22Bs254/25a – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Mathes als Vorsitzende sowie den Richter Mag. Gruber und die Richterin Dr. Koller als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen §§ 15, 144 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Bedenken des Vorsitzenden des Schöffengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien (§ 213 Abs 4 und 6 StPO) gegen die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vom 22. Juli 2025, Zahl **, GZ **-25 des Landesgerichts für Strafsachen Wien, nichtöffentlich entschieden:
Spruch
Die Anklageschrift weist keine der in § 212 Z 1 bis Z 5 und Z 7 bis Z 8 StPO genannten Mängel auf.
Die Anklageschrift ist rechtswirksam .
Die Strafsache wird gemäß § 215 Abs 4 erster Satz StPO dem Landesgericht Krems an der Donau zugewiesen .
Text
Begründung:
Mit oben angeführter Anklageschrift legt die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt dem am ** geborenen A* zur Last, er habe
I. am 3. Juli 2024 in **
**. den Justizwachebeamten B* durch die Äußerung: „Ihr gehört alle weggeräumt!“, zumindest mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen;
2. mit Gewalt, und zwar dadurch, dass er sich gegen seine Fixierung durch Justizwachebeamte durch Fußtritte und kraftvolle Armbewegungen widersetzte, Beamte, nämlich die Justizwachebeamten der Justizanstalt Wien-Josefstadt Insp. B*, GrInsp. C* und RevInsp. D* an einer Amtshandlung gehindert;
II. am 24. Februar 2025 in ** den E* durch gefährliche Drohung, nämlich durch die Ankündigung, ihn ansonsten „wegzuräumen“, ihn mithin zu töten, zu einer Handlung, nämlich zum Überlassen von Zigaretten zu nötigen versucht, die diesen am Vermögen geschädigt hätten, wobei er mit dem Vorsatz handelte, sich durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern
und dadurch zu Punkt I.1./ das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB, zu Punkt I.2./ das Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 StGB sowie zu Punkt II./ das Verbrechen der versuchten Erpressung nach den §§ 15, 144 Abs 1 StGB begangen, wofür er unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem § 144 Abs 1 StGB zu bestrafen sein werde.
Gemäß § 21 Abs 2 StGB werde darüber hinaus die strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum beantragt.
Zwar erhob der Angeklagte keinen Einspruch gegen die Anklageschrift, jedoch legte der Vorsitzende des Schöffengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien den Akt gemäß § 213 Abs 6 StPO vor, weil – verkürzt dargestellt – im Hinblick auf den zu Punkt II. angeführten Sachverhalt von einem Verbrechen der schweren Erpressung gemäß §§ 15, 144, 145 Abs 1 Z 1 StGB auszugehen sei, woraus eine sachliche Zuständigkeit des Landesgerichts als Schöffengericht gemäß § 31 Abs 3 Z 1 StGB erhelle, die örtlich in den Zuständigkeitsbereich des Landesgerichts Krems an der Donau falle (ON 1.45).
Rechtliche Beurteilung
Die Bedenken des Vorsitzenden des Schöffengerichts erweisen sich als berechtigt.
Wenngleich kein Einspruch gegen die Anklageschrift erhoben wurde ist dennoch zu prüfen, ob diese mit einem der in § 212 Z 1 bis Z 5 und Z 7 bis Z 8 StPO genannten Mangel behaftet ist. Denn das Oberlandesgericht hat in einem solchen Fall wie bei einem erhobenen Anklageeinspruch vorzugehen (§ 213 Abs 6 letzter Satz StPO). Daher ist die Anklageschrift von Amts wegen auf das Vorliegen sämtlicher Einspruchsgründe zu überprüfen (RIS-Justiz RS0124585) und – in casu jedoch nicht erforderlich – über die Fortsetzung der Untersuchungshaft zu entscheiden.
Die Oberstaatsanwaltschaft Wien äußerte sich nicht zu den vorliegenden Bedenken.
