Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Glawischnig als Vorsitzende und die Richter Mag. Heß-Palas und Mag. Zechmeister sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. MSc Walter Gutstein und Rudolf Galko in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , **gasse **, ** B*, vertreten durch Dr. Stephan Messner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei C*, D* B*, **straße **, ** B*, vertreten durch Mag. E*, ebendort, wegen Kostenübernahme, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 21.3.2024, *, gemäß den §§ 2 Abs 1 ASGG, 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger „die Osseointegrationsprothese für den linken Oberschenkel von F* laut Verordnung des G* H* B* vom 10.7.2023 sowie laut dem im Zusammenhang damit eingereichten Kostenvoranschlag der I* GmbH über einen Betrag von insgesamt EUR 12.876,85 vom 13.7.2023 für die anspruchsberechtigte J*, Sozialversicherungsnummer ** zu gewähren“, ab.
Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:
„Es besteht bei der Klägerin [richtig wohl: J*] ein Zustand nach traumatischer Oberschenkelamputation links in Thailand 2015. Die erste Versorgung mittels Schaftprothese erfolgte im Jahr 2021, seit Sommer 2022 liegt eine Definitivprothese vor, allerdings ohne ideale Passform, trotz mehrfacher Schaftänderungen bestehen rezidivierende Druckstellen, Rötungen und Ulzerationen im Bereich der Scham und im Bereich der Adduktoren. Es besteht eine deutlich reduzierte Gehstrecke, Stumpfschmerzen stets nach einem Kilometer Gehstrecke in der Stärke VAS 5, gelegentlich besteht ein Phantomgefühl, aber keine Phantomschmerzen. Insgesamt besteht eine üppige Weichteildeckung im Bereich des Stumpfes. Über die Zeit bis zum April 2023 hat sich die Situation der anspruchsberechtigten Angehörigen trotz vielfachen Schaftmanagements nicht wesentlich ändern lassen. Sie ist in dieser Situation deutlich im Alltag bewegungseingeschränkt (Patientenbrief des G* Beil./C).
Gegenüber der Schaftprothese wird die hier beantragte Osteosyntheseprothese nicht abnehmbar an einem Oberschenkelstumpf angebracht, sondern mit dem Knochen des Oberschenkels verschraubt, wobei es durch das Anwachsen des Knochens zu einer untrennbaren Verbindung mit der Prothese kommt.“
Rechtlich führte das Erstgericht Folgendes aus:
Wie der Klagevertreter ausgeführt habe, werde die beantragte Prothese im G* H* B* „anoperiert“. Es werde wohl nicht zu bezweifeln sein, dass dadurch eine Anstaltspflege im Sinne des § 144 ASVG erforderlich sei und das G* H* B* eine Krankenanstalt sei, die über den Landesgesundheitsfonds finanziert werde. Wie die Beklagte richtig vorgebracht habe, werde durch die Überweisung eines Pauschalbetrags an den Landesgesundheitsfonds alles abgedeckt, was im Rahmen der als Gesamtheit von ärztlicher Hilfe, pflegerischer Betreuung und auch Bereitstellung von Hilfsmitteln anzusehenden Anstaltspflege an Kosten anfalle.
Selbst wenn man annehme, dass die Beklagte für diese Prothese leistungspflichtig wäre, sei angesichts des Zeitraums nach der Unterschenkelamputation nicht mehr von einer Rehabilitationsmaßnahme nach § 154a ASVG auszugehen, die Anschaffung der Prothese wäre höchstens nach § 154 ASVG zu beurteilen. Hier gäbe es aber nur einen gedeckten Kostenzuschuss, was bedeute, dass die Kosten der Anschaffung zunächst selbst zu tragen seien und erst nach Einreichung einer saldierten Rechnung der Kostenzuschuss durch die Beklagte gewährt werden könne. Dies sei jedoch schon deswegen nicht geschehen, weil der qualifiziert vertretene Kläger sich ausdrücklich auf den Standpunkt stelle, dass er einen Anspruch auf Sachleistung habe. Das Klagebegehren sei daher abzuweisen gewesen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.
Die Berufung ist nicht berechtigt .
