Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek als Vorsitzende, die Richterin Mag. Derbolav Arztmann und den Richter MMag. Popelka, sowie die fachkundigen Laienrichter MinRatDr. Ludwig-Josef Melicher und DI Oliver Leo Schreiber in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Mag. Katharina Kessler, MBL., Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei B* GmbH , **, vertreten durch Mag. Stefan Korab, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 40.189,19 brutto abzüglich EUR 3.053,76 netto sA, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 4.12.2024, ** 21, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert , dass es lautet:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei EUR 33.426,20 brutto abzüglich EUR 3.053,76 netto samt 9,2 % Zinsen p.a. seit 15.4.2024 sowie die mit EUR 7.426,04 (darin enthalten EUR 1.253,44 Barauslagen und EUR 1.028,77 USt) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere EUR 6.721,99 brutto samt 9,2 % Zinsen p.a. seit 15.4.2024 zu bezahlen, wird abgewiesen.“
Die beklagte Partei ist schuldig der klagenden Partei die mit EUR 1.635,59 (darin enthalten EUR 366,43 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Der seit 19.10.2021 als Botenfahrer bei der beklagten Partei beschäftigte Kläger wurde am 9.2.2023 gekündigt. Die Kündigung wurde vom Kläger vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien zu ** erfolgreich angefochten. Der Kläger trat seinen Dienst bei der beklagten Partei am 15.4.2024 wieder an.
Der Kläger begehrte zuletzt den Zuspruch von EUR 40.148,19 brutto abzüglich EUR 3.053,96 netto sA und brachte im Wesentlichen vor, nach Arbeitsantritt am 15.4.2024 habe er zwei Monatsgehälter für den Zeitraum 26.2.2023 bis 14.4.2024 in der Höhe von EUR 3.053,76 netto bezahlt bekommen. Er habe aber Entgeltansprüche ab 27.2.2023. Unter Berücksichtigung der drei letzten Monatsgehälter vor der Kündigung und einem Durchschnitt der variablen Entgeltbestandteile samt Samstagszuschlägen habe er zu seinem monatlichen Grundgehalt von EUR 1.900,54 durchschnittlich EUR 747,34 brutto an variablem Entgelt im Monat erhalten, sohin stünden ihm gesamt EUR 2.647,88 brutto pro Monat zu. Auch das Trinkgeld stelle einen Entgeltbestandteil dar. Aufgeschlüsselt wurde das Klagebegehren in: Laufende Entgeltansprüche 02/23 - 04/24 EUR 35.847,25, Weihnachtsremuneration 2023 EUR 1.900,54, Weihnachtsremuneration 2024 EUR 249,93, Urlaubszuschuss 2023 EUR 1.900,54 und Urlaubszuschuss 2024 EUR 249,93, sohin ein Gesamtbruttobetrag von EUR 40.148,19. Davon sei die erhaltene Nettozahlung abzuziehen.
Er sei zwischen der Kündigung und dem erneuten Dienstantritt durchgehend arbeitslos gemeldet gewesen. Er habe sich aktiv und unabhängig vom AMS beworben und sei bis auf Krankenstände arbeitsbereit gewesen. Aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen habe er keine Anstellung gefunden. Teils habe es sich um keine vergleichbare Arbeit gehandelt oder um nicht zumutbare Ersatzbeschäftigungen.
Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, der Kläger müsse sich anrechnen lassen, was er in der Zwischenzeit verdient habe oder absichtlich zu verdienen versäumt habe. Es wäre ihm aufgrund des großen Bedarfs an Zustellern auf dem Arbeitsmarkt jederzeit möglich gewesen, eine vergleichbare Arbeit als Zusteller bei vergleichbarem Lohn anzutreten. Aufgrund des von ihm absolvierten Sprachkurses habe keine Jobvermittlung stattgefunden und seien in diesem Zeitraum keine Bemühungen erbracht worden, eine Zwischenarbeit zu finden. Auch der Krankenstand von einem Monat sei kein Hindernis gewesen, bei der über ein Jahr dauernden Verfahrensdauer keine Zwischenarbeit zu suchen. Der Kläger hätte die angebotenen Jobangebote annehmen können, in concreto bei der Pizzeria C*. In Anbetracht der vorzunehmenden Anrechnung sei der Lohnzahlungsanspruch des Klägers bereits durch die erfolgte Zahlung befriedigt.
