Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision des S R J, vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/15, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Mai 2021, W281 2169470 5/11E, betreffend Festnahme nach dem BFA VG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 3. März 2015 wurde ein Antrag auf internationalen Schutz des Revisionswerbers, eines 1989 geborenen pakistanischen Staatsangehörigen, zur Gänze abgewiesen, wobei unter einem eine Rückkehrentscheidung (samt Nebenaussprüchen) erlassen wurde.
2 Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde zog der Revisionswerber am 19. März 2015 wieder zurück, nachdem ihm aufgrund der Eheschließung mit einer rumänischen Staatsangehörigen, die von ihrem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht in Österreich Gebrauch gemacht hatte, am 11. März 2015 eine Aufenthaltskarte ausgestellt worden war.
3 Ungeachtet dessen sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 30. August 2017 aus, dass dem Revisionswerber von Amts wegen kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werde, und erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA VG wegen unrechtmäßigen Aufenthalts eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG. Unter einem stellte es gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Pakistan zulässig sei, und erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 8 FPG gegen den Revisionswerber wegen Vorliegens einer Aufenthaltsehe ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot. Schließlich erkannte das BFA einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA VG die aufschiebende Wirkung ab.
4 Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde erkannte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Beschluss vom 4. Oktober 2017 gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG aufschiebende Wirkung zu.
5 Am 9. März 2018 erließ das BFA mit der Begründung, dass die mit Bescheid vom 3. März 2015 verfügte Rückkehrentscheidung rechtskräftig geworden sei, gemäß § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG gegen den Revisionswerber einen Festnahmeauftrag; die Abschiebung sei für den 15. März 2018 geplant. Ferner wurde ein Durchsuchungsauftrag gegen den Revisionswerber gemäß § 35 BFA-VG erlassen.
6 Am 13. März 2018 um 4:15 Uhr suchten Sicherheitsorgane der zuständigen Landespolizeidirektion die im Festnahmeauftrag angegebene Anschrift auf, trafen dort den Revisionswerber jedoch nicht an. Trotz „intensiven Klopfens“ an der versperrten Wohnungstür konnten die Sicherheitsorgane keine Anzeichen für die Anwesenheit einer Person in der Wohnung wahrnehmen. Der daraufhin telefonisch kontaktierte Vater des Revisionswerbers teilte dessen arbeitsbedingte Abwesenheit für den Rest der Woche mit. Daher unterblieb eine Festnahme des Revisionswerbers.
7 In der am 14. März 2018 erhobenen, an das BVwG gerichteten Beschwerde beantragte der Revisionswerber (soweit noch relevant), den Festnahmeauftrag „samt“ Anordnung seiner Verhaftung am 13. März 2018 in Verbindung mit dem Aufwecken seines Vaters um 4:45 Uhr als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt unter Kostenzuspruch für rechtswidrig zu erklären, wobei das BFA „dezidiert“ zu ermahnen sei, die gesetzlichen Bestimmungen „vorbehaltlos“ einzuhalten. In seiner Begründung führte der Revisionswerber insbesondere aus, dass der im Asylverfahren ergangene Bescheid des BFA vom 3. März 2015 durch die Ausstellung einer Aufenthaltskarte am 11. März 2015 „ersatzlos aufgehoben“ und seiner Beschwerde gegen den Bescheid vom 30. August 2017 mit Beschluss des BVwG vom 4. Oktober 2017 aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei, weshalb eine Abschiebung unzulässig sei.
8 Am 16. März 2018 gab das BFA gegenüber dem BVwG bekannt, dass der Beschluss des BVwG vom 4. Oktober 2017 aufgrund einer Falschprotokollierung zunächst nicht im Akt betreffend den Revisionswerber ersichtlich gewesen sei. Aus diesem Grund sei der Festnahmeauftrag erlassen worden. Da dieser Fehler beim BFA nun erkannt worden sei, werde kein weiterer Festnahmeversuch mehr durchgeführt werden.
