Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und Hofrätin Mag.a Nussbaumer Hinterauer sowie Hofrat Mag. Cede als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die Revision der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB) in Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur in 1011 Wien, Singerstr. 17 19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Oktober 2021, W178 2244048 1/2E, betreffend Versorgungsgenuss gemäß § 19 Abs. 1 PG 1965 (mitbeteiligte Partei: Dr. T S in G, vertreten durch Fassl und Haase Rechtsanwälte in 8020 Graz, Grieskai 98/5), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Kostenersatzbegehren der revisionswerbenden Partei wird abgewiesen.
1 Mit Bescheid vom 31. Mai 2021 wies die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht den Antrag der Mitbeteiligten vom 2. April 2021 auf Zuerkennung eines Witwenversorgungsgenusses nach ihrem früheren Ehemann wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG iVm. § 19 Pensionsgesetz 1965 (PG 1965) wegen entschiedener Sache zurück. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, über das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für einen Versorgungsgenuss der früheren Ehegattin zum Zeitpunkt des Todes des Beamten sei bereits mit Bescheid der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter vom 7. Oktober 2011 rechtskräftig abschlägig entschieden worden. Für eine Überprüfung der Gebührlichkeit des Versorgungsgenusses der früheren Ehegattin zu einem anderen Zeitpunkt als dem in § 19 Abs. 1 PG 1965 genannten Zeitpunkt fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Umstände, die nach dem Zeitpunkt des Todes zu einem etwaigen Unterhaltsanspruch gegenüber dem verstorbenen Beamten geführt hätten, könnten nach der eindeutigen Gesetzeslage nicht mehr berücksichtigt werden und einen Anspruch auf Versorgungsgenuss der früheren Ehegattin nicht begründen. Es liege keine Änderung des Sachverhalts oder der Rechtslage vor, die eine andere Sachentscheidung ermöglichten. Da somit von derselben Sache auszugehen sei, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der dagegen erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten Folge und behob den angefochtenen Bescheid.
3 Das Bundesverwaltungsgericht ging davon aus, dass in dem im Rahmen der einvernehmlichen Scheidung geschlossenen Scheidungsvergleich vom 12. November 2001 vereinbart worden sei, dass der verstorbene Beamte sich verpflichte, der Mitbeteiligten den gesetzlichen Unterhalt zu bezahlen. Diesbezüglich hätten die Antragsteller im Vergleich festgehalten, dass zum jetzigen Zeitpunkt auf Grund der Einkommensverhältnisse der Antragsteller der Höhe nach kein Unterhaltsanspruch der Mitbeteiligten bestehe.
4 Am 21. Juni 2011 habe die Mitbeteiligte einen Antrag auf Gewährung einer Witwenpension nach ihrem am 24. Jänner 2011 verstorbenen, geschiedenen Ehegatten gestellt. Mit Bescheid der BVA vom 7. Oktober 2011 sei der Antrag mit der Begründung abgelehnt worden, dass ein Anspruch auf Versorgungsgenuss gemäß § 19 Abs. 1 PG 1965 auf Grund der Einkommensverhältnisse der früheren Ehegatten im Zeitpunkt des Todes des Beamten nicht bestehe.
5 Die Mitbeteiligte sei seit 1. Jänner 2021 in Pension und beziehe eine Leistung der Pensionsversicherungsanstalt von monatlich netto € 1.729,37. Das ergebe ein jährliches Einkommen von netto rund € 24.400, . Es habe sich jedenfalls das Einkommen der Mitbeteiligten in einem relevanten Ausmaß geändert, weil es von jährlich netto € 36.782,61 auf ca. € 24.400, jährlich netto gefallen sei.
6 In rechtlicher Hinsicht vertrat das Bundesverwaltungsgericht die Ansicht, zu überprüfen sei nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Unter Anführung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führte es aus, bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache sei von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Mit der Rechtskraft sei die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden könne (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung stehe das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen.
7 Der Bescheid der BVA vom 7. Oktober 2011, mit dem festgestellt worden sei, dass der Mitbeteiligten kein Versorgungsgenuss gebühre, sei mangels Erhebung eines Rechtsmittels rechtskräftig geworden, was die Mitbeteiligte nicht bestreite.
8 Eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache komme nur in Frage, wenn Identität der Sache gegeben sei. Diese liege nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hätten und sich das neue Parteienbegehren im Wesentlichen mit dem früheren decke. Das Begehren der Mitbeteiligten richte sich sowohl im Antrag vom 21. Juni 2011 als auch im Antrag vom 2. April 2021 auf die Gewährung des Witwenversorgungsgenusses. Die in diesen Anträgen gemachten Angaben deckten sich jedoch nicht. Es sei zwar die Identität der Rechtslage unstrittig, strittig sei im Wesentlichen, ob eine wesentliche Änderung im Sachverhalt eingetreten sei, was bejaht werde.