Das variable Entgelt sei aus dem Durchschnitt der letzten zwölf Monate vor der Kündigung zu errechnen. Trinkgelder würden nicht vom Arbeitgeber bezahlt und seien daher nicht Entgeltbestandteil. Sie würden nur durch die Lohnabrechnung abgewickelt und hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge berücksichtigt, wenn bei Online Zahlung der Kunde einen Mehrbetrag für Trinkgeld bezahle. Taggelder seien eine Abgeltung für erhöhten Lebensaufwand bei Abwesenheit vom Dienstort. Auf deren Auszahlung bestehe daher kein Anspruch bei Entfall der Arbeit.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren zur Gänze statt.
Es ging dabei von dem auf Seiten 4 bis 5 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Sachverhalt aus, auf welchen zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.
Rechtlich folgerte es, obsiege der Dienstnehmer in einem Kündigungsanfechtungsverfahren, lebe das Dienstverhältnis rückwirkend mit allen Rechten und Pflichten wieder auf. Gemäß § 1155 ABGB habe der Dienstnehmer für den Zeitraum zwischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Rechtskraft des Anfechtungsurteils einen Anspruch auf Nachzahlung des Entgelts, wenn er zur Leistung bereit gewesen sei. Der Arbeitnehmer müsse sich jedoch anrechnen lassen, was er infolge Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt habe.
Von einem absichtlichen Versäumen des Erwerbs sei auch dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer in der Einschätzung aller Umstände, insbesondere der Tatsache, dass er an seinem Arbeitsplatz keinesfalls benötigt werde, und bei Vorhandensein reeller Chancen keine Anstrengung unternehme, sich eine Ersatzbeschäftigung zu verschaffen, die nach Treu und Glauben zumutbar sei und die seiner Qualifikation in seiner bisherigen Beschäftigung im Rahmen des Arbeitsvertrags entspreche. Die Behauptungs- und Beweislast für die Anrechnungsvoraussetzungen treffe den Arbeitgeber. Die beklagte Partei hätte konkrete Verdienstgelegenheiten vorzubringen und zu beweisen gehabt. Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt habe der Kläger jedenfalls ausreichende Anstrengungen unternommen, eine neue Arbeitsstelle/Zwischenarbeitsstelle zu erlangen. Dabei habe er sowohl Jobangebote des AMS als auch Privatrecherche herangezogen. Aus den von der beklagten Partei vorgelegten Urkunden und dem dazu erstatteten Vorbringen würden hingegen keinerlei konkrete Verdienstmöglichkeiten für den Zeitraum zwischen Kündigung bzw Ende der Kündigungsfrist und Rechtskraft des Urteils hervorgehen, welche der Kläger ausgeschlagen hätte. Eine Anrechnung nach § 1155 ABGB habe daher nicht zu erfolgen.
Taggelder seien nicht in den Entgeltbegriff mit einzubeziehen, wenn dies der anzuwendende Kollektivvertrag explizit vorsehe. Im hier anzuwendenden Kollektivvertrag (Kleintransportgewerbe) sei dies nicht der Fall. Weiters würden hier Taggelder vorliegen, die höher als der tatsächlich getätigte Aufwand seien. Somit seien diese keine echten Aufwandsentschädigungen und handle es sich um Leistungen mit Entgeltcharakter.
Leistungen Dritter – hier das Trinkgeld – seien dann dem Arbeitsentgelt zuzurechnen, wenn zwischen Dienstgeber und nehmer eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen worden sei oder wenn sich die Zuordnung der Leistungen aus den sonstigen Umständen ergebe. Da die beklagte Partei die durch Online Überweisung bezahlte Trinkgelder vereinbarungsgemäß in den Lohnabrechnungen berücksichtigt habe, seien diese nach dem Lohnkonto zwar lohnsteuerfrei, jedoch sozialversicherungspflichtig, und würden zum Entgelt zählen.
Bei Berechnung des Entgelts für die Bildung des Durchschnitts erscheine die Anwendung des § 3 EFZG sachgemäß, also ein Zeitraum von drei Monaten. Es seien nicht die letzten zwölf Monate heranzuziehen. Da die rechnerische Richtigkeit des Klagebegehrens bzw die Aufschlüsselung nicht bestritten worden sei, könne diese dem Zuspruch zugrunde gelegt werden.
