Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des M H, in T, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 26. November 2019, Zl. LVwG 2019/47/1576 3, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Tiroler Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit Bescheid vom 3. Juli 2019 widerrief die Tiroler Landesregierung (belangte Behörde) gemäß § 20 Abs. 2 iVm § 11a Abs. 4 Z 3 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) die dem Revisionswerber mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol (Verwaltungsgericht) vom 10. Februar 2019 gemäß § 20 Abs. 1 StbG erteilte Zusicherung der Staatsbürgerschaft und wies dessen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 11a Abs. 4 Z 3 StbG ab.
2 Die von ihm dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision nicht zulässig sei.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht auf das Wesentliche zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe am 28. September 2017 bei der Bezirkshauptmannschaft (BH) Innsbruck einen „erneuten Verlängerungsantrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels ‚Aufenthaltsbewilligung Studierender‘“ gestellt. Mit Bescheid vom 20. November 2017 habe die BH Innsbruck diesen Antrag abgewiesen. Dagegen habe der Revisionswerber Beschwerde an das Verwaltungsgericht erhoben, diese jedoch mit Schriftsatz vom 3. Jänner 2019, welcher an diesem Tag beim Verwaltungsgericht eingebracht worden sei, zurückgezogen. Am 13. Mai 2019 sei dem Revisionswerber der Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ mit Gültigkeitsdauer bis 13. Mai 2020 erteilt worden. Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, die Rechtskraft des Bescheides der BH Innsbruck vom 20. November 2017 sei am 3. Jänner 2019 eingetreten. Der Revisionswerber habe somit vom 3. Jänner 2019 bis zum 12. Mai 2019 „keinen Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz 2005“ innegehabt. Vor diesem Hintergrund könne auch dahingestellt bleiben, ob der Revisionswerber ab dem 3. Jänner 2019 gemäß den Bestimmungen der Verordnung (EU) 2018/1806 für einen Zeitraum von 90 Tagen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig gewesen sei. Der Zeitraum, in welchem sich der Revisionswerber ohne Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs und Aufenthaltsgesetz (NAG) in Österreich aufgehalten habe, habe diese 90 Tage ohnehin überschritten. Der Revisionswerber könne „sohin zurückgerechnet vom Zeitpunkt der Entscheidung der Staatsbürgerschaftsbehörde keinen durchgehenden (ununterbrochenen) legalen Aufenthalt im Bundesgebiet über sechs Jahre gemäß den Bestimmungen des § 11a Abs 4 StbG 1985 nachweisen.“ Somit sei „der belangten Behörde dahingehend zu folgen,“ dass der Revisionswerber „eine für die Verleihung erforderlicher Voraussetzung nicht mehr“ erfülle und die zugesicherte Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft „zu widerrufen“ gewesen sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
5 In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, die „belangte Behörde“ (offenbar gemeint: das Verwaltungsgericht) sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. In seinem Erkenntnis vom 29. Oktober 1986, 85/11/0272, habe der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass bei einer Zurückziehung einer Berufung die Rechtskraft des Bescheides erst in dem Zeitpunkt eintrete, in dem der Behörde die Erklärung über die Zurückziehung der Berufung zukomme. Die Regelung des Beschwerdeverzichts würde sinngemäß der Regelung über den Berufungsverzicht entsprechen, weshalb „grundsätzlich die bisherige Rechtsprechung zum Berufungsverzicht zu beachten“ sei. Die „belangte Behörde“ (wiederum offenbar gemeint: das Verwaltungsgericht) sei entgegen dieser Rechtsprechung von dem Zeitpunkt ausgegangen, an dem die Zurückziehung der Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht eingelangt sei, und nicht von dem Zeitpunkt, an dem die BH Innsbruck von der Zurückziehung der Beschwerde Kenntnis erlangt habe. Außerdem sei „die belangte Behörde“ (erneut offenbar gemeint: das Verwaltungsgericht) auch von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 24 Abs. 1 VwGVG abgewichen, indem keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden sei. Die „belangte Behörde“ (wiederum offenbar gemeint: das Verwaltungsgericht) habe den Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 20. Februar 2019 an die BH Innsbruck nicht festgestellt. Diesen (im Zulässigkeitsvorbringen näher bezeichneten) Tag habe der Revisionswerber bereits in der Beschwerde und „[i]nsofern“ einen über das Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens hinausgehenden, „für die Beurteilung relevante[n] Sachverhalt“ behauptet.
10 Die Revision zeigt mit diesem Zulässigkeitsvorbringen schon deshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG auf, weil die zur Behauptung der Abweichung von der hg. Judikatur bezeichnete Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom 29. Oktober 1986, 85/11/0272, zur bedingten Berufungszurückziehung ergangen ist und daher nicht maßgeblich ist.
11 Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt, dass die Zurücknahme einer Beschwerde eine (unwiderrufliche) einseitige prozessuale Erklärung ist, die mit dem Einlangen der Zurücknahmeerklärung beim Verwaltungsgericht rechtsverbindlich und damit wirksam wird, und zwar ohne dass es einer formellen Annahmeerklärung bedürfte. Ab diesem Zeitpunkt ist mangels einer aufrechten Beschwerde die Pflicht des Verwaltungsgerichts zur Entscheidung weggefallen und das Beschwerdeverfahren ist einzustellen (vgl. VwGH 21.6.2021, Ro 2021/11/0006, mwN).
12 Es gelingt dem Revisionswerber zudem nicht, mit seinem weiteren Zulässigkeitsvorbringen aufzuzeigen, dass das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 24 VwGVG abgewichen wäre:
13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stehen Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRC dem Absehen von einer Verhandlung nach dem VwGVG insbesondere dann nicht entgegen, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt feststeht und auch keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten können, sodass eine Verhandlung nicht notwendig ist. Nach der Judikatur des EGMR kann zudem das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ein Absehen von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung rechtfertigen. Demnach kann der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung im Anwendungsbereich des VwGVG etwa in Fällen gerechtfertigt sein, in welchen lediglich Rechtsfragen beschränkter Natur oder von keiner besonderen Komplexität aufgeworfen werden (vgl. für viele etwa VwGH 22.12.2022, Ra 2022/10/0004, mwN).
14 Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision im Hinblick auf den Entfall der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen geltend, er habe in der Beschwerde „die Rechtsfrage der Rechtskraft eines Bescheides bei Zurückziehung der Beschwerde gerichtet an das Verwaltungsgericht aufgeworfen“, die das Verwaltungsgericht in einer mündlichen Verhandlung erörtern hätte müssen. Damit spricht der Revisionswerber weder Fragen eines ungeklärten Sachverhalts noch solche der Beweiswürdigung an, sondern verweist nur auf eine in der Beschwerde aufgeworfene reine Rechtsfrage. Er zeigt damit nicht auf, warum es fallbezogen erforderlich gewesen wäre, diese Rechtsfrage in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zu erörtern.
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
16 Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 20. März 2023