Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofrätinnen Dr. Wiesinger und Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Wagner, über die Revision des K B, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in Graz, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. September 2023, G310 2274337 1/2E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der im Jahr 1971 in Österreich geborene Revisionswerber, ein slowenischer Staatsangehöriger, wuchs in Slowenien auf und lebt seinem Vorbringen zufolge seit 2011 zunächst ohne Wohnsitzmeldung und seit April 2015 mit Meldung eines Hauptwohnsitzes im Bundesgebiet. Ab 2011 war der Revisionswerber immer wieder in Österreich erwerbstätig. Seit September 2020 ist er mit einer ungarischen Staatsangehörigen verheiratet, er wohnt mit ihr und ihrem Enkelkind im gemeinsamen Haushalt und ist seit Jahren drogenabhängig. Im Juni 2021 wurde ihm eine Anmeldebescheinigung ausgestellt. Aus einer ersten Ehe hat der Revisionswerber zwei volljährige Kinder, die in Slowenien leben. Er ist auch Eigentümer eines in Grenznähe zu Österreich befindlichen Hauses in Slowenien.
2 Mit dem bereits getilgten rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 25. November 1999 wurde der Revisionswerber nach § 105 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 („Ausbeutung eines Fremden“) zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten (bedingter Strafteil: acht Monate) verurteilt.
3 Im Hinblick auf diese Verurteilung wurde über den Revisionswerber mit dem rechtskräftigen Bescheid der Bundespolizeidirektion Eisenstadt vom 24. Jänner 2000 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt und der Revisionswerber nach Entlassung aus der Strafhaft nach Slowenien abgeschoben. Mit dem rechtskräftigen Bescheid der Bundespolizeidirektion Eisenstadt vom 3. Februar 2010 wurde das Aufenthaltsverbot über Antrag des Revisionswerbers wieder aufgehoben.
4 Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 8. November 2022 wurde der Revisionswerber wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter und fünfter Fall iVm Abs. 4 Z 3 SMG sowie wegen der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall, Abs. 1 Z 2 iVm Abs. 2 SMG zu einer unbedingten dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
5 Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe im Zeitraum von April 2015 bis zum 3. Juni 2022 Suchtgift in einer das 25 fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich zumindest 900 Gramm Heroin und 4.000 Gramm Cannabiskraut, von Slowenien nach Österreich eingeführt. Des Weiteren habe er die angeführten 900 Gramm Heroin sowie unbekannte Mengen Cannabiskraut einem Dritten großteils gewinnbringend verkauft. Der Revisionswerber habe zudem eine Cannabispflanze zum Zweck der Suchtgiftgewinnung ausschließlich für den persönlichen Gebrauch angebaut sowie Cannabiskraut bei Dealern bezogen und bis zum Eigenkonsum besessen. Das Strafgericht wertete die Unbescholtenheit des Revisionswerbers als mildernd und das Zusammentreffen von mehreren Verbrechen mit mehreren Vergehen als erschwerend.
6 Im Hinblick auf diese Straftaten erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 1. Juni 2023 gegen den Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein für die Dauer von sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.) und erteilte ihm nach § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat (Spruchpunkt II.).
7 Der nur gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 19. September 2023 insoweit statt, als es die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf vier Jahre herabsetzte. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
9 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
11 Vorauszuschicken ist, dass das BVwG aufgrund seiner Annahme, der Revisionswerber halte sich seit April 2015 in Österreich auf, die Zulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbots im vorliegenden Fall am Boden des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) prüfte und diesen Gefährdungsmaßstab angesichts der der letzten strafgerichtlichen Verurteilung zugrunde liegenden Straftaten als erfüllt erachtete.
12 In dieser Hinsicht wendet sich die Revision gegen die Gefährdungsprognose des BVwG. Der Revisionswerber halte sich nämlich bereits seit 2011 im Bundesgebiet auf, weshalb ihm ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht zukomme und das BVwG zu Unrecht nicht den erhöhten Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG („schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit“) zugrunde gelegt habe.
13 Entgegen dem Revisionsvorbringen kommt es im vorliegenden Fall jedoch nicht darauf an, ob der Revisionswerber ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht erworben hatte und das Aufenthaltsverbot daher am erhöhten Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) entspricht, zu messen gewesen wäre.
