weggefallen ist. So geht auch der UNHCR in seinem Positionspapier vom Dezember 2024 (Position on Returns to the Syrian Arab Republic) davon aus, dass auf die Verfolgung durch die frühere Regierung bezogene Risken zu bestehen aufgehört haben.

Zur Wehrdienstverweigerung:

Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass die (bloße) Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrelevante Verfolgung darstellt, sondern nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen kann (VwGH 07.01.2021, Ra 2020/18/0491, m.w.N.; 04.07.2023, Ra 2023/18/0108-9).

Wie festgestellt, gilt die Wehrpflicht bei den kurdischen Milizen der AANES nur für Männer, die ab dem Jahre 1998 geboren worden sind. Der BF ist daher nach den Bestimmungen der AANES grundsätzlich wehrpflichtig.

Wie sich aus den maßgeblichen Länderberichten ableiten lässt, wäre der BF (der im Übrigen wahrheitswidrig vorgebracht hat, kurdische Einheiten hätten versucht, ihn vor seiner Ausreise zwangsweise zu rekrutieren) aber weder im Fall der Einziehung zu den kurdischen Milizen gezwungen, sich an völkerrechtswidrigen Militäraktionen zu beteiligen noch im Falle einer Weigerung, der Wehrpflicht nachzukommen, unverhältnismäßiger Bestrafung ausgesetzt. Wehrdienstverweigerern wird seitens der kurdischen Machthaber auch – wie festgestellt – keine oppositionelle Gesinnung unterstellt.

Im Übrigen ist nach der Ansicht des erkennenden Gerichtes auch vor dem Hintergrund der Bemühungen der SDF, ein gutes Verhältnis mit der HTS-geführten Übergangsregierung aufzubauen (siehe dazu etwa Gudrun Harrer, Trump lässt Syriens Machthaber zappeln – und die Kurden zittern, 23.04.2025, erschienen auf derStandard.at) nicht davon auszugehen, dass Araber von der SDF in Bezug auf die Erfüllung der Wehrpflicht in hier relevanter Weise drangsaliert werden.

Zur Sicherheitslage:

Die prekäre Sicherheitslage in Syrien erweist sich im Fall des BF als nicht asylrelevant. Der BF hat daher bloß die alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Unbilligkeiten aufgrund des Bürgerkrieges und der allgemein schlechten Lage in Syrien vorgebracht, aber keine substantiellen, stichhaltigen Gründe für das Vorliegen einer individuellen Gefahr der Verfolgung nach § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK dargetan. Im Fall des BF sind keine Umstände ersichtlich, die eine ihm konkret drohende individuelle Verfolgung aufgrund des Bürgerkrieges und der aktuellen Lage in Syrien untermauern würden. Einer bloß allgemeinen Bedrohung durch den Bürgerkrieg und die aktuelle Lage ist jedoch nicht mit der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten, sondern mit der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu begegnen; dieser Status wurde dem BF bereits rechtskräftig zuerkannt. Gleiches gilt für das Vorbringen des BF zu den Drohanrufen, die er vor seiner Ausreise aus Syrien erhalten habe: Denn in Hinblick auf seine Aussage, dass die Personen bei den Anrufen Geld von ihm verlangt hätten, ist ein asylrelevanter Bezug nicht zu erkennen.

Die im Entscheidungszeitpunkt zu erstellende Prognose über die Situation des BF im Herkunftsstaat ergibt, dass er gegenwärtig nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen erheblicher Intensität rechnen muss. Die Furcht des BF vor einer Verfolgung im Herkunftsstaat kann daher nicht als wohlbegründet im Sinn der GFK angesehen werden.

Das Vorliegen eines Sachverhaltes, aus dem sich eine ausreichende Wahrscheinlichkeit einer individuellen Verfolgungsgefahr für den BF ableiten ließe bzw. aus dem sich seine konkrete Betroffenheit von der allgemeinen Situation in Syrien aus Konventionsgründen ergeben würde, konnte nicht festgestellt werden. Die für die Asylgewährung geforderte maßgebliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung im Sinn der oben angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt nicht vor. Es bestehen keine konkreten, überzeugenden Hinweise, dass der BF nicht nur möglicherweise, sondern mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgungshandlungen im Herkunftsstaat betroffen ist.

Da dem angefochtenen Bescheid somit keine Rechtswidrigkeit i.S.d. Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG anhaftet, war die Beschwerde spruchgemäß abzuweisen.

Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die vorliegende Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich im konkreten Fall eine Rechtsfrage stellt, die über den (hier vorliegenden konkreten) Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. Ausgehend davon kann eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auch insofern nicht bejaht werden. Es ist daher auszusprechen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.

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