JudikaturVwGH

Ra 2023/17/0128 1 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Rechtssatz

Rechtssatz
16. Juli 2025

Da der Fremde in Österreich geboren und aufgewachsen sowie langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, hätte er den ehemaligen Aufenthaltsverfestigungstatbestand des § 9 Abs. 4 Z 2 BFA-VG 2014 idF vor dem FrÄG 2018 erfüllt, nach dem gegen Drittstaatsangehörige, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten sowie "von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen" waren, keine Rückkehrentscheidung erlassen werden durfte. § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 wurde zwar durch das FrÄG 2018 mit Ablauf des 31. August 2018 aufgehoben, die darin enthaltenen Wertungen sind jedoch im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG 2014 weiter beachtlich (vgl. - in Bezug auf die Z 1 des § 9 Abs. 4 BFA-VG - etwa VwGH 16.7.2020, Ra 2019/21/0335 mit Verweis auf VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0238). Durch die Aufhebung dieser Bestimmung wollte der Gesetzgeber erkennbar nur bei Begehung besonders verwerflicher Straftaten und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen einen fallbezogenen Spielraum einräumen (vgl. dazu RV 189 BlgNR 26. GP 27, wo diesbezüglich von "gravierender Straffälligkeit" bzw. "schwerer Straffälligkeit" gesprochen wird). Orientierung für eine derartige Gefährdung bieten die schon bisher in § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG 2014 normierten Ausnahmen bei Erfüllung der Einreiseverbotstatbestände nach den Z 6, 7 und 8 des § 53 Abs. 3 FrPolG 2005, wobei auch andere Formen gravierender Straffälligkeit in Frage kommen (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0238, wo als Beispiele für in der bisherigen Rechtsprechung als ausreichend schwerwiegend angesehene Straftaten Vergewaltigung und grenzüberschreitender Kokainschmuggel genannt werden); das gilt auch für Fälle, in denen die Voraussetzungen der Z 2 des ehemaligen § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 erfüllt sind (vgl. VwGH 22.1.2021, Ra 2020/21/0506). Eine derartig gewichtige vom Fremden ausgehende Gefährdung ist aus den Feststellungen des VwG nicht ableitbar. Der dargestellten Häufung der Straftaten steht nämlich gegenüber, dass nur zwei Mal Freiheitsstrafen verhängt wurden, wobei sich diese jeweils im unteren Bereich des Strafrahmens bewegten (acht bzw. zwölf Monate bei möglichen drei Jahren). In allen anderen Fällen konnte mit Geldstrafen das Auslangen gefunden werden. Auch in Kombination ergibt sich aus den begangenen Straftaten und den festgestellten Tatumständen keine aus besonders verwerflichen Straftaten abzuleitende spezifische Gefährdung, die es erlaubt hätte, gegen den in Österreich geborenen 37-jährigen Fremden, der sein gesamtes bisheriges Leben in Österreich verbracht hat und hier über familiäre Bindungen verfügt, aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu erlassen.