Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des J T in W, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 6. April 2020, Zl. LVwG 651606/2/Bi, betreffend Zurückweisung eines Antrags auf Ausstellung eines neuen Führerscheins (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Linz Land), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Zur Vorgeschichte wird auf den hg. Beschluss vom 13. Dezember 2018, Ra 2016/11/0065, verwiesen. Die damalige Revision richtete sich gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts, mit dem ein Antrag des Revisionswerbers „auf Ausstellung eines österreichischen Führerscheins für die Klassen C und CE sowie die Eintragung des Code 95“ vom 12. November 2014 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden war. Dem war zugrunde gelegen, dass ein Antrag des Revisionswerbers auf Ausstellung eines neuen Führerscheins aufgrund einer tschechischen Lenkberechtigung für die Klassen B, C und E bereits mit Bescheid der belangten Behörde vom 26. März 2010 gemäß § 15 Abs. 3 FSG abgewiesen worden war. Mit dem zitierten Beschluss wies der Verwaltungsgerichtshof die Revision mangels Vorliegens einer grundsätzlichen Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B VG zurück, da das Verwaltungsgericht nicht von der hg. Judikatur zu res iudicata abgewichen war. Entgegen dem Revisionsvorbringen hatte sich nämlich die Rechtslage unter anderem deshalb nicht entscheidungswesentlich geändert, weil die neuen Klassen C und CE dieselbe Berechtigung wie die früheren Klassen C und E umfassten.
2 Mit Schriftsatz vom 2. August 2019 beantragte der Revisionswerber die Ausstellung eines neuen Führerscheins samt Eintragung von Code 95 bis 8. Jänner 2023 und brachte dazu vor, er habe in Tschechien am 8. Jänner 2018 die Lenkberechtigung für die Klassen D, D1, D1E und DE erworben. Sein daraufhin neu ausgestellter tschechischer Führerschein sei bis 1. Jänner 2023 gültig und hinsichtlich der Klassen C1, C, C1E und CE durch Code 95 mit 28. August 2022 befristet. Nach Erwerb der tschechischen Lenkberechtigung habe der Revisionswerber seinen Wohnsitz nach Österreich verlegt. Im Februar und März 2019 habe er die Weiterbildungen für Code 95 absolviert, weshalb die Voraussetzungen für Code 95 bis 8. Jänner 2023 vorlägen. Dem Antrag angeschlossen waren Kopien des tschechischen Führerscheins und der Bescheinigungen über die (in Österreich absolvierten) Weiterbildungen.
3 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 17. Oktober 2019 wurde der Antrag des Revisionswerbers gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab und bestätigte den Bescheid der belangten Behörde. Gleichzeitig sprach es gemäß § 25a VwGG aus, dass eine ordentliche Revision unzulässig sei.
5 Begründend stellte das Verwaltungsgericht fest, der Revisionswerber habe seinen Hauptwohnsitz seit seiner Geburt 1980 durchgehend in Österreich und sei seit 2013 ohne Unterbrechung an derselben Adresse gemeldet. Eine Verlegung des Hauptwohnsitzes nach Österreich habe er „nicht einmal behauptet“. Er sei im Besitz einer tschechischen Lenkberechtigung, die er im Jahr 2006 für die Klassen AM, B1 und B erworben habe und die 2007 auf die Klassen C1, C und F und 2009 auf die Klassen BE, C1E und CE ausgedehnt worden sei. Zuletzt sei am 8. Jänner 2018 in Tschechien eine Erweiterung um die Klassen D, D1, D1E und DE erfolgt und ein neuer Führerschein ausgestellt worden, in den auch der Code 95 eingetragen sei. Die Weiterbildung für die Klassen D, C1 und C seien 2019 in Österreich absolviert und bescheinigt worden. Ausgehend vom hg. Beschluss vom 13. Dezember 2018, Ra 2016/11/0065, Rn. 13, führte das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht aus, dass auch die am 8. Jänner 2018, erworbenen Klassen D, D1, D1E und DE im Umfang gleichgeblieben seien, sodass sich weder die Rechtslage noch der Sachverhalt geändert hätten. Der Revisionswerber beziehe sich somit erneut auf dieselbe tschechische Lenkberechtigung.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist zulässig, weil sie zutreffend vorbringt, das Verwaltungsgericht sei von der hg. Rechtsprechung zur entschiedenen Sache abgewichen. Es liege keine Identität der Sache vor, da sich sowohl der Sachverhalt als auch die Rechtslage geändert hätten. Die Revision ist auch begründet.