14 Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wäre nämlich schon im Hinblick auf die entgegen dem Revisionsvorbringen vom BVwG ausreichend festgestellten, in Bezug auf große Suchtgiftmengen begangenen Verbrechen des grenzüberschreitenden Suchtgiftschmuggels und des Suchtgifthandels über einen mehr als siebenjährigen Tatzeitraum in Verbindung mit den weiteren von ihm verübten Vergehen nach dem SMG, wobei die Tatbegehungen jeweils erst durch seine Festnahme beendet wurden und zur Verhängung einer dreijährigen unbedingten Freiheitsstrafe führten, jedenfalls auch der erhöhte Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG erfüllt gewesen (zu ähnlichen an diesem Maßstab gemessenen Sachverhaltskonstellationen siehe etwa VwGH 2.3.2023, Ra 2020/21/0018, Rn. 1/2 iVm 12; VwGH 19.5.2022, Ra 2019/21/0396, Rn. 5 iVm 21).
15 Soweit sich die Revision noch mit dem Hinweis, der Revisionswerber sei aufgrund einer in der Strafhaft absolvierten Therapie nicht mehr suchtmittelabhängig und als „Freigänger“ erwerbstätig, gegen die Gefährdungsprognose wendet, ist ihr zu entgegnen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich nach dem Vollzug einer Haftstrafe in Freiheit wohlverhalten hat, wobei dies selbst für den Fall einer bereits erfolgreich absolvierten Therapie gilt (vgl. etwa VwGH 8.11.2022, Ra 2022/21/0105, Rn. 19, mwN). Darauf bezog sich auch das BVwG zu Recht, zumal sich der Revisionswerber im Zeitpunkt des angefochtenen Erkenntnisses noch in Strafhaft befand. Aus dem Status eines Strafhäftlings als „Freigänger“ lässt sich nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine maßgebliche Minderung der sich aus dem strafbaren Verhalten ergebenden Gefährdung ableiten (VwGH 29.06.2023, Ra 2023/21/0088, Rn. 13, mwN). Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass Suchtmitteldelikte der vorliegenden Art ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellen, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. neuerlich VwGH 2.3.2023, Ra 2020/21/0018, nunmehr Rn. 13, mwN).
16 Zu den weiteren Zulässigkeitsausführungen in der Revision, die sich gegen die nach § 9 BFA VG vorgenommene Interessenabwägung wenden, wird auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach bei derart schweren Verbrechen im Zusammenhang mit Suchtmitteln selbst ein langjähriger Aufenthalt in Österreich und sogar eine sonst vollkommene soziale Integration im Inland einem Aufenthaltsverbot nicht entgegenstünden (vgl. etwa VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0207, Rn. 13, mwN; siehe auch VwGH 31.5.2022, Ra 2020/21/0176, Rn. 11, mit Hinweisen auch auf Judikatur des EGMR). Entgegen den Revisionsausführungen liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eine allfällige finanzielle Unterstützung an seine Ehefrau nicht auch nach der Rückkehr des Revisionswerbers in den Herkunftsstaat, wo er auch Eigentümer eines Hauses in Grenznähe zum Bundesgebiet ist, geleistet werden könnte. Im Übrigen hat das BVwG den privaten und familiären Interessen des Revisionswerbers durch eine deshalb vorgenommene angemessene Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ohnehin Rechnung getragen.
17 Der Revisionswerber releviert in der Begründung zur Zulässigkeit der Revision zudem, dass die Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung erforderlich gewesen wäre.
18 § 21 Abs. 7 BFA VG erlaubt das Unterbleiben einer Verhandlung trotz deren ausdrücklicher Beantragung, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Richtig ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang auch wiederholt darauf hingewiesen hat, bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen komme der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann allerdings eine Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 24.10.2024, Ra 2024/21/0057, Rn. 14, mwN).
19 Einen solchen eindeutigen Fall durfte das BVwG in der vorliegenden Konstellation vor dem Hintergrund der wie oben bereits ausgeführt als besonders verpönt und schwerwiegend zu qualifizierenden Straftaten sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch hinsichtlich der nach § 9 BFA VG iVm Art. 8 EMRK vorgenommenen Interessenabwägung im Ergebnis jedenfalls vertretbar unterstellen.
20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 2. September 2025