Von der beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Berufskunde sei abzusehen gewesen, weil es sich bei der Prüfung der Frage der Ernsthaftigkeit und Tauglichkeit der Anstrengung des Klägers, sich eine adäquate Ersatzbeschäftigung zu verschaffen, um eine Rechtsfrage handle.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Die Berufung ist teilweise berechtigt .
1. Mangelhaftigkeit des Verfahrens :
Die beklagte Partei rügt, dass entgegen ihrem Antrag nicht das Gutachten eines berufskundlichen Sachverständigen eingeholt wurde. Dieses sei zum Beweis dafür beantragt worden, dass der Kläger ohne lange Arbeitssuche eine entsprechende Arbeit finden und einen mit dem bisherigen Einkommen vergleichbaren Verdienst hätte erzielen können. Bei mangelfreiem Verfahren hätte dies bewiesen und auch festgestellt werden können. Weiters wäre das Erstgericht nicht zu dem Schluss gelangt, dass der Kläger ausreichende Anstrengungen unternommen habe, eine Zwischenarbeit zu finden. Ob die Bemühungen des Klägers bei der Jobsuche ausreichend gewesen seien, sei (auch) an Hand der konkreten Arbeitsmarktsituation und der Verfügbarkeit von freien Stellen (die Gegenstand des Gutachtens gewesen wären) zu beurteilen und nicht allein auf Grundlage der Parteienaussage des Klägers, dass er sich redlich bemüht habe.
Wie das Erstgericht bereits dargelegt hat, sieht das Gesetz in § 1155 Abs 1 ABGB die Anrechnung des fiktiven Verdienstes nur vor, wenn der andere Erwerb absichtlich versäumt wurde. Allerdings trifft dies nach der Rechtsprechung nicht erst zu, wenn der Arbeitnehmer ein ihm konkret angebotenes zumutbares Vertragsanbot ausschlägt, um die Anrechnung zu verhindern, sondern bereits dann, wenn er keine Bemühungen anstellt, eine Zwischenarbeit zu finden, obwohl ihm bekannt sein muss, dass solche Bemühungen durchaus erfolgversprechend sein können. Von einem „absichtlichen“ Versäumen ist daher auch auszugehen, wenn der Arbeitnehmer in der Einschätzung aller Umstände, insbesondere der Tatsache, dass er an seinem Arbeitsplatz keinesfalls benötigt wird, und bei Vorhandensein reeller Chancen keine Anstrengungen unternimmt, sich eine Ersatzbeschäftigung zu verschaffen, die nach Treu und Glauben zumutbar ist und die seiner Qualifikation und seiner bisherigen Beschäftigung im Rahmen des Arbeitsverhältnisses entspricht. Dies trifft etwa zu, wenn der Arbeitnehmer (während eines mehrjährigen Kündigungsanfechtungsprozesses) keine aktive Anstrengung zur Suche eines Arbeitsplatzes unternimmt ( Drs in ZellKomm³ § 1155 Rz 64 mwN).
Von einem absichtlichen Versäumen ist also nur dann auszugehen, wenn der Dienstnehmer bei Vorhandensein reeller Chancen keine Anstrengung unternimmt, sich eine Ersatzbeschäftigung zu verschaffen, die nach Treu und Glauben zumutbar ist (RS0028604). Es müssen also 1. reelle Chancen zur Erlangung einer zumutbaren Ersatzbeschäftigung bestehen und 2. der Dienstnehmer unternimmt keine Bemühungen, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erlangen.
Im erstinstanzlichen Verfahren wurde die Einholung eines berufskundlichen Sachverständigen nur zu Punkt 1., also dass für den Kläger reelle Chancen bestanden, eine zumutbare Arbeitsstelle zu erlangen, beantragt (ON 4). Zur Frage dieser „reellen Chancen“ am Arbeitsmarkt hat das Erstgericht auch keine Feststellung getroffen. Vielmehr traf es Feststellungen zu den Bemühungen des Klägers, einen gleichwertigen Arbeitsplatz zu erlangen, dies sowohl über das AMS als auch durch Privatrecherche. Ausgehend von diesen (unbekämpften) Feststellungen verneinte das Erstgericht das „absichtliche“ Versäumen eine Verdienstmöglichkeit durch den Kläger iSd § 1155 Abs 1 ABGB. Zu diesem Beweisthema wurde – wie dargelegt - die Einholung des berufskundlichen Sachverständigengutachtens nicht beantragt.
