JudikaturVwGH

Ra 2022/17/0184 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
19. März 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das am 2. August 2022 mündlich verkündete und am 22. August 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W268 22273031/13E, betreffend Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: Y W in W, vertreten durch Dr. Eva Jana Messerschmidt, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Freyung 6/7/2), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung, d.h. soweit damit der Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 erteilt wurde (Spruchpunkt A.I.), wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts aufgehoben.

1 Die Mitbeteiligte, eine chinesische Staatsangehörige, befindet sich seit Ende 2015 im Bundesgebiet und verfügte über Aufenthaltsbewilligungen, zunächst als Schülerin und in der Folge als Studentin, welche mehrfach zuletzt bis zum 25. November 2019 verlängert wurden.

2Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. August 2019 wurde die Mitbeteiligte wegen der Vergehen der entgeltlichen Beihilfe zum unbefugten Aufenthalt nach § 115 Abs. 1 und 2 erster Fall Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), des Gebrauchs fremder Ausweise nach § 231 Abs. 1 StGB und der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs. 1 und 2 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.

3Mit Bescheid vom 29. November 2019 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sodann gemäß § 52 Abs. 4 (Z 4) FPG eine Rückkehrentscheidung gegen die Mitbeteiligte (Spruchpunkt I.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung nach China zulässig sei (Spruchpunkt II.) und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt III.). Unter einem erließ das BFA gegen die Mitbeteiligte ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG (Spruchpunkt IV.).

4Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis statt und erteilte der Mitbeteiligten einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) (Spruchpunkt A.I.). Zudem behob es die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides (Spruchpunkt A.II.). Weiters sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Das BVwG stellte im Wesentlichen fest, die Mitbeteiligte sei im Jahr 2015 nach Österreich eingereist und habe über Aufenthaltsbewilligungen als Schülerin und zuletzt als Studentin verfügt. Aufgrund der Verurteilung des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. August 2019 habe das BFA ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet. Am 20. November 2019 habe die Mitbeteiligte fristgerecht einen Antrag auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung als Studentin gemäß § 64 Niederlassungsund Aufenthaltsgesetz (NAG) bei der zuständigen Niederlassungsbehörde (Landeshauptmann von Wien) gestellt. Die Mitbeteiligte beherrsche die deutsche Sprache auf dem Niveau C1 und verfolge ein Fachhochschulstudium, in welchem sie bereits zahlreiche Prüfungen abgelegt habe. In Österreich lebe ein Onkel der Mitbeteiligten und sie habe einen großen Freundes und Bekanntenkreis aufgebaut. Darüber hinaus traf das Verwaltungsgericht nähere Feststellungen zur Verurteilung der Mitbeteiligten am 19. August 2019.

6In rechtlicher Hinsicht nahm das BVwG eine Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK vor und gelangte zum Ergebnis, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 des BFA Verfahrensgesetzes (BFA VG) auf Dauer unzulässig sei. Im Lichte der Aufenthaltsdauer und den Integrationsleistungen der Mitbeteiligten liege ein schützenswertes Privatleben im Bundesgebiet vor. In einer Gesamtbetrachtung sei von einem Überwiegen der privaten Interessen der Mitbeteiligten an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung auszugehen. Des Weiteren sei davon auszugehen, dass die drohende Verletzung des Privatlebens auf Umständen beruhe, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer sei, und es sei daher gemäß § 9 Abs. 3 BFAVG festzustellen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen die Mitbeteiligte auf Dauer unzulässig sei. Da die Mitbeteiligte die Voraussetzungen des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung erfülle, sei ihr eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 für die Dauer von 12 Monaten zu erteilen.

7Gegen Spruchpunkt A.I. dieses Erkenntnisses, soweit der Mitbeteiligten der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 erteilt wurde, richtet sich die vorliegende Amtsrevision. Ihre Zulässigkeit wird damit begründet, dass das BVwG insoweit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis u.a. auf VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0224) abgewichen sei, als es im Hinblick auf das anhängige Verlängerungsverfahrens der Mitbeteiligten einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 nicht hätte erteilen dürfen.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung eines Vorverfahrens in dem die Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattetein einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Amtsrevision ist aus dem von ihr dargestellten Grund zulässig. Sie ist auch begründet.

10 Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Mitbeteiligte, soweit sie in ihrer Revisionsbeantwortung vermeint, keinen Verlängerungsantrag gestellt zu haben, vom festgestellten Sachverhalt des BVwG der sich mit der Aktenlage deckt entfernt, wonach am 20. November 2019 eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung der Mitbeteiligten beantragt wurde. Die Stellung des Verlängerungsantrages behauptete die Mitbeteiligte auch selbst im Rahmen ihrer Beschwerde an das BVwG.

11Wie die Amtsrevision zu Recht geltend macht, war das BVwG zu dem in der Amtsrevision bekämpften Ausspruch nicht berechtigt. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0224, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, in einer Konstellation, in der im Zusammenhang mit dem Antrag auf Verlängerung eines erteilten Aufenthaltstitels nach dem NAG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 Z 4 FPG zu prüfen ist, näher dargelegt, dass das BVwG zu einer Feststellung nach § 9 Abs. 3 BFAVG, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre, nicht befugt sei. Ebenso wenig ist nach den Ausführungen im genannten Erkenntnis dann eine Feststellung dahingehend zu treffen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung plus“ nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegen, bzw. ein solcher Aufenthaltstitel zu erteilen. Das gilt auch für den Fall, in dem die Niederlassungsbehörde (noch) nicht gemäß § 25 NAG an das BFA herangetreten ist (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0193, zu einer ähnlichen Konstellation, in der das BFA eine Rückkehrentscheidung erlassen hatte, bevor ein Verlängerungsantrag gemäß § 24 NAG gestellt wurde).

12 Ausgehend von der in der Amtsrevision nicht bekämpftenAnnahme der Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung hätte das BVwG daher den angefochtenen Bescheid des BFA nur ersatzlos zu beheben gehabt, was es im vorliegenden Fall in Bezug auf die Rückkehrentscheidung „implizit“ durch die Beschwerdestattgebung und in Bezug auf die darauf aufbauenden Aussprüche ohnehin ausdrücklich mit Spruchpunkt A.II. getan hat. In Bezug auf Spruchpunkt A.I., d.h. insoweit damit der Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 erteilt wurde, erweist sich allerdings auch das hier angefochtene Erkenntnis als mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes belastet, sodass es gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben war.

13Aufwandersatz für die Revisionsbeantwortung war der Mitbeteiligten nicht zuzusprechen, weil sie gemäß § 47 Abs. 3 VwGG nur im Fall der Abweisung der Revision Anspruch auf Aufwandersatz hätte.

Wien, am 19. März 2025