JudikaturVfGH

E1030/2025 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
06. Juni 2025
Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Armenien, gegen die Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise, gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung sowie gegen die Erlassung eines auf die Dauer von fünf Jahren befristeten Einreiseverbotes abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin – eine nach Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes armenische Staatsangehörige – stellte am 17. Mai 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, wobei sie unter anderem angab, Staatsangehörige Syriens zu sein. Mit Bescheid vom 20. Jänner 2025 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch der subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte der Beschwerdeführerin keine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz", erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Armenien fest, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise, erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab und erließ gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot.

2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen, am 31. März 2025 mündlich verkündeten Erkenntnis als unbegründet ab.

3. Mit Schriftsatz vom 1. April 2025 beantragte die Beschwerdeführerin die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.

4. Mit Schriftsatz vom 13. April 2025 erhob die Beschwerdeführerin die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde gegen das mündlich verkündete Erkenntnis vom 31. März 2025, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Begründend wird unter anderem ausgeführt, hinsichtlich der Abweisung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Armenien, gegen die Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise, gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung sowie gegen die Erlassung eines auf die Dauer von fünf Jahren befristeten Einreiseverbotes richte, fehle dem angefochtenen Erkenntnis jegliche Begründung.

5. Mit Verfügung vom 15. April 2025 leitete der Verfassungsgerichtshof ein vierwöchiges Vorverfahren ein. Innerhalb dieser Frist hat weder das Bundesverwaltungsgericht noch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Gerichts und Verwaltungsakten vorgelegt oder eine Gegenschrift bzw Äußerung erstattet.

II. Erwägungen

A. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Armenien, der Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise, der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung sowie der Erlassung eines auf die Dauer von fünf Jahren befristeten Einreiseverbotes richtet, ist sie auch begründet.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Gemäß §29 Abs1 VwGVG sind Erkenntnisse im Namen der Republik zu verkünden und auszufertigen; zudem sind sie zu begründen. Nach Abs2 leg cit hat das Verwaltungsgericht in der Regel, sofern eine Verhandlung in Anwesenheit von Parteien stattgefunden hat, das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen sogleich zu verkünden. Gemäß Abs4 leg cit ist den Parteien eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen.

2.2. Daraus ergibt sich, dass ein mündlich verkündetes Erkenntnis die tragenden Elemente der Begründung zu enthalten hat. Im Rahmen der Begründung des angefochtenen mündlich verkündeten Erkenntnisses vom 31. März 2025 geht das Bundesverwaltungsgericht zwar noch hinreichend auf die Nichtzuerkennung sowohl des Status der Asylberechtigten als auch des Status der subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung ein. Die angefochtene Entscheidung lässt jedoch jegliche Begründung zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der weiteren Spruchpunkte des vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochtenen Bescheides – der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Armenien, der Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise, der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung sowie der Erlassung eines auf die Dauer von fünf Jahren befristeten Einreiseverbotes – vermissen. Dies widerspricht den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen. Die angefochtene, in diesem Umfang bislang begründungslos ergangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof nicht zugänglich und daher mit Willkür behaftet (vgl zB VfSlg 20.267/2018; VfGH 11.6.2019, E183/2019; 28.11.2019, E3541/2019; 22.9.2020, E418/2020; vgl auch VfGH 12.3.2024, E787/2024, mwN).

2.3. Auch eine – dem Verfassungsgerichtshof im vorliegenden Fall bislang nicht vorliegende – (zeitnahe) schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses mit Begründungselementen zu diesen Punkten könnte den Mangel des Fehlens der wesentlichen Entscheidungsgründe in der mündlichen Verkündung nicht beseitigen. Insgesamt widerspricht eine derartige Vorgangsweise den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen (vgl zB VfSlg 20.360/2019; VfGH 9.6.2020, E4424/2019 ua, mwN).

B. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung sowohl des Status der Asylberechtigten als auch des Status der subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.

3. Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (s etwa EGMR 7.7.1989, 14.038/88, Soering ; 30.10.1991, 13.163/87 ua, Vilvarajah ; 6.3.2001, 45.276/99, Hilal) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden in welcher Form immer außer Landes zu schaffen, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er gebracht werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl VfSlg 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).

Das Bundesverwaltungsgericht hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005; zu den krankheitsbedingten Gründen vgl auch VfSlg 18.407/2008 und 19.086/2010). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.

Soweit die Verletzung des Art4 GRC (Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung) geltend gemacht wird, ist festzuhalten, dass dieses Recht keinen über das oben genannte verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht hinausgehenden Gewährleistungsumfang hat und aus den oben genannten Gründen nicht verletzt wird (zur Anwendbarkeit der Grundrechte Charta im verfassungsgerichtlichen Verfahren vgl VfSlg 19.632/2012).

4. Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht ein in jeder Hinsicht gesetzmäßiges Ermittlungsverfahren geführt hat, nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Armenien, gegen die Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise, gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung sowie gegen die Erlassung eines auf die Dauer von fünf Jahren befristeten Einreiseverbotes abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführerin Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.