9 Bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache ist auch vom Verwaltungsgericht von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne deren sachliche Richtigkeit nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0078, mwN). Eine Änderung der maßgeblichen Rechtslage, die es der Behörde verwehrt, das Neuansuchen wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, liegt dann vor, wenn sich nach Abweisung des ersten Ansuchens die gesetzlichen Vorschriften, die tragend für die frühere Entscheidung gewesen sind, so geändert haben, dass sie, hätten sie bereits früher bestanden, eine anderslautende Entscheidung ermöglicht hätten (VwGH 24.10.2018, Ra 2018/10/0061, mwN).
10 § 15 Abs. 3 FSG idF. BGBl. I Nr. 15/2017 normiert ebenso wie schon § 15 Abs. 3 FSG idF. BGBl. I Nr. 152/2005, welcher dem Bescheid vom 26. März 2010 zugrunde lag , dass der Besitzer einer in einem EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung die Ausstellung eines neuen Führerscheines beantragen kann, wenn er seinen Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) nach Österreich verlegt hat.
11 Zwar hat sich insofern die Rechtslage nicht geändert, allerdings hat der Revisionswerber bereits in seinem Antrag vom 2. August 2019 vorgebracht, er habe seinen Wohnsitz nach dem in Tschechien am 8. Jänner 2018 erfolgten Erwerb der Lenkberechtigung nach Österreich verlegt. Diesem Vorbringen sind weder die belangte Behörde noch das Verwaltungsgericht nachgegangen. Letzteres stützte sich vielmehr auf die Annahme, der Revisionswerber sei seit 2013 ohne Unterbrechung an derselben Adresse gemeldet und habe eine Verlegung des Hauptwohnsitzes nach Österreich „nicht einmal behauptet“. Abgesehen davon, dass diese Annahme das Antragsvorbringen unzutreffend wiedergibt und insoweit aktenwidrig ist, finden sich in den vorgelegten Akten auch keinerlei Hinweise darauf, dass zum Wohnsitz des Revisionswerbers irgendwelche Ermittlungen angestellt worden wären (zur Erforderlichkeit diesbezüglicher Informationen vom Ausstellerstaat [hier: Tschechien] vor dem Hintergrund des EuGH Urteils vom 1. März 2012, Akyüz , C 467/10, vgl. insbesondere VwGH 16.12.2014, Ra 2014/11/0084, mwN). Da solche jedoch notwendig gewesen wären, um zu beurteilen, ob die vom Revisionswerber in seinem Antrag behauptete Sachverhaltsänderung der Wohnsitzverlegung vorlag, leidet das angefochtene Erkenntnis an einem Verfahrensmangel, bei dessen Vermeidung das Verwaltungsgericht zu einem für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis hätte gelangen können.
12 Das Verwaltungsgericht irrt aber mit der Annahme, es sei hinsichtlich der Lenkberechtigung des Revisionswerbers keine Änderung eingetreten.
13 § 2 Abs. 1 FSG idF BGBl. I Nr. 31/2008 (maßgebliche Fassung zum Zeitpunkt des Bescheids vom 26. März 2010) lautete auszugsweise:
„(1) Die Lenkberechtigung darf nur für folgende Klassen und Unterklassen von Kraftfahrzeugen gemäß § 2 KFG 1967 erteilt werden:
...
3.1. Klasse C:
a) Kraftwagen mit nicht mehr als acht Plätzen für beförderte Personen außer dem Lenkerplatz und mit einer höchsten zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3 500 kg,
b) Sonderkraftfahrzeuge,
c) Fahrzeuge der Klasse D sofern keine Fahrgäste befördert werden innerhalb Österreichs, wenn dem Lenker die Lenkerberechtigung für die Gruppe C gemäß § 65 KFG 1967 erteilt wurde oder wenn der Lenker das 21. Lebensjahr vollendet hat und seit mindestens zwei Jahren im Besitz einer Lenkberechtigung für die Klasse C ist und
aa) es sich entweder um Überprüfungs- oder Begutachtungsfahrten zur Feststellung des technischen Zustandes des Fahrzeuges handelt oder
bb) zum Entfernen eines Busses aus der Gefahrenzone dient.