Die Beklagte führt nunmehr dazu aus, bei entsprechenden Feststellungen über die reellen Chancen des Klägers zur Erlangung einer vergleichbaren, zumutbaren Arbeit wäre das Erstgericht nicht zum Schluss gelangt, dass der Kläger ausreichende Anstrengungen unternommen habe, eine Zwischenarbeit zu finden. Ob die Bemühungen des Klägers bei der Jobsuche ausreichend waren, sei (auch) an Hand der konkreten Arbeitsmarktsituation und der Verfügbarkeit von freien Stellen zu beurteilen gewesen. Damit macht sie geltend, dass das beantragte berufskundliche Sachverständigengutachten zum Beweis der Chancen des Klägers am Arbeitsmarkt ein Indiz für die Beurteilung der weiteren tatbestandsrelevanten Frage, ob der Kläger keine Anstrengung zur Erlangung einer derartigen Ersatzbeschäftigung getätigt habe, gewesen wäre. In diesem Fall wäre das berufskundliche Sachverständigengutachten lediglich ein Hilfsbeweis gewesen, der nicht direkt den rechtlich bedeutsamen Umstand der Anstrengung des Klägers erbracht oder widerlegt hätte, sondern der ein für die Beweiswürdigung relevantes Indiz nachweisen oder entkräften hätte sollen (vgl Rechberger in Fasching/Konecny³ II/1 Vor § 266 Rz 5).
Die Unterlassung von Kontrollbeweisen kann aber nicht als Verfahrensmangel (RS0040246), sondern nur unter dem Berufungsgrund der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung angefochten werden, weil das Beweisthema des Kontrollbeweises keine rechtserhebliche Tatsache selbst, sondern eine für die Beweiswürdigung erhebliche Tatsache ist.
Es liegt somit kein Verfahrensmangel gemäß § 496 Abs 1 Z 2 ZPO vor.
2. Unrichtige rechtliche Beurteilung :
2.1. Die beklagte Partei argumentiert, ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichts seien lediglich drei Bewerbungen in einem Zeitraum von rund 14 Monaten anzunehmen, wobei eine Bewerbung von Vornherein nicht zielführend gewesen und offenbar abgegeben worden sei, um das AMS zufrieden zu stellen. In diesem Fall könne in Ansehung der höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht davon gesprochen werden, dass der Kläger ausreichende Anstrengungen unternommen habe, eine Zwischenarbeit zu finden. Dem Kläger sei offenbar die ihn treffende Obliegenheit, eine Zwischenarbeit zu suchen, bewusst gewesen und habe er sich nur vereinzelt beworben. Seine Bemühungen würden objektiv bewertet völlig unzureichend erscheinen. Gerade für eine Arbeit, für die außer einem Führerschein keinerlei zusätzliche Qualifikation erforderlich sei, würden drei Bewerbungen innerhalb eines Zeitraums von 14 Monaten keine ausreichende Jobsuche darstellen; dies selbst dann, wenn man die festgestellten Krankenstände berücksichtige. Auch die vorgebrachten, gänzlich ergebnislosen Erkundigungen bei Bekannten und die Registrierung in einer App seien völlig unzureichend und würden keine ernsthafte Arbeitssuche darstellen.
Zunächst ist auf die bereits unter dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens dargestellte Rechtsprechung zur Frage des „absichtlichen“ Versäumens eines zumutbaren Verdienstes zu verweisen. Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass sich der Angestellte anderweitigen Erwerb anrechnen lassen muss, trifft den Dienstgeber (RS0028309).
