Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak, die Hofrätin Mag. HainzSator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision der Datenschutzbehörde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juni 2022, Zl. W176 2249882-1/4E, betreffend eine datenschutzrechtliche Angelegenheit (mitbeteiligte Parteien: 1. Dr. O D in W, vertreten durch die Dietrich Rechtsanwalts GmbH in 1010 Wien, Operngasse 6, und 2. Präsident des Landesgerichtes für Strafsachen Wien in 1080 Wien, Landesgerichtsstraße 11; weitere Partei: Bundesministerin für Justiz), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 1. Aus dem angefochtenen Erkenntnis ergibt sich folgender unstrittiger Verfahrensgang:
2 Der Erstmitbeteiligte, Beschwerdeführer im Verfahren vor der Datenschutzbehörde (im Folgenden: Beschwerdeführer) schritt als Verteidiger in einem schöffengerichtlichen Verfahren vor dem Straflandesgericht Wien ein. Während dieses Gerichtsverfahrens wurde bei Durchsicht der vom Gericht erstellten Bild und Tonbandaufzeichnungen entdeckt, dass nicht nur die Hauptverhandlung selbst, sondern auch die Hauptverhandlungspausen sowie Abschnitte vor Beginn und Ende der jeweiligen Hauptverhandlungstage in Bild und Ton aufgezeichnet worden waren. Aus diesem Grund stellte der Beschwerdeführer an das Schöffengericht den Antrag auf Bekanntgabe, ob noch weitere Varianten von Bild und Tonaufnahmen existierten, und diese gegebenenfalls zur Verfügung zu stellen, ferner, die gesetzwidrig aufgenommenen Bild und Tonaufnahmen umgehend zu vernichten und die erfolgte Vernichtung den Verfahrensbeteiligten nachzuweisen, sowie bekanntzugeben, welche der gesetzwidrig aufgenommenen Bild und Tonaufnahmen vom Schöffensenat bereits gesichtet bzw. allenfalls in der Zwischenzeit gelöscht worden seien bzw. der Verteidigung des im Verfahren Erstangeklagten nicht zur Verfügung gestellt würden.
3 Das Schöffengericht entsprach keinem dieser Anträge und wies insbesondere den Antrag auf Löschung ab.
4 In einem E Mail vom 10. Juni 2020 wendete sich der Zweitmitbeteiligte an den Beschwerdeführer und teilte diesem seine Ansicht mit, dass die Verarbeitung sowie Aufnahme und Weitergabe der Aufnahmen Ausfluss einer Entscheidung der monokratischen Justizverwaltung sei. Das Schöffengericht selbst habe keine Zuständigkeit für die Entscheidung über die Erstellung von Aufnahmen. Dies liege im Verantwortungsbereich des Zweitmitbeteiligten, der als datenschutzrechtlich Verantwortlicher anzusehen sei.
5 Am 31. Mai 2021 brachte der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde (im Folgenden Revisionswerberin) Datenschutzbeschwerden gegen den Zweitmitbeteiligten ein, in welchen er Verletzungen in seinen Rechten auf Auskunft und Löschung geltend machte.
6Mit Bescheid vom 6. August 2021 wies die Revisionswerberin die Datenschutzbeschwerden als unbegründet ab. Sie führte aus, der Beschwerdeführer habe die Datenschutzbeschwerden ausdrücklich gegen den Zweitmitbeteiligten gerichtet, weshalb das Verfahren gegen diesen zu führen gewesen sei. An diesen sei jedoch weder ein Auskunftsbegehren noch ein Löschungsbegehren nach § 44 bzw. § 45 DSG gerichtet worden. Vielmehr habe der Beschwerdeführer das Begehren auf Auskunft und sein Löschungsbegehren ausdrücklich an das Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht gerichtet. Die Datenschutzbeschwerden erwiesen sich daher ungeachtet der Frage, ob es sich bei den Begehren des Beschwerdeführers um Angelegenheiten der Justizverhandlung handle, als unbegründet.
7 Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 14. September 2021 das Rechtsmittel der Beschwerde. Unter anderem brachte er vor, die Revisionswerberin habe gemäß Art. 55 Abs. 3 DSGVO keine Zuständigkeit für die von Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit vorgenommenen Verarbeitungen. Läge daher eine Verarbeitung im Rahmen der Strafgerichtsbarkeit vor, sei die belangte Behörde zu einer Entscheidung gar nicht berufen gewesen und hätte die Beschwerde somit gegebenenfalls zurückweisen müssen.
