20Bs130/25a – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A*wegen § 144 Abs 1 StGB über die Berufung des Genannten wegen Nichtigkeit sowie wegen des Ausspruchs über die Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 28. Februar 2025, GZ **-14.4, nach der unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Mag. Jilke, im Beisein der Richterinnen Mag. Neubauer und Mag. Seidenschwann, LL.B., als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart des Oberstaatsanwaltes Mag. Hinterleitner, ferner in Anwesenheit des Angeklagten und dessen Verteidiger Mag. Amir Ahmed durchgeführten Berufungsverhandlung am 9. September 2025
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
II. den
B e s c h l u s s
gefasst:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene syrische Staatsangehörige A* des Verbrechens der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Unter einem wurde vom Widerruf der ihm mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 16. Oktober 2024 zu AZ ** gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und gemäß § 494a Abs 6 StPO iVm § 53 Abs 3 StGB die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.
Nach dem Inhalt des Schuldspruches hat A* am 7. Jänner 2025 in ** mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Genötigten sich unrechtmäßig zu bereichern, seine von ihm getrennt lebende Ehefrau B* dadurch, dass er sie am Nacken packte und anschließend ankündigte, sie andernfalls umzubringen, sohin mit Gewalt und durch gefährliche Drohung, zu einer Handlung, nämlich zu dem Verzicht auf ihren im Verfahren ** des Landesgerichtes Wiener Neustadt rechtskräftig zugesprochenen Privatbeteiligtenanspruch sowie zu dem Verzicht auf Alimente und Geldforderungen im Scheidungsverfahren zu nötigen versucht, die diese am Vermögen geschädigt hätte.
Bei der Strafbemessung wertete die Erstrichterin als erschwerend die Tatbegehung gegen die Ehefrau, die einschlägige Vorstrafe, den überaus raschen Rückfall nach erfolgter Verurteilung und die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit, mildernd hingegen den Umstand, dass es beim Versuch geblieben ist.
Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 14.3, 35) und unter unter Berücksichtigung der Regelung des § 271 Abs 7 StPO fristgerecht ausgeführte Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit, des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe(ON 20.2).
Rechtliche Beurteilung
Die Mängelrüge wendet Undeutlichkeit und Unvollständigkeit (§ 281 Abs 1 Z 5 erster und zweiter Fall StPO) der Urteilsbegründung zufolge unterbliebener Erörterung „brauchbarer und nachvollziehbarer zeitlicher Feststellungen“, obwohl „es eine entscheidende Tatsache dar(stelle), wie viel Zeit in Anspruch genommen werden muss“, um die von ihm aufgezählten Wegstrecken zurückzulegen, „da all dies innerhalb von 40 Minuten erfolgt sein muss“. Stattdessen erschöpfe sich das Erstgericht in „völlig unnachvollziehbaren Floskeln“, seien die diesbezüglichen Feststellungen undeutlich und habe sich das Erstgericht mit der Aussage der Zeugin, wonach zwischen erster und zweiter Begegnung mit dem Angeklagten ca. zehn bis vierzehn Minuten vergangen seien, nicht auseinandergesetzt. Auch habe das Erstgericht irrigerweise angenommen, das vom Angeklagten aufgesuchte Café befinde sich in der C*straße anstatt in der D*straße, was als Aktenwidrigkeit gerügt werde. Letztlich habe sich das Erstgericht nicht damit auseinandergesetzt, dass die Zeugin vom Angeklagten erfolglos eine Scheidung nach islamischem Recht gefordert habe und somit als Motiv einer Falschbelastung Rache in Betracht komme (ON 20.2, 3ff).
Der Begründungsmangel der Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) liegt vor, wenn nicht unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt wurde oder auch aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist (RISJustiz RS0117995). Unvollständigkeit ist gegeben, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung entgegen der Anordnung des § 270 Abs 2 Z 5 StPO erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene – seinen Feststellungen entgegenstehende – Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS-Justiz RS0098646).