Vorliegend konnte sich die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zur Sachverhaltermittlung auf die Meldung der Justizanstalt Wien-Josefstadt vom 3. Juni 2024 (ON 2.5), den Abschlussbericht der Landespolizeidirektion ** vom 26. September 2024, GZ ** (ON 7.2), insbesondere die Vernehmung des Zeugen B* (ON 7.9), und den Abschlussbericht der Landespolizeidirektion ** vom 11. Mai 2025, GZ ** (ON 15.1), vor allem die Vernehmung des Zeugen E* (ON 15.6), stützen.
Hinsichtlich des Antrags auf Unterbringung gemäß § 21 Abs 2 StGB konnte sich die Anklagebehörde zu Recht auf das schlüssige Gutachten des Sachverständigen Univ. Doz. Dr. F* vom 24. März 2025 (ON 12.1) samt Ergänzung vom 10. Juli 2025 (ON 21.1) berufen.
Die subjektive Tatseite erschließt sich dabei aus dem äußeren Tatgeschehen.
Jedoch sei darauf hingewiesen, dass auch bei der unter I.2./ angeführten Tat das Verbleiben der Handlung im Versuchsstadium zu prüfen sein wird, weil aus dem Akteninhalt (vgl. ON 2.5,2) erhellt, dass der Widerstand des A* nicht hinreichte, um die Durchführung der Amtshandlung endgültig zu verhindern.
Ob die Beweismittel tatsächlich ausreichen werden, den Angeklagten der ihm angelasteten strafbaren Handlungen zu überführen, muss nach den das österreichische Verfahrensrecht beherrschenden Grundsätzen der Unmittelbarkeit, Mündlichkeit und freien richterlichen Beweiswürdigung zuständigen Schöffengericht vorbehalten bleiben, dem vorzugreifen im Einspruchsverfahren nicht statthaft ist.
Zur Frage der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit ist in Übereinstimmung mit den Bedenken des Vorsitzenden des Schöffengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien zunächst auszuführen, dass im Hinblick auf die beantragte Unterbringung gemäß § 21 Abs 2 StGB grundsätzlich eine Zuständigkeit des Schöffengerichts besteht (§ 434 Abs 2 letzter Satz iVm § 32 Abs 1a StPO).
Nach § 434 Abs 2 StPO entscheidet über den Antrag auf Unterbringung das Landesgericht, das für ein Strafverfahren auf Grund einer Anklage oder eines Strafantrags gegen den Betroffenen wegen seiner Tat (§ 21 Abs 3 StGB) zuständig ist oder zuständig wäre.
Demnach ist für die örtliche Zuständigkeit des Schöffengerichts im gegenständlichen Hauptverfahren ausschlaggebend, welches Gericht zuständig wäre , wenn kein Unterbringungsantrag vorliegen würde.
Da bei einer Anklageüberprüfung keine Bindung an die in der Anklage genannte strafbare Handlung als rechtliche Kategorie besteht ( Birklbauer, WK-StPO § 212 Rz 26/1 mwN), ist – auch unter dem Gesichtspunkt des § 211 Abs 1 Z 3 StPO - festzuhalten, dass sowohl aus der Anklageschrift als auch dem Akteninhalt hervorgeht, dass A* zum Anklagepunkt II./ mit dem Tod gedroht haben soll, wenn keine unentgeltliche Übergabe von Zigaretten erfolge (ON 25,1 und ON 25,3 f; ON 15.6,4).
Demgemäß ist das unter Anklagepunkt II. angeführte Verhalten aber als schwere Erpressung iSd §§ 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (im Versuchsstadium) einzuordnen, weshalb auf Grund der dort angedrohten Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren eine von einem Unterbringungsantrag unabhängige Zuständigkeit des Schöffengerichts nach § 31 Abs 3 Z 1 StPO gegeben wäre. Da sich diese Tathandlung in der Justizanstalt Stein ereignet haben soll und die übrigen dem Angeklagten vorgeworfenen Tathandlungen grundsätzlich in die Zuständigkeit des Einzelrichters fallen würden, ergibt sich daraus vorliegend die Zuständigkeit des Landesgerichts Krems an der Donau für die Durchführung der Hauptverhandlung gemäß § 37 Abs 2 erster Fall StPO iVm § 434 Abs 2 StPO.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.