Nach den Feststellungen meldete sich der Kläger mit Ablauf der Kündigungsfrist beim AMS arbeitslos. Er befand sich von 8.5.2023 bis 9.5.2023 und vorerst von 13.6.2023 bis 13.7.2023 im Krankenstand. Über den 13.7.2023 befand er sich darüber hinaus insgesamt etwa drei Monate im Krankenstand nach einer Verletzung im Sommer 2023, hinsichtlich derer eine Operation erfolgen sollte. Der Kläger machte über das AMS einen Deutschkurs, den man ihm dort angeboten hatte, um seine Bewerbungschancen zu verbessern. Er war durch den Besuch des Deutschkurses nicht von dem Erfordernis befreit, sich zu bewerben. Vom AMS erhielt er lediglich zwei Jobangebote weitergeleitet, wobei das eine schon deswegen ausschied, da es sich um eine Teilzeitbeschäftigung handelte und er kein eigenes Auto zur Verfügung hatte. Beim zweiten Angebot kam es offenbar zunächst zu keiner Rückmeldung, nachdem der Kläger darauf verwiesen hat, dass er derzeit auf eine Fuß Operation warte. Auch sonst war der Kläger mit dem AMS regelmäßig in Kontakt und bemühte sich, eine vergleichbare Stelle zu finden. Er versuchte dies auch durch Privatrecherche, wobei er sich mehrfach um Anstellungen bemühte, aber dabei nicht erfolgreich war. Nicht festgestellt werden konnte, dass der Kläger konkrete Stellen, die ihm durch das AMS oder aufgrund seiner eigenen Bemühungen zur Kenntnis kamen und ihm aufgrund seines damaligen Gesundheitszustandes möglich gewesen wären, ausgeschlagen hätte.
Auf Basis dieser Feststellungen und auch im Hinblick auf die Behauptungs- und Beweislast ist die Beurteilung des Erstgerichts, dass der Kläger (ausreichende) Anstrengungen unternommen hat, eine Ersatzbeschäftigung zu erlangen, jedenfalls vertretbar. Insbesondere betrifft die von der Beklagten ins Treffen geführte Entscheidung 9 ObA 90/13w keinen vergleichbaren Sachverhalt. Diese betraf einen Dienstnehmer, der sich während der vierjährigen Dauer des Anfechtungsverfahrens lediglich mündlich bei zwei nicht näher bekannten Busunternehmen bewarb, darüber hinaus aber keine Anstrengungen unternahm, einen nach Einkommen und Arbeitsbedingungen vergleichbaren Arbeitsplatz als Buslenker zu finden. Dies deswegen, weil er einerseits damit rechnete, das Kündigungsanfechtungsverfahren zu gewinnen, in absehbarer Zeit wieder bei der beklagten Partei zu arbeiten und den Lohn nachbezahlt zu erhalten, und weil er andererseits seine Frau dabei unterstützen wollte, sich selbständig zu machen. Dieses Verhalten kann mit jenem des Klägers während der rund 14 Monate nach Kündigung, wie es vom Erstgericht festgestellt wurde, nicht verglichen werden.
Das Erstgericht ist daher im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Anrechnung nach § 1155 Abs 1 ABGB eines fiktiven Verdienstes nicht zu erfolgen hat.
2.2. Gerügt wird das Fehlen der Feststellung: „Der Kläger hätte nach seiner Kündigung durch die Beklagte jederzeit ohne lange Arbeitssuche eine Arbeit, die mit der Arbeit bei der Beklagten vergleichbar ist, bei einem anderen Arbeitgeber aufnehmen und einen vergleichbaren Verdienst erzielen können. Es waren während des gesamten Zeitraums ausreichend Stellen im Kleintransportgewerbe offen. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger sehr kurzfristig, spätestens jedoch nach zwei Monaten einen entsprechenden Arbeitsverdienst hätte erzielen können. Der kollektivvertragliche Mindestlohn betrug EUR 1.657,34 für 2023 und EUR 1.820,-- monatlich ab 1.1.2024. Der Kläger hätte somit zumindest diesen Verdienst erzielen können.“
Zutreffend ist, wie bereits dargelegt wurde, dass das „absichtliche“ Versäumen eines Verdienstes nach der überwiegenden Rechtsprechung nicht erst dann vorliegt, wenn der Arbeitnehmer ein ihm konkret angebotenes zumutbares Vertragsanbot ausschlägt.
Dennoch waren keine konkreten Feststellungen zu den reellen Chancen des Klägers zur Erlangung eines derartigen Ersatzarbeitsplatzes am Arbeitsmarkt (nach Einholung eines berufskundlichen Sachverständigengutachtens) erforderlich, da nach den Feststellungen jedenfalls davon auszugehen ist, dass der Kläger (ausreichende) Anstrengungen unternommen hat, sich eine zumutbare Ersatzbeschäftigung zu verschaffen. Die diesbezüglichen Feststellungen des Erstgerichts blieben von der Beklagten unbekämpft. Da somit schon deswegen eine Anrechnung nach § 1155 Abs 1 ABGB ausscheidet, liegt auch kein Verfahrensmangel gemäß § 496 Abs 1 Z 3 ZPO vor.
