E183/2019 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger und stellte am 1. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 4. November 2016 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er vor dem Islamischen Staat (IS) geflüchtet sei; er gehöre der Religion der Kakai an und habe Angst, wie die Jesiden vom IS getötet zu werden. In der Nähe seines Heimatdorfes hätten Kämpfe zwischen dem IS und den Peshmerga (kurdischen Streitkräften) stattgefunden. Das Dorf sei auch beschossen worden, weshalb sich der Beschwerdeführer und seine Familie mehrmals aus dem Dorf in Sicherheit bringen hätten müssen.
3. Mit Bescheid vom 29. November 2016 wies das BFA diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Es erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß §57 AsylG 2005, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG und stellte gemäß §52 Abs9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß §46 FPG in den Irak, Autonome Kurdenzone des Nordirak, fest (Spruchpunkt III.). Gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
4. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 5. Dezember 2018 eine mündliche Verhandlung durch und verkündete sogleich seine Entscheidung. In Spruchpunkt A) wird die Beschwerde gemäß §3 Abs1, §8 Abs1, §57, §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 idgF iVm §9 BFA-VG sowie §52 Abs2 Z2 und Abs9, §46 und §55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen. In Spruchpunkt B) wird die Unzulässigkeit der Revision gemäß Art133 Abs4 B VG ausgesprochen. In seinen Entscheidungsgründen zu Spruchpunkt A) führt das Bundesverwaltungsgericht wörtlich Folgendes aus:
"Es konnte nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in seinem Heimatland Irak eine begründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wäre. Insbesondere war das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen nicht glaubhaft, widersprüchlich und zum Teil nicht plausibel.
Weiter konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in den Irak eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Es kamen auch keine in der Person des Beschwerdeführers liegende Gründe, die einer Abschiebung entgegen stehen würden, wie beispielsweise eine lebensbedrohliche Erkrankung, zum Vorschein.
Es liegen keine Umstände vor, dass dem Beschwerdeführer allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß §57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts dargelegt.
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des §9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet dessen persönliche Interessen am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre. Insbesondere hält sich der Beschwerdeführer im Vergleich zu seinem Lebensalter erst kurze Zeit im Bundesgebiet auf und kamen keinerlei Merkmale einer besonderen Integration in sprachlicher, beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht zu Tage.
Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht §55 Abs2 erster Satz FPG. Dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht."
Der Beschwerdeführer beantragte am 12. Dezember 2018 die schriftliche Ausfertigung der angefochtenen Entscheidung gemäß §29 Abs4 VwGVG.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.
6. Auf Nachfrage durch den Verfassungsgerichtshof teilte das Bundesverwaltungsgericht am 21. Februar 2019 mit, dass das mündlich verkündete Erkenntnis noch schriftlich ausgefertigt werde. Der Verfassungsgerichtshof leitete am 9. April 2019 ein sechswöchiges Vorverfahren ein. Mit Verfügung vom 29. April 2019 legte das Bundesverwaltungsgericht die Gerichts- und Verwaltungsakten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift bzw Äußerung unter Verweis auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung ab. Auf erneute Nachfrage durch den Verfassungsgerichtshof am 2. Mai 2019 stellte das Bundesverwaltungsgericht in Aussicht, die schriftliche Ausfertigung nachzureichen. Das ist nicht erfolgt.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Wie der Verfassungsgerichtshof weiter zu dem aus dem Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander folgenden Willkürverbot in Zusammenhalt mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen ausgesprochen hat, müssen die für die angefochtene Entscheidung maßgeblichen Erwägungen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (vgl jeweils mwN VfGH 2.5.2011, U2559/2010; 7.3.2012, U2899/2010; 13.12.2017, E940/2017; 27.6.2018, E983/2018).
2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist dem Bundesverwaltungsgericht ein willkürliches Vorgehen anzulasten:
Gemäß §29 Abs2 VwGVG sind Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte mit den wesentlichen Entscheidungsgründen zu verkünden. Im vorliegenden Fall hat sich das Bundesverwaltungsgericht darauf beschränkt, das Ergebnis seiner rechtlichen Beurteilung auszuführen und bleibt eine nachvollziehbare Begründung seiner formelhaften Ausführungen schuldig (vgl VfGH 13.12.2017, E940/2017). Mangels Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers bleibt auch unklar, ob das Bundesverwaltungsgericht annimmt, dass der Beschwerdeführer – wie behauptet – der Glaubensgemeinschaft der Kakai angehört oder nicht. In Anbetracht des Vorbringens des Beschwerdeführers, der geltend macht, aus Angst vor Verfolgung durch den IS in erster Linie auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Kakai geflohen zu sein, hätte es einer diesbezüglichen nachvollziehbaren Auseinandersetzung bedurft, zumal sich aus dem zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak (Gesamtaktualisierung am 20.11.2018) Folgendes ergibt:
"Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäern, Kakai, Schabak und Christen. Es liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 12.2.2018).
[…]
Kakai werden aufgrund ihrer schlecht verstandenen religiösen Identität weiterhin diskriminiert, sowie zum Opfer von Drohungen, Entführungen, Attentaten und Boykotten ihrer Unternehmen. Kakai-Männer sind durch ihren charakteristischen Schnurrbart leicht zu erkennen, wodurch sie eher Belästigung und Diskriminierung ausgeliefert sind (MRG 11.2017e). Gemeindevertretern zufolge gibt es auch Druck auf Kakai sich zu 'schiitisieren' (OHCHR 9.1.2017)."
Insbesondere vor dem Hintergrund des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers und den Länderinformationen der Staatendokumentation zum Irak entbehren die äußerst knapp und formelhaft gehaltenen, keinerlei fallbezogene Beweiswürdigung enthaltenden Entscheidungsgründe des mündlich verkündeten Erkenntnisses jeglichen Begründungswertes.
Ergibt sich die Begründung der Entscheidung – wie im vorliegenden Fall – weder aus der Niederschrift der mündlichen Verkündung noch aus einer (zeitnahen) schriftlichen Ausfertigung gemäß §29 Abs4 VwGVG (vgl VwGH 19.4.2016, Ra 2016/11/0033), widerspricht dies sowohl den Anforderungen des §29 Abs2 VwGVG als auch den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen. Die angefochtene, bisher begründungslos gebliebene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof nicht zugänglich und daher mit Willkür belastet (so auch jüngst in VfGH 27.6.2018, E983/2018).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.