9 Mit Schriftsatz vom 5. Juli 2018 erklärte der Revisionswerber, sich trotzdem nicht als klaglos gestellt zu erachten.
10 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 10. Mai 2021 wies das BVwG soweit noch relevant die Beschwerde „gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG iVm § 31 Abs. 1 VwGVG“ als unzulässig zurück und den Antrag auf Kostenzuspruch gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine (ordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zulässig sei.
11 In seiner Begründung ging das BVwG davon aus, dass es sich beim Festnahmeauftrag „als solchem“ sowie beim Aufsuchen des Wohnortes und Läuten an der Wohnungstür weder einzeln noch in Kombination um die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt gehandelt habe, weil bei diesen Akten der Zwangscharakter gefehlt habe. Dabei handle es sich allenfalls um „Modalitäten“, die einer Festnahme vorgelagert seien. Soweit in der Beschwerde die irrtümliche Einordnung des Beschlusses vom 4. Oktober 2017 im falschen Akt gerügt worden sei, könne dies mit einer Aufsichtsbeschwerde an die Oberbehörde des BFA, nicht aber mit einer Maßnahmenbeschwerde beim BVwG geltend gemacht werden. Eine „Ermahnung“ des BFA durch das BVwG sei gesetzlich nicht vorgesehen. Für die Entscheidung über eine Verhaltensbeschwerde nach Art. 132 Abs. 2 Z 1 B VG sei das BVwG nicht zuständig. Im Übrigen sei so hielt das BVwG noch fest mit einem nochmaligen Festnahmeversuch in der vorliegenden Konstellation nicht zu rechnen.
12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, fristgerecht ausgeführte ordentliche Revision, zu der keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, die sich jedoch unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
13 Nach dieser Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
14 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision in dieser Hinsicht ist der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Auch in einer vom Verwaltungsgericht für zulässig erklärten (ordentlichen) Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem erwähnten Gesichtspunkt maßgeblichen Gründe zur Zulässigkeit der Revision anzusprechen (vgl. des Näheren etwa VwGH 1.3.2022, Ro 2020/21/0014, Rn. 10, mwN).
15 Das BVwG hat die Revision mit der Begründung zugelassen, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur die Maßnahme als solche, sondern auch die Modalitäten bei der Durchführung einer Maßnahme mit Beschwerde angefochten werden könnten; es fehle aber Rechtsprechung zur Frage, ob Modalitäten, die der Durchführung einer Maßnahme als „Vorbereitungshandlungen“ dienten, gesondert mit Beschwerde beim BVwG angefochten werden könnten, wenn die Maßnahme selbst nicht erfolgt sei und die Modalitäten auch nicht im Beisein des Betroffenen gesetzt worden seien. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf einen Festnahmeauftrag, der nicht zu einer Festnahme geführt habe.
16 Diese Fragen hält die Revision jedoch für nicht relevant, weil entgegen der Meinung des BVwG das gegenständliche Vorgehen der Sicherheitsorgane als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt zu qualifizieren sei. Dazu beruft sich der Revisionswerber unter anderem auf Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (Hinweis auf VfSlg. 18.302/2007), wonach lautes Anklopfen mit dem Ruf „Polizei“ um 1:20 Uhr als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt gewertet worden sei. Für dessen Qualifikation sei es nach der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts auch nicht erforderlich, dass die Maßnahmen vom Betroffenen überhaupt unmittelbar wahrgenommen werden. Überdies habe ein Organ des BFA gegenüber dem Rechtsvertreter und dem Vater des Revisionswerbers telefonisch erklärt, dass mit „voller Vehemenz“ und allen nur erdenklichen Mitteln nach dem Revisionswerber gefahndet werde, um die bereits geplante Abschiebung durchführen zu können, sodass die gesamte Vorgangsweise als rechtswidrige Maßnahme anzusehen sei.
17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein Akt der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dann vor, wenn Verwaltungsorgane im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig gegen individuell bestimmte Adressaten einen Befehl erteilen oder Zwang ausüben und damit unmittelbar das heißt ohne vorangegangenen Bescheid in subjektive Rechte des Betroffenen eingreifen. Das ist im Allgemeinen dann der Fall, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehls droht. Es muss ein Verhalten vorliegen, das als „Zwangsgewalt“, zumindest aber als spezifisch verstandene Ausübung von „Befehlsgewalt“ gedeutet werden kann (vgl. des Näheren etwa VwGH 10.11.2021, Ra 2021/01/0211, Rn. 24, mwN; vgl. in diesem Sinn bereits VwGH 14.4.2011, 2007/21/0322).
