Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und die Hofrätinnen Dr. Pollak, Mag. Hainz Sator und MMag. Ginthör sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Janitsch, über die Revision des Ing. Mag. (FH) H G, MBA, MPA, in Wien, vertreten durch Mag. Wolfgang M. Fritz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Führichgasse 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Dezember 2020, Zlen. W262 2227304 1/11E und W262 2229299 1/4E, betreffend Aufhebung der Befristung des Behindertenpasses (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird abgewiesen.
1 Nach der Aktenlage wurde dem Revisionswerber aufgrund eines von der belangten Behörde im Mai 2015 eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens, demzufolge der Revisionswerber an Morbus Crohn leide, eine Besserung aber möglich sei, ein bis 31. August 2020 befristeter Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. ausgestellt. Mit Schreiben vom 23. April 2018, eingelangt bei der belangten Behörde am 25. April 2018, beantragte der Revisionswerber die Aufhebung der Befristung seines Behindertenpasses und legte dazu ärztliche Befunde zum Beleg dafür vor, dass es sich bei seinem Leiden um einen Dauerzustand handle, dessen Besserung nicht mehr zu erwarten sei.
2 Mit Bescheid vom 6. Juni 2018, bestätigt mit Beschwerdevorentscheidung vom 5. September 2018, stellte die belangte Behörde fest, dass mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. keine Veränderung des bisherigen Grades der Behinderung eingetreten sei, und wies den als „Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung“ gewerteten Antrag ab. In Stattgabe der Beschwerde des Revisionswerbers behob das Verwaltungsgericht die Beschwerdevorentscheidung mit Erkenntnis vom 22. Februar 2019 ersatzlos, weil der Revisionswerber keinen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung gestellt habe, sondern einen nach wie vor unerledigten Antrag auf Aufhebung der Befristung des Behindertenpasses. Mit Ersatzbescheid vom 21. August 2019 stellte die belangte Behörde nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens fest, dass der Beschwerdeführer mit einem Grad der Behinderung von 30 v.H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle und dass sein Antrag vom 25. April 2018 welcher von der belangten Behörde nunmehr als „Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses“ gewertet worden sei abzuweisen sei.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hob das Verwaltungsgericht in Stattgabe der Beschwerde des Revisionswerbers den (Ersatz)Bescheid der belangten Behörde vom 21. August 2019 ersatzlos auf (Spruchpunkt A) I.). Unter einem gab das Verwaltungsgericht der Säumnisbeschwerde betreffend den Antrag auf Aufhebung der Befristung des Behindertenpasses wegen Verletzung der Entscheidungspflicht statt (Spruchpunkt A) II.1.) und wies den Antrag des Revisionswerbers auf Aufhebung der Befristung des Behindertenpasses als unzulässig zurück (Spruchpunkt A) II.2.). Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht hinsichtlich Spruchpunkt A) II.2. gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für zulässig (Spruchpunkt B). Nur gegen Spruchpunkt A) II.2. richtet sich auch die vorliegende ordentliche Revision.
4 Das Verwaltungsgericht begründete den Spruchpunkt A) I. seines Erkenntnisses damit, dass der Revisionswerber wie er selbst in der Beschwerde bekräftigt habe weder die Ausstellung eines Behindertenpasses noch die Neufestsetzung des Grades der Behinderung, sondern die Aufhebung der Befristung seines Behindertenpasses beantragt habe. Da die belangte Behörde dadurch (erneut) eine Zuständigkeit in Anspruch genommen habe, die ihr nicht zukomme, sei der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben gewesen.