8 Mit einem als „Beschwerdevorentscheidung“ bezeichneten Bescheid vom 3. November 2021 sprach die Revisionswerberin aus, dass über die Datenschutzbeschwerden des Beschwerdeführers dahingehend entschieden werde, dass das Verfahren bis zur Entscheidung durch den Europäischen Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren zur Rechtssache C245/20 ausgesetzt werde. Dazu führte die Revisionswerberin begründend aus, es sei dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt worden, ob Art. 55 Abs. 3 der DSGVO dahingehend auszulegen sei, dass unter den „von Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit vorgenommenen Verarbeitungen“ die Gewährung von Einsicht in Verfahrensunterlagen mit personenbezogenen Daten durch eine Justizbehörde verstanden werden könne. Da die im Beschwerdeverfahren zu klärende Rechtsfrage, was als justizielle Tätigkeit eines Gerichts anzusehen sei, im Wesentlichen gleichlautend dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt worden sei, sei das Beschwerdeverfahren gemäß § 38 AVG bis zur rechtskräftigen Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C 245/20 auszusetzen.
9 In der Folge brachte der Beschwerdeführer fristgerecht einen Vorlageantrag ein. Mit 23. Dezember 2021 legte die Revisionswerberin die Beschwerde, den Vorlageantrag sowie die bezughabenden Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht vor.
10 Mit Urteil vom 24. März 2022, Rs C 245/20, sprach der EuGH aus, dass Art. 55 Abs. 3 DSGVO dahingehend auszulegen sei, dass ein Gericht, das Journalisten vorübergehend Unterlagen aus einem Gerichtsverfahren bereitstelle, die personenbezogene Daten enthielten, eine „justizielle Tätigkeit“ im Sinne dieser Bestimmung ausübe. Die Bezugnahme in Art. 55 Abs. 3 DSGVO auf die von Gerichten „im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit“ vorgenommenen Verarbeitungen seien im Kontext der Verordnung so zu verstehen, dass sie nicht auf die Verarbeitung personenbezogener Daten beschränkt sei, die von den Gerichten im Rahmen konkreter Rechtssachen durchgeführt würde, sondern im weiteren Sinn alle Verarbeitungsvorgänge erfasse, die von Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeiten vorgenommen würden, sodass Verarbeitungsvorgänge von der Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde ausgeschlossen seien, wenn die Kontrolle durch diese Behörde mittelbar oder unmittelbar die Unabhängigkeit der Mitglieder oder Entscheidungen der Gerichte beeinflussen könne.
11 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis änderte das Bundesverwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid vom 6. August 2021 dahingehend ab, dass die Datenschutzbeschwerden des Beschwerdeführers vom 31. Mai 2021 als unzulässig zurückgewiesen würden. Die Revision erklärte das Gericht für zulässig.
12 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, es sei davon auszugehen, dass dem Bescheid der belangten Behörde vom 6. August 2021 durch den Bescheid vom 3. November 2021 über die Aussetzung nicht mit der Folge derogiert worden sei, dass Letzterer jener Akt sei, der vom Verwaltungsgericht abzuändern oder zu bestätigen sei. Der Beschwerdevorentscheidung vom 3. November 2021 komme keine derogierende Wirkung zu, weil sie keinen meritorischen Inhalt aufweise. Nur ein Bescheid, der auf die Enderledigung des Verfahrens abziele, vermöge einem angefochtenen Bescheid zu derogieren.
13 Inhaltlich sei zu der Beschwerde auszuführen, dass dem bereits oben erwähnten Urteil des EuGH vom 24. März 2022, Rs C 245/20, zufolge kein Grund ersichtlich sei, weshalb es sich bei den verfahrensgegenständlichen Bild und Tonbandaufnahmen nicht um eine justizielle Tätigkeit des Gerichts im Sinne von Art. 55 Abs. 3 DSGVO handeln sollte. Dem Urteil des EuGH könne auch nicht entnommen werden, dass es von Relevanz wäre, ob die betroffenen Vorgänge nach nationalem Recht als Akte von Verwaltungsbehörden hier Justizverwaltung anzusehen seien. Der Bescheid der belangten Behörde vom 6. August 2021 sei daher dahingehend abzuändern, dass die Datenschutzbeschwerden des Beschwerdeführers mangels Zuständigkeit der Revisionswerberin als unzulässig zurückzuweisen seien.
