Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des M T, vertreten durch Dr. Michael Langhofer, Rechtsanwalt in 5201 Seekirchen, Wallerseestraße 4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. Dezember 2019, G305 2225726 1/3E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der 1992 geborene Revisionswerber, ein italienischer Staatsangehöriger, der sich seit 2014 im Bundesgebiet aufgehalten hatte, wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 3. Oktober 2019 wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG, wegen des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 zweiter Fall SMG, wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter, dritter und fünfter Fall, Abs. 4 Z 3 SMG (teils als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB), wegen des Verbrechens der versuchten Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 15 Abs. 1 StGB, § 28 Abs. 1 erster Fall, Abs. 2 SMG sowie wegen des Vergehens des Besitzes verbotener Waffen nach § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten (davon 16 Monate bedingt nachgesehen) verurteilt.
2 Dieser Verurteilung lagen die folgenden Tatvorwürfe zugrunde: Der Revisionswerber habe von Anfang 2018 bis zu seiner Festnahme am 23. Mai 2019 unbekannte Mengen Cannabisprodukte, Kokain, XTC, Speed und LSD ausschließlich zum Eigenkonsum erworben und besessen. Er habe am 23. Mai 2019 Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge (insgesamt 365 Gramm Cannabisprodukte, 60 Gramm Kokain, ein Stück LSD Trip und 11,8 Gramm MDMA) mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde. Im Zeitraum ab Mitte 2018 bis zu seiner Festnahme am 23. Mai 2019 habe er in mehreren Angriffen Suchtgift in einer das 25 fache der Grenzmenge übersteigenden Menge (insgesamt 1.200 Gramm Speed, 250 Gramm Kokain, 2.200 Gramm Cannabisprodukte, 500 XTC Tabletten, 30 Gramm MDMA und 23 Stück LSD Trips) bei ausländischen Suchtgifthändlern im Internet bzw. Darknet bestellt und diese dazu bestimmt, das Suchtgift per Post aus dem Ausland aus- und nach Österreich einzuführen, wobei er auch an eine Adresse in Deutschland gesendete Suchtgiftlieferungen selbst mit dem PKW nach Österreich eingeführt habe. Im selben Zeitraum habe der Revisionswerber in mehreren Angriffen Suchtgift in einer das 25 fache der Grenzmenge übersteigenden Menge (insgesamt 1.000 Gramm Speed, 200 Gramm Kokain, 1.500 Gramm Cannabisprodukte, 300 XTC Tabletten, 20 Gramm MDMA und 20 Stück LSD Trips) an bestimmte näher genannte Personen überwiegend gewinnbringend verkauft. Zu näher angeführten Zeiten habe der Revisionswerber in vier Angriffen Suchtgift in einer die Grenzmenge 15 fach übersteigenden Menge (insgesamt 1.892 Gramm Speed, 3,9 Gramm Kokain, 12,8 Gramm MDMA und 325 XTC Tabletten) durch Bestellungen im Ausland über das Internet bzw. Darknet mit dem Vorsatz zu erwerben versucht, dass es in Verkehr gesetzt werde, wobei die Taten nur deswegen beim Versuch geblieben seien, weil die Suchtgiftbestellungen von den deutschen Behörden noch vor dem Grenzübertritt nach Österreich sichergestellt worden seien. Schließlich habe er am 23. Mai 2019 einen Teleskopschlagstock unbefugt besessen.
3 Im Hinblick auf diese Straftaten erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 16. Oktober 2019 gegen den Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein für die Dauer von sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot, erteilte ihm in Anwendung des letzten Halbsatzes des § 70 Abs. 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub und erkannte einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA VG die aufschiebende Wirkung ab.
4 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 2. Dezember 2019 als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 Das BVwG ging vom Erwerb des Daueraufenthaltsrechtes durch den Revisionswerber aus und wandte im Ergebnis den Gefährdungsmaßstab nach § 66 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG an. Es bejahte, unter anderem mit Hinweis auf die große Menge des vom Revisionswerber besessenen und gehandelten Suchtgiftes, die relativ langen Tatzeiträume, die sich etwa in der Verwendung mehrerer Mobiltelefone für den Suchtgifthandel manifestierende hohe kriminelle Energie des Revisionswerbers, seine Suchtgiftabhängigkeit sowie dessen Bereitwilligkeit, Suchtmittel an dritte Personen gewinnbringend weiterzugeben, das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinne der genannten Bestimmung. Ein für die Annahme eines Gesinnungswandels maßgebliches Wohlverhalten in Freiheit nach dem Vollzug der Freiheitsstrafe liege noch nicht vor. Selbst wenn dem Beschwerdevorbringen, wonach der Revisionswerber sich seiner ehemaligen Lebensgefährtin wieder angenähert habe, gefolgt und deshalb von einem „nennenswerten Privatleben“ auszugehen wäre, würden die öffentlichen Interessen an der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes aufgrund des vom Revisionswerber ausgehenden Gefährdungspotentials schwerer wiegen.
Das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung begründete das BVwG damit, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt aufgrund der Aktenlage geklärt sei.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
7 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
9 In der Revision werden Ermittlungs und Begründungsmängel geltend gemacht und überdies vorgebracht, das BVwG hätte im Rahmen einer mündlichen Verhandlung den Revisionswerber befragen und näher genannte Zeugenbeweise aufnehmen müssen.
10 Dem Revisionswerber ist einzuräumen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt darauf hingewiesen hat, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA VG kann bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, bei denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft (vgl. dazu etwa VwGH 8.9.2022, Ra 2022/21/0051, Rn. 14, mwN).