Die Mängelrüge, in der beanstandet wird, dass das Erstgericht das vom Kläger beantragte medizinische Sachverständigengutachten zum Beweis dafür, dass die beantragte Prothese zweckmäßig und notwendig sei, nicht eingeholt habe, geht aus rechtlichen Gründen ins Leere. Deshalb wird zuerst die Rechtsrüge der Berufung behandelt.
Der Kläger steht in seiner Rechtsrüge zusammengefasst auf dem Standpunkt, dass die Rechtsansicht des Erstgerichts unzutreffend sei, wonach hier von einer Anstaltspflege im Sinne des § 144 ASVG auszugehen sei. Begründend führt der Kläger im wesentlichen aus, dass bei seiner anspruchsberechtigten Angehörigen keine Krankheit im Sinne der Legaldefinition des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG, sondern ein bereits abgeschlossener, als Gebrechen im Sinne des § 154 ASVG zu beurteilender Zustand, der nicht mehr medizinisch beeinflussbar sei, vorliege. Demzufolge scheide eine Beurteilung im Rahmen der Anstaltspflege aus. Die klagsgegenständliche Prothese erfülle auch das Kriterium der Notwendigkeit im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG. Die Rechtsansicht des Klägers lasse sich auch aus § 43 der Satzung der Beklagten ableiten.
Die Rechtsrüge ist nicht berechtigt.
Zunächst ist festzuhalten, dass der Kläger erstmals in seiner Berufung vorbringt, dass der Zustand seiner anspruchsberechtigten Angehörigen als Gebrechen zu qualifizieren sei und es sich bei der klagsgegenständlichen Prothese um ein notwendiges Hilfsmittel im Sinne des § 154 ASVG handle. Im erstinstanzlichen Verfahren hat sich der Kläger zur Begründung seines Klagebegehrens im Wesentlichen lediglich darauf berufen, dass keine Anstaltspflege im Sinne des § 144 ASVG vorliege und es sich bei der begehrten Prothese um eine Versicherungsleistung der sozialen Krankenversicherung handle. Darauf, dass die klagsgegenständliche Prothese ein notwendiges Hilfsmittel im Sinne des § 154 Abs 1 ASVG sei, hat sich der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren nicht gestützt.
Dieses erstmals im Berufungsverfahren erstattete Vorbringen, dass es sich bei der klagsgegenständlichen Prothese um ein notwendiges Hilfsmittel im Sinne des § 154 ASVG handle, unterliegt im gegenständlichen Berufungsverfahren dem Neuerungsverbot des § 482 Abs 2 ZPO (vgl. RIS-Justiz RS0042049). Dieses Vorbringen ist im gegenständlichen Berufungsverfahren somit nicht zu berücksichtigen.
Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass auch bei Zugrundelegung der gegen das Neuerungsverbot verstoßenden Berufungsausführungen, wonach die klagsgegenständliche Prothese ein notwendiges Hilfsmittel im Sinn des § 154 Abs 1 ASVG sei und der Zustand der anspruchsberechtigten Angehörigen des Klägers als Gebrechen zu qualifizieren sei, dies nicht zu dem vom Kläger gewünschten Ergebnis einer Klagsstattgebung oder zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen würde. Auch in diesem Fall wäre die Klage zur Gänze abzuweisen.
Wie der Kläger selbst vorgebracht hat, wird die beantragte Osseointegrationsprothese (im Folgenden kurz: Prothese) für den linken Oberschenkel im Krankenhaus „anoperiert“ (vgl. ON 1, Seite 2). Diese Prothese wird nicht abnehmbar an einem Oberschenkelstumpf angebracht, sondern mit dem Oberschenkelknochen verschraubt, wobei es durch das Anwachsen des Knochens zu einer untrennbaren Verbindung mit der Prothese kommt. Diese Methode zur direkten Verankerung der Prothese im Knochen erfordert einen Krankenhausaufenthalt. Eine solche Operation ist – unter der Voraussetzung, dass eine notwendige Anstaltspflege vorliegt – unter dem Titel der Anstaltspflege im Sinne des § 144 Abs 1 ASVG zu subsumieren.