3.2. Unterklasse C1: Kraftwagen der Klasse C mit einer höchsten zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als 7 500 kg
4. Klasse D:
a) Kraftwagen mit mehr als acht Plätzen für beförderte Personen außer dem Lenkerplatz,
b) Sonderkraftfahrzeuge.
5. Klasse E: Kraftwagen, mit denen andere als leichte Anhänger gezogen werden; die Klasse E gilt nur in Verbindung mit einer Lenkberechtigung für die betreffende Fahrzeugklasse oder unterklasse.“
14 § 2 Abs. 1 FSG idF BGBl. I Nr. 15/2017 (maßgebliche Fassung im Revisionsfall) lautet auszugsweise:
„(1) Die Lenkberechtigung darf nur für folgende Klassen von Kraftfahrzeugen gemäß § 2 KFG 1967 erteilt werden:
...
7. Klasse C1: Kraftwagen, bei denen die höchstzulässige Gesamtmasse mehr als 3500 kg aber nicht mehr als 7500 kg beträgt und die nicht unter die Klasse D1 oder D fallen;
8. Klasse C1E: falls bei der Genehmigung der Fahrzeuge nichts anderes festgelegt worden ist:
a) ein Zugfahrzeug der Klasse C1 und einen Anhänger oder Sattelanhänger mit einer höchsten zulässigen Gesamtmasse von mehr als 750 kg, sofern die höchste zulässige Gesamtmasse der Fahrzeugkombination 12000 kg nicht übersteigt,
b) ein Zugfahrzeug der Klasse B und einen Anhänger oder Sattelanhänger mit einer höchsten zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3500 kg, sofern die höchste zulässige Gesamtmasse der Fahrzeugkombination 12000 kg nicht übersteigt;
9. Klasse C:
a) Kraftwagen, bei denen die höchstzulässige Gesamtmasse mehr als 3500 kg beträgt und die nicht unter die Klasse D1 oder D fallen,
b) Sonderkraftfahrzeuge,
10. Klasse CE: falls bei der Genehmigung der Fahrzeuge nichts anderes festgelegt worden ist, ein Zugfahrzeug der Klasse C und einen Anhänger oder Sattelanhänger mit einer höchsten zulässigen Gesamtmasse von mehr als 750 kg;
11. Klasse D1: Kraftwagen mit nicht mehr als 16 Plätzen für beförderte Personen außer dem Lenkerplatz mit einer höchsten Gesamtlänge von acht Metern und die zur Personenbeförderung ausgelegt und gebaut sind;
12. Klasse D1E: falls bei der Genehmigung der Fahrzeuge nichts anderes festgelegt worden ist, ein Zugfahrzeug der Klasse D1 und einen Anhänger mit einer höchsten zulässigen Gesamtmasse von mehr als 750 kg;
13. Klasse D:
a) Kraftwagen mit mehr als acht Plätzen für beförderte Personen außer dem Lenkerplatz,
b) Sonderkraftfahrzeuge;
14. Klasse DE: falls bei der Genehmigung der Fahrzeuge nichts anderes festgelegt worden ist, ein Zugfahrzeug der Klasse D und einen Anhänger mit einer höchsten zulässigen Gesamtmasse von mehr als 750 kg;
...“
15 Im Revisionsfall ging das Verwaltungsgericht davon aus, der zu beurteilende Sachverhalt habe sich nicht geändert, weil die Klassen D1, D, D1E und DE „im Umfang gleich geblieben“ seien und es sich nach wie vor um dieselbe tschechische Lenkberechtigung handle. Zwar hat sich diesbezüglich die Rechtslage nicht entscheidungswesentlich geändert, allerdings hat das Verwaltungsgericht übersehen, dass es sich anders als in dem dem hg. Beschluss vom 13. Dezember 2018, Ra 2016/11/0065, zugrundeliegenden Fall bei den im Jänner 2018 neu erworbenen Berechtigungen für die Klassen D1, D, D1E und DE nicht um solche handelt, die von den früher erworbenen Berechtigungen mitumfasst sind. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts liegt somit schon deshalb eine Sachverhaltsänderung vor.
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen (vorrangiger) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 2. November 2022