11 Unter Bedachtnahme auf alle für und gegen den Revisionswerber sprechenden Umstände durfte das BVwG im vorliegenden Fall zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung aber im Ergebnis sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose, die das BVwG aufgrund des angenommenen Erwerbs des unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechtes zu Recht am erhöhten Maßstab des § 66 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG vornahm (vgl. dazu etwa VwGH 19.5.2022, Ra 2019/21/0396, Rn. 18, mwN), als auch in Bezug auf die gemäß § 9 BFA VG vorgenommene Interessenabwägung vertretbar von einem derartigen eindeutigen Fall ausgehen.
12 Schon im Hinblick auf die dargestellten, vom Revisionswerber in Bezug auf große Suchtgiftmengen begangenen Verbrechen des grenzüberschreitenden Suchtgiftschmuggels und des Suchtgifthandels und von dessen versuchter Vorbereitung in Verbindung mit den von ihm außerdem verübten Vergehen nach dem SMG und nach dem WaffG in einem (auch vom Strafgericht als erschwerend angesehenen) langen Zeitraum von über einem Jahr, wobei die Tatbegehungen zum großen Teil erst durch seine Festnahme beendet wurden und zur Verhängung einer teilweise unbedingten Freiheitsstrafe geführt haben, ist die vom BVwG getroffene Gefährdungsprognose nicht zu beanstanden. Auf nicht tragende, in der Revision bemängelte Begründungspunkte in der angefochtenen Entscheidung, wie etwa die Frage, ob der Revisionswerber bei den Tatbegehungen „professionell“ vorgegangen ist, ob er seine Taten in der Beschwerde verharmloste, ob es sich beim Revisionswerber um eine psychisch instabile Persönlichkeit handelt und ob er vor der Verbüßung der Freiheitsstrafe einen finanziell unangemessenen Lebensstil hatte, kommt es angesichts der gesamten, eingangs genannten Umstände nicht an . Ebenso ist die offenbar auf einen Irrtum zurückzuführende Erwähnung von (durch die Aktenlage nicht gedecktem) Handel mit Heroin schon wegen der Feststellungen zu den vom Revisionswerber tatsächlich begangenen Straftaten und der darauf gestützten Begründung der Gefährdungsprognose kein tragendes Element der Begründung, weshalb dieser Fehler nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Übrigen bereits wiederholt ausgesprochen, dass Suchtmitteldelikte der vorliegenden Art ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellen, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (siehe zu einem hinsichtlich der begangenen Delikte ähnlich gelagerten Fall etwa VwGH 2.9.2022, Ra 2022/14/0204, Rn. 16, mwN). In diesem Zusammenhang ist außerdem darauf zu verweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich nach dem Vollzug einer Haftstrafe in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. etwa VwGH 8.11.2022, Ra 2022/21/0105, Rn. 19, mwN). Darauf bezog sich auch das BVwG zu Recht, zumal sich der Revisionswerber bis kurz vor der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses noch in Haft befand. Der Hinweis in der Revision, der Revisionswerber habe sich schon während der Haft auf ein geordnetes, rechtskonformes Leben nach seiner Entlassung vorbereitet, ist daher für sich genommen nicht zielführend.
14 Auch unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG durfte das BVwG zum Zeitpunkt seiner Entscheidung in Anbetracht der Schwere der begangenen Straftaten und der daraus ableitbaren Gefährdungsprognose auch vor dem Hintergrund der noch nicht sehr langen Aufenthaltsdauer von etwa fünf Jahren im Ergebnis von einem eindeutigen Fall ausgehen. In der Beschwerde an das BVwG brachte der Revisionswerber zwar vor, er habe sich seiner ehemaligen Lebensgefährtin wieder angenähert und in der Revision wird in diesem Zusammenhang bemängelt, dass die (ehemalige) Lebensgefährtin des Revisionswerbers und er selbst dazu nicht einvernommen worden seien. Das BVwG unterstellte jedoch in einer Alternativbegründung auch das in der Beschwerde vorgebrachte Wiederaufleben der Beziehung des Revisionswerbers zu seiner ehemaligen Lebensgefährtin als wahr. Davon ausgehend kam es zu dem in seiner Gesamtheit auch unter Berücksichtigung der Absolvierung einer Lehre durch den Revisionswerber nicht zu beanstandenden Ergebnis, dass im konkreten Fall das schützenswerte Privatleben die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht überwiege. Aufgrund der Wahrunterstellung der vorgebrachten Beziehung durfte das BVwG daher von der Vernehmung der (ehemaligen) Lebensgefährtin des Revisionswerbers sowie von seiner Befragung zu diesem Thema absehen (vgl. etwa VwGH 21.12.2022, Ra 2022/22/0165, Rn. 13, mit Verweis auf VwGH 17.5.2021, Ra 2020/21/0539, Rn. 11). Insoweit liegt daher kein relevanter Verfahrensmangel vor. Soweit der Revisionswerber noch die Unterlassung der Vernehmung zweier weiterer Zeuginnen rügt, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Beschwerde an das BVwG diesbezüglich keine ordnungsgemäße Angabe eines Beweisthemas enthält, sodass das BVwG nicht verpflichtet war, den Zeugenbeweis aufzunehmen (vgl. z.B. VwGH 21.9.2022, Ra 2022/19/0104, Rn. 14/15).
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, was im Übrigen auch auf die in der Revision schließlich auch noch angesprochene Bestätigung der Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gilt. Die Revision war daher nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
16 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 2. März 2023