18 Ob es sich um eine Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt gehandelt hat, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes (vgl. erneut VwGH 10.11.2021, Ra 2021/01/0211, Rn. 25, mwN). Wie auch bei anderen einzelfallbezogenen Beurteilungen läge eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG nur dann vor, wenn diese Einschätzung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise, also krass fehlerhaft, vorgenommen worden wäre (vgl. VwGH 11.5.2017, Ro 2017/21/0006, Rn. 10, mwN). Dies ist hier nicht der Fall, sodass sich die Revision insoweit als unzulässig erweist.
19 Die vom BVwG vorgenommene Beurteilung, es habe sich bei dem gescheiterten Festnahmeversuch am 13. März 2018 vor der Wohnung des abwesenden Revisionswerbers nicht um einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt gehandelt, ist nämlich jedenfalls vertretbar.
20 Soweit sich die Revision auf das Erkenntnis VfSlg. 18.302/2007 beruft, lässt sie außer Acht, dass es in diesem Fall um bloße Erhebungen über die Lebensverhältnisse einer rechtmäßig aufhältigen Fremden um 1:20 Uhr ging, die auch zum Betreten der Wohnung geführt hatten. Auch der Sachverhalt, auf den sich das (ebenfalls in der Revision ins Treffen geführte) Erkenntnis VwGH 20.11.2006, 2006/09/0188, bezog, ist mit dem vorliegenden Fall von vornherein nicht vergleichbar.
21 Ob das Verhalten von Organen des BFA oder eine ihm zurechenbare Vorgangsweise der Organe der Landespolizeidirektion mit einer Beschwerde gemäß § 88 Abs. 2 SPG oder gemäß § 89 Abs. 4 SPG bekämpfbar wäre, bedarf keiner Prüfung, weil der Revisionswerber zu keinem Zeitpunkt behauptet hat, eine derartige Beschwerde, für deren Entscheidung im Übrigen nicht das ausdrücklich angerufene BVwG, sondern die Landesverwaltungsgerichte zuständig wären, erheben zu wollen.
22 Die Revision wendet sich auch gegen die Zurückweisung der Beschwerde, soweit sie sich gegen den Festnahmeauftrag richtete. Dazu ist vorauszuschicken, dass die gesonderte Anfechtung eines Festnahmeauftrages jedenfalls nach vollzogener Festnahme schon zur Vermeidung von Doppelgleisigkeiten nicht in Betracht kommt, zumal wie der Verwaltungsgerichtshof zur Vorgängerregelung des § 22a Abs. 1 BFA VG ausführte auch § 82 Abs. 1 FPG einen selbständigen Anfechtungsgegenstand „Festnahmeauftrag“ nicht kenne, was offenbar auch der Absicht des Gesetzgebers bei der Schaffung des § 22a Abs. 1 BFA VG entsprochen habe (vgl. VwGH 3.9.2015, Ro 2015/21/0025, Punkt. 3., mwN). Eine mangels Festnahme ausnahmsweise allenfalls zulässige gesonderte Anfechtung eines Festnahmeauftrages setzt allerdings ein rechtliches Interesse des Betroffenen voraus, das im vorliegenden Fall beim Revisionswerber im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG nicht mehr bestand, nachdem das BFA am 16. März 2018 erklärt hatte, von einem weiteren Festnahmeversuch Abstand zu nehmen. Der diesbezüglichen Feststellung des BVwG tritt die Revision, in der keine konkreten Ausführungen über eine nach dieser Erklärung vom 16. März 2018 weiterhin drohende Festnahme gemacht werden, inhaltlich nicht ausreichend entgegen.
23 Die Revision war daher insgesamt mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat mit Beschluss zurückzuweisen.
24 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 13. Dezember 2023