Wie die Beklagte – nicht nur in ihrer Berufungsbeantwortung, sondern auch bereits ausführlich im erstinstanzlichen Verfahren – richtig vorbrachte, ist unter der Anstaltspflege eine einheitliche und unteilbare Gesamtleistung zu verstehen (RIS-Justiz RS0085800; RS0085807; RS0106685). Die von der Krankenanstalt zu erbringenden Teilleistungen der Anstaltspflege sind die Kosten der Unterkunft, der ärztlichen Untersuchung und Behandlung, der Beistellung von allen erforderlichen Heilmitteln, Arzneien usw. sowie der Pflege und der Verköstigung. Eine gesonderte Verrechnung einzelner Heilmittel oder Heilbehelfe kommt nicht in Betracht (RS0085800 u.a.).
Gemäß § 27 Abs 1 KAG sind mit den vom Versicherungsträger zu zahlenden Pflegegebühren der allgemeinen Gebührenklasse alle Leistungen der Krankenanstalt – mit Ausnahme der in § 27 Abs 2 und § 27a KAG genannten – abgegolten. Neben Unterkunft und Verpflegung sind auch ärztliche Untersuchungen und Behandlungen, Beistellung der erforderlichen Hilfsmittel und therapeutischen Behelfe umfasst. Eine gesonderte Verrechnung einzelner Heilmittel oder Heilbehelfe kommt nicht in Betracht (RS0085800).
Ausgehend von der dargestellten Sach- und Rechtslage zeigt sich, dass eine gesonderte Verrechnung oder auch die Geltendmachung einer Kostenübernahme hinsichtlich einzelner Hilfsmittel und Heilbehelfe gegenüber der Beklagten - wie hier die Kostenübernahme für eine Osseointegrationsprothese - nicht in Betracht kommt.
Da somit bereits aus diesem Grund das Erstgericht die Klage rechtsrichtig abgewiesen hat, ist auf die weiteren Argumente des Erstgerichts und der Beklagten, die gegen die Berechtigung des Klagebegehrens des Klägers sprechen, nicht weiter einzugehen.
Aus der dargestellten Rechtslage ergibt sich weiters, dass das Erstgericht zu Recht das vom Kläger zum Beweis dafür beantragte medizinische Sachverständigengutachten, dass die verfahrensgegenständliche Prothese „zweckmäßig und notwendig“ sei, mangels rechtlicher Relevanz nicht eingeholt hat. Damit ist auch die Mängelrüge nicht berechtigt.
Der Berufung war somit insgesamt ein Erfolg zu versagen.
Hinsichtlich der im angefochtenen Urteil nicht enthaltenen Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens (der anwaltlich vertretene Kläger hat im erstinstanzlichen Verfahren Kosten verzeichnet), war nicht mit einer Maßgabebestätigung vorzugehen. Im angefochtenen Urteil wird nämlich weder im Spruch noch in den Entscheidungsgründen über diese Kosten entschieden. Es liegt somit insofern eine unvollständige Erledigung der Sachanträge vor. Eine solche unvollständige Erledigung der Sachanträge kann – gleichgültig ob dies versehentlich oder mit Absicht erfolgt ist – entweder mit Urteilsergänzungsantrag oder mit Berufung gemäß § 496 Abs 1 Z 1 ZPO geltend gemacht werden (vgl. Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, ZPO 5§§ 423 bis 424 ZPO Rz 1ff mwN).
Ein solcher Urteilsergänzungsantrag ist nicht gestellt worden. Die unterbliebene Kostenentscheidung ist auch nicht mittels Berufung gemäß § 496 Abs 1 Z 1 ZPO bekämpft worden, weshalb dem Berufungssenat eine Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens verwehrt ist (vgl. auch Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO 5§ 496 ZPO Rz 2ff mwN).
Für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG ergeben sich weder aus dem Vorbringen noch aus dem Akt Anhaltspunkte, weshalb der Kläger die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen hat.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, weil eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne der §§ 2 Abs 1 ASGG, 502 Abs 1 ZPO nicht zu beantworten war. Das Berufungsgericht ist bei seiner Entscheidung von der oben zitierten einhelligen höchstgerichtlichen Judikatur ausgegangen.
Rückverweise
Keine Verweise gefunden