Fallbezogen wird eine fehlerhafte Urteilsbegründung in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes nicht prozessordnungsgemäß dargetan; denn entscheidend ist vorliegend nicht, wie der Angeklagte zwischen 11.00 und 12.00 Uhr (US 10) vom bzw. zum Tatort bzw. dem von ihm genannten Lokal gelangte, sondern allein, dass und auf welche Weise er die ihm zur Last gelegte Erpressung verübte. Die für die Verwirklichung des in Rede stehenden Verbrechens geforderten objektiven und subjektiven Tatbestandselemente hat das Erstgericht jedoch in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) auf der Basis der gesamten wesentlichen Verfahrensergebnisse sowie unter Verwertung des persönlich gewonnenen Eindrucks festgestellt und auch mit zureichender und denkmöglicher Begründung dargelegt, warum es der insgesamt als unglaubwürdig beurteilten leugnenden Verantwortung des Angeklagten, die Zeugin an diesem Tag nicht gesehen zu haben (US 10), nicht gefolgt ist. Dabei war es nach der Vorschrift des § 270 Abs 2 Z 5 StPO nicht verhalten, dessen gesamtes Vorbringen und sämtliche seiner Einwände in extenso zu erörtern. Mit seinem Vorbringen zu den vom Erstgericht angeblich verwendeten Floskeln argumentiert der Rechtsmittelwerber schlichtweg daran vorbei, dass es die von ihm gewählte Verantwortungsvariante (mit mängelfreier Begründung) als unglaubwürdige Schutzbehauptung beurteilt hat. Nur der Vollständigkeit halber sei zur (aufgeworfenen, aber keineswegs relevanten) Frage, auf welche Weise der sechsunddreißigjährige, körperlich nicht beeinträchtigte Angeklagte die paar Kilometer rund um den Tatort zurückgelegt hat, erwidert, dass es ihm angesichts der zur Verfügung gestandenen Zeit ohne Weiteres möglich war, diese Wegstrecke zu Fuß, notfalls auch auf andere Weise, zurückzulegen. Letztlich handelt es sich auch bei den Überlegungen des Angeklagten zu einem allfälligen Motiv des Opfers (ON 20.2, 5) - wie bereits in der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Wien dargetan – um im Rahmen der Berufung wegen Nichtigkeit unzulässige Beweiswerterwägungen.
Zusammenfassend vermag demnach der Nichtigkeitswerber weder schwerwiegende, unter Außerachtlassung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung zustandegekommene Mängel in der Sachverhaltsermittlung aufzuzeigen, noch auf aktenkundige Beweisergebnisse hinzuweisen, die nach den Denkgesetzen oder nach der allgemeinen menschlichen Erfahrung erhebliche Zweifel gegen die Richtigkeit der Beweiswürdigung in entscheidungswesentlichen Fragen aufkommen lassen. Nach Inhalt und Zielrichtung des gesamten Vorbringens trachtet er vielmehr im Kern bloß nach Art einer Schuldberufung die zu seinem Nachteil ausgefallene tatrichterliche Lösung der Schuldfrage in Zweifel zu ziehen und seiner leugnenden Verantwortung zum Durchbruch zu verhelfen.
Auch die Berufung wegen Schuldgeht fehl, zumal gegen die Richtigkeit der im Urteil erster Instanz enthaltenen Feststellungen entscheidender Tatsachen keine Bedenken bestehen (zum Prüfungsumfang des Berufungsgerichts RIS-Justiz RS0132299). Das Erstgericht hat sämtliche relevanten Beweismittel vollständig ausgeschöpft und eine an allgemeinen Erfahrungssätzen und den Denkgesetzen der Logik orientierte, überaus akribische Beweiswürdigung vorgenommen, die auch einer amtswegigen Überprüfung standhält. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der versuchten Erpressung stützen sich entgegen der dem Tatvorwurf leugnenden Verantwortung des Angeklagten (ON 2.4; ON 14.3, 3ff) auf die vom Erstgericht unter Verwertung des unmittelbaren Eindrucks für glaubhaft befundenen Angaben des Opfers B* (ON 2.5, ON 14.3ff, US 9ff), deren Schilderungen des Tatablaufs im Zusammenhang mit der durch das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 16. Oktober 2024, rechtskräftig seit 22. Oktober 2024, AZ **, wegen §§ 127, 131, erster Fall StGB, § 165 Abs 1 Z 1 StGB und § 107b Abs 1 StGB (Zeitraum Mai 2023 bis Juni 2024 Tritte, Schläge, Stöße, Anspucken, Erniedrigen, Beschimpfen, Anschreien, Drohung, heißen Kaffee ins Gesicht zu schütten; US 2ff) und die Einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts Wiener Neustadt, AZ **, dokumentierten Gewaltbereitschaft des Angeklagten gegenüber dem Opfer überaus glaubhaft und schlüssig sind. Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite konnte das Erstgericht aus einer lebensnahen Betrachtung des äußeren Tatgeschehens ableiten (RIS-Justiz RS0098671, RS0116882; US 6f, 17).