5 Zum vorliegend angefochtenen Spruchpunkt A) II.2. führte das Verwaltungsgericht aus, der ausschließlich auf die Aufhebung der Befristung gerichtete Antrag sei unzulässig. Im Bundesbehindertengesetz (BBG) seien lediglich Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung vorgesehen. Ein etwaiger Wegfall der Befristung könne nur im Zuge eines Verfahrens zur Neufestsetzung des Grades der Behinderung oder zur Ausstellung eines Behindertenpasses erfolgen, da die Einschätzung des Gesundheitszustandes nur anhand einer aktuellen Beurteilung der Leidenszustände, ihres Ausmaßes und einer allfälligen Besserungsmöglichkeit erfolgen könne. Eine Umdeutung des Beschwerdevorbringens im Sinne eines Antrags auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung bzw. auf Ausstellung eines Behindertenpasses scheide aufgrund des ausdrücklich nur auf die Aufhebung der Befristung des Behindertenpasses gerichteten Begehrens aus. Da die Aufhebung einer Befristung eines Behindertenpasses gesetzlich nicht vorgesehen sei, sei der diesbezügliche Antrag des Revisionswerbers als unzulässig zurückzuweisen. Dem Revisionswerber stehe es frei, in Folge des Ablaufs der Befristung erneut einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bei der belangten Behörde einzubringen, über den diese, sofern dem Begehren nicht stattgegeben werde, mit Bescheid zu entscheiden habe, der beim Bundesverwaltungsgericht angefochten werden könne.
6 Die Zulässigkeit einer Revision gegen Spruchpunkt A) II.2. seines Erkenntnisses begründete das Verwaltungsgericht damit, dass es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage der Zulässigkeit eines ausschließlich auf die Aufhebung der Befristung eines Behindertenpasses gerichteten Antrags nach dem BBG fehle.
7 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B VG vor dem Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 10. März 2021, E 393/2021 5, ab und trat sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 25. März 2021, E 393/2021-7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Zur daraufhin erhobenen ordentlichen Revision gegen Spruchpunkt A) II.2. des Erkenntnisses wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
8 Die Revision schließt sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung jener des Verwaltungsgerichts an und bringt dazu vor, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei aus dem BBG das Recht ableitbar, ausschließlich die Aufhebung der Befristung eines Behindertenpasses zu beantragen.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:
10 Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG, BGBl. Nr. 283/1990, idF BGBl. I. Nr. 100/2018, lauten auszugsweise:
„BEHINDERTENPASS
§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn
1.ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist ...
...
§ 41. ...
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
...
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
(2) Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
§ 43. (1) Treten Änderungen ein, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpaß auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpaß einzuziehen.
(2) Der Besitzer des Behindertenpasses ist verpflichtet, dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen binnen vier Wochen jede Änderung anzuzeigen, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, und über Aufforderung dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Behindertenpaß vorzulegen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
...“
11 Die Revision ist aus dem in der Zulässigkeitsbegründung des Verwaltungsgerichts genannten Grund zulässig. Sie ist aber nicht begründet.
12 Den Gesetzesmaterialien zur Stammfassung BGBl. Nr. 283/1990 der zitierten, im Wesentlichen unverändert gebliebenen Bestimmungen ist Folgendes zu entnehmen (vgl. RV 1283 BlgNR XVII. GP, 21):
„Zu Art. I § 42: Diese Bestimmung legt jene Daten fest, die auf jeden Fall in den Paß einzutragen sind. Im Hinblick auf den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre sollen nur die unbedingt notwendigen Angaben in den Behindertenpaß aufgenommen werden. Die Eintragung weiterer Daten soll nur dann zulässig sein, wenn die behinderte Person der Eintragung zustimmt. Diese Regelung ist auch in Zusammenhang mit § 4 Abs. 1 zu sehen, der anordnet, daß Rehabilitationsmaßnahmen der Zustimmung des behinderten Menschen bedürfen.
Zu Art. I §§ 43 bis 46: Diese Bestimmungen enthalten Regelungen über die Berichtigung von Eintragungen, die Einziehung des Passes, die Anzeigeverpflichtung bei Änderungen in den Voraussetzungen, die Vorlagepflicht, die Ungültigkeit des Behindertenpasses, eine allfällige Neuausstellung sowie über das Verfahren. Auf die Ausstellung des Passes soll ein Rechtsanspruch bestehen.“
13 In der Stammfassung der §§ 41 Abs. 2 und 45 Abs. 1 BBG war zunächst nur der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses vorgesehen. Die Wortfolge „oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung“ wurde mit der Novelle BGBl. Nr. 26/1994, eingefügt. Damit sollte klargestellt werden, dass Anträge auf Einschätzung (und damit auch auf Neueinschätzung) des Grades der Behinderung wie Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu behandeln seien (vgl. RV 1348 BlgNR XVIII. GP, 7).