2.3. Die beklagte Partei rügt, dass das Erstgericht Trinkgeld als Entgelt qualifiziert hat und auch den dafür begehrten Klagsbetrag zusprach. Dem Begriff des Trinkgelds sei immanent, dass dieses von Dritten an den Dienstnehmer geleistet werde. Trinkgelder würden bei Kartenzahlung durch Kunden an die beklagte Partei überwiesen, von dieser gesammelt und an den Kläger weitergeleitet. Es handle sich damit nicht um eine Entgeltleistung des Dienstgebers. Der beklagten Partei als Dienstgeberin komme hinsichtlich des Trinkgelds nur Treuhänderfunktion zu. Da dem Kläger von Dritten während des streitgegenständlichen Zeitraums kein Trinkgeld bezahlt worden sei und die Beklagte dementsprechend kein Trinkgeld für den Kläger vereinnahmt habe, bestehe auch kein Anspruch auf Herausgabe des Trinkgelds. Ein Anspruch auf Trinkgeld könne sich lediglich aus schadenersatzrechtlicher Grundlage ergeben. Die Voraussetzungen für einen diesbezüglichen Schadenersatzanspruch seien vom Kläger aber weder behauptet, noch bewiesen worden. Da die Voraussetzungen für einen Zuspruch von Trinkgeldern aus dem Titel des Entgelts, wie im Ersturteil mit EUR 6.721,99 erfolgt, nicht vorlägen, sei die Klage in diesem Umfang abzuweisen.
Diesen Überlegungen kommt Berechtigung zu.
Leistungen eines Dritten können nach den allgemeinen Regeln für den Arbeitgeber erfolgen. Andere Leistungen eines Dritten können arbeitsvertragliches Entgelt sein, wenn zwischen den Arbeitsvertragsparteien entsprechende Vereinbarungen getroffen wurden oder sich dies aus „sonstigen Umständen“ ergibt. Häufig zählen sie nicht zum arbeitsvertraglichen Entgelt. Letztes gilt insbesondere für das „echte“ Trinkgeld. Im Steuerrecht wurden auch echte Trinkgelder früher als Entgelt angesehen, im SV Recht werden sie so behandelt. Die Leistung Dritter wird aber Entgelt sein, falls der Vertrag dies vorsieht, insbesondere wenn die Tätigkeit für den Dritten dienstvertraglich geschuldet ist, sofern der Arbeitgeber ein Minimum an Leistungen der Dritten garantiert, sonst deren Umfang bestimmen kann, oder wenn er auf die Zahlung Einfluss nimmt und einen Vertrauenstatbestand schafft. Ansonsten sind Leistungen Dritter, die dem Arbeitnehmer (bloß) aus Gelegenheit des Arbeitsverhältnisses zufließen, kein Entgelt daraus ( Rebhahn in ZellKomm³ § 1152 Rz 20 mwN).
Hat der Arbeitgeber keine, wie immer geartete, Garantie eines Trinkgeldeinkommens übernommen, gestattet er lediglich die Annahme von Trinkgeldern, sofern Kunden diese aus freien Stücken geben, spricht dies gegen ein Entgelt im arbeitsrechtlichen Sinn, da es an einer vertraglichen Verpflichtung des Arbeitgebers mangelt (vgl Tomandl in ZAS 1985, 106).
Der Kläger hat seine Forderung auf Ersatz von entgangenem Trinkgeld ausschließlich darauf gestützt, dass es sich um variable Entgeltbestandteile handelt. Ergänzend wurde dazu vorgebracht, die beklagte Partei könne im Rahmen der Zu- und Einteilung organisieren, in welcher Höhe letztlich dem Kläger Trinkgelder zustünden. Touren, die vormittags eingeteilt würden, würden wesentlich mehr Trinkgeld bringen als Touren, die zu einem anderen Zeitpunkt stattfinden würden (ON 12.1, 2).