14Die Zulässigkeit der Revision gründe auf die zu klärende Frage, ob ein das Verfahren nicht beendender Bescheid eine Beschwerdevorentscheidung im Sinne von § 14 VwGVG sein könne und dadurch dem Bescheid, gegen den Beschwerde erhoben worden sei, derogiert werde.
15 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht.
16 Der Beschwerdeführer im verwaltungsbehördlichen Verfahren erstattete eine Revisionsbeantwortung.
17 Der Zweitmitbeteiligte verzichtete auf eine Revisionsbeantwortung.
18 4. Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
19Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
20Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
21 4.1.1. Das Verwaltungsgericht begründet die Zulässigkeit der Revision mit der Frage, ob es der Behörde gestattet sei, einen Beschluss zur Aussetzung des Verfahrens als Beschwerdevorentscheidung zu fassen. Die Revision schließt sich dem an.
22 4.1.2. Angesichts des eingangs dargestellten unstrittigen Verfahrensverlaufs wurde das hier angefochtene Erkenntnis zu einem Zeitpunkt gefasst, zu dem der EuGH die Entscheidung in dem Vorabentscheidungsverfahren, das den Grund für die in der Beschwerdevorentscheidung vom 3. November 2021 ausgesprochenen Aussetzung bildete, bereits gefällt worden war, weshalb die Beschwerdevorentscheidung sei diese zurecht oder zu Unrecht ergangen jedenfalls der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht nicht entgegenstehen konnte. Die Frage der Zulässigkeit eines Aussetzungsbeschlusses im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung ist daher nicht präjudiziell für die Beurteilung der angefochtenen Entscheidung.
23Für die Lösung abstrakter oder hypothetischer Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht zuständig (vgl. VwGH 12.8.2014, Ra 2014/06/0015). Die aufgeworfene Frage kann daher die Zulässigkeit der Revision nicht begründen.
24 4.2. Die angefochtene Entscheidung erging unstrittig nach Vorlage der Beschwerde des Erstmitbeteiligten aufgrund dessen Vorlageantrags nach der Beschwerdevorentscheidung durch die Revisionswerberin vom 3. November 2021. Die Vorlage erfolgte am 23. Dezember 2021.
25Das gegen eine Beschwerdevorentscheidung vorgesehene Rechtsmittel ist gemäß § 15 Abs. 1 VwGVG 2014 der Antrag, dass die Beschwerde gegen den Ausgangsbescheid dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag). Mit der Beschwerdevorlage geht die Zuständigkeit zur Entscheidung, auch was die Wahrnehmung von Zurückweisungsgründen in Bezug auf den Vorlageantrag betrifft, endgültig auf das Verwaltungsgericht über (vgl. VwGH 17.2.2023, Ra 2022/01/0342, mit Verweis auf VwGH 18.5.2021, Ra 2020/08/0196, Rn. 13, mwN). Die Revisionswerberin war daher ab dem 23. Dezember 2021 jedenfalls nicht mehr zuständig, eine die Beschwerde erledigende Entscheidung zu treffen.
26 Das angefochtene Erkenntnis erwähnt auch keine „weitere Beschwerdevorentscheidung“ der Revisionswerberin, die nach Beschwerdevorlage ergangen sei.
27 Insofern die Revisionswerberin in ihrem Zulässigkeitsvorbringen darauf verweist, sie habe dem Verwaltungsgericht am 25. Mai 2022 eine Beschwerdevorentscheidung übermittelt, die zu einer Enderledigung geführt habe, geht dieses Vorbringen schon deshalb ins Leere, weil damit der elektronischen Übermittlung einer Beschwerdevorentscheidung an das Verwaltungsgericht nicht einmal dargetan ist, dass überhaupt ein Bescheid erlassen wurde.
28 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen. In der Revisionsbeantwortung wurde jeweils kein Aufwandersatz angesprochen, sodass eine Kostenentscheidung unterbleiben kann.
Wien, am 15. November 2024