14 Mit der BBG Novelle 1999, BGBl. I Nr. 177, wurde in § 45 Abs. 1 BBG und mit BGBl. I Nr. 81/2010 in § 41 Abs. 2 schließlich die Wortfolge „auf Vornahme von Zusatzeintragungen“ eingefügt. Nach den Erläuterungen werde mit dieser Ergänzung sichergestellt, dass auch über Anträge auf Vornahme einer Zusatzeintragung mit Bescheid gemäß § 45 Abs. 2 abzusprechen sei (vgl. RV 1857 BlgNR XX. GP, 7).
15 In §§ 41 Abs. 2 und 45 Abs. 1 BBG werden sohin explizit nur Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen sowie auf Einschätzung (und damit auch auf Neueinschätzung) des Grades der Behinderung genannt. Weder der Gesetzestext noch die Erläuterungen lassen erkennen, dass nach den genannten Bestimmungen andere Anträge an die belangte Behörde zulässig wären. Aus § 42 Abs. 2 BBG kann eine Ermächtigung der Behörde zur Befristung eines Behindertenpasses abgeleitet werden, aber kein Rechtsanspruch und folglich auch kein Antragsrecht auf Änderung oder Streichung einer eingetragenen Befristung, wenn sich deren Voraussetzungen ändern oder wegfallen.
16 Soweit der Revisionswerber das von ihm behauptete Antragsrecht auf § 43 Abs. 1 BBG stützen will, ist ihm zu entgegnen, dass diese Bestimmung lediglich die Pflicht der Behörde normiert, Änderungen, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpass auszustellen. Im Zusammenhang damit legt Abs. 2 leg. cit. eine Anzeigepflicht nicht aber ein Antragsrecht, welches über das in §§ 41 Abs. 2 und 45 Abs. 1 BBG normierte hinausginge des Besitzers des Behindertenpasses fest. Somit hat die Behörde, wenn ihr eine den Inhalt des Behindertenpasses betreffende Änderung angezeigt wird, diese von Amts wegen wahrzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass eine die Befristung des Behindertenpasses betreffende Änderung der Eintragungen anders als von Amts wegen zu erfolgen hätte. Anderes ist entgegen dem Revisionsvorbringen auch aus § 42 BBG nicht ableitbar.
17 Die Behörde wird freilich Anträge auf Aufhebung einer Befristung zu prüfen und etwa durch Rücksprache mit dem Antragsteller zu ermitteln haben, ob damit nicht etwa ein iSd. §§ 41 Abs. 2 und 45 Abs. 1 BBG zulässiger Antrag (wie ihn die belangte Behörde im Revisionsfall annahm) gemeint ist. Ein ausdrücklich und unmissverständlich (bloß) auf Aufhebung der Befristung gestellter Antrag wie im Revisionsfall erweist sich jedoch als unzulässig und ist mangels Antragslegitimation zurückzuweisen.
18 Da angesichts der (im gesamten Verfahren betonten) Eindeutigkeit des im Revisionsfall gestellten Antrags auch dessen Umdeutung entgegen der in den vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheiden zum Ausdruck gekommenen Auffassung der belangten Behörde ausgeschlossen war (vgl. zu den Grenzen der Umdeutung von Anbringen die Judikaturnachweise bei Hengstschläger/Leeb , AVG 2 § 13 Rz. 38), ist eine Rechtswidrigkeit der vom Verwaltungsgericht mit Spruchpunkt A) II.2. seines Erkenntnisses vorgenommenen Zurückweisung nicht zu erkennen.
19 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 14. März 2024