Aus diesem Vorbringen lässt sich lediglich ableiten, dass durch die Diensteinteilung der beklagten Partei (bzw. als deren Folge) ein höheres oder allenfalls niedrigeres Trinkgeld erzielt werden kann. Dass die beklagte Partei damit eine umfangmäßige Bestimmung des Trinkgeldes vornahm oder vornehmen wollte, lässt sich daraus nicht ableiten. Wenn der Kläger nunmehr in der Berufungsbeantwortung hierzu erstmalig vorbringt, dass die Trinkgelder von den Kunden der beklagten Partei in dem Wissen geleistet würden, dass die beklagte Partei ihre DienstnehmerInnen durchwegs schlecht bezahle und diese für ihre Anstrengung höher entlohnt werden sollten bzw, dass die beklagte Partei die von ihren Kunden/Innen genutzte App die ausdrückliche Möglichkeit, den Fahrern Trinkgeld zukommen zu lassen, einräume, lässt sich daraus zwar ableiten, dass die beklagte Partei den Erwerb von Trinkgeldern ermöglichte, nicht aber eine vertragliche Verpflichtung der Beklagten insofern oder eine Einflussnahme darauf. Der Entgeltbegriff des Sozialversicherungsrechts ist weiter als der arbeitsrechtliche (so schon 9 ObA 249/94), so dass auch daraus eine Qualifikation der Trinkgelder des Klägers als Arbeitsentgelt nicht ableitbar ist. Die von der beklagten Partei vereinnahmten Trinkgelder, die bei Kartenzahlung von den Kunden für den Kläger bezahlt wurden, wurden daher lediglich - ohne Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung aus eigenem - an den Kläger weitergeleitet. Sie sind somit nicht als Entgelt zu qualifizieren und der Kläger kann diese daher auch nicht im Rahmen des Verdienstentgangs fordern.
Daraus folgt:
Im Berufungsverfahren war nicht mehr strittig, dass Taggelder als Entgeltbestandteil zustehen. Ebenso nicht mehr bestritten wurde die Berechnung des durchschnittlichen Entgelts nach dem Durchschnitt der letzten drei Monate, wie sie vom Erstgericht angenommen wurde. Ausgehend von dem (unstrittigen) monatlichen Grundgehalt von EUR 1.900,54, unter Hinzuzählung der durchschnittlichen Diäten/Taggeld in den letzten drei Monaten vor Kündigung wie festgestellt (EUR 208,19) ergibt sich damit ein monatliches Gesamtbruttogehalt von EUR 2.108,73.
Daraus ergeben sich Ansprüche des Klägers wie folgt:
02/23 EUR 150,62 (27.2.2023 – 28.2.2023)
03/23 - 03/24 EUR 2.108,73 (x 13)
04/24 EUR 984,07 (1.4.2024 – 14.4.2024)
Hieraus ergibt sich ein Gesamtbetrag in Höhe von EUR 28.548,18.
Hinzu kommen (unbestritten geblieben):
Weihnachtsremuneration (365/365) EUR 1.900,54
Weihnachtsremuneration (48/365) EUR 249,93
Urlaubszuschuss (365/365/ EUR 1.900,54
Urlaubszuschuss (48/365) EUR 249,93
Gesamt EUR 32.849,12
Die von der beklagten Partei begehrte Teilabweisung des Klagsanspruches in der Höhe von EUR 6.721,99 ist damit jedenfalls berechtigt.
Der Berufung war daher teilweise Folge zu geben und das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass die beklagte Partei zur Zahlung eines Betrags von EUR 33.426,20 brutto abzüglich des unstrittig geleisteten Nettobetrages verpflichtet wird. Ein Mehrbegehren von EUR 6.721,99 brutto sA war abzuweisen.
Die Kostenentscheidunggründet sich auf §§ 2 ASGG, 43 Abs 1 ZPO; jene im Berufungsverfahren zusätzlich auf § 50 ZPO.
Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Kläger mit rund 80 % seiner Forderung obsiegt. Die beklagte Partei hat ihm daher 60 % seiner Kosten zuzüglich 80 % der von ihm getragenen Pauschalgebühr zu ersetzen. Entsprechend den Einwendungen gegen die Kostennote des Klägers waren die Vertagungsbitte und der vorbereitende Schriftsatz vom 19.12.2024 nicht zu honorieren, wie das Erstgericht bereits zutreffend begründet hat.
Im Rechtsmittelverfahren hat die beklagte Partei mit rund 20 % obsiegt. Sie hat daher dem Kläger 60 % seiner Kosten des Rechtsmittelverfahrens abzüglich 20 % der nur von der beklagten Partei getragenen Pauschalgebühr zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist mangels Vorliegens einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen.
Rückverweise
Keine Verweise gefunden