Dagegen kann die teils widersprüchliche Darstellung des Angeklagten nicht überzeugen (vgl. US 17). Entgegen der Darstellung in der Berufung, wonach es offenbar einzig der Zeugin ein Anliegen sei, sich scheiden zu lassen, hatte er bei der Polizei sehr wohl den Eindruck erweckt, dies genauso zu wollen (ON 2.4, 3: „Ich bin noch mit meiner aktuellen Frau verheiratet, aber wir haben die Scheidung eingereicht.“). Hatte er vor der Polizei zeitnah zum Vorfall (ON 2.4) angegeben, lediglich um 10.55 Uhr Geld behoben zu haben und sich danach mit dem Vermieter seiner Wohnung bei dessen Café in der C* Straße getroffen zu haben, behauptete er in der Hauptverhandlung wenig glaubwürdig, sich davor zusätzlich noch einen Kaffee geholt und in einem Supermarkt eingekauft zu haben (ON 14.3, 4f), dies um darzulegen, dass es ihm zeitlich gar nicht möglich gewesen wäre, die Tat zu begehen (US 10ff). In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Wien sind die auf den Angaben der Zeugin und der Ortskenntnis der Erstrichterin beruhenden beweiswürdigenden Erwägungen zur Tat im Zeitraum zwischen 11.00 und 12.00 Uhr, die ausdrücklich nicht auf exakten zeitlichen Angaben der Zeugin fußen, dem Berufungsvorbringen zuwider nicht zu beanstanden (US 10f, 15f) und erschöpft sich das Vorbringen des Berufungswerbers zu den angeblichen Wegzeiten in reinen Mutmaßungen, zumal es sich bei den Beilagen ./1 bis ./4 nicht um belastbares Beweismaterial handelt und abgesehen vom Zeitpunkt des Besuchs der E* um 10:55 Uhr (ON 2.7, 4) die vom Angeklagten ansonsten wenig glaubwürdig behaupteten Zeitpunkte und Wegzeiten nicht überprüfbar sind. Entgegen der Berufung war dem Erstgericht auch bekannt, dass sich das Kaffeehaus in der D*straße befindet (ON 14.3, 5; US 11) und setzte es sich ausreichend mit der Tonaufnahme auseinander (US 16ff), kam aber beanstandungsfrei zu dem Ergebnis, dass allfällige Erinnerungslücken der Zeugin deren Glaubwürdigkeit nicht zu beeinträchtigen vermögen.
Da somit auch das Berufungsgericht bei der im Rahmen der Überprüfung der Beweiswürdigung in Erledigung der Schuldberufung anzustellenden Gesamtbetrachtung keinen Zweifel an der Richtigkeit der erstrichterlichen Lösung der Schuldfrage hegt, war die Schuldberufung zu verwerfen.
Gleiches gilt für die Berufung wegen Strafe.
Die vom Erstgericht angeführten Strafzumessungsgründe sind zunächst dahingehend zu ergänzen, dass sich die Delinquenz während offener Probezeit im Rahmen des § 32 Abs 2 und Abs 3 StGB schuldaggravierend auswirkt (RIS-Justiz RS0090597). Ansonsten hat das Erstgericht die besonderen Strafzumessungsgründe vollständig und richtig erfasst.
Dem Berufungswerber gelingt es nicht, weitere Milderungsgründe für sich ins Treffen zu führen.
Bei objektiver Abwägung der zum Nachteil korrigierten Strafzumessungslage und allgemeiner Strafzumessungserwägungen im Sinne des § 32 Abs 2 und 3 StGB erweist sich die vom Erstgericht verhängte Sanktion angesichts des zur Verfügung stehenden Strafrahmens von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe und angesichts des Umstandes, dass er trotz Verspürens des Haftübels (US 4; ON 11) zeitnah wieder einschlägig zum Nachteil desselben Opfers delinquierte, als nicht zu beanstanden und dem spruchgemäßen, schuld- und tatangemessenen sozialen Störwert der Straftat und insbesondere generalpräventiven Aspekten gerecht werdend. Der Ansicht des Angeklagten zuwider liegen aus sp ezialpräventiven Gründen auch die Voraussetzungen für eine teilbedingte Nachsicht der verhängten Freiheitsstrafe außerhalb jeglicher Reichweite, trübt doch die überaus rasche Rückfälligkeit des Angeklagten die Einschätzung seiner Resozialisierungsbereitschaft markant. Ungeachtet dessen sah das Erstgericht vom Widerruf der ihm mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 16. Oktober 2024 zu AZ ** gewährten bedingten Strafnachsicht ab und verlängerte die Probezeit auf fünf Jahre, wodurch sich der Angeklagte keinesfalls beschwert erachten sehen kann.