9 Die belangte Behörde verkenne im Bescheid vom 31. Mai 2021, dass die Mitbeteiligte auch im Zeitpunkt des Todes des Verstorbenen einen Unterhaltsanspruch dem Grunde nach besessen habe. Auf Grund der damaligen Einkommensverhältnisse habe dieser Anspruch jedoch der Höhe nach nie bestanden, was der Zuerkennung unter Zugrundelegung des geänderten Einkommens der Mitbeteiligten jedoch keinen Abbruch tue.
10 Im Bescheid vom 7. Oktober 2011 habe die belangte Behörde den grundsätzlichen Anspruch auf einen Unterhalt der Mitbeteiligten und damit auch auf Witwenversorgung bejaht. Im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde im bekämpften Bescheid komme es nicht darauf an, ob zum Zeitpunkt des Todes des Ehegatten tatsächlich Unterhalt geflossen sei. Auf Grund der Einkommensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten sei der Mitbeteiligten bis zu ihrer Pensionierung kein auszahlbarer Unterhalt zugestanden und damit auch keine Versorgungsleistung als Witwe. Mit der Pensionierung und der damit einhergehenden Reduzierung ihres Einkommens habe sich eine wesentliche Änderung in der Sachlage ereignet. Da es sich um die Reduzierung des Einkommens der Mitbeteiligten um ca. ein Drittel handle, sei die Änderung als wesentlich zu bezeichnen. Die Rechtskraft des Bescheides vom 7. Oktober 2011 stehe daher einer neuerlichen Entscheidung über den Witwenversorgungsgenuss der Mitbeteiligten nicht entgegen.
11 Gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts richtet sich die vorliegende Amtsrevision mit dem Antrag, dieses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes dahin abzuändern, dass die Beschwerde der Mitbeteiligten als unberechtigt abgewiesen und der bekämpfte Bescheid der Revisionswerberin wieder hergestellt werde.
12 Die Mitbeteiligte beantragte in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurück , in eventu abzuweisen.
13 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird auf das Wesentliche zusammengefasst ausgeführt, bezüglich der Bemessung des Versorgungsbezuges des früheren Ehegatten nach § 19 Abs. 1 PG 1965 gehe der Verwaltungsgerichtshof in seiner durch Zitierung von Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes angeführten ständigen Rechtsprechung davon aus, dass diesem nicht etwa ein abstrakter, sich aus dem Gesetz ergebender Anspruch zu Grunde gelegen sei, sondern allein der Anspruch entscheidend sei, wie er auf Grund eines gerichtlichen Vergleichs gegen den verstorbenen Beamten an dessen Sterbetag konkret bestanden habe. Die Begrenzung des Versorgungsbezuges im Verständnis des § 19 Abs. 4 Z 1 PG 1965 sei vor dem Hintergrund des Abs. 1 leg. cit. dahin auszulegen, dass er jene Unterhaltsleistung nicht übersteigen dürfe, mit der der Beamte zur Zeit seines Todes auf Grund eines gerichtlichen Urteiles, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer vor der Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe schriftlich eingegangenen Verpflichtung für den Lebensunterhalt seines früheren Ehegatten aufzukommen oder dazu beizutragen gehabt habe. Da sich weder der maßgebliche Sachverhalt noch die Rechtslage geändert hätten, liege entschiedene Sache vor.
14 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision aufgezeigt. Sie ist auch berechtigt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
15 § 19 Pensionsgesetz 1965 (PG 1965), BGBl. Nr. 340, in der Fassung BGBl. Nr. 16/1994 lautet auszugsweise:
„ Versorgungsbezug des früheren Ehegatten
§ 19. (1) Die Bestimmungen über den Versorgungsanspruch des überlebenden Ehegatten und über das Ausmaß der Versorgung des überlebenden Ehegatten ausgenommen die Bestimmungen der §§ 21 Abs. 3 bis 6 und 24 gelten, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt ist, sinngemäß für den früheren Ehegatten des verstorbenen Beamten, wenn dieser zur Zeit seines Todes auf Grund eines gerichtlichen Urteiles, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer vor der Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe schriftlich eingegangenen Verpflichtung für den Lebensunterhalt seines früheren Ehegatten aufzukommen oder dazu beizutragen hatte.
...
(4) Der Versorgungsbezug ausgenommen die Ergänzungszulage darf
1. die Unterhaltsleistung, auf die der frühere Ehegatte im Fall des Abs. 1 gegen den verstorbenen Beamten an dessen Sterbetag Anspruch gehabt hat, oder
...
nicht übersteigen.“
16 Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 19 Abs. 1 PG 1965 und der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Anspruch auf Versorgungsgenuss gemäß § 19 Abs. 1 PG 1965 danach zu beurteilen, ob am Sterbetag des früheren Ehemannes ein Unterhaltsanspruch der früheren Ehefrau auf Grund des Scheidungsvergleiches bestand oder nicht (vgl. etwa VwGH 14.12.2022, Ra 2021/12/0031; 30.5.2006, 2004/12/0144; 21.11.2001, 2000/12/0280).
17 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 19 PG 1965 stellt der Versorgungsgenuss für die geschiedene Ehefrau eines verstorbenen Beamten einen Ausgleich dafür dar, dass die Ehefrau durch die rechtskräftige Scheidung die Anwartschaft auf den Witwenversorgungsgenuss verloren hat. Der Ausgleich wird in der Weise gewährt, dass bei einem Beamten der Dienstgeber in dessen Unterhaltspflicht gegenüber seiner geschiedenen früheren Ehefrau mit der Maßgabe „eintritt“, dass an die Stelle des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruches gegen den verstorbenen Beamten ein gegen den Dienstgeber gerichteter öffentlich rechtlicher Anspruch tritt. Der öffentlich rechtliche Dienstgeber wird aber damit nicht Rechtsnachfolger des verstorbenen Beamten und tritt auch nicht in dessen Rechtsstellung ein. Nach § 19 Abs. 1 PG 1965 wird vielmehr ein neuer, rechtlich selbstständiger öffentlich rechtlicher Anspruch der geschiedenen früheren Ehefrau begründet, dessen Höhe an die im Zeitpunkt des Todes des Beamten in bestimmter schriftlicher Weise um eine spekulative Ausnützung dieser Institution hintanzuhalten geregelte Unterhaltsverpflichtung anknüpft. Es kommt für den Anspruch auf den Versorgungsgenuss der früheren Ehefrau nicht auf den Verschuldensausspruch im Scheidungsurteil, die Unterhaltspflicht nach den Bestimmungen der §§ 66 ff Ehegesetz oder darauf an, ob der Beamte zur Zeit seines Todes seiner früheren Ehefrau tatsächlich Unterhalt leistete. Gesetzliche Voraussetzung für einen Anspruch auf Versorgungsgenuss der früheren Ehefrau ist nach § 19 Abs. 1 PG 1965 vielmehr, dass der Verpflichtungsgrund für die Unterhaltsleistung in einem gerichtlichen Leistungsurteil, in einem gerichtlichen Vergleich oder in einer vor der Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe abgeschlossenen schriftlichen Vereinbarung besteht (vgl. etwa VwGH 21.11.2001, 2000/12/0280, mwN).
18 Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 19 Abs. 4 Z 1 PG 1965 ist der Versorgungsbezug des früheren Ehegatten abgesehen von der Ergänzungszulage nach obenhin mit dem Unterhaltsanspruch begrenzt, den der frühere Ehegatte gegen den verstorbenen Beamten an dessen Sterbetag gehabt hat (vgl. etwa VwGH 9.9.2016, Ra 2016/12/0087; 22.2.2011, 2010/12/0027).
19 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beziehen sich die Wirkungen eines Feststellungsbescheides nur auf die Sach und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides. Nach Änderung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen oder des maßgeblichen Sachverhalts steht die Rechtskraft dieses Bescheides der Erlassung eines neuen Bescheides in derselben Angelegenheit nicht entgegen. Die Verbindlichkeit („Bindungswirkung“) eines Feststellungsbescheides besteht nämlich nur innerhalb der „Grenzen der Rechtskraft“ (vgl. etwa VwGH 9.5.2018, Ra 2018/12/0014; 13.9.2017, Ra 2017/12/0011). Entschiedene Sache liegt demnach nicht vor, wenn sich der Sachverhalt oder die Rechtslage maßgeblich geändert haben (vgl. etwa VwGH 2.11.2022, Ra 2020/11/0094, mwN).
20 Wie bereits oben ausgeführt, ist aber nach der anzuwendenden Rechtslage für einen Anspruch der früheren Ehefrau auf Witwenversorgungsgenuss entscheidend, dass am Sterbetag des früheren Ehemannes ein Unterhaltsanspruch im Sinne des § 19 Abs. 1 PG 1965 bestand. Der Witwenversorgungsgenuss ist gemäß § 19 Abs. 4 Z 1 PG 1965 der Höhe nach mit der Unterhaltsleistung, auf die frühere Ehefrau gegen den verstorbenen Beamten an dessen Sterbetag Anspruch gehabt hat, beschränkt. Im Bescheid vom 7. Oktober 2011 hat die Versicherungsanstalt öffentlicher Bediensteter den Anspruch der Mitbeteiligten auf Witwenversorgungsgenuss verneint, weil der Mitbeteiligten auf Grund der Einkommensverhältnisse der früheren Ehegatten am Sterbetag des Beamten ein Unterhaltsanspruch nicht zugekommen sei. Entgegen den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts hat sich daher im vorliegenden Revisionsfall durch die Änderung der Einkommensverhältnisse der Mitbeteiligten lange nach dem Sterbetag des Beamten der maßgebliche Sachverhalt nicht geändert. Die belangte Behörde hat daher den Antrag der Mitbeteiligten auf Witwenversorgungsgenuss vom 2. April 2021 rechtsrichtig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.
21 Das angefochtene Erkenntnis war daher zu einer Entscheidung in der Sache selbst sieht sich der Verwaltungsgerichtshof nicht veranlasst wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
22 Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
23 Gemäß § 47 Abs. 4 VwGG hat die revisionswerbende Partei im Fall einer Amtsrevision nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz.
